Verkehrswirtschaft

Selbstständige Kraftfahrer – Scheinselbstständigkeit

Bitte beachten Sie grundsätzlich die Informationen der Deutschen Rentenversicherung, die sich insbesondere in Rundschreiben mit diversen Anlagen zum Thema Statusfeststellung von Erwerbstätigen detailliert - auch zu Einzelfallkonstellationen beziehungsweise spezifischen Berufgruppen - äußert.
Allgemeiner gehaltene Informationen zum Thema Scheinselbstständigkeit finden Sie im Artikel „Scheinselbstständigkeit“ aus dem Bereich Recht und Steuern der IHK Region Stuttgart.

Aufgrund erheblicher Risiken für den Auftraggeber rät die IHK vom Einsatz „selbstständiger Kraftfahrer“, deren primäre Leistung in der Veräußerung ihrer Arbeitskraft als Fahrer besteht und die zudem kein eigenes Fahrzeug für die Leistungserbringung nutzen und auch keine güter- oder personenverkehrsrechtliche Genehmigung besitzen, ab. Auch wenn die Beschäftigung dieser „Selbstständigen“ in Zeiten des allgemeinen Fahrermangels vor allem zur Abdeckung von Auftragsspitzen sehr reizvoll ist, werden derart eingesetzte Kraftfahrer von den Rentenversicherungsträgern und Krankenkassen bislang in nahezu allen Fällen wie abhängig beschäftigte Arbeitnehmer behandelt.
Pauschale Aussagen können dabei aber nur eingeschränkt getroffen werden! Die Einzelfallumstände sind jeweils zu berücksichtigen, was eine fundierte Beratung (durch einen Fachanwalt) sinnvoll erscheinen lässt. Allgemein kann festgehalten werden, dass jedes Vertragsverhältnis für sich betrachtet wird. Das Argument, der „Selbstständige“ arbeite doch für X Auftraggeber und sei außerdem noch in anderen Branchen etc. tätig, entpuppt sich folglich in aller Regel als wirkungslos.
Fällt ein solches Beschäftigungsverhältnis beispielsweise bei einer Betriebsprüfung der Deutschen Rentenversicherung auf, so ergeben sich in aller Regel folgende Rechtsfolgen für den Auftraggeber:
  • Nachentrichtung der Sozialversicherungsbeiträge (Arbeitgeber- sowie Arbeitnehmeranteil)
  • Strafverfahren wegen des Veruntreuens oder Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen
  • Nachentrichtung der Lohnsteuer
  • Strafverfahren wegen Steuerhinterziehung, gegebenenfalls auch in Bezug auf die Umsatzsteuer
  • Sowohl in Sachen Sozialversicherungsbeiträge als auch Steuer kommen Säumniszuschläge und Zinsen hinzu
  • Die „Selbstständigen“ werden zu Arbeitnehmern mit allen Rechten und Pflichten, gegebenenfalls wird die bisherige Brutto-„Entlohnung“ zum neuen Nettolohn des Mitarbeiters
Der Auftragnehmer beziehungsweise der Arbeitnehmer kann für diese Nachzahlungen nur in sehr geringem Umfang zur Verantwortung gezogen werden. Sofern eine Zusammenarbeit nach Aufdeckung der Scheinselbstständigkeit überhaupt noch besteht, kann bei den nächsten drei Gehaltszahlung nur soviel einbehalten werden, wie die Pfändungsfreigrenzen zulassen.
Darüber hinaus unterliegen auch selbstständige Kraftfahrer seit dem 1. November 2012 der Arbeitszeitrichtlinie 2002/15/EG. Die Richtlinie, die für Fahrpersonal und selbstständige Kraftfahrer gilt, wurde in Deutschland über den Paragraph 21 a im Arbeitszeitgesetz (sozialversicherungspflichtig beschäftigte Fahrer und scheinselbstständige Fahrer) und dem Gesetz zur Regelung der Arbeitszeit von selbstständigen Kraftfahrern umgesetzt. Weitere Informationen über die dadurch geltenden Arbeitszeitbestimmungen können Sie der Broschüre „Sozialvorschriften im Straßenverkehr (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 1893 KB)“ entnehmen.
