5 min
Lesezeit
Bio-Pionier seit 1979
Es hätte nicht viel gefehlt, und die Bohlsener Mühle, 1265 erstmals urkundlich erwähnt, würde nicht mehr existieren. Vor 50 Jahren ist der Traditionsbetrieb im Landkreis Uelzen, in dem jährlich 20.000 Tonnen Getreide verarbeitet werden, um ein Haar stillgelegt worden. „Damals hat sich mein Vater trotz des allgegenwärtigen Mühlensterbens im letzten Moment gegen diesen Schritt entschieden“, sagt Volker Krause, der seit 1979 die Geschicke des Unternehmens leitet.
Anfangs war es unglaublich schwierig, überhaupt Bio-Getreide aus der Region zu beziehen.
Der heute 70-Jährige hat schon konsequent auf ökologischen Landbau und auf zukunftsfähiges Wirtschaften gesetzt, als es die Schlagwörter Nachhaltigkeit und Klimawandel noch gar nicht gab. Ihm ist es zu verdanken, dass in der historischen Wassermühle ausschließlich Bio-Getreide verarbeitet und danach in der handwerklichen Bäckerei sowie in modernen Produktionsanlagen in Brote, Müslis oder Snacks verwandelt wird.
„Nach meinem VWL- und Politikstudium habe ich zusammen mit ein paar Kommilitonen aus anderen Disziplinen den in Schieflage geratenen Betrieb zum ,Projekt' erklärt“, sagt Volker Krause, der schmunzeln muss beim Gedanken an diese „rührend ernsthafte“ Studiengruppe. Der ursprüngliche Kollektivgedanke scheiterte bald — der Anspruch, den väterlichen Betrieb komplett neu aufzustellen, blieb.
„Anfangs war es unglaublich schwierig, überhaupt Bio-Getreide aus der Region zu beziehen.“ Durch eigene Akquise und mit Hilfe des Bioland-Verbandes habe man in den Anfangsjahren gut 40 Bauern auf Bio umstellen können. Heute liefern rund 200 ausgewählte Landwirte aus der Region nicht nur Dinkel, Hafer, Roggen oder Gerste, sondern auch alte Sorten wie Einkorn und Emmer. Nachdem zunächst mit Lohnbäckern zusammengearbeitet worden war, entstand 1989 die eigene große Bäckerei, in der nun an drei Backstraßen Dauerbackwaren für den deutschlandweiten Versand produziert werden.
In der eigenen Frischebäckerei an der Mühle sorgen aktuell knapp 30 Paar Hände dafür, dass pro Tag 3.500 Brote und 8.000 Brötchen sowie Kuchen und Snacks an Kunden ausgeliefert werden können, die in einem Radius von 150 Kilometern rund um Bohlsen angesiedelt sind.
Signifikant gewachsen sind wir mit dem Bau unserer zweiten Produktionsstätte, die 2004 eingeweiht wurde.
Mit dem steigenden Bewusstsein für die Umwelt und für eine gesunde Ernährung ist das Bio-Sortiment über die Jahrzehnte stetig gewachsen: Müsli-Kreationen gehören ebenso dazu wie Cracker und Kekse — in der Keks-Sparte ist das Unternehmen mittlerweile Marktführer im Naturkostfachhandel. Bio-Läden hat die Bohlsener Mühle schon früh beliefert, große Supermarkt- und Drogerieketten kamen erst später hinzu. „Signifikant gewachsen sind wir mit dem Bau unserer zweiten Produktionsstätte, die 2004 eingeweiht wurde.“
Dieser Gebäudekomplex wird überdies einen entscheidenden Beitrag zur Energieversorgung leisten: „Auf dem Dach werden wir eine Fotovoltaik-Anlage installieren, die einen Großteil der von uns im Haus benötigten Energie erzeugen kann.“ Zu den mittlerweile 285 Mitarbeitern gehören seit Jahren auch zwei Nachhaltigkeitsmanager, die das eigene Energiemanagement fortwährend überprüfen.
Ideen zur Optimierung gibt es einige: „Schon vor 15 Jahren habe ich überlegt, wie wir ,Abfälle aus der Dinkelschälung nutzen können“, sagt Volker Krause. „Es dauerte jedoch sehr lange, bis die Dinkelspelzen auch als Brennstoff zugelassen wurden.“ Vor drei Jahren dann habe endlich — gefördert mit EU-Mitteln — eine entsprechende Heizung mit Nahwärmenetz installiert werden können, die außerdem 80 Haushalte im Dorf versorgt. Neben Dinkelspelzenheizung und Ökostrom gehört auch die Wasserkraft des Flusses Gerdau zum eigenen Energiekonzept, das dabei helfen soll, CO2 zu sparen und bis 2025 klimapositiv zu sein.
