Neuerungen im Kaufrecht seit 01.01.2022

Die folgenden Ausführungen sollen einen Überblick über die neuen Gewährleistungsregeln im Kaufrecht geben, die ab 2022 von den Händlern zu beachten sind.
Der Schwerpunkt wird dabei auf die Verträge im B2C-Bereich gelegt. Weitere Änderungen im Kaufrecht können Sie in unserem Merkblatt Änderungen im Kaufrecht ab 2022 nachlesen. Sofern Sie sich über die neuen Regelungen zu den Verbraucherverträgen über digitale Produkte informieren möchten, finden Sie einen Überblick in unserem Merkblatt Neue Regeln für Verbraucherverträge über digitale Produkte.

Teil 1: Allgemeine Regelungen zum Gewährleistungsrecht

Für welche Verträge gelten die neuen Regelungen?

Die Regelung gilt für alle Kaufverträge, die ab dem 1.1.2022 geschlossen werden. Der wirksame Vertragsschluss setzt dabei Angebot auf Abschluss des Vertrages und Annahme desselben voraus.

Wann kommt überhaupt ein wirksamer Vertrag zustande?

Je nach Ort des Vertragsschlusses ist wie folgt zu unterscheiden:
Vertragsschluss im stationären Handel: Im Regelfall kommt der Vertrag an der Kasse dadurch zustande, dass der Käufer die Ware an der Kasse zur Bezahlung vorlegt und der Verkäufer für das Unternehmen den Kauf abwickelt. Allein das Ausstellen der Ware im Laden stellt noch kein Angebot dar.
Vertragsschluss im Internet: Hier ist zwischen zwei Fällen zu unterscheiden:
  • Wird in den AGB die Präsentation der Ware als unverbindliche Einladung zum Kauf deklariert, so ist erst in der Bestellung des Kunden ein verbindliches Angebot zu Abschluss des Kaufvertrages zu sehen. Dieses Angebot kann der Unternehmer sodann annehmen.
  • Durch AGB kann geregelt werden, dass die Warenpräsentation bereits ein verbindliches Angebot darstellt. Dann führt bereits die Bestellung des Käufers zum Abschluss des Kaufvertrages.
Praxishinweis: Wichtig zu wissen ist jedoch, dass in all den Fällen, in denen dem Käufer schon während des Bestellvorgangs die Möglichkeit zur Zahlung gegeben bzw. er zur Zahlung aufgefordert wird (z. B. paypal), der Vertrag bereits mit Abschluss dieses Bestellvorgangs zustande kommt, da eine Pflicht zur Zahlung erst nach Vertragsschluss bestehen kann. Dies gilt unabhängig davon, ob in den AGBs eine andere Regelung beispielsweise derart enthalten ist, dass die Präsentation der Ware kein verbindliches Angebot darstellt!

Für welche Kaufverträge gilt das allgemeine Gewährleistungsrecht?

Das allgemeine Gewährleistungsrecht gilt grundsätzlich für alle Gegenstände aus Kaufverträgen, mit Ausnahme der Verbrauchsgüterkäufe über digitale Produkte. Für diese wurden gesonderte Regelungen eingeführt.

Welche Neuerungen gibt es im allgemeinen Gewährleistungsrecht beim Kaufvertrag?

  • Neudefinition des Sachmangels
  • Möglichkeit der Totalverweigerung der Nachverfüllung bei Unverhältnismäßigkeit
  • Pflicht zur Übernahme der Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten durch den Händler bei Nacherfüllung
  • Pflicht des Kunden, die Ware bei Nacherfüllung zur Verfügung zu stellen
  • Rücknahmepflicht der ersetzten Sache durch den Verkäufer auf seine Kosten
  • Hemmung der Verjährung um 4 Monate ab Auftreten des Mangels
  • Verkürzung der Gewährleistung bei gebrauchten Sachen nicht mehr durch AGB möglich
  • Beweislastumkehr auf 12 Monate verlängert

Wie ist der neue Sachmangelbegriff definiert?

