Wasserstoff für die Industrie (4|2023)

Schwerlastverkehr bringt Wasserstoff-Wirtschaft ins Rollen

Die Westfalen AG gibt ordentlich „Stoff“, um die Energiewende anzutreiben. | Text: Dominik Dopheide
Der Konzern plant mehrere Projekte zur Produktion und Distribution von grünem H2. Vor allem an den Schwerlastverkehr sind die Angebote adressiert, denn diese Branche werde als erste im Wasserstoffzeitalter ankommen, ist sich Vorstandsvorsitzender Dr. Thomas Perkmann sicher.
© Gerharz/IHK
Der Hersteller von Industriegasen und Anbieter von Kraftstoffen sowie Energie erschließt nachhaltige Geschäftsfelder und will somit die Energiewende proaktiv mitgestalten. „In den kommenden fünf Jahren werden wir 500 Millionen Euro in die Transformation zu ressourcenschonenden Geschäftsmodellen investieren, und ein signifikanter Anteil davon wird in den Bereich Wasserstoff fließen“, macht Perkmann deutlich, wie ernst es die Westfalen-Gruppe mit dem grünen Veränderungsprozess des Unternehmens und dem zukunftsfähigen Energieträger meint. „Bei dem Vorhaben profitieren wir von 40 Jahren Erfahrung, die wir im Umgang und in der Kundenversorgung mit Wasserstoff haben“, ergänzt er.
Gemeinsam mit strategischen Partnern will das Unternehmen das „Henne-Ei-Problem“ beim grünen Wasserstoff überwinden: Ist er nicht ausreichend verfügbar, wird er nicht nachgefragt, fehlt aber die Nachfrage, bleiben Investitionen in Produktionsanlagen und Transport-Infrastruktur aus. Der Sektor Mobilität aber, ist Perkmann sicher, wird Bewegung ins Geschäft bringen. Vor allem im Schwerlastverkehr will Westfalen auf Wasserstoff setzen. Nach kurzer Fahrt lange an der Ladesäule zu stehen, sei im Transitverkehr schlichtweg nicht praktikabel, ist der Vorstandsvorsitzende überzeugt. Wasserstoffbasierte Brennstoffzellen-Technik dagegen habe Besseres zu bieten: schnelles Tanken und hohe Reichweiten, die der Leistung eines Diesel-Motors nicht nachstehen.
Bereits seit 2016 betreibt die Westfalen-Gruppe eine Wasserstofftankstelle in Münster-Amelsbüren, die noch sogenannten grauen Wasserstoff vertreibt. In einem Joint Venture mit RWE will die Unternehmensgruppe bis 2030 in NRW und Niedersachsen bis zu 70 weitere Tankstationen errichten. Die ersten Standorte sind bereits sondiert. Ab Ende 2024, Anfang 2025 sollen die ersten Lkws und Busse mit grünem Wasserstoff versorgt werden. Noch sind Fahrzeuge mit H2-Antrieb jedoch nur vereinzelt auf den Straßen unterwegs, wie Perkmann einräumt. Dass, wie im ÖPNV in Brühl, eine ganze Busflotte mit H2 betankt wird, ist noch die Ausnahme. Westfalen bietet für Projekte dieser Art eine mobile Wasserstofftankstelle an. Einer dieser Container kann mindestens 230kg H2 abgeben – das reicht für etwa zehn Busbetankungen. Danach wird neu befüllt oder ausgetauscht.
Generell steige die Nachfrage nach grünem H2 als Tankfüllung an, wie der Wasserstoff-Manager der Westfalen AG, Dr. Nicolas Dohn, berichtet. Ein Grund: Immer mehr Hersteller von Brennstoffzellensystemen oder Brennstoffzellen-Lkw erproben ihre Produkte in Langzeit-Tests auf Prüfständen.
Was ist grüner Wasserstoff?
Grüner Wasserstoff ist Wasserstoff, der durch die Elektrolyse von Wasser hergestellt wird, wobei der Energiebedarf für die Elektrolyse aus erneuerbaren Energien wie Wind oder Sonne stammt. Im Gegensatz zu grauem Wasserstoff, der aus fossilen Brennstoffen hergestellt wird, verursacht die Produktion von grünem Wasserstoff deutlich geringere Treibhausgasemissionen. Grüner Wasserstoff ist daher klimaneutral und eine wichtige Ressource im Rahmen der Energiewende.

Pipelines schaffen Perspektiven

Welche Spedition aber würde in diese Technik investieren, wenn die Wirtschaftlichkeit auf der Strecke bleibt? Ein 40-Tonner verbrauche mit Dieselmotor 30 Liter auf 100 km, mit Brennstoffzellen-Antrieb 8 kg H2, insofern sei die neue Technik auf den ersten Blick teurer, erläutert Dohn. Zugleich warnt er, angesichts der unterschiedlichen Kostenstrukturen, „Äpfel mit Birnen“ zu vergleichen: auf der einen Seite das grüne Produkt Wasserstoff, , auf der anderen Seite fossile Energieträger, , deren Umweltfolgekosten nicht vollständig eingepreist seien.
Spätestens 2030 werden die Kurse für H2 an der Zapfsäule fallen, sagt der Experte voraus. Dann könne sich der Energie-Hochpreis-Standort Deutschland zunutze machen, dass in sonnen- und windreichen Ländern günstiger grüner Strom produziert wird. „Diese Energie ist ja in Form von Wasserstoff speicherbar und kann durch Pipelines zu relativ geringen Kosten transportiert werden“, erklärt Dohn, warum die Wirtschaftlichkeit von H2 absehbar sei, sobald sie in Großserie hergestellt werden. Zudem wachse die Wettbewerbsfähigkeit H2-getriebener Fahrzeuge mit den steigenden CO2 -Abgaben für fossile Brennstoffe und, wie Dohn ergänzt, der Brennstoffzellenantrieb sei wartungsärmer.
Rohr
© IHK/Canva
„Alle Argumente deuten darauf hin, dass wir langfristig Parität erreichen können und der Betrieb von Wasserstoff-Fahrzeugen mit der Wirtschaftlichkeit von Diesel gleichziehen kann“, sagt Vorstandschef Perkmann. Kurzfristig mit Blick auf den Hochlauf sei aber eine Förderung von Fahrzeugen wie auch der Infrastruktur notwendig. Die aktuelle Herausforderung sei, im Zuge konkreter Projekte alles zusammenzubringen: Fahrzeuge, grünen Wasserstoff, Tankstelle und Fördermittel. „Aus der Summe dieser einzelnen Vorhaben entsteht allmählich der Markt“, erklärt Perkmann, der den Start in den Hochlauf der H2 -Mobilität auf 2025 datiert.

