Wasserstoff für die Industrie (4|2023)

Chance Ammoniak

Drei Wasserstoff-Atome, die mit einem Stickstoff-Atom verbunden sind: Die chemische Formel von Ammoniak macht das Potenzial unmittelbar deutlich. | Text: Dr. Jürgen Grüner
Noch wird Ammoniak vor allem in der Mineraldünger-Produktion eingesetzt. Künftig könnte es eine Alternative als klimaneutraler Energieträger in der Produktion sein. Das H2-Netzwerk Westmünsterland lotet die Chancen für eine Wasserstoff-Versorgung mit Ammoniak aus. Mehr als 40 Unternehmen aus den Kreisen Coesfeld und Borken arbeiten in dem Netzwerk mit den beiden Wirtschaftsförderungen der Kreise zusammen.
Zentraler Impulsgeber und potenzieller Lieferant von Ammoniak für die Wasserstoffgewinnung ist dabei die YARA GmbH & Co. KG mit Sitz in Dülmen. Sie gehört zur weltweit agierenden YARA-Gruppe, einem Weltmarktführer in der Produktion und dem Handel mit Ammoniak. Außerdem verfügt das Unternehmen in Brunsbüttel und Rostock über zwei Produktions- und Umschlagsstandorte für Ammoniak und Stickstoffdünger in Deutschland. Die Technologien für den Transport und die Lagerung von Ammoniak sind bereits ausgereift, da es seit Jahrzehnten ein wichtiger Grundstoff in der chemischen Industrie ist. „Das Potenzial ist aber noch aus anderen Gründen groß“, erklärt Marco Fleischmann, Geschäftsführer der YARA GmbH & Co. KG.
Stichwort Ammoniak:
Aus Stickstoff und Wasserstoff wird Ammoniak hergestellt. Bisher wurde Ammoniak noch nicht gesetzlich als Energieträger eingestuft.
Ein Containerschiff wird auf das offene Meer gebracht.
© Hellen Sergeyeva/Fotolia
„Anders als molekularer Wasserstoff wird Ammoniak bereits bei -33 °C oder Drücken ab 7,5 bar flüssig und besitzt dann eine hohe volumetrische Dichte, was den Transport deutlich erleichtert. Die Energiedichte ist damit bei Ammoniak entsprechend deutlich höher – und der Einsatz von Ammoniak sowohl als Schiffstreibstoff und Wasserstoffträger für mobile Versorgungen als auch für die Stromerzeugung gut denkbar.“
Aktuell wird Ammoniak noch überwiegend aus Erdgas gewonnen und der freiwerdende Kohlenstoff als CO2 an die Atmosphäre abgegeben. Die Möglichkeiten für die Produktion von grünem oder blauem Ammoniak sind aber bereits weit vorangeschritten. Bei grünem Ammoniak wird mittels Elektrolyse aus regenerativ erzeugtem Strom Wasserstoff hergestellt und dieser bei hohen Temperaturen und Drücken zusammen mit Stickstoff zu Ammoniak umgewandelt. Für blaues Ammoniak wird Wasserstoff wie gehabt aus Erdgas gewonnen, das entstehende CO2 aber aufgefangen und langfristig eingelagert (CCS – Carbon Capture and Storage).
Stichwort Elektrolyse:
Wasser wird mithilfe von elektrischem Strom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten.
„Alleine YARA“, erklärt Fleischmann, „wird die Produktion von grünem und blauem Ammoniak in den nächsten fünf Jahren bereits auf rund drei Millionen Jahrestonnen hochfahren und über die Seehäfen in Brunsbüttel und Rostock auch nach Deutschland bringen. Von dort steht es neben der Düngemittelindustrie auch für Anwendungen im energieintensiven Mittelstand offen.“
Eine Pipeline verläuft parallel zu einer Straße.
© Aleksandr/Fotolia
Um den Wasserstoff in der Produktion nutzen zu können, ist eine erneute Aufspaltung des Ammoniaks in Wasserstoff und Stickstoff erforderlich. Dies gelingt in sogenannten Crackern bei hohen Temperaturen und Drücken unter Einsatz eines Katalysators. Erste große Ammoniak-Cracker sind bereits in Rotterdam und Rostock geplant, um Ammoniak, das per Seeschiff nach Europa kommt, aufzuspalten und den Wasserstoff in die Pipeline-Netze einzuspeisen.

Wie kann man die Chancen von Ammoniak erschließen?

Um die Chancen von Ammoniak auch für eine dezentrale Wasserstoffversorgung des energieintensiven Mittelstands erschließen zu können, ist eine angepasste lokal nutzbare Cracking-Technologie notwendig. Dieser Aufgabe hat sich unter anderem ein Horizon 2020-Projekt unter Federführung der Technischen Universität Eindhoven gewidmet. Daraus entstanden ist H2 Site: ein Start-up im nordspanischen Bilbao, das eine containerbasierte Ammoniak-Cracking-Technologie für kleine Anwendungsfälle im Markt anbietet. Eine erste industrielle Anwendung wird derzeit im Birmingham installiert.
Stichwort Ammoniak-Cracking:
Beim Ammoniak-Cracking wird Ammoniak in Wasserstoff und Stickstoff aufgespalten. Die Energieverluste werden auf circa 20 bis 25 Prozent beziffert.
Unternehmen, die sich für Wasserstoff und aus Ammoniak gewonnenem Wasserstoff als klimaneutraler Energieträger interessieren und auf dem aktuellen Stand bleiben möchten, sind herzlich zum offenen H2-Netzwerk Westmünsterland. Weitere Informationen zum Netzwerk gibt es über die Wirtschaftsförderungsgesellschaften der Kreise Coesfeld und Borken.