Die Deutsche Rentenversicherung Bund hat darauf hingewiesen, dass ihre Prüfer angewiesen sind, neben der Lohnbuchhaltung auch die Finanzbuchhaltung der Unternehmen zu prüfen, so dass Fälle scheinselbstständiger Kraftfahrer häufiger auffallen dürften. Darüber hinaus können sich strafrechtliche Konsequenzen ergeben, wenn ein Betrug gegenüber und zu Lasten der Sozialversicherungsträger festgestellt wird.
Auftraggeber und Auftragnehmer können sich vor Beginn oder unmittelbar nach Aufnahme der Tätigkeit Gewissheit verschaffen, indem sie gemäß Paragraf 7 a des Sozialgesetzbuches (SGB) IV einen verbindlichen Statusfeststellungsantrag bei der Deutschen Rentenversicherung Bund stellen. Die Entscheidung der Deutschen Rentenversicherung Bund, ob es sich um eine selbstständige Tätigkeit handelt, ist verbindlich (solange sich an den wesentlichen Rahmenbedingungen im Vertragsverhältnis keine Änderungen ergeben). Trotz der theoretischen Möglichkeit, dass es Fälle gibt, in denen auch ein „selbstständiger Kraftfahrer" ohne Fahrzeug im sozialversicherungsrechtlichen Sinne selbstständig ist, konnte die Deutsche Rentenversicherung Bund bislang keinen Fall in diesem Sinne anerkennen. Zu dieser Bewertung kommt der Sozialversicherungsträger aufgrund Paragraf 7 Abs. 1 SGB IV, wonach Anhaltspunkte für eine nichtselbstständige Tätigkeit immer dann vorliegen, wenn der Beschäftigte nach Weisungen handelt und in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers eingebunden ist.
Diese Rechtsauffassung ist durch zwei rechtskräftige Entscheidungen von Landessozialgerichten bestätigt worden. Die Begründung liegt darin, dass der angeblich selbstständige Kraftfahrer in diesen Fällen in die Betriebsorganisation des Verkehrsunternehmens eingebunden ist, damit eine persönliche Abhängigkeit hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung besteht und er kein eigenes betriebliches Risiko trägt.
Die Sozialversicherungsträger haben in einem „Katalog bestimmter Berufsgruppen zur Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit" folgende Kriterien festgelegt:
Güterbeförderung
  • Frachtführer/Unterfrachtführer
    „Es ist davon auszugehen, dass Frachtführer im Sinne der Paragrafen 407 ff des Handelsgesetzbuches (HGB) dann ein selbstständiges Gewerbe ausüben, wenn sie beim Transport ein eigenes Fahrzeug einsetzen und für die Durchführung ihres Gewerbes eine Erlaubnis nach Paragraf 3 Güterkraftverkehrsgesetz (GüKG) oder die Gemeinschaftslizenz nach Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 besitzen. Dies gilt auch dann, wenn sie als Einzelperson ohne weitere Mitarbeiter nur für ein Unternehmen tätig sind und dabei die Farben oder ein "Logo" dieses Unternehmens nutzen. Voraussetzung ist allerdings, dass ihnen weder Dauer noch Beginn und Ende der Arbeitszeit vorgeschrieben wird und sie die - nicht nur theoretische - Möglichkeit haben, Transporte auch für weitere eigene Kunden auf eigenen Rechnung durchzuführen. Ob sie diese Möglichkeit tatsächlich nutzen, ist nicht entscheidend. Um ein eigenes Fahrzeug im Sinne der vorherigen Ausführungen handelt es sich nur dann, wenn es auf den Erwerbstätigen zugelassen ist und von ihm mit eigenen Kapitalaufwand erworben oder geleast wurde. Eine indirekte oder direkte Beteiligung an der Fahrzeug-/Leasingfinanzierung durch den Auftraggeber spricht gegen die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit.“
Personenbeförderung
  • Omnibusfahrer
    „Omnibusfahrer, die keine eigenen Busse besitzen, jedoch für Busunternehmen Linienfahrten, Reiserouten, Schulfahrten etc. ausführen, sind auf Grund der damit verbundenen Eingliederung in die Betriebsorganisation des Busunternehmens und der persönlichen Abhängigkeit hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung als Arbeitnehmer zu beurteilen.“
  • Taxifahrer (analog: Mietwagenfahrer)
    „Taxifahrer, die kein eigenes Fahrzeug verwenden, gehören auf Grund der damit verbundenen persönlichen Abhängigkeit zu den abhängig Beschäftigten. Taxifahrer mit eigenem Fahrzeug sind als Selbständige anzusehen, wenn Sie über eine Konzession verfügen. Eine Arbeitgebereigenschaft der "Taxizentrale" gegenüber diesen Personen scheidet aus.“
Dies macht deutlich, dass es allein auch nicht ausschlaggebend ist, wie viele verschiedene Auftraggeber ein angeblich „selbstständiger Kraftfahrer“ hat.
