Modisch in die Zukunft

Der „Wegwerfgesellschaft“ entgegenwirken und gleichzeitig Kleidung mehr Wertschätzung schenken – das ist das Ansinnen von Linnéa Haufschild. Sie hat 2021 in der Lüneburger Altstadt Rudiretro eröffnet: ein Second-Hand-Kleidungsgeschäft, dessen Name von dem ihres Hundes Rudi inspiriert ist und das mehr bewegen will als Handel mit alten Klamotten zu betreiben.
Das Sortiment bei Rudiretro kann nicht nur gekauft, sondern per Abomodell auch geliehen werden. „Das Leihen von Kleidung bringt Abwechslung im Kleiderschrank und schont gleichzeitig den Geldbeutel“, so die Idee. Rudiretro, so sieht es die Inhaberin, rettet auf diese Weise Kleidungsstücke vor der Mülldeponie und schenkt ihnen „ein zweites, drittes oder viertes Leben“ bei neuen Besitzerinnen und Besitzern.
Kleidung im Abo leihen
Die Wahl-Lüneburgerin hat in Berlin Bekleidungstechnik studiert und kennt „die Abgründe der Textilindustrie“, wie sie sagt. Denn bei sogenannter Fast Fashion – von preisgünstigen Anbietern, die pro Jahr zum Teil mehr als 20 Kollektionen rausbringen – ist ein zweites, drittes oder gar viertes Leben gar nicht unbedingt möglich, da viele Stücke aus minderwertigen Materialien gefertigt sind, die nicht lange halten und oft auch nicht recyclingfähig sind. Haufschild möchte einen kleinen Teil zur Verbesserung der Situation leisten. Mit ihrem Ansatz, so die Hoffnung, werden Ressourcen geschont und die Neuproduktion von Kleidung vermieden.
Eine Milliarde ungenutzter Kleidungsstücke
Linnéa Haufschild steht vor dem Spiegel und hält sich eine Bluse an den Oberkörper.
Rudiretro ist das Herzensprojekt von Linnéa Haufschild. Die studierte Bekleidungstechnikerin verkauft Second-Hand-Mode, die Kunden ebenso leihen können. © Andreas Tamme/tonwert21.de
Denn Mode kann nur deshalb billig verkauft werden, weil die Produktionskosten gering sind – für den Textilbereich bedeutet das oft, es wird unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen gefertigt und ökologische Schäden werden in Kauf genommen. Den Preis zahlen also andere.
In einer Greenpeace-Studie kam 2015 heraus, dass jeder Erwachsene in Deutschland durchschnittlich 95 Kleidungsstücke besitzt, nicht mitgerechnet Unterwäsche und Socken. Jedes fünfte Kleidungsstück jedoch wird so gut wie nie getragen. Bezogen auf Deutschland sind das eine Milliarde ungenutzter Kleidungsstücke. Viele Oberteile, Hosen und Schuhe werden sogar kurz nach dem Kauf wieder weggeworfen, jeder Achte trägt seine Schuhe kürzer als ein Jahr.
Vor diesem Hintergrund können bei Rudiretro die geliehenen Stücke nach einem Monat vergünstigt gekauft werden. „Damit will ich Fehlkäufe verhindern“, so Inhaberin Haufschild. Das Angebot sei gut angelaufen, auch, weil es mittlerweile mehrere Unternehmen mit Online-Angeboten gibt, die ebenfalls Mode verleihen, zumeist hochpreisige Abendkleidung. So werde das Geschäftsmodell bekannter und nach und nach gewohnter. Künftig will Haufschild auch Kinderkleidung zum Leihen anbieten – praktisch für eine Klientel, die ständig aus alten Klamotten herauswächst und neue braucht.
Kreislaufwirtschaft möglich machen
Zwei Drittel der Menschen geben laut der Greenpeace-Studie ihre aussortierte Kleidung immerhin an Bekannte weiter, fast die Hälfte kaufen und verkaufen auch mal Second Hand. Diese Zahlen machen Haufschild Hoffnung. Damit ist die Lüneburger Gründerin Mitglied einer Bewegung.
Seit Anfang dieses Jahres ist Rudiretro Teil des Innovationsprogramms „Circular Futures“, das zeigen will, dass Kreislaufwirtschaft schon heute möglich ist. Mehr als 100 Initiativen arbeiten an der Transformation weg vom linearen Wirtschaften hin zum zirkulären Modell und damit zu einem nachhaltigeren Umgang mit Ressourcen. Circular Futures sei „ein Reallabor für Lösungen auf gesellschaftliche Herausforderungen“, heißt es bei der Inititative. Im Wesentlichen geht es um das Umdenken, eine Reduktion des Ressourcenverbrauchs, die Verlängerung der Lebensdauer von Produkten sowie Recycling.
Upcycling-Kollektion aus alten Kravatten
Bei Rudiretro wird auch upgecycelt – die Gründerin repariert und verschönert alte Krawatten in ihrem Atelier nach dem Motto „aus alt mach neu“ und hat in ihrem Laden eine kleine Krawattenkollektion im Angebot. Außerdem will sie ihre Zielgruppe – bisher eher jung und studentisch – erweitern. Ab diesem Sommer plant sie Workshops und Events zum Thema nachhaltiger Modekonsum. „Es soll Upcycling- und Reparatur-Workshops aber auch Bildungsworkshops zu Feminismus und Nachhaltigkeit in der Bekleidungsindustrie geben, denn viele Menschen wissen noch sehr wenig über das Thema.“ Ihr Antrieb ist, etwas bewirken zu wollen. „Es reicht mir nicht, einfach nur mit meiner Arbeit Geld zu verdienen.“
Denn in finanzieller Hinsicht lohnt sich das alles bislang kaum: „Reich werde ich nicht. Aktuell komme ich so bei Null raus. Aber es ist mein Herzensprojekt“, so Haufschild. Aber macht sich ein Geschäftsmodell wie ihres nicht irgendwann selbst überflüssig, wenn kaum noch jemand etwas kauft oder leiht, weil sich alle mit dem Vorhandenen zufrieden geben? Haufschild: „Das war tatsächlich von Anfang an mein größtes Problem. Und ich habe noch keine richtige Lösung dafür gefunden.“ Anne Klesse
Crowdfunding-Kampagne von Rudiretro
Noch bis 31. Mai läuft die Crowdfunding-Kampagne von Rudiretro auf Startnext. Mit den angestrebten 7.000 Euro sollen Schulden bezahlt und Workshops realisiert werden. „Je mehr Geld zusammenkommt, desto günstiger können wir unsere Workshops anbieten und so möglichst vielen Menschen die Modebranche näher bringen“, heißt es in der Beschreibung. Außerdem soll mit dem Geld das Sortiment um Kinderkleidung erweitert werden. Als Goodies gibt es unter anderem Rudiretro-Jutebeutel und Gutscheine. Großspender, die 500 Euro geben, dürfen dafür ein Jahr lang Kleidung ausleihen.