Energie
Unsichere Stromversorgung – fehlende Strategien zum Ausbau der erneuerbaren Energie
Bei den Unternehmen in der Region schrillen längst die Alarmglocken: Der vorgezogene Ausstieg aus der Kohle bis zum Jahr 2030 ist nicht mehr zu schaffen. Die Versorgungssicherheit in NRW ist gefährdet. Die IHK Köln hat dies seit 2021 immer wieder angemahnt. Wir bleiben dran!
Im März 2024 bestätigte der Bundesrechnungshof unsere Prognose und erteilte der Bundesregierung eine deutliche Rüge. Der Ausbau der erneuerbaren Energien hinkt weit hinter den ambitionierten Zielen her. Von den notwendigen, wasserstofffähigen Gaskraftwerken: Keine Spur. Dies war spätestens mit der Vorstellung der Eckpunkte der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung klar.
Die unsichere Energieversorgung und die erwarteten hohen Energiekosten sind eine große Belastung für den Industriestandort NRW. Als Folge sind viele Unternehmen auf dem Weg, Investitionen und Unternehmensteile ins Ausland zu verlagern.
Und was tut die Landesregierung? Außer sich über erwartbare Entscheidungen zu beschweren: recht wenig. Es fehlt nach wie vor eine belastbare Strategie für den Ausbau eines regenerativen, sicheren Stromangebots. Wir brauchen einen realistischen Zeitplan für den Ausbau der regenerativen Energien und einen zeitlich daran angepassten Ausstieg aus der Kohleverstromung. Das eine geht nicht ohne das andere.
Wie viel erneuerbare Energie fehlt?
Das Energiewirtschaftliche Institut an der Universität zu Köln hat in der von uns beauftragten Studie Versorgungssicherheit für NRW 2030 (nicht barrierefrei, PDF-Datei · 1591 KB) gezeigt, wie viel regenerative Energieanlagen realistischerweise notwendig sind.
- 8 große oder 16 zusätzliche mittelgroße wasserstofffähige Gaskraftwerke
- 15.000 Fußballfelder Freiflächen-Photovoltaik
- jedes 7. Dach mit Photovoltaik
- 1.500 Windräder
Die Windkraft-Schuldenuhr am Eingang unseres Hauptgebäudes zeigt ganz aktuell, wie der Ausbau der Windkraft vorangeht.
Auch an dieser Stelle aktualisieren wir wöchentlich den Stand des Ausbaus.
Hintergrund Windenergie:
Für den noch notwendigen Ausbau bis zur Zielerreichung werden Windräder mit einer Leistung von 6 MW als Standard angenommen.
Laut der EWI-Studie beträgt das Ziel bei der Windenergie 16 GW in NRW. (Bestand 01/2023 ca. 7 GW). Bei einer angenommenen Leistung von 6 MW pro Windrad müssten somit noch 1.500 Windräder zusätzlich in Betrieb genommen werden.
Hintergrund Photovoltaik:
Der weit überwiegende Ausbau der Photovoltaik passiert in NRW auf Dachflächen.
Deutlich schwieriger zu realisieren ist der Ausbau auf Freiflächen, denn Flächen sind in NRW knapp und werden anderen Nutzungen entzogen.
Zum Gelingen der Energiewende ist jedoch auch der Ausbau der Photovoltaik auf Freiflächen absolut notwendig.
Für Photovoltaik gilt, dass in NRW ungefähr 40 Prozent des Zubaus durch Freiflächen-Anlagen erfolgen müsste. Ausbauziel für Photovoltaik ist 37,2 GW Leistung (Bestand 01/2023 ca. 7,5 GW). Das bedeutet: jedes siebte Dach in NRW müsste zusätzlich zu den bestehenden PV-Dachanlagen mit entsprechenden Modulen belegt werden, wenn 60 Quadratmeter pro Dach für Sonnenenergie genutzt werden. Der restliche Ausbau soll auf Freiflächen erfolgen, was einen Flächenbedarf von ca. 15.000 Fußballfeldern entspricht.
