August 2024 | Außenwirtschaft

Viel Indien-Optimismus in der deutschen Wirtschaft

Die drittgrößte Volkswirtschaft Asiens zählt zu den Zukunftsmärkten schlechthin: Indiens Bedeutung als Investitionsstandort wächst auch für deutsche Unternehmen nachhaltig.
Von der Werkbank zum Partner auf Augenhöhe: Wenn deutsche Unternehmen über ihr Engagement in Indien sprechen, wird schnell deutlich, welche Bedeutung die mittlerweile fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt für Investoren bekommen hat. BMW etwa startete jüngst in Deutschland den Verkauf eines neuen elektrischen Rollers: Der CE 02 wurde vom Partnerunternehmen TVS in dessen Werk im südindischen Bundestaat Tamil Nadu für den globalen Markt entwickelt und produziert. Ende des Jahres wird der Roller, der vor allem eine junge Zielgruppe ansprechen soll, auch in Indien in den Verkauf gehen.
Noch steht E-Mobilität dort am Anfang, dem Markt bescheinigen Experten jedoch ein großes Potenzial. „Unsere Kunden zeigen ein großes Interesse. E-Autos sind hip, wenngleich der Anteil an allen 14.000 verkauften Autos der Marken BMW und MINI erst bei zehn Prozent liegt“, sagt Jan Ehlen, bei der BMW-Gruppe verantwortlich für politische Interessenvertretung.

Unternehmen rechnen mit Wachstum von mehr als 20 Prozent

Im Jahr 2023 wurden in Indien rund 4,1 Millionen Personenkraftwagen verkauft, etwa 8,2 Prozent mehr als im Vorjahr. Noch kommt das Gros der Fahrzeuge aus dem unteren Preissegment, in dem die deutschen Hersteller nicht vertreten sind. Dennoch wächst die Bedeutung des Subkontinents, der sich zu einem der weltweit wichtigsten IT-Hubs entwickelt hat. So will BMW ein Joint Venture mit der indischen Tata Technologies eingehen, um innovative Fahrzeugsoftware zu entwickeln. Mittelfristig soll das Gemeinschaftsunternehmen eine vierstellige Zahl von Mitarbeitenden beschäftigen.
Viel Indien-Optimismus vermittelt auch der jüngste German-Indian Business Outlook, den die Wirtschaftsprüfer von KPMG mit der Deutsch-Indischen Handelskammer Mitte Juni 2024 veröffentlichten. Danach wächst Indiens Bedeutung als Investitionsstandort für die deutsche Wirtschaft nachhaltig. Bis 2029 planen 78 Prozent der Befragten neue Investitionen, das sind 19 Prozentpunkte mehr als 2024.
Fast jeder Zweite will in Indien nicht nur für den indischen Markt, sondern für ganz Asien produzieren. Als Top-3-Standortfaktoren nennen die Interviewten niedrige Lohnkosten, politische Stabilität und qualifizierte Fachkräfte. Das Wachstum schätzen die Unternehmen als sehr dynamisch ein. Bis 2029 erwarten 37 Prozent der Befragten ein Umsatzplus von mehr als 20 Prozent, und jeder Vierte rechnet mit einem Gewinnwachstum, das 20 Prozent übersteigt. Von der neu gewählten indischen Regierung erwarten die Firmen vor allem eine Verbesserung des regulatorischen Umfeldes und der Rechtssicherheit, eine bessere Infrastruktur und Handelserleichterungen.

Erfolgreich an indischen Standorten

Schon seit gut 30 Jahren ist B. Braun, Hersteller von Produkten für die Medizin- und Pharmaindustrie, mit Vertriebsstätten in Indien vertreten. Im Jahr 2007 folgte der Einstieg in die Produktion. Mehr als 5.000 Mitarbeitende sind mittlerweile vor Ort beschäftigt. Am Standort New Delhi fertigen sie Infusionslösungen, bei Mumbai Nahtmaterial und in Hyderabad medizinische Einmalartikel wie Spritzen und Kanülen. Darüber hinaus betreiben die Hessen auf dem Subkontinent Dialysezentren und sind damit ein Teil des indischen Gesundheitssystems. „In Indien mit seinen rund 1,4 Milliarden Einwohnern besteht ein riesiger Bedarf an unseren Produkten“, sagt Michael Kaiser, der im Konzern für die Digitalisierung in den Produktionswerken zuständig ist. Das Unternehmen wolle zudem verstärkt indische Fachkräfte für seine Engineering-Hubs gewinnen.
In Indien besteht ein riesiger Bedarf an unseren Produkten.

Michael Kaiser, B. Braun

Zu den Schlüsseltechnologien für B. Braun zählt Kaiser künstliche Intelligenz. Mit einem AI Hub habe das Unternehmen eine eigene technologische Einheit geschaffen. „Künstliche Intelligenz wird für die Medizin- und Pharmaindustrie immer wichtiger, unter anderem, um auf die Kundenbedürfnisse individuell zugeschnittene Produkte zu entwickeln.“
Aufgrund des anhaltend hohen Bevölkerungswachstums und der Förderung erneuerbarer Energien gehört Indien auch für die Maschinenfabrik Reinhausen zu den Zukunftsmärkten schlechthin. Indien sei das Land, für das die höchste Wachstumsrate beim Stromverbrauch vorausgesagt werde, sagt Johannes Altmann, Manager Controlling für die Region Mittlerer Osten, Indien und Afrika. Der weltweit steigende Energiebedarf werde vor allem aus regenerativen Energiequellen wie Sonne und Wind gedeckt. „Indien gehört zu den Treibern dieser Entwicklung“, ist Altmann überzeugt.
Wir produzieren für den lokalen Markt, aber auch für den Export, kaufen vor Ort ein, auch für die Fabriken in Europa, und profitieren dabei von qualifizierten Arbeitskräften sowie Kostenvorteilen. 

Johannes Altmann, Maschinenfabrik Reinhausen

Studien gehen davon aus, dass sich die installierten Kapazitäten zur Erzeugung von elektrischer Energie bis zum Jahr 2047 etwa verfünffachen werden. Jeder zehnte der aktuell rund 4.000 Beschäftigten der Reinhausen Gruppe arbeitet heute bereits in Indien. 50 Prozent der weltweiten Elektrizität fließt durch Produkte des Familienunternehmens.
Die nach China und Indien drittgrößte Volkswirtschaft Asiens nimmt im internationalen Verbund eine immer wichtigere Position ein. Altmann: „Wir produzieren für den lokalen Markt, aber auch für den Export, kaufen vor Ort ein, auch für die Fabriken in Europa, und profitieren dabei von qualifizierten Arbeitskräften sowie Kostenvorteilen.“                                  
Eli Hamacher