IHK-Energiewende-Barometer 2024 gibt Warnsignal

Unsicherheiten bei der Energieversorgung und das im internationalen Vergleich hohe Preisniveau zählen weiterhin zu den größten Problemen deutscher Unternehmen am heimischen Standort. Die aktuellen Pläne der Bundesregierung für ein Wachstumspaket zum Bundeshaushalt 2025 werden dieser Herausforderung nicht gerecht.
Wie stark die Energiefragen insbesondere Industriebetriebe belasten, zeigt das bundesweite Energiewende-Barometer (PDF-Datei · 3600 KB) der IHK-Organisation mit seinen aktuellen Werten. Mit dem Barometer holt die Deutsche Industrie- und Handelskammer (DIHK) seit 2012 jedes Jahr die Einschätzungen von rund 3.300 Unternehmen aus der Breite der deutschen Wirtschaft zur Energiewende ein.

Zweitschlechtester Wert in der Geschichte der Umfrage

Auf die zentrale Frage nach den Auswirkungen der Energiewende auf die Wettbewerbsfähigkeit ihres Unternehmens finden die Befragten im Jahr 2024 eine eindeutige Antwort: In einer Skala von minus 100 für "sehr negativ" bis plus 100 für "sehr positiv" ergibt sich aktuell über alle Branchen hinweg ein Wert von minus 20. Das ist der zweitschlechteste Wert in der Geschichte des Energiewende-Barometers. Nur im Vorjahr, also 2023, wurde bislang ein noch schlechterer Wert erreicht. Die Betriebe erkennen also weiterhin deutlich mehr Risiken als Chancen für die eigene Wettbewerbsfähigkeit.
Aktuell beurteilt die energieintensive Industrie die Energiewende mit einem Durchschnittswert von minus 34 am kritischsten. Insbesondere in den traditionell starken Industrieregionen im Westen und Süden überwiegen die Sorgen über zuverlässige Energieversorgung und Standortkosten. Aber auch sämtliche anderen Branchenwerte befinden sich im Minus. Die im Vorjahresvergleich leicht verbesserten Barometerwerte beruhen vor allem auf den Rückmeldungen der Dienstleister.

Deutliche Alarmzeichen

"In den bisherigen energiepolitischen Maßnahmen der Bundesregierung sehen die Unternehmen keine Grundlage für eine Entwarnung", berichtet der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. "Die Betriebe erkennen weiterhin deutlich mehr Risiken als Chancen für die eigene Wettbewerbsfähigkeit. Angesichts der Bedeutung der Schlüsselbranche Industrie für den gesamten Wirtschaftsstandort sind das deutliche Alarmzeichen."
Leider habe die Bundesregierung auch in ihrer neuen Wachstumsinitiative nachhaltige Lösungen des Energieangebots und der Energiepreisfrage völlig ausgespart. "Für viele Betriebe aus der Industrie ist das aber derzeit die entscheidende Standortfrage", stellt Dercks klar.
"Wer das nicht auf dem Schirm hat, kann irgendwann der Deindustrialisierung unseres Landes nur noch zusehen. Noch stehen wir am Anfang dieses Prozesses, und die Politik kann gegensteuern. Aber die Uhr tickt."

Besonders problematisch: Die Energiewende verstärkt die Abwanderung

Die Zahl der Industriebetriebe, die aufgrund veränderter energiepolitischer Rahmenbedingungen Produktionseinschränkungen oder eine Abwanderung ins Ausland erwägen, steigt kontinuierlich – von 16 Prozent im Jahr 2022 auf 31 Prozent in 2023 und auf 37 Prozent in der aktuellen Umfrage. Überdurchschnittlich stark ist die Tendenz bei Industriebetrieben mit hohen Stromkosten (2022: 25 Prozent – 2023: 38 Prozent – 2024: 45 Prozent) sowie bei Industrieunternehmen mit 500 oder mehr Beschäftigten. Unter Letzteren hat sich der Anteil der Betriebe mit Produktionseinschränkungen und Abwanderungsplänen von 37 Prozent im Jahr 2022 auf aktuell 51 Prozent erhöht. Das bedeutet: Eine Mehrzahl der großen Unternehmen erwägt oder realisiert den Abbau von Kapazitäten im Inland als Reaktion auf Veränderungen in der Energiewirtschaft und -politik.