Hintergrund Gaskraftwerke:
Versorgungssicherheit in NRW bei einem Kohleausstieg 2030 in Deutschland erfordert den Zubau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken mit einer zusätzlichen Kapazität von bis zu 7,6 Gigawatt (GW) bis ins Jahr 2030. Das sind je nach Größe 8 bis 16 Kraftwerke. Falls dieser Zubau nicht gelingt, ist eine für die Absicherung der Stromversorgung der Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke notwendig – ansonsten drohen Versorgungslücken.
Nur wenn zeitgleich der geplante Zubau der erneuerbaren Energien gelingt, können die Klimaschutzziele bis 2030 erreicht und die Preisentwicklung stabilisiert werden.
Warum die Schuldenuhr justiert wird
Die Zahl auf der Windradschuldenuhr am Eingang des Hauptgebäudes der IHK Köln ist gestiegen. Wie kann das sein?
Jede Uhr muss hin und wieder nachgestellt – eben justiert – werden. Im Falle der Windradschuldenuhr der IHK Köln ist das schnell erklärt:
Mehr als die Hälfte der Windenergieanlagen in NRW sind älter als 15 Jahre und nähern sich somit dem Ende ihrer Betriebszeit. Ältere Windenergieanlagen werden abgebaut und in der Regel durch neue Windräder ersetzt. Die liefern natürlich auch irgendwann Strom. Das Ganze nennt sich „Repowering“ und ist wichtig, um die Ausbauziele in NRW zu erreichen. Das Problem: Es braucht seine Zeit.
Seit Beginn unseres Monitorings wurden mehr als 150 Windräder stillgelegt. Diese alten Anlagen lieferten deutlich weniger Strom als das neue moderne Windräder können. Um die fehlende Leistung dieser Windräder auszugleichen, müssten zum Beispiel nur 27 neue moderne Windräder gebaut werden.
Zukünftig wird die angezeigte Anzahl der Windräder auch die stillgelegten Anlagen direkt berücksichtigen.
In einer Kategorie ist NRW übrigens im Ländervergleich sogar mit Abstand Spitzenreiter: Bei den Genehmigungen für neue Anlagen! Allerdings sind das erst die Genehmigungen. Gebaut sind die Anlagen noch nicht. Daher zählt unsere Windschuldenuhr lediglich Anlagen, die auch wirklich Strom liefern. Denn mit genehmigtem Strom kann man ja auch kein Licht machen.
Politischer Rahmen
Damit die notwendige gesicherte Leistung neu ausgebaut wird, müssen die Rahmenbedingungen für Investitionen angepasst werden. Die Bundesregierung erstellt dazu eine Kraftwerksstrategie. Das Land NRW erarbeitet eine Energie- und Wärmestrategie NRW.
So ist der aktuelle Stand:
Kraftwerksstrategie des Bundes
Am 5. Juli 2024 hat sich die Bundesregierung auf Eckpunkte geeinigt, die einem Kraftwerkssicherheitsgesetz münden sollen. Vorgesehen sind 12,5 GW an Kraftwerksleistung sowie 0,5 GW Stromlangzeitspeicher, die in zwei Säulen realisiert werden:
- In Säule 1 werden Kapazitäten gebündelt, die zur Dekarbonisierung beitragen (insgesamt 8 GW, aufgeteilt in 0,5 GW H2-Kraftwerke, 5 GW H2-Ready Kraftwerke und 2 GW H2-Repowering bestehender Kraftwerke und zusätzlich 0,5 GW für Stromlangzeitspeicher )
- In Säule 2 sollen zusätzliche Kapazitäten konventioneller Gaskraftwerke ausgeschrieben werden, die im Vorgriff auf die Ausgestaltung des Kapazitätsmechanismus der Versorgungssicherheit dienen sollen (insgesamt 5 GW)
Die erste Ausschreibung ist für Ende 2024/Anfang 2025 geplant.
In einem zweiten Schritt soll ein bis 2028 zu implementierender „Kapazitätsmechanismus“ die Bereitstellung von Kraftwerksleistung oder Speichern sicherstellen.
Bewertung:
- Die Kraftwerkstrategie kommt zu spät, schafft zu wenig Kapazität und die Bedingungen für Kraftwerksanbieter und -betreiber sind nicht zu erkennen.
