Menschenrechte entlang der Lieferkette sichern

Kinderarbeit, Sklaverei und Zwangsarbeit verhindern, darauf zielt das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Ab Januar 2023 müssen Unternehmen mit mindestens 3.000 Mitarbeitenden dokumentieren, dass ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten entlang der gesamten Wertschöpfungskette eingehalten werden. Ab 2024 gilt das auch für Unternehmen ab 1000 Beschäftigten. Wie können Unternehmen die Vorgaben erfüllen und welche Hilfen gibt es dabei? Ein Interview mit Erik Wessels, Leiter des Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte.
Das Lieferkettengesetz verpflichtet Unternehmen bestimmter Größe ab 2023 dazu, grundlegende Menschenrechte entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu beachten. War es nicht möglich, dies auf Basis freiwilliger Verpflichtungen durchzusetzen?
Tatsächlich hat die Politik hier lange auf das Prinzip der Freiwilligkeit gesetzt. Inzwischen haben sich auch viele Unternehmen mit der Thematik auseinandergesetzt und Fortschritte erzielt. Doch die Erfahrung der letzten Jahre beweist, dass eine freiwillige Selbstverpflichtung in der Breite noch nicht die gewünschte Wirkung erzielt hat. Deshalb wurde mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ein verbindlicher Handlungsrahmen zum Schutz grundlegender Menschenrechte in den Lieferketten beschlossen. Die globale Lage sorgt außerdem gerade dafür, dass das Thema für viele Unternehmen ohnehin eine gesteigerte Aufmerksamkeit und Umdenken erfordert: Die Covid-Pandemie und die Folgen des Ukraine-Krieges haben bestehende Wertschöpfungsketten erheblich gestört. Viele Unternehmen überdenken ihre Lieferbeziehungen und stehen vor umfassenden Neustrukturierungen. Unternehmen sollten deshalb die neuen Anforderungen auch als Chance begreifen, sich nachhaltiger aufzustellen.
CSR Risiko-Check
Der CSR Risiko-Check hilft Unternehmen, die aus dem Ausland importieren oder im Ausland Produktionsstätten haben, die damit verbundenen CSR-Risiken einzuschätzen, und zeigt Möglichkeiten auf, diese Risiken zu managen.
Welche Vorgaben aus dem Lieferkettengesetz müssen die betroffenen Unternehmen genau erfüllen?
Von den Unternehmen wird nun erwartet, dass sie angemessene Sorgfaltsprozesse in Bezug auf die Menschenrechte und bestimmte Umweltaspekte in ihren Geschäftsablauf integrieren. Das bedeutet konkret, dass sich die Unternehmen ein genaueres Bild von der Situation ihrer Zulieferer und Geschäftspartner machen müssen, um nicht durch ihre Geschäftsaktivitäten zu Kinderarbeit oder Sklaverei und Zwangsarbeit beizutragen. Das Gesetz verlangt aber keine Garantie, dass es in keinem Fall zu Menschenrechtsverstößen entlang der globalen Lieferketten kommt. Die Unternehmen müssen vielmehr nachweisen, dass sie angemessene Sorgfaltsprozesse etabliert haben. Im Kern geht es um den Aufbau eines wirksamen Risikomanagementsystems, mit dem sich Risiken und Verletzungen von Menschenrechten erkennen und abstellen lassen. Die Grundlage bildet eine umfassende Risikoanalyse. Die Umsetzung von Sorgfaltspflichten bedeutet aber nicht nur zusätzlichen Aufwand, sondern kann auch betriebswirtschaftlich von Nutzen sein. So können die im Zuge der Risikoanalyse gewonnenen Informationen Unternehmen befähigen, vorausschauender Entscheidungen über Produktionsstandorte und Investitionen zu treffen.
EricWessels-Helpdesk
Erik Wessels, Leiter des Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte, empfiehlt eine Risikoanalyse: "Die so gewonnenen Informationen können Unternehmen befähigen, vorausschauender Entscheidungen über Produktionsstandorte und Investitionen zu treffen." © Laurin Schmid/Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte
Wer kontrolliert, ob die Vorgaben eingehalten werden und wie?
Die Umsetzung wird durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) kontrolliert. Unternehmen müssen der Behörde einen Bericht über die Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten dem BAFA vorlegen. Weiterhin kann das BAFA auch risikobasierte Kontrollen bei Unternehmen durchführen.
Und was passiert, wenn es Verstöße gibt?
Wenn Unternehmen vorsätzlich oder fahrlässig bestimmte Sorgfaltspflichten verletzen, drohen empfindliche Bußgelder von bis zu acht Millionen Euro. Übersteigt ein verhängtes Bußgeld zudem einen gewissen Schwellenwert, können Unternehmen von öffentlichen Ausschreibungen ausgeschlossen werden.
KMU Kompass
Der KMU Kompass hilft Unternehmen, Verantwortung für soziale und ökologische Nachhaltigkeit entlang ihrer gesamten Liefer- und Wertschöpfungskette zu übernehmen und Sorgfaltsprozesse Schritt für Schritt zu implementieren.
Welche ersten Schritte empfehlen Sie Unternehmen, die die Vorgaben umsetzen müssen?