Es war Volker Krause immer ein Anliegen, das Thema Nachhaltigkeit ganzheitlich zu betrachten und „die Wertschöpfungskette zu Ende zu denken“. Und so steht er in regelmäßigem Austausch mit Landwirten, den Anbauverbänden und auch mit Getreidezüchtern wie der Öko-Getreidezüchtung Cultivari in Darzau. Probleme zu erkennen und Widersprüche zu benennen ist für ihn selbstverständlich. Ein Beispiel sind Zertifizierungen und Siegel. Er warnt vor „übertriebenem Gelabel. Durch die Vielzahl neuer Kennzeichnungen fühlt man sich als Unternehmer mitunter fast gejagt, denn die Verfahren sind kompliziert, teuer und oft nicht praktikabel, weil im Ergebnis häufig nicht der ganzheitliche Wert der Bio-Lebensmittel erfasst wird.“
Was unterm Strich zählt ist die ehrliche Analyse der Ökobilanz der Berpackungsstoffe.
Auch wenn die Bohlsener Mühle zuletzt als erstes deutsches Unternehmen die Nachhaltigkeit ihrer Produkte durch den sogenannten „Planet Score“ mit Bestnote hat bewerten lassen – als schnelle und eindeutige Orientierung für den Kunden setzt der Unternehmer nach wie auf die Bio-Kennzeichnung der EU sowie das Bioland-Zeichen.
„Getrieben“ sei man auch beim Punkt Verpackung. Selbstverständlich achte man auch in Bohlsen auf Umweltverträglichkeit und Recyclingfähigkeit. „Doch egal, ob es sich nun um Papier oder Plastik handelt – es wird immer Kritikpunkte geben.“ Und obwohl es in Lüneburg sogar den eigenen „Mühlenladen“ mit großem „Unverpackt“-Bereich gibt, sei diese Methode, Müll zu reduzieren, keine Lösung für alle Produkte. „Was unterm Strich zählt, ist die ehrliche Analyse der Ökobilanz der Verpackungsstoffe.“ Entsprechende Transparenz will das Unternehmen mit dem Nachhaltigkeitsbericht auf der eigenen Website bieten.
Wenn es um die Zukunft der Bohlsener Mühle geht, ist Volker Krause zuversichtlich, dass das Unternehmen weiter wachsen wird. Durch zusätzliche Backstraßen etwa. Oder indem die Bohlsener Mühle die Nachfrage nach Produkten aus proteinhaltigen Hülsenfrüchten bedient, die ein schwindender Fleischkonsum erwartbar mit sich bringt.
Ich bin überzeugt davon, dass es durch die begrenzte regenerative Energie und Ressourcen auch Grenzen des Wachstums gibt.
„Dennoch bin ich überzeugt davon, dass es durch die begrenzte regenerative Energie und Ressourcen auch Grenzen des Wachstums gibt.“ Der Unternehmer hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. „Die Bohlsener Mühle strebt eine für sie optimale Betriebsgröße an, die den planetaren Grenzen und der Resilienz des Unternehmens Rechnung trägt.“
Die Nachfolge ist weitestgehend geregelt, die Familienstiftung bereits gegründet. Ob er persönlich das Gefühl habe, in all den Jahren etwas bewegt zu haben? „Ich habe erst vor Kurzem ein 20 Jahre altes Papier gefunden, auf dem ich allgemeine Ziele notiert hatte. Die Aufgaben sind dieselben geblieben“, sagt der Nachhaltigkeitspionier, der vor zwei Jahren das Buch „1000 Mühlen braucht das Land. 9+1 Grundregeln für zukunftsfähiges Wirtschaften“ veröffentlicht hat. Wenn er auf sein eigenes Unternehmen blicke, habe er jedoch „nichts zu bereuen“. Am 25. Juni soll nach zwei Jahren Pause endlich wieder das hauseigene Mühlenfest stattfinden — eine willkommene Möglichkeit, die eigene Marke nicht nur sichtbar, sondern auch erfahrbar zu machen. „Wenn ich bei Gelegenheiten wie dieser unsere Besucher erlebe, dann freue ich mich, dass das Thema in der Breite angekommen ist.“ Alexandra Marschewski
Kontakt
Sandra Bengsch