Nach der neuen Definition ist eine Sache frei von Mängeln, wenn sie bei Gefahrübergang
  • den subjektiven Anforderungen
  • den objektiven Anforderungen und
  • den Montageanforderungen
entspricht.
Die Sache entspricht den subjektiven Anforderungen, wenn sie
  1. die vereinbarte Beschaffenheit hat (bzgl. Art, Menge, Qualität, Funktionalität, Kompatibilität, Interoperabilität und sonstigen Merkmalen, für die die Parteien Vereinbarungen getroffen haben)
  2. sich für die nach dem Vertrag vorausgesetzte Verwendung eignet und
  3. mit dem vereinbarten Zubehör und den vereinbarten Anleitungen, einschließlich Montage- und Installationsanleitungen übergeben wird.
Die Sache entspricht den objektiven Anforderungen, wenn sie
  1. sich für die gewöhnliche Verwendung eignet,
  2. eine Beschaffenheit (bzgl. Menge, Qualität und sonstiger Merkmale einschließlich Haltbarkeit, Funktionalität, Kompatibilität und Sicherheit) aufweist, die bei Sachen derselben Art üblich ist und die der Käufer erwarten kann unter Berücksichtigung
    • der Art der Sache und
    • der öffentlichen Äußerungen, die von dem Verkäufer oder einem anderen Glied der Vertragskette oder in deren Auftrag, insbesondere in der Werbung oder auf dem Etikett, abgegeben wurden,
  3. der Beschaffenheit einer Probe oder eines Musters entspricht, die oder das der Verkäufer dem Käufer vor Vertragsschluss zur Verfügung gestellt hat, und
  4. mit dem Zubehör einschließlich der Verpackung, der Montage- oder Installationsanleitung sowie anderen Anleitungen übergeben wird, deren Erhalt der Käufer erwarten kann.
Die Sache entspricht den Montageanforderungen, wenn die Montage
  1. sachgemäß durchgeführt worden ist oder
  2. zwar unsachgemäß durchgeführt worden ist, dies jedoch weder auf eine unsachgemäße Montage durch den Verkäufer noch auf einem Mangel in der vom Verkäufer übergebenen Anleitung beruht.

Sind abweichende Beschaffenheitsvereinbarungen möglich, z. B bei gebrauchten oder refurbished Produkten?

Nach der Gesetzesformulierung sind die objektiven Anforderungen grundsätzlich frei verhandelbar, wobei im B2C-Bereich sehr strenge Anforderungen an eine solche negative Beschaffenheitsvereinbarung zu stellen sind.
Das Gesetz verlangt bei abweichenden Vereinbarungen, dass der Verbraucher
  1. vor der Abgabe seiner Vertragserklärung eigens davon in Kenntnis gesetzt wurde, dass ein bestimmtes Merkmal der Ware von den objektiven Anforderungen abweicht, und
  2. die Abweichung im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.
Praxishinweis: Für das „in Kenntnis setzen“ reicht eine bloße Information auf der Produktseite nicht aus. Die Gesetzesbegründung spricht von einem „Mehr“ im Vergleich zu der Übermittlung der anderen vorvertraglichen Informationen. Nicht ausreichend ist es, die Abweichung nur als eine von mehreren Eigenschaften in der Produktbeschreibung anzuführen. Bzgl. der ausdrücklichen und gesonderten Vereinbarung stellt die Gesetzesbegründung klar, dass es nicht ausreicht, diese neben zahlreichen anderen Vereinbarungen in einen Formularvertrag oder separate Allgemeine Geschäftsbedingungen einzustellen. Die Vertragsunterlagen müssen so gestaltet sein, dass dem Verbraucher bei Abgabe der Vertragserklärung bewusst wird, dass er eine Sache erwirbt, die von den objektiven Anforderungen abweicht. Im Onlinehandel könne – so die Gesetzesbegründung – eine ausdrückliche und gesonderte Erklärung des Verbrauchers dadurch herbeigeführt werden, dass auf der Website ein Kästchen oder eine Schaltfläche eingebaut wird, welche vom Verbraucher angeklickt oder auf andere Weise betätigt werden kann. Ein bereits vorangekreuztes Kästchen wäre nicht ausreichend.

Was bedeutet die Möglichkeit der Totalverweigerung der Nacherfüllung?

Ist für den Verkäufer sowohl die Reparatur als auch die Nachlieferung unverhältnismäßig, kann der die Nacherfüllung verweigern. Für den Kunden greifen dann die Rücktritts- und Minderungsrechte.

In welcher Frist müssen Gewährleistungsansprüche gelten gemacht werden?

Wie bisher auch läuft die Gewährleistungsfrist zwei Jahre ab Übergabe der Sache. Neu eingeführt wurde nun die Regelung, dass der Ablauf dieser Frist um vier Monat gehemmt wird, ab dem Zeitpunkt, in dem sich der Mangel zeigt.
Zeigt sich also ein Mangel am Tag des Ablaufs der zweijährigen Gewährleistungsfrist, so wird der weitere Ablauf um vier Monate gehemmt und der Käufer kann während dieser Zeit seine Ansprüche geltend machen.