Ich rate Unternehmen zunächst dazu, eine gründliche Bestandsaufnahme durchzuführen und sich zu fragen: Wo stehen wir eigentlich? Denn in der Regel müssen sie nicht bei null anfangen, da oftmals schon eine Reihe von entsprechenden Maßnahmen existiert. Diese sollten systematisch analysiert, an die neuen Auflagen angepasst und ergänzt werden. So lassen sich die Sorgfaltspflichten schrittweise in den Geschäftsablauf eingliedern. Im Einkauf zum Beispiel sollten in Zukunft neben den üblichen Faktoren Qualität und Preis auch gewisse Nachhaltigkeitskriterien mitberücksichtigt werden.
Aber auch solche Unternehmen, die nicht in den direkten Anwendungsbereich des LkSG fallen, sollten jetzt nicht untätig sein. Zum einen wachsen die Erwartungen der Mitarbeitenden, Kunden und Investoren, zum anderen können auch KMU als Zulieferer größerer Unternehmen mittelbar betroffen sein und aufgefordert werden, eigene Sorgfaltsprozesse einzurichten oder Informationen bereitzustellen. Es lohnt sich also auch für sie, proaktiv tätig zu werden.
Erik Wessels bei einer Veransatltung im Gespräch mit einer Frau und einem Mann, er gestikuliert.
Erik Wessels vom Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte wirbt dafür, dass Unternehmen das Lieferkettengesetz als Chance begreifen, ihre Lieferketten nachhaltiger aufzustellen. © Laurin Schmid/Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte
Ab 1. Januar 2024 gilt das Lieferkettengesetz auch für Unternehmen mit 1.000 bis 3.000 Mitarbeitenden. Einer DIHK-Umfrage zufolge sehen von ihnen 71 Prozent mehr Bürokratie und höhere Kosten auf sich zukommen. Welche konkreten Hilfestellungen sind gerade für KMU vorgesehen?
Als Angebot der Bundesregierung steht der Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte KMU aber auch größeren Unternehmen genau bei diesen Herausforderungen zur Seite. Im Zuge unseres kostenfreien und vertraulichen Beratungsangebotes sprechen wir mit Unternehmen dazu, welche unternehmensinternen Prozesse bereits vorhanden sind und was noch fehlt. Daneben stehen mit dem CSR Risiko-Check, dem KMU Kompass und dem Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte drei Online-Tools mit umfassenden Informationen und praxisnahen Umsetzungshilfen zur Verfügung. Im Frühsommer geht außerdem der „Siegel-Kompass“ an den Start. Mit diesem Tool können sich Unternehmen einen Überblick über verschiedenen Nachhaltigkeitsstandards verschaffen.
Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte
Wie können Unternehmen die Menschenrechte auch in komplexen Lieferketten achten? Der Praxislotse Wirtschaft & Menschenrechte bietet eine Vielzahl an Fallstudien, Hintergrundinformationen und Anleitungen zu unterschiedlichen Menschenrechtsthemen.

Inzwischen liegt auch ein Vorschlag für ein EU-Lieferkettengesetz vor, der deutlich über das deutsche Pendant hinaus geht. Wie schätzen Sie das Risiko ein, dass europäische Unternehmen angesichts der Risiken und des Aufwands ihr Engagement in risikoreicheren Entwicklungs- und Schwellenländern überdenken könnten?
Das deutsche Gesetz verfährt nach dem Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“ und zielt darauf ab, dass Unternehmen sich nicht aus Regionen mit niedrigeren Standards zurückzuziehen, sondern sich vor Ort gemeinsam mit ihren Zulieferern oder innerhalb der Branche um eine Risikominimierung zu bemühen. Ein Unternehmen aus Deutschland wird allein vielleicht keine grundlegende Verhaltensänderung bewirken, sehr wohl aber kann es mit seinen Partnern vor Ort in den Dialog treten, um Bewusstsein zu schaffen und Risiken zu minimieren. Der Rückzug aus einem Land stellt also immer nur die Ultima Ratio da. Es bleibt abzuwarten, welche konkrete Form eine EU-Richtlinie annehmen wird. Fest steht, dass die rechtlichen Anforderungen steigen. Ein Grund mehr, warum Unternehmen jetzt den Weg zu nachhaltigeren Lieferketten gehen sollten. Wer heute schon die richtigen Maßnahmen ergreift, kann von künftigen Gesetzesverschärfungen nicht überrascht werden. Sandra Bengsch
IHKLW informiert über Lieferkettengesetz
Die Auswirkungen des europäischen Lieferkettengesetzes für regionale Unternehmen stehen im Mittelpunkt einer digitalen Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg (IHKLW) am Mittwoch, 18. Mai, 15 bis 16 Uhr. Die Teilnahme ist kostenfrei, Anmeldungen unter ihklw.de/ImpulseLieferkettengesetz.
Der Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte
Der Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte ist ein Angebot der Bundesregierung und berät Unternehmen kostenfrei, individuell und vertraulich rund um die Umsetzung von Umwelt- und Sozialstandards sowie zu menschenrechtlichen Sorgfaltsprozessen. Zum Angebot zählen außerdem Schulungen und Veranstaltungen sowie die Beratung zu Förder- und Finanzierungsinstrumenten der deutschen Entwicklungszusammenarbeit für Projekte im Bereich Nachhaltigkeit, beispielsweise wenn es um die Verbesserung von Umwelt- und Sozialstandards bei Lieferanten geht. Unterstützend stehen mit dem CSR Risiko-Check, dem KMU Kompass und dem Praxislotsen Wirtschaft & Menschenrechte Online-Tools zur Verfügung. Zu erreichen ist der Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte unter Tel. 030 590 099-430, HelpdeskWiMR@wirtschaft-entwicklung.de und unter wirtschaft-entwicklung.de/wirtschaft-menschenrechte