Zahl der autoritären Regierungen steigt

Die Demokratie verliert an Boden: Erstmals seit 2004 verzeichnet der Transformationsindex (BTI) der Bertelsmann Stiftung mehr autokratische als demokratische Staaten. Von 137 untersuchten Ländern sind nur noch 67 Demokratien, die Zahl der Autokratien steigt auf 70.
Auch bei Wirtschaftsentwicklung und Regierungsleistung zeigt die Kurve nach unten, die Corona-Pandemie hat bestehende Defizite noch deutlicher zutage treten lassen. Einen Lichtblick bietet zivilgesellschaftliches Engagement, das sich vielerorts gegen den Abbau demokratischer Standards und wachsende Ungleichheit richtet.

Schleichender Prozess

Eine schleichende Autokratisierung zeichnet sich schon länger ab: In den vergangenen zehn Jahren hat nahezu jede fünfte Demokratie an Qualität eingebüßt, darunter regional bedeutsame und einst stabile Demokratien. Aber auch in vielen Autokratien haben Unterdrückung, Machtmissbrauch und die Einschränkung von Meinungs- und Versammlungsfreiheit weiter zugenommen. Sieben Staaten, die noch vor zwei Jahren als "defekte Demokratien" galten, sind im BTI 2022 zudem zu Autokratien abgestiegen. Zwar gab es in der vergangenen Dekade auch Regimewechsel in die umgekehrte Richtung, wie etwa in Armenien, Sri Lanka und Tunesien. Aber die Entwicklungen in diesen jungen Demokratien sind von zahlreichen Rückschritten gekennzeichnet.

Konzentration politischer Eliten

Ursache für diesen Rückgang von Demokratiequalität ist zumeist die einseitige Konzentration der politischen Eliten auf politische und wirtschaftliche Machtsicherung, der jegliche gesellschaftliche Entwicklung untergeordnet wird. Der vielerorts vorangetriebene Abbau von Rechtsstaatlichkeit und Freiheitsrechten, die wachsende wirtschaftliche Ungleichheit und das Unvermögen von Regierungen, nach einem breiten Konsens für politische Lösungen zu suchen, sind einige der Auswirkungen, die der BTI seit mehr als einem Jahrzehnt beobachtet.

Nur wenige Regierungen bestehen COVID-19-Stresstest

Die Pandemie war für alle Regierungen ein extremer Stresstest, der Probleme und Fehlentwicklungen verschärfte. Der durch COVID-19 ausgelöste wirtschaftliche Schock führte in 78 Staaten zu einem deutlichen Einbruch der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die fiskalpolitischen Spielräume, mit denen Regierungen die sozialen Folgen der Pandemie abfedern könnten, sind weiter geschrumpft. Vielen Regierungen fehlt aber vor allem der politische Wille, Verarmung und sozialer Ausgrenzung entgegenzuwirken. Nach Jahren sinkender Armutsraten stieg die Anzahl von Menschen in Not wieder, bei wachsender sozialer Ungleichheit. In 80 Ländern herrscht laut BTI eine massive, strukturell verankerte Ausgrenzung.
Politisch nutzten vor allem Autokratien die Pandemie, um Grundrechte weiter zu beschneiden und kritische Stimmen zu unterdrücken. Populisten wie der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro scheiterten hingegen daran, aus der Pandemie polarisierend politisches Kapital zu schlagen. Der Versuch, sich wissenschaftlichen Erkenntnissen und internationaler Zusammenarbeit zu verschließen und die Virusgefahr zu verharmlosen, führte stattdessen zu einer nahezu ungehinderten Ausbreitung des Virus mit schweren wirtschaftlichen und sozialen Folgen.

Krisenfestigkeit und Gestaltungsfähigkeit korrelieren

Die Pandemie hat gezeigt, dass ein erfolgreiches Krisenmanagement vor allem von der Gestaltungsfähigkeit der Regierungen abhängt, wie sie im Governance-Index des BTI gemessen wird. Unter den 36 Staaten, die dort gut abschneiden, sind nur drei Autokratien. Sie waren allerdings ebenso erfolgreich in der Eindämmung der Pandemie wie gut regierte Demokratien, zum Beispiel Südkorea, Taiwan oder Uruguay. Die große Mehrheit der erstmalig mehr als 100 Regierungen, denen der BTI nur eine mäßige bis gescheiterte Governance attestiert, zeigte sich unfähig, angemessen auf die Pandemie und die daraus resultierenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen zu reagieren.

Zivilgesellschaften widersetzen sich autoritären Trends

Eine hoffnungsvolle Nachricht hält der BTI-Bericht jedoch auch bereit. Oft gerade dort, wo Regierungen in der Pandemie versagten, zeigte sich eine bemerkenswerte Stärke bürgerschaftlichen Engagements und gesellschaftlicher Solidarität, die staatliche Versorgungslücken zu überbrücken halfen. Zivilgesellschaftliche Akteure sind häufig auch die letzte Bastion im Kampf gegen Autokratisierung, wie etwa in Belarus, Myanmar und im Sudan. Sie fordern mit Vehemenz überfällige gesellschaftliche Reformen ein, etwa größere soziale Inklusion und Repräsentativität in Chile, oder stemmten sich erfolgreich gegen Korruption und Amtsmissbrauch wie in Bulgarien, Rumänien oder Tschechien. Die größten Impulse für demokratische Innovation und Erneuerung gehen derzeit weitaus seltener von Regierungen als von kritischen Zivilgesellschaften aus. (Quelle: Bertelsmann Stiftung,
3/2022)
Die Studie zum sogenannten Transformationsindex ist hier abrufbar.