Kann die Gewährleistungsfrist bei gebrauchten Sachen nach wie vor auf ein Jahr verkürzt werden?

Auch nach dem neuen Recht kann die Gewährleistungsfrist auf ein Jahr verkürzt werden. Dies ist jedoch nicht mehr durch AGB möglich!
Eine Verkürzung der Verjährungsfrist ist nur wirksam, wenn
  1. der Verbraucher vor der Abgabe seiner Vertragserklärung von der Verkürzung der Verjährungsfrist eigens in Kenntnis gesetzt wurde und
  2. die Verkürzung der Verjährungsfrist im Vertrag ausdrücklich und gesondert vereinbart wurde.
Praxishinweis: An die Verkürzung der Verjährungsfrist sind damit die gleichen Anforderungen zu stellen, wie an eine negative Beschaffenheitsvereinbarung (siehe oben). AGB sollten auf veraltete Regelungen zur Verkürzung der Gewährleistungspflicht hin untersucht und angepasst werden.

Wie lange gilt die Beweislastumkehr im Bereich B2C?

Sie wurde verlängert von ehemals 6 Monaten auf 12 Monate. Zeigt sich bei einem Kaufvertrag im Bereich B2C ein Mangel, wird in den ersten 12 Monaten ab Gefahrübergang vermutet, dass die Ware bereits bei Gefahrübergang mangelhaft war.

Teil 2: Gewährleistungsrecht bei Waren mit digitalen Elementen

Für Waren mit digitalen Elementen wurden die allmeinen Gewährleistungsvorschriften um weitere Regelungen ergänzt.
Davon abzugrenzen sind die Sonderregelungen in § 327 a bis u BGB, die spezielle Regeln für digitale Produkte enthalten.

Was sind Waren mit digitalen Elementen?

Waren mit digitalen Elementen zeichnen sich im Wesentlichen durch drei Aspekte aus:
  1. die digitalen Produkte sind räumlich/oder funktional mit der Ware verbunden
  2. die digitalen Produkte sind erforderlich, damit die Ware funktioniert
  3. die digitalen Produkte werden im Rahmen desselben Vertrages wie die Ware selbst bereitgestellt. Beispiel: Computer
Waren mit digitalen Elementen unterfallen dem normalen Gewährleistungsrecht, welches allerdings um die Regelung des § 475b BGB ergänzt wird.

Sachmangelbegriff bei Waren mit digitalen Elementen?

Für den Sachmangel gilt zunächst die Definition, die auch für normale Waren gilt (siehe oben). Diese wird allerdings sowohl bei den subjektiven als auch bei den objektiven Anforderungen um eine Aktualisierungspflicht ergänzt.

Was ist unter der Aktualisierungspflicht zu verstehen?

Hier ist zunächst zwischen den subjektiven und den objektiven Beschaffenheitsanforderungen zu unterscheiden:
Im Rahmen der subjektiven Anforderungen an die Kaufsache bestimmt sich der Umfang und die Dauer der Aktualisierungsverpflichtung nach der vertraglichen Vereinbarung der Parteien. Die Parteien können – so die Gesetzesbegründung - vereinbaren, für welchen Zeitraum Aktualisierungen bereitgestellt werden müssen und welchen Umfang diese haben sollen. Bei einer vereinbarten Aktualisierungsverpflichtung können die Parteien beispielsweise bestimmen, dass lediglich Sicherheitsupdates bereitgestellt werden. Sie können aber auch vereinbaren, dass die digitalen Elemente durch Upgrades verbessert und im Leistungsumfang ausgeweitet werden, zum Beispiel indem vereinbart wird, dass ein bestimmtes Gerät immer die aktuellste Betriebssoftware erhalten soll.
Im Rahmen der objektiven Anforderungen an die Kaufsache ist der Unternehmer nach der Gesetzesbegründung „verpflichtet, insbesondere die Schutzmaßnahmen zu treffen oder treffen zu lassen, die nach dem Stand der Technik geeignet und erforderlich sind, um die digitalen Elemente vor einem unberechtigten Zugriff Dritter auf Daten oder Funktionen zu schützen. Auch wenn Sicherheitsmängel oder sicherheitsrelevante Softwarefehler auftreten, die keine Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit der Sache haben, besteht eine Aktualisierungsverpflichtung zur Behebung des Sicherheitsmangels. Die Aktualisierungsverpflichtung beschränkt sich auf den Erhalt der Vertragsmäßigkeit der Sache. Sofern die Parteien vertraglich nichts anderes vereinbart haben, ist der Unternehmer daher im Rahmen der objektiven Anforderungen weder verpflichtet, verbesserte Versionen der digitalen Elemente bereitzustellen, noch die Funktionen der Sache zu verbessern oder auszuweiten.“
Der Unternehmer schuldet damit nur funktionserhaltende Aktualisierungen, keine funktionserweiternden Upgrades.

