Durchstarter

Aus dem Meer ans Ohr

Anfangs war er der größte Skeptiker ihrer Unternehmensidee, heute unterstützt Paul Hübner seine Tochter Antje nach Kräften.
In kariertem Hemd, Fischerjacke und blauer Mütze sitzt er auf dem Rügen-​Markt in Thiessow an ihrem Verkaufsstand und spleißt alte Taue. Seit 1964 war er Fischer im Strelasund. Jetzt hilft er seiner Tochter dabei, ihre Produkte zu vermarkten. Aus alten Fischerei-​Utensilien, die teilweise schon Paul Hübners Vater beim Fischen nutzte, erstellt die Stralsunderin Neues. Damit ist sie zurückgekehrt zu den Wurzeln ihrer Familie – die liegen in Stralsund und auf Hiddensee und sie liegen in der Fischerei. Nach dem Abitur hatte es Antje Hübner zum Studium in die Ferne gezogen: In Dresden, Kopenhagen und Hamburg studierte sie Jura, arbeitete später unter anderem in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Doch irgendwie vermisste sie die Heimat und näherte sich Stralsund in Etappen:

Jede Leine hat ihre Geschichte

Von Hamburg orientierte sie sich beruflich zunächst nach Rostock, wurde später erste hauptamtliche Rückkehrberaterin für Flüchtlinge beim Landkreis Vorpommern-​Rügen und führt heute mit Geschäftspartnerin Conny Eisfeld den Fischereibetrieb ihres Vater „auf besondere Weise fort“, wie sie sagt. Durch Knoten und Takling entstehen neue Produkte wie Armbänder und Schlüsselanhänger. Das Reden und Verkaufen überlässt der Vater seiner Tochter, während er authentisch für das maritime Ambiente sorgt. Die Marktbesucher sind interessiert, fragen nach, möchten mehr über das maritime Material wissen. „Jede Leine hat ihre Geschichte“, erklärt Antje Hübner. Das Material gebe es jetzt in der fünften Generation. „Vieles stammt noch von meinem Opa Julius, der auf Hiddensee fischte.“ Dort, auf dem „Söten Länneken“ verkauft sie in einem kleinen Ladenlokal ihre Produkte. „Fischuppen“ hat Antje Hübner ihren Regionalladen genannt.
Auf diesen Namen werde sie sehr häufig angesprochen. „Die einen vermuten, dass es bei uns Fischsuppen gebe und wir nur das „s“ vergessen hätten, die anderen erkennen die Doppeldeutigkeit.“ Einerseits handele es sich um ein kleines Geschäft, eine Art Schuppen, andererseits verkauft die Jung-​Unternehmerin auch Produkte, die aus Fischschuppen bestehen. Das ist nachhaltig und passt damit ins Firmenkonzept.

Aus Fischhaut, die vom Filetieren übrig bleibt, wird Schmuck

Vater Paul räuchert und verarbeitet im Stralsunder Hafen Fisch. Die Haut, die vom Filetieren übrig bleibt, wird eingefasst zu Schmuck. Aus Räucherlachs, Heilbutt, Zander und Makrele werden Ohrringe, Armbänder, Ringe und Broschen, aus schwarzen Korbketten Schlüsselanhänger. Vater Paul sitzt stoisch auf seinem Knöthocker, spleißt die alten Netze, hört, wie seine Tochter den interessierten Touristen etwas über die Produkte erzählt. Er scheint sich über das rege Interesse an seinem einstigen Arbeitsmaterial ein wenig zu wundern und, das ist ihm anzusehen, noch mehr darüber zu freuen. Tochter Antje, die ihre Existenzgründung zunächst nebenberuflich auf den Weg brachte, ist mit ihrer Geschäftsidee im Rückblick zufrieden: „Nach fünf Jahren kann man davon leben – wenn man voll hinter seinem Geschäftskonzept steht.“

Regionalmärkte unter freiem Himmel ziehen Touristen an

Auf den Regionalmärkten baut die Existenzgründerin bis Oktober ihre Stände auf, wenige Wochen später geht es auf Weihnachtsmärkte, beispielsweise nach Berlin, Hamburg und Ralswiek – „jedenfalls war dies der Rhythmus in Vor-​Corona-​Zeiten“, ergänzt die Gründerin. Die Regionalmärkte unter freiem Himmel ziehen auch in Zeiten der Corona-​Pandemie viele Touristen und damit potenzielle Kunden an. „Die vergangenen Monate haben meine Geschäftspartnerin und ich zudem dazu genutzt, uns neue Geschäftsideen zu überlegen und Verkaufstaschen zu bedrucken“, berichtet Antje Hübner. Von Januar bis März geht es dann daran, das neue Sortiment zu erstellen – für die nächste Saison.
Sabine Zinzgraf