Energiekosten als Investitionsbremse

Die hohen Energiepreise beeinträchtigen auch die Investitionstätigkeiten der Unternehmen und damit deren Innovationsfähigkeit. So geben mehr als ein Drittel der Industriebetriebe an, wegen der hohen Energiepreise aktuell weniger in betriebliche Kernprozesse investieren zu können. Ein Viertel kann sich nach eigenen Angaben mit weniger Mitteln im Klimaschutz engagieren, und ein Fünftel der Industrieunternehmen muss Investitionen in Forschung und Innovation zurückstellen.
Insgesamt sehen zwei Drittel der Industriebetriebe ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit gefährdet.
"Neben der geplanten Produktionsverlagerung besteht hier eine weitere akute Gefahr für den Industriestandort Deutschland", warnt Dercks. "Wenn die Unternehmen selbst nicht mehr in ihre Kernprozesse investieren, kommt das einem Rückbau auf Raten gleich."

Bürokratie und fehlende Planbarkeit als Transformationshemmer

Bei den konkreten Transformationshemmnissen rangieren zu viel Bürokratie und fehlende Planbarkeit knapp hintereinander auf den ersten Plätzen. Fast zwei Drittel der Unternehmen fühlen sich hierdurch ausgebremst.
"Die Unternehmen sehen sich mit Vorgaben konfrontiert, die in der Praxis viel Zeit und damit Ressourcen kosten und dann für Transformation und Innovation fehlen", erläutert der stellvertretende DIHK-Hauptgeschäftsführer. "Das beabsichtigte Gegensteuern der Bundesregierung durch Abbau von Bürokratie und Beschleunigung von Genehmigungsprozessen schlägt sich bislang nicht spürbar in der betrieblichen Praxis nieder. Der DIHK-Beschleunigungsmonitor zeigt dann auch eindeutig, dass die Politik bisher weit hinter den selbstgesteckten Zielen zurückbleibt."

Erwartungen der Wirtschaft an die Politik

Die Wettbewerbsnachteile für die deutsche Wirtschaft bei den Energiepreisen bleiben eine zentrale Investitionsbremse. Hier greifen die gegenwärtigen Ampelbeschlüsse zu kurz. Die Rückmeldungen aus der Umfrage zeigen, dass die Probleme der Energieversorgung und deren Folgen für den Wirtschaftsstandort Deutschland auf dem bisherigen Weg nicht zu beheben sind. Die Unternehmen erwarten von der Politik mehr Freiwilligkeit, mehr Verlässlichkeit und weniger Detailsteuerung. Beim Ranking der Transformationshemmnisse liegt die hohe Bürokratiebelastung auf Platz eins, eng gefolgt von fehlender Planbarkeit. Jeweils fast zwei Drittel der Befragten fühlen sich hierdurch ausgebremst.
Die Verbesserung bei Eigenversorgung und Direktlieferverträgen wird nicht nur für die Industrie, sondern für alle Unternehmen immer wichtiger – fast 90 Prozent fordern hier eine Anpassung der Rahmenbedingungen. Vier von fünf Betrieben sehen Engpässe bei Übertragungs- und Verteilnetzen als zunehmendes Problem für eine stabile Energieversorgung an. Für rund 80 Prozent ist die weitere Senkung der Steuern und Abgaben beim Strompreis eine zentrale Forderung. Zudem mahnen fast zwei Drittel der Befragten mit Blick auf den verlässlichen Zugang zu Wasserstoff mehr Planungssicherheit an.
Die Wachstumsbremsen durch die Energiepolitik lassen sich nur durch ein Umdenken lösen. Unternehmen brauchen eine nachhaltige Perspektive für eine verlässliche Energieversorgung mit wettbewerbsfähigen Preisen. Die DIHK hat zehn zügig wirksame Maßnahmen für gute Standortbedingungen in Deutschland vorgeschlagen, die klare Ziele für die Energiewende und verlässliche, glaubwürdige Rahmenbedingungen für das Wirtschaften am Standort Deutschland nach 2030 aufzeigen.