Wie lange besteht die Aktualisierungspflicht?

Auch bei der Frage der Dauer der Aktualisierungspflicht ist zwischen den subjektiven und den objektiven Beschaffenheitsanforderungen zu unterscheiden.
Im Rahmen der subjektiven Anforderungen richtet sich die Dauer der Aktualisierungspflicht nach den getroffenen Vereinbarungen.
Im Rahmen der objektiven Anforderungen gibt das Gesetz vor, dass der Verbraucher während desjenigen Zeitraums Aktualisierungen erhalten muss, den er aufgrund der Art und des Zwecks der Sache und der digitalen Elemente und unter Berücksichtigung der Umstände und der Art des Vertrages erwarten kann. Abzustellen ist dabei auf den Erwartungshorizont eines Durchschnittsverkäufers.
In der Gesetzesbegründung wird dazu wie folgt ausgeführt:
„Für die Dauer, innerhalb der der Verbraucher Aktualisierungen erwarten kann, sind je nach den Umständen des Einzelfalls verschiedene Aspekte maßgeblich. Dazu können etwa Aussagen in der Werbung, die zur Herstellung der Kaufsache verwendeten Materialien und der Preis gehören. Gibt es für Sachen der jeweiligen Art Erkenntnisse über deren übliche Nutzungs- und Verwendungsdauer („life-cycle“), dürften auch diese ein wesentliches Auslegungskriterium sein. Andere denkbare Kriterien, welche bei der Bestimmung der berechtigten Verbrauchererwartung zu berücksichtigen sein können, sind die Frage, inwiefern die Sache weiterhin vertrieben wird oder der Umfang des ohne die Aktualisierung drohenden Risikos. Insbesondere in Bezug auf Sicherheitsupdates wird sich die Erwartung des Verbrauchers regelmäßig auf einen Zeitraum erstrecken, der über den Zeitraum hinausgeht, in dem der Unternehmer für Vertragswidrigkeiten haftet. In anderen Fällen, beispielsweise bei Sachen mit digitalen Elementen, deren Zweck zeitlich befristet ist, dürfte die Pflicht des Unternehmers, Aktualisierungen bereitzustellen, regelmäßig auf diesen Zeitraum beschränkt sein.“

Wie muss die Aktualisierung bereitgestellt werden?

Nach der Gesetzesbegründung wird eine Aktualisierung dadurch bereitgestellt, dass sie oder die geeigneten Mittel für den Zugang zu dieser oder das Herunterladen der Aktualisierung dem Verbraucher unmittelbar oder mittels einer von ihm hierzu bestimmten Einrichtung zur Verfügung gestellt oder zugänglich gemacht wird.
Die Aktualisierung muss der Unternehmer jedoch nicht zwingend selbst bereitstellen, sondern diese kann grundsätzlich auch durch einen Dritten wie zum Beispiel den Hersteller geleistet werden.

Wann bzw. wie schnell muss über die Möglichkeit der Aktualisierung informiert werden?

Damit der Kunde überhaupt von der Aktualisierung Kenntnis erhält, ist das Unternehmen verpflichtet, über die Verfügbarkeit von Aktualisierungen zu informieren. In der Gesetzesbegründung ist dazu Folgendes nachzulesen:
„Wann beziehungsweise wie schnell und in welcher Form der Verbraucher über eine neu erschienene Aktualisierung zu informieren ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und ist anhand eines objektiven Maßstabs zu bestimmen. Um eine praktische Wirksamkeit der Aktualisierungspflicht zu gewährleisten, muss der Unternehmer in einem angemessenen Zeitrahmen nach Auftreten der Vertragswidrigkeit die Aktualisierung bereitstellen und diese auch für einen Zeitraum, der sich an der Dauer der angemessenen Frist nach § 475b Absatz 4 BGB-E orientiert, bereitgestellt lassen. Das Gleiche gilt für die Verpflichtung zur Information des Verbrauchers über die Bereitstellung der Aktualisierung.“