Prokura
1. Bedeutung der Prokura im Rechts- und Geschäftsverkehr
Das Handelsrecht kennt verschiedene Vertretungsformen im Rahmen des Handelsverkehrs des Kaufmanns.
Eine generelle Vertretung in allen denkbaren Bereichen des Handelsgeschäfts, die darüber hinaus auch nach außen erkennbar ist und somit zu einer erheblichen Beschleunigung des Geschäftsverkehrs, aber auch zu größerer Rechtssicherheit führt, bietet allein die Erteilung der Prokura. Prokura erteilen kann nur der Kaufmann, also derjenige der im Handelsregister eingetragen ist oder eingetragen sein müsste. Für Handelsgesellschaften handeln deren Organe.
Die Erteilung der Prokura hat ausdrücklich zu erfolgen (vgl. § 48 Abs. 1 HGB). Eine nur stillschweigende Erteilung oder das Dulden des Auftretens eines Dritten als Prokurist begründen keine wirksame Prokura. Die Eintragung im Handelsregister ist nach § 53 HGB vorgeschrieben, aber keine Wirksamkeitsvoraussetzung. Gleichwohl sollte die Eintragung ins Handelsregister unverzüglich nach Erteilung erfolgen. Nach § 53 Abs. 2 HGB hat der Prokurist seine Namensunterschrift unter Angabe der Firma und eines die Prokura andeutenden Zusatzes zur Aufbewahrung bei dem Gericht zu zeichnen.
Erteilt werden kann die Prokura grundsätzlich nur einer natürlichen Person. Für die Stellung eines Prokuristen nicht in Betracht kommen juristische Personen und deren Organe sowie vertretungsberechtigte Gesellschafter. Die Prokura ist strikt an die Person gebunden, der sie erteilt wurde. Sie ist unübertragbar (§ 52 Abs. 2 HGB).
2. Das Wesen der Prokura
Eine wesentliche Erleichterung und Beschleunigung des Wirtschaftsverkehrs kann die Prokura im Gegensatz zu anderen Vertretungsformen nur deshalb bewirken, weil die Rechtswirkungen der Prokuraerteilung nach außen hin nicht willkürlich durch den Geschäftsherrn bestimmt werden können, sondern im Gesetz festgeschrieben sind.
2.1 Umfang
„Die Prokura ermächtigt zu allen Arten von gerichtlichen und außergerichtlichen Geschäften und Rechtshandlungen, die der Betrieb eines Handelsgewerbes mit sich bringt.” - § 49 Abs. 1 HGB.
Somit ist der Prokurist insbesondere im Gegensatz zum Handlungsbevollmächtigten nicht nur auf die Vornahme der gewöhnlichen Geschäfte des Betriebes des Handelsgewerbes beschränkt, sondern kann darüber hinaus beispielsweise Kreditgeschäfte tätigen, Angestellte einstellen oder entlassen, Zweigniederlassungen errichten, den Geschäftsbereich branchen-mäßig erweitern und Prozesse führen.
Der Geschäftsherr kann die Prokura nicht zwischen mehreren Personen nach Geschäftsbereichen aufteilen (vgl. § 50 Abs. 1, Abs. 2 HGB).
Bei den möglichen Rechtsgeschäften ist der Prokurist nicht auf diejenigen des Handelsverkehrs beschränkt. So sind auch Willenserklärungen auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit Wirkung für und gegen den Geschäftsherrn möglich.
2.2 Schranken
Nach § 49 Abs. 2 HGB darf der Prokurist weder Grundstücke veräußern noch belasten, es sei denn, es ist ihm die Befugnis erteilt. Das Verbot, Grundlagengeschäfte und höchstpersönliche Geschäfte des Geschäftsherrn vorzunehmen, untersagt es dem Prokuristen darüber hinaus, selbst eine Prokura zu erteilen, den Jahresabschluss zu unterzeichnen oder Geschäfte zu tätigen, die den Betrieb des Handelsgewerbes als solchen betreffen. Dies sind insbesondere Einstellung und Veräußerung des Handelsgeschäfts, Insolvenzantrag, Firmenänderung und Anmeldungen zum Handelsregister.
Soweit das Privatvermögen des Kaufmanns vom Gesellschafts-Vermögen unterscheidbar ist, ist der Prokurist selbstverständlich auch nicht befugt, über das Privatvermögen zu verfügen. Ob die Geschäftshandlungen des Prokuristen letztlich zu Lasten des geschäftlichen oder privaten Vermögens des Kaufmanns führen, ist hingegen unerheblich.