Mobilität als Erstnutzer von Wasserstoff

Die mobile Wasserstofftankstelle ist laut Perkmann auch ein Vehikel, das stationären Zapfsäulen den Weg bereiten kann. Denn wenn an einem Standort H2 -Flotten größer werden, lohnt es sich für die Branche, eine Tankstelle zu bauen. Viel also spricht dafür, dass der Sektor Mobilität den klimaneutralen Wasserstoff in die Industrie- und Gewerbegebiete bringen wird und damit das Interesse auch anderer Branchen auf den Energieträger lenkt. Denn viele, vor allem thermische Prozesse, lassen sich nicht durch Elektrifizierung dekarbonisieren. Außerdem, sagt Perkmann, werden viele Industriezweige, die heute grauen Wasserstoff beziehen, in Zukunft auf grünen Wasserstoff umstellen.

Westfalen als H2-Produzent

Ein erstes Cluster von industriellen Verbrauchern, Tankstelle und Elektrolyseur könnte bereits in naher Zukunft in Münster-Amelsbüren entstehen. Im Hansa-Businesspark will Westfalen in Kooperation mit den Stadtwerken Münster, Stadtnetzen Münster sowie der Fraunhofer Forschungsfertigung eine Wasserstoff-Produktionsanlage mit einer maximalen Aufnahmekapazität von ca. zehn Megawatt bauen. Mehrere Tankstellen könnten von dem Elektrolyseur versorgt werden – wenn denn grüner Strom nach der strengen Erneuerbaren-Energie-Richtline (RED II) in ausreichender Menge verfügbar ist.
Stichwort Megawattstunde:
Die Megawattstunde ist eine Energiemenge, die bei einer Leistung von 1 Megawatt (MW) innerhalb von einer Stunde umgesetzt wird.
chemische Abkürzung H2 für Wasserstoff vor blau-weißem Hintergrund
© Alexander Limbach/AdobeStock
Die Westfalen AG und ihre Partner haben Standort und Anlagen-Technik so geplant, dass über ein lokales Rohrleitungsnetzwerk weitere Verbraucher angeschlossen werden können und ein Ausbau der Anlagenkapazität möglich wäre. Mit der Batterieforschungsfabrik steht bereits ein Ankerkunde vor der Tür, zudem haben weitere Unternehmen Interesse an einer Abnahme bekundet. Hier spielt auch die Industrie im erweiterten Umfeld eine Rolle, denn um den Wasserstoff über die Straße zu transportieren, soll der Elektrolyseur auch mit einer Abfüllstation ausgestattet werden. Die Westfalen AG plant derzeit noch drei weitere Elektrolyseure, und zwar in Frankreich und den Niederlanden.

Wie grün ist „grün“?

„Noch können wir nicht sagen, wie hoch der Wasserstoffpreis letztendlich sein wird“, berichtet Dohn – auch weil der Gesetzgeber in der Klassifizierung von grünem Wasserstoff Unterschiede zwischen Branchen, Energiequellen und Produktionsverfahren mache. „Das erschwert die Planungen für alle Beteiligten“, betont Perkmann. „Im Mobilitätsektor ist ein besonders grünes Grün gefordert“, so der Westfalen-Vorstandsvorsitzende und verweist auf die vielschichtigen RED-II-Kriterien, deren Erfüllung Voraussetzung für Zertifikat und Förderfähigkeit ist – und Förderung ist erforderlich, um annähernd Wettbewerbsfähigkeit zu erzielen, wie der Manager betont. Dabei hängt die Preisfindung auch von externen Rahmenbedingungen ab. Welche anerkannten Quellen für grünen Strom etwa sind im Umfeld verfügbar?

„Beginn einer Revolution“

„Die komplexe Gesetzgebung verlangsamt den Hochlauf der Wasserstoff-Wirtschaft“, bedauert Perkmann. Sein Vorschlag: zunächst klimaneutralen H2 verfügbar machen und sich an den Einsatz gewöhnen, dann erst die Anforderungen nach oben schrauben. Zur besseren Verfügbarkeit von Wasserstoff wird auch die Westfalen AG beitragen: Sie beteiligt sich an dem Projekt „H2-Cluster Salzbergen“ und ist der „GET-H2“-Initiative beigetreten, die den Kern für eine bundesweite Wasserstoffinfrastruktur etablieren will. Dabei steht für die Westfalen AG gerade die Versorgung auf der letzten Meile zu den Kunden im Fokus. Für nachhaltig gefüllte Auftragsbücher spricht einiges: „Liegen erstmal die Netze, ist Wasserstoff aus ganz Europa im Münsterland nutzbar, das wird eine Sogwirkung haben“, sagt Dohn voraus. Perkmann sieht es genauso: „Wir sind am Beginn einer Revolution“, ist der Vorstandschef sicher.