IHKplus 4.2024 | Weitblick

Treffpunkt und Erlebnis

Was brauchen Innenstädte, um lebendig zu bleiben? Das zeigt ein Blick nach Brühl, Wermelskirchen und Wipperfürth. Die IHK Köln hat am Beispiel der drei Städte einen Maßnahmenkatalog entwickelt.
Text: Johanna Tüntsch
Wer bei Georg Frey im Hotel und Gästehaus Balthasar Neumann übernachtet, kann aus vielen Gründen nach Brühl gefunden haben: „Unsere Gäste sind international. Sie kommen zur Messe nach Köln, besuchen das Phantasialand oder auch einfach unsere schöne Altstadt, die Schlösser und Museen“, berichtet der Hotelier. Pluspunkte, die Besucherinnen und Besucher schätzen, seien die verkehrsberuhigte Altstadt, das große gastronomische Angebot, Events und Shoppingmöglichkeiten. Wermutstropfen: „Die Dauerbaustelle vor der Haustüre wäre ich gerne los.“ Sie ist unschön und reduziert die Flächen für Autos.
„Es gibt zu wenig Parkplätze, und die, die es gibt, sind zu teuer“, sagt auch Patricia Laurs-Link. Sie hat von ihrer Mutter Margret das Kunsthaus Link übernommen, dessen Kunden, wie sie berichtet, aus ganz Deutschland kommen. Das Familienunternehmen in sechster Generation blickt auf eine Tradition von 122 Jahren am gleichen Standort, spezialisiert auf Kunsthandwerk aus dem Erzgebirge, Krippen, Weihnachtspyramiden, Rosenkränze, Kreuze und Weihwasserbecken.Sortiment und persönlicher Kontakt sorgen für eine hohe Kundenbindung: „Zu uns kommen Enkel, deren Großeltern schon zu meinen Eltern kamen“, sagt Margret Link.

„Die Leerstände gefallen mir nicht“

Inhabergeführte Geschäfte wie das der Links geben der Kleinstadt im Rhein-Erft-Kreis ein Profil. „Wir kommen aus Wesseling. Da gibt es kaum noch etwas, deswegen fahren wir jede Woche nach Brühl“, erzählt eine ältere Dame, deren Mann einen Rollator über den Marktplatz schiebt. Gerade kommen sie aus einem Café, nun sehen sie sich der Reihe nach die Schaufenster an. „Die Leerstände hier gefallen mir nicht. Verschiedene Läden sind nicht mehr da“, bedauert der ältere Herr. Letztlich überwiegt aber auch bei ihm das positive Fazit: „Trotzdem ist es eine gemütliche Innenstadt mit Cafés und schönen Läden.“
Aus echter Passion hat sich Konstantina Lazaridou-Spitz zur Selbständigkeit entschieden, als sie 2021 die Gelegenheit bekam, die Buchhandlung Brockmann zu übernehmen, in der sie seit ihrer Ausbildung elf Jahre lang gearbeitet hatte: „Ich liebe Brühl, ich bin gerne Buchhändlerin und kenne meinen Beruf. Man braucht literarisches Know-how, aber auch allgemeines. Gute Kommunikation ist ohnehin das A und O im Einzelhandel.“
Und nicht nur dort, auch die Werbung für Veranstaltungen könne man noch optimieren, findet sie: „Online ist die Stadt Brühl gut aufgestellt, was Informationen angeht. Aber nach unserer Erfahrung in der Buchhandlung wissen besonders Menschen ohne Internetzugang oder nicht affine Internetnutzer oftmals nicht, wo sie sich informieren sollen. Besser wäre deswegen eine digitale Infotafel in der Stadt, die auf einen Blick anzeigt, was in Brühl stattfindet.“