3. Erscheinungsformen
Der Kaufmann kann die Prokura nach außen hin nicht einschränken. Die (zuvor beschriebenen) weitreichenden Vollmachten des Prokuristen können den Kaufmann im Einzelfall dazu veranlassen, die Prokura auf mehrere Schultern zu verteilen, um Vertrauensmissbräuchen und wirtschaftlichen Fehlentscheidungen durch den Prokuristen vorzubeugen.
3.1 Gesamtprokura
Gemäß § 48 Abs. 2 HGB kann die Erteilung der Prokura nicht nur an eine, sondern auch an mehrere Personen gemeinschaftlich erfolgen. Eine wirksame Stellvertretung des Geschäftsherrn ist in diesen Fällen nur durch das gemeinsame Handeln in Form übereinstimmender Willenserklärungen aller Prokuristen möglich. Ein gleichzeitiges Handeln ist aber nicht nötig.
Ein Gesamtprokurist kann stellvertretend auch für den anderen handeln, wenn der Wille zur Stellvertretung nach außen in Erscheinung tritt und die Ermächtigung des anderen Gesamtprokuristen vorliegt. Das alleinige Handeln eines Gesamtprokuristen kann auch nachträglich durch den anderen genehmigt werden. Eine passive Vertretung kann ein Gesamtprokurist immer alleine vornehmen.
Als weitere Spielart bietet sich die gemischte Gesamtprokura an. In diesem Fall besitzt Prokurist P1 Einzelprokura und zusätzlich gemeinsam mit Prokurist P2 Gesamtprokura, so dass Prokurist P2 nicht allein rechtsgeschäftlich tätig werden kann.
Insbesondere in größeren Betrieben hat sich die sogenannte Gruppenprokura bewährt.
In einem größeren Betrieb sollen P1 - P6 jeweils eigene Geschäftsbereiche führen. Alleinvertretungsmacht auf ihrem Geschäftsgebiet wird ihnen durch Erteilung einer Handlungsvollmacht übertragen. Darüber hinaus sollen von den P1 - P3 jeweils zwei gemeinsam und von den P4 - P6 ebenfalls jeweils zwei gemeinsam zur Gesamtprokura ermächtigt sein.
Dieses Modell hat den Vorteil, dass bei Rechtshandlungen, die P1 - P6 als Prokuristen vornehmen, durch die Mitwirkungspflicht eines anderen aus dem jeweiligen Prokuristenkreis eine Kontrollmöglichkeit bei Geschäften, die über einen Geschäftsbereich hinausgehen, erfolgt, ohne dass die Prokura nach außen hin unzulässig eingeschränkt wäre. Andererseits ist dieses Modell flexibel genug, dass P1 - P6 in ihren jeweiligen Geschäftsbereichen als Handlungsbevollmächtigte allein handeln können.
Auf die beschriebene Weise wird eine möglichst effektive, den durch den Arbeitsvertrag konkret umrissenen Arbeitsbereich jedes einzelnen Prokuristen berücksichtigende Aufteilung der Stellvertretungsmöglichkeiten erreicht.
3.2 Unechte Gesamtvertretung
Daneben besteht die Möglichkeit, dass der Prokurist nur zusammen mit einem Gesellschaftsorgan handeln darf.
Gemäß §§ 125 Abs. 3 HGB, 78 Abs. 3 AktG ist es möglich, im Gesellschaftsvertrag eine Regelung zu treffen, die an Stelle der gemeinschaftlichen organschaftlichen Vertretung der Gesellschaft durch mindestens zwei Gesellschafter vorsieht, dass für eines dieser Organteile der Prokurist gemeinsam mit dem verbleibenden Organteil vertretungsbefugt ist.
Diese Vertretungsform nennt man „unechte Gesamtvertretung”. Im Gegensatz zur Gesamtprokura liegt hier keine gewillkürte, durch Rechtsgeschäft begründete Vertretungsregelung vor, sondern ein Fall gesetzlicher Vertretungsmacht. Daher ist es bei der unechten Gesamtvertretung möglich, dem Prokuristen zusätzlich hierzu Einzelprokura zu erteilen. Als gesetzlicher Vertreter kann er nur mit dem im Gesellschaftsvertrag bestimmten Organteil zusammenwirken. Im Rahmen der gewillkürten Stellvertretung ist er alleinvertretungsberechtigt.