- Mit den aktuellen Genehmigungs- und Umsetzungszeiten für größere Kraftwerke von fünf bis sieben Jahren lässt sich keines der gesteckten Ausbauziele mehr erreichen. Wie die Prozesse beschleunigt werden sollen, ist weiterhin ungeklärt.
- Völlig unkonkret ist auch die Art der Förderung der Gas-Kraftwerke, die aus dem Klima- und Transformationsfonds kommen soll, wie auch die Anreize für den Zubau von Elektrolyseuren für die Produktion des dringend benötigten Wasserstoffs.
- Die vielen staatlichen Eingriffe lassen zudem befürchten, dass es zu Verzerrungen an den Märkten und zu Ineffizienzen kommt.
- Die Kraftwerksstrategie blendet außerdem die Zeitdauer und die Kosten für den Umbau und Neubau der Stromnetze aus. Hier ist mit einer Verdoppelung der Netzentgelte zu rechnen.
Ein im Juli 2024 veröffentlichtes Gutachten zur Kraftwerksstrategie der BET Büro für Energiewirtschaft und technische Planung GmbH im Auftrag von NRW.Energy4Climate bestätigt, dass der bisher geplante Zubau an Kraftwerkskapazität in NRW nicht ausreichen wird, um auch nach 2030 Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Energie- und Wärmestrategie NRW
Am 9. September 2024 hat das Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie die Energie- und Wärmestrategie veröffentlicht. Darin ersichtlich: NRW steht vor einer massiven Versorgungslücke!
Bewertung
Die Energie- und Wärmestrategie ist keine wirkliche Strategie: Ein bloßes Auflisten von Zielen ist kein Konzept und macht noch keine Strategie aus. Die vom Land NRW vorgelegten Maßnahmen sind viel zu unkonkret und unzureichend. Mit diesen Maßnahmen wird es nicht gelingen, die massiv steigenden Energiebedarfe in 2030 und 2045 decken zu können. Der vom Land NRW geplante Zubau von Kapazitäten zur Energieerzeugung reicht nicht aus. Versorgungssicherheit steht weiterhin auf dem Spiel. Auch fehlen konkrete Schritte für eine verlässlichen Netzausbau sowie für den Wasserstoff-Hochlauf. Eklatant ist zudem, dass das Land nicht darlegt, wir die Maßnahmen finanziert werden sollen. Die IHK Köln hat bereits frühzeitig auf die Defizite der Strategie aufmerksam gemacht und ihre Positionen in einer umfangreichen Stellungnahme dargelegt.
Was jetzt zu tun ist
- Die Energie- und Wärmestrategie des Landes muss belastbar darlegen, wie weiterhin gesicherte Leistung garantiert werden kann, in welcher realistischen zeitlichen Abfolge der Ausbau der erneuerbaren Energien erfolgt und wie der Ausstieg aus der Kohle zeitlich angepasst gelingen kann. In einer solchen Strategie muss auch der Netzausbau mit konkreten Umsetzungsschritten dargestellt werden.
- Für eine echte Strategie braucht es belastbare Alternativvorschläge, die eine verlässliche Erreichung der Ziele garantieren.
- Die Landesregierung sollte umgehend eigene Lösungsansätze präsentieren, statt nahezu nur auf Zuständigkeiten von Bund und EU zu verweisen.
- Die Standorte für die Gaskraftwerke müssen bereits jetzt von der Landesregierung gesichert und entwickelt werden, inklusive der notwendigen Leitungsinfrastruktur.
- Die Landesregierung muss in Abhängigkeit einer realistischen Laufzeit der Kohlekraftwerke die Leitentscheidung zum Braunkohleabbau rechtzeitig, jedenfalls schon vor 2026 überprüfen und gegebenenfalls anpassen, um den erforderlichen Weiterbetrieb zu gewährleisten.
- Die Beschlüsse des Bund-Länder-Paktes zur Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung müssen schnell in den jeweiligen Fachgesetzen umgesetzt werden.
- Der Flächenbedarf für Freiflächen-PV-Anlagen ist enorm. Mit Blick auf die Flächenkonkurrenz in NRW müssen alle Flächenpotenziale, inklusive Floating- und Agri-PV, genutzt werden.