Innenstädte brauchen einen Mix

Für das Stadtzentrum wünscht sie sich vor allem eins: „Dass die Leerstände wieder voll werden! Da sollte Vielfalt hineinkommen.“ Einige Häuser weiter ist mit der Galerie DREImalDREI genau das gelungen. Der Künstler Andre Duront bietet hier Figuren an, Nadine D’Ambrosio Schmuck. Außerdem bietet das Duo anderen Kreativen Flächen zur Ausstellung an.
„Angefangen haben wir im Schaufenster gegenüber, dann hat sich dieses Ladenlokal ergeben“, berichtet Duront. Da frühere Ausstellungsräume nicht mehr zur Verfügung stünden, gebe es neuen Bedarf, der durch Leerstandsnutzung gedeckt werden könnte. „Wenn man die Innenstädte beleben will, sollte man Gewerbe, Galerien und Handwerk zusammenbringen“, findet der Künstler.
Damit beschreibt er einen Ansatz, den auch die Untersuchung der Gesellschaft für Markt- und Absatzforschung (GMA) im Auftrag der IHK Köln nahelegt. Exemplarisch wurde die Lage in Brühl, Wermelskirchen und Wipperfürth analysiert. Den Ergebnissen zufolge ist ein Mix aus Handel, Gastronomie, kulturellem Angebot, Events und Dienstleistungen erforderlich, um Innenstädte fit für die Zukunft zu machen, da sie als klassische Einkaufsmeilen immer mehr an Bedeutung verlieren. Als Hilfestellung zur Gestaltung dieser Mischung wurde eine „Toolbox“ konzipiert – ein Maßnahmenkatalog, basierend auf Erfahrungen und standortunabhängigen Ideen, die sich auf andere Kommunen übertragen lassen.
Eine „Toolbox“ als Maßnahmenkatalog, um Innenstädte fit für die Zukunft zu machen Standortabhängig sind unterschiedliche Maßnahmen möglich und geeignet. Die IHK Köln und ihre Geschäftsstellen stehen Kommunen beratend zur Seite. Ansatzpunkte gibt es in diesen Bereichen:
  • Austausch: Je früher, direkter und regelmäßiger alle Beteiligten aus Politik, Verwaltung und Wirtschaft miteinander ins Gespräch kommen, desto leichter lassen sich Lösungen finden.
  • Citymanagement: Gute Ideen, Kritik oder Fragen sollten schnell an die richtige Adresse gelangen. Über ein Citymanagement lassen sich Absprachen besser koordinieren.
  • Bestandspflege: Es ist leichter zu erhalten, was da ist, als Neues aufzubauen. Deswegen ist es wichtig, dass Politik und Verwaltung sich mit den Bedürfnissen der Unternehmen vor Ort auseinandersetzen.
  • Gründungshilfen: Mit Pragmatismus und Kreativität können auch Kommunen mit wenig Mitteln Lösungen für neue Konzepte und Existenzgründungen finden – etwa durch die gezielte Nutzung von Leerständen. Popup-Stores können als Magnet für neue Kundschaft auch zusätzliche Besucherinnen und Besucher für Stadtzentren generieren.
  • Digitalisierung: Der Trend zum Onlinehandel muss die lokale Wirtschaft nicht ausschließen. Kommunen können zum Beispiel durch Webinare und Beratungen den Aufbau von Onlineshops unterstützen. Auch die IHK Köln hat Angebote zur Weiterbildung im Bereich E-Commerce.
  • Flexible Förderung: Je weniger Bürokratie mit dem Antrag auf Unterstützung verbunden ist oder je besser die Verwaltung Interessierte darin unterstützt, desto stärker können bereitgestellte Mittel einen belebenden Effekt auf die Innenstädte haben.
  • Verkehrsführung: Ein Stadtzentrum, das einladend für Menschen mit unterschiedlichen Voraussetzungen sein soll, muss sowohl mit dem Auto zu erreichen als auch attraktiv für Fußgänger sein. Bei der Verkehrsplanung sollten diese Bedürfnisse berücksichtigt werden.
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Kreative Ideen vom Marketingverein

Wermelskirchen profitiert von seiner vielfältigen Vereinslandschaft, aus der umfangreiche ehrenamtliche Unterstützung kommt, unter anderem aus dem Verein „WiW – Wir in Wermelskirchen Marketing“. Ihm gehören Geschäftsleute an, aber auch Privatpersonen, die sich für die Gestaltung des Stadtlebens und die Verschönerung des Straßenbildes einsetzen. Zu den Resultaten gehören nicht nur der Weihnachtsschmuck und Blumenampeln, die mit Petunien in Pink und Lila farbige Akzente in die Einkaufsstraßen bringen, die von typisch bergischen Schieferfassaden geprägt sind, sondern auch kulinarische Stadtführungen, verkaufsoffene Sonntage, der Bergische Feierabendmarkt und vieles mehr.
„Auch die Bürgermeisterin setzt vieles in Bewegung“, sagt Jörg Hausmann. Er leitet die Geschäftsstelle Leverkusen Rhein-Berg der IHK Köln, ist als Schatzmeister des Vereins WiW und als gebürtiger Wermelskirchener aber auch aus privater Begeisterung mit der Thematik befasst: „Ich mag das Kleinstadtflair. Man trifft hier immer jemanden, den man kennt, und man bekommt alles, was man braucht.“