In einer Personengesellschaft (OHG, KG) ist die Erteilung einer „unechten Gesamtprokura” immer dann unzulässig, wenn nur ein einziger Gesellschafter berechtigt ist, die Gesellschaft zu vertreten, weil dann ein Verstoß gegen das Gebot der Selbstorganschaft von Personengesellschaften vorliegen würde.
3.3 Niederlassungsprokura
Hat der Kaufmann Zweigniederlassungen gegründet, kann er gemäß § 50 Abs. 3 HGB die Prokura auch auf eine einzelne Zweigniederlassung beschränken. Voraussetzung hierfür ist, dass die Zweigniederlassung im Geschäftsverkehr als klar vom Kern des Unternehmens abtrennbarer Teil erkennbar ist. Die Zweigniederlassung muss deshalb eine von der Hauptniederlassung unterschiedliche Firma führen. Dies kann durch Anfügung eines entsprechenden Zusatzes geschehen. Diese Beschränkung der Prokura auf den Bereich einer einzelnen Zweigniederlassung muss ebenso ausdrücklich erklärt werden wie deren Erteilung gemäß § 48 Abs. 1 HGB. Einzutragen ist diese Prokura im Handelsregister sowohl der Haupt- als auch der Zweigniederlassung.
Erlöschen und Rechtsscheinhaftung Erlöschenstatbestände
Die Prokura erlischt durch den Eintritt der Geschäftsunfähigkeit des Prokuristen oder mit dessen Tode, nicht hingegen mit dem Tode des Geschäftsinhabers. Auch die Begründung der Mitinhaberschaft des Geschäftes in der Person des Prokuristen führt zum Erlöschen der Prokura. Gleiches gilt bei Geschäftsaufgabe des Geschäftsherrn oder Verlust dessen Kaufmannseigenschaft. Zum Erlöschen führt auch der Fortfall des der Prokura zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses.
Der weitaus wichtigste Erlöschenstatbestand ist der jederzeit mögliche Widerruf der Prokura gemäß § 52 Abs. 1 HGB. Das zugrundeliegende Rechtsverhältnis bleibt von diesem Widerruf unberührt. Widerrufen kann jeder, der auch zur Erteilung der Prokura ermächtigt ist. Der Widerruf kann formlos, muss aber unzweideutig erklärt werden. Das Erlöschen der Prokura ist im Handelsregister einzutragen (§ 53 Abs. 3 HGB).
4. Rechtsfolgen fehlerhafter Prokura
Ist die Prokura fehlerhaft erteilt, so ist sie unwirksam bzw. anfechtbar.
Darüber hinaus wirkt zugunsten Dritter der Gutglaubensschutz des Handelsrechts, der sich aus der Publizitätswirkung des Handelsregisters ergibt. § 15 Abs. 1 HGB schützt die „negative” Publizität des Handelsregisters. Ein Dritter kann auf das Fortbestehen der im Handelsregister eingetragenen, eintragungspflichtigen Tatsachen vertrauen, es sei denn, er hat die Unrichtigkeit gekannt. Demnach muss der Kaufmann bei Widerruf der Prokura darauf achten, dass die entsprechende Handelsregistereintragung gelöscht wird, um der möglichen Rechtsscheinhaftung nach § 15 Abs. 1 HGB zu entgehen.
Wird die richtige Handelsregistereintragung unrichtig bekannt gemacht, so wird das Vertrauen eines Dritten, der die Unrichtigkeit nicht kannte, hierauf nach § 15 Abs. 3 HGB geschützt. Rechtsscheingrundlage für § 15 Abs. 3 HGB ist die unrichtige Bekanntmachung. Nach § 15 Abs.3 HGB haftet derjenige, der die unrichtige Bekanntmachung im weitesten Sinne veranlasst hat.
§ 15 Abs. 3 HGB ist entsprechend auf den Fall anzuwenden, dass die Prokura im Handelsregister unrichtig eingetragen wurde. Die Eintragung und die Bekanntmachung sind gleichwertige Rechtsscheinträger. Geschützt wird dadurch der Dritte, der im Vertrauen auf die unrichtige Eintragung Rechtsgeschäfte vorgenommen hat. Er kann seinen Schaden ersetzt verlangen. Wegen dieser durch die entsprechenden Anwendungen des § 15 Abs. 3 HGB „positiven” Publizitätswirkung des Handelsregisters sollte die Eintragung der Prokura umgehend auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden.
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Stand: Mai 2021