Brückensperrung

Angst vor dem Brückenkollaps

Mehr als 800 Brücken auf den Autobahnen in NRW gelten als besonders sanierungsbedürftig. Was kommt da auf die Wirtschaft zu? | Text: Daniel Janning
Monatelang war die A 42-Brücke über den Rhein-Herne-Kanal für den gesamten Verkehr gesperrt, inzwischen ist sie für Pkw wieder freigegeben. Sie ist nach der Leverkusener Brücke (A 1), der Rheinbrücke Duisburg-Neuenkamp (A 40), der Emschertalbrücke (A 43) sowie der Rahmedetalbrücke (A 45) die mittlerweile fünfte Brücke in NRW, die marode ist und deshalb kurzfristig gesperrt werden musste. Die Schlachthofbrücke bei Bochum (A 40) wird nach der Europameisterschaft die nächste Brücke sein, die vollgesperrt wird, um sie neu zu bauen – dies jedoch planmäßig.
Die Sorgen sind daher groß, dass weiteren Brücken das gleiche Schicksal droht. Alle genannten Brücken haben eins gemeinsam: sie wurden, wie die meisten Brücken, in den 1960-er und 1970-er Jahren gebaut und wurden nicht für die enorm gestiegene Belastung ausgelegt. Entsprechend ihrem Alter kommen die mittlerweile 50 – 60 Jahre alten Brücken nun mehr oder weniger zeitgleich an die Grenzen ihrer Belastungsfähigkeit.

Wie konnte es zur aktuellen Situation kommen?

Mitte der 70-er Jahre, kurz nach der Freigabe der Rhein-Herne-Kanal-Brücke, querten die Brücke täglich 25.000 Fahrzeuge. Kurz vor der Sperrung im vergangenen Jahr waren es mehr als drei Mal so viele Fahrzeuge (82.000), davon allein 14.000 Lkw. Achslasten und Gesamtgewichte der Lkw sind ebenso wie die Fahrleistungen im Straßengüterverkehr in den vergangenen Jahrzehnten stetig gestiegen.
Der Zustand der Brücken wird daher regelmäßig durch die Straßenbauverwaltung überprüft, um Schäden festzustellen und kurzfristige Ausfälle sowie Sperrungen zu vermeiden. Alle sechs Jahre wird jede Brücke einer detaillierten Hauptprüfung unterzogen. Drei Jahre nach einer Hauptprüfung wird jede Brücke einer sogenannten Einfachen Prüfung unterzogen. Die Einfache Prüfung ist als intensive, erweiterte Sichtprüfung, die jährlich stattfindet, zu verstehen. Die dabei festgestellten Bauwerkszustände werden mittels Traglastindex und Zustandsnote festgehalten - sowohl bei Brücken in Zuständigkeit der Autobahn GmbH (Bundesautobahnen) oder in Zuständigkeit des Landesbetriebs Straßen.NRW (Bundesstraßen und Landesstraßen). Auf Grundlage dieser Datenbasis und systematischen Brückennachrechnungen erfolgt dann die Ermittlung des Erhaltungsbedarfs für die Brückenbauwerke.

Engmaschiges Straßennetz und hohe Verkehrsbelastung in NRW führen zu großer Betroffenheit