Wichtig ist, dass sich an dieser sozialversicherungsrechtlichen Bewertung auch dann nichts ändert, wenn das Finanzamt oder sogar die Finanzgerichte den „selbstständigen Kraftfahrer" als Selbstständigen anerkannt haben. Keine Rolle spielt auch eine ordnungsgemäße Gewerbeanmeldung.
Neben dem Einsatz von selbstständigen Fahrern mit eigenem Fahrzeug (und bitte entsprechender Genehmigung) ist auch der Einsatz von Leiharbeitnehmern vor dem Hintergrund der Scheinselbstständigkeit bedenkenlos möglich, da diese beim verleihenden Unternehmen angestellt und somit auch bei den Sozialversicherungsträgern angemeldet sind. Ansonsten stehen den Beteiligten für eine rechtskonforme Ausgestaltung alle sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigungsverhältnisse angefangen beim Minijob (450-Euro-Job) bis hin zur Vollzeitanstellung zur Verfügung.
Auch interessant ist das Urteil des Landessozialgerichtes Baden-Württemberg vom 21. November 2008 (L 4 KR 4098/06) und vom 27. Juli 2016 (L 5 R 1899/14). Daneben hat das Bayerische Landessozialgericht mit der Entscheidung vom 9. Mai 2012 (Aktenzeichen L 5 R 23/12) die hier dargestellten Sachverhalte bestätigt.
Im umgekehrten Fall (Vorhandensein einer GüKG-Genehmigung oder Gemeinschaftslizenz; eigene Fahrzeuge; eigene Disposition etc.) hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg mit Urteil vom 23.02.2016 unter dem Aktenzeichen L 11 R 2091/13 entschieden, dass eine selbstständige Betätigung vorliegt.
Auch interessant ist ein Urteil des Landessozialgericht Bayern vom 23.11.2015 unter dem Aktenzeichen L 7 R 387/14, das unter dem Titel Selbstständige Tätigkeit eines landwirtschaftlichen Fahrers" den Leitsatz festhält, dass auch Fahrer ohne eigenes Kraftfahrzeug selbstständig tätig sein können.
Per Pressemeldung vom 16. August 2017 wurde folgende Rechtsprechung des Sozialgerichts Stuttgart bekanntgegeben:
LKW-Fahrer, die bei ihrer Tätigkeit keinen eigenen LKW, sondern einen LKW des Auftraggebers nutzen, sind in der Regel abhängig beschäftigt (Urteil vom 25.04.2017, S 2 R 1023/13).
Die Beteiligten stritten über die Rechtmäßigkeit einer Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen. Die Beklagte stellte fest, dass der Kläger im Rahmen seiner Tätigkeit als LKW-Fahrer für ein Transportunternehmen abhängig und damit sozialversicherungspflichtig beschäftigt war. Hiergegen wendete sich der Kläger.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen, da der Kläger abhängig beschäftigt gewesen sei. Maßgebliches Kriterium sei im vorliegenden Fall, dass der Kläger keinen eigenen LKW genutzt habe. Der Kläger habe daher keine eigenen Betriebsmittel genutzt und damit kein maßgebliches Unternehmerrisiko getragen. Er habe mithin nicht, wie dies bei einem Unternehmer der Fall sei, neben seiner Arbeitskraft einen nennenswerten Einsatz an Sachmitteln, sondern nur seine Arbeitskraft angeboten, wie dies jeder abhängig Beschäftigte tue.
Stand: September 2020