Mehr als 800 Brücken auf den Autobahnen in NRW gelten als besonders sanierungsbedürftig. 341 sogenannte Brückenteilbauwerke haben den schlechtesten Traglastindex (V), weitere 130 Brückenteilbauwerke sind der zweitschlechtesten Kategorie (IV) zugeordnet: Sie alle müssen daher neu gebaut werden. Obendrein müssen an Bundes- und Landesstraßen 205 Brücken neu gebaut sowie 22 Brücken verstärkt und in der Regel zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls neu gebaut werden. Hinzu kommen noch die zahlreichen Brücken in der Zuständigkeit der Kreise, kreisfreien Städte und Kommunen, die statistisch nicht vollumfänglich erfasst sind.
Was könnte helfen?
1. Masterplan für Sanierung und Erhalt der Verkehrsinfrastruktur
2. übergeordnetes Baustellenmanagement
3. beschleunigte Genehmigungsverfahren
Trotz der regelmäßigen Überprüfungen und der guten Datenbasis kommt es in den vergangenen Jahren gehäuft zu kurzfristigen, fast spontanen Brückensperrungen. Ein Grund hierfür ist die Vernachlässigung der Sanierung und Instandhaltung der Verkehrsinfrastruktur. Dies betrifft nicht nur die Straße, sondern auch die Schienenwege und das westdeutsche Kanalnetz, in dem einige Schleusen noch aus Kaiser Wilhelms Zeiten stammen. Der Sanierungsstau ist groß und stellt die Bauverwaltung vor entsprechend große Herausforderungen. Begrenzte Personalkapazitäten in der Planung, lange Planungsverfahren sowie die mangelnde Flexibilität und Kreativität bei der Bauausführung bremsen das Tempo der notwendigen Sanierungs- und Ersatzneubaumaßnahmen aus. Dadurch steigt die Gefahr, dass immer mehr Brücken weniger stark belastet werden dürfen oder ganz für den Verkehr gesperrt werden müssen. Dieser Zustand droht zu einer neuen Normalität zu werden.

Welche Maßnahmen können helfen, den Sanierungsstau zu reduzieren?

Aus den Erfahrungen der Vergangenheit müssen daher die richtigen Lehren gezogen werden. Eine auskömmliche finanzielle Ausstattung durch Bund und Länder sowie eine ausreichende Anzahl an Fachkräften wie Fachplaner und Ingenieure für die Sanierung und den Ersatzneubau sind weiterhin von zentraler Bedeutung, um eine Trendwende zu mehr Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Verkehrswege zu erreichen. Ein Masterplan für die Sanierung und Erhaltung der Verkehrsinfrastruktur in NRW kann diesen Prozess unterstützen. Dieser muss einen integrierten Handlungsansatz verfolgen. Verkehrsträger- und baulastträgerübergreifend müssen die Maßnahmen koordiniert und abgestimmt werden. Dies gilt gewiss auch für ein übergeordnetes Baustellenmanagement, um die Auswirkungen von Verkehrsverlagerungen möglichst gering zu halten. Jede Verkehrsverlagerung im Straßennetz führt zu einer Mehrbelastung und weiteren Schäden, insbesondere auch an Brücken, an anderer Stelle.
Neben einem Masterplan braucht es zudem eine Beschleunigung der Genehmigungs- aber auch der Beschaffungsverfahren. Insbesondere müssen die gesetzlich bestehenden Möglichkeiten zur Verschlankung der Planverfahren für Ersatzneubauten im Verkehrsbereich genutzt werden. Die Rahmenbedingungen für Ausschreibungsverfahren oder die Bauausführung sind ebenfalls anzupassen, damit schneller und „kreativer“ gebaut werden kann. Das günstigste Angebot ist nicht immer auch das schnellste und beste Angebot.
Erste Ansätze zur Beschleunigung von Baumaßnahmen, z.B. durch den Bau von Expressbrücken oder durch Bonus-Systeme für eine schnellstmögliche Bauausführung, werden bereits erprobt und umgesetzt, weitere müssen folgen. Hierfür ist auch ein Blick über die Grenze in die Niederlande hilfreich. Dort ist man in Sachen Brückenbau weiter als in Deutschland.
Die Sicherstellung der Leistungsfähigkeit der Verkehrsinfrastruktur muss dauerhaft ganz oben auf der Agenda der Verkehrspolitik bei Bund und Land stehen. Denn spätestens seit Sperrung der Leverkusener A 1-Brücke Ende 2012 sollte klar sein: Gut erhaltene und leistungsfähige Brücken spielen hier eine besondere Rolle.