Die Funktion des Tante-Emma-Ladens

Leerstände gibt es zwar, aber auch inhabergeführte Geschäfte mit echten Persönlichkeiten. Eine von ihnen ist Hans-Jürgen Theiß, der einen Laden führt, den vor hundert Jahren sein Großvater als Buchhandlung gegründet hat. Er hat ihn auf Schreibwarenbedarf umgestellt. „Wenn Schulkinder kommen und hier den ersten Füller ausprobieren, das macht richtig Spaß“, strahlt er. Ein Stück weit habe er auch „die Funktion des Tante-Emma-Ladens übernommen.“ Dazu gehören natürlich auch freundliche Wortwechsel, die den Verkauf begleiten – und so verlässt eine Kundin, die eine Karte gekauft hat, mit einem Lächeln das Gesicht.
Einen Spagat zwischen Metropole und Provinz machen Sandra Pina Pereira und Matthias Löffler, die in Hamburg und in Wermelskirchen den Gewürzhandel „Kräuterküche Karl Löffler & Co.“ betreiben. Die Unterschiede zur schnelllebigen Großstadt seien deutlich, sagt Sandra Pina Pereira: „Gespräche mit den Kunden sind hier tiefgehender und persönlicher.“ Wünschen würde sie sich ein intensiveres und zukunftsorientiertes Netzwerk, nicht nur für den Einzelhandel, sondern für alle Gewerbetreibenden in Wermelskirchen. Im Großen und Ganzen ist sie mit dem Standort sehr zufrieden.

Wandel als Erfolgsgeheimnis

Letzteres gilt auch für Thomas Wild, der in sechster Generation die Konditorei Wild führt. „Früher orientierte man sich in die Städte. Wenn ich mit meinem Vater nach Köln fuhr und wir vom Dom zum Rudolfplatz gingen, gab es dort elf Konditoreien, eine besser als die andere. Man hätte jeden für verrückt erklärt, der sagt, dass einmal Menschen aus Köln nach Wermelskirchen zu unserer Konditorei kommen.“ Doch genau das sei der Fall, sagt der Konditormeister und senkt die Stimme: „Unsere Kunden kommen, möchte ich fast sagen, aus ganz NRW. Das kommt mir noch immer unwirklich vor.“
Der Grund dafür liege zum Teil in der guten Erreichbarkeit des Ortes, teils aber auch an einer anderen Entwicklung: Mit Konditorei könne man kaum noch Einnahmen erzielen, die eine heutige Großstadtmiete decken. Mit außergewöhnlichen Torten und Pralinen hat sich Wild einen Ruf erarbeitet. Zugleich habe sich das Café, das in der Zeit seiner Großmutter ein Tanzlokal mit Billardtisch gewesen sei, immer wieder den Erfordernissen der Zeit angepasst: „Das ist das Geheimnis des Erfolgs, jede Generation hat für ihre eigene Zeit das Bestmögliche gemacht.“ Zusätzlich sei eben Wermelskirchen eine Kleinstadt mit vielen Individualisten, die der Stadt eine persönliche Note gäben.

Soziale Medien: die Brücke zur Kundschaft

Nicht weit entfernt ist „Bridemaker“ Jörg Michels aktiv, der weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist: „Ich kleide im Jahr 400 bis 500 Bräute aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ein“, berichtet er. Zu seinem Konzept gehören mehrere Geschäfte, „eine Hochzeitsstraße“ nennt er sie: Von Geschäften für Brautmode über Herrenausstatter bis zum Reisebüro offeriert er alles, was Paare für den Start in ein glückliches gemeinsames Leben nur suchen könnten. Mit Erfolg, aber auch mit Bedauern hat er sich in sozialen Netzwerken eine Präsenz aufgebaut: „Ich bin so, so gerne Verkäufer. Aber ich verbringe 90 Prozent der Zeit mit Dingen, die ich weniger gern mag, damit Menschen überhaupt zu mir kommen.“ Seine Philosophie: Statt darüber zu klagen, dass Kundinnen und Kunden heute lieber vom Sofa aus bestellen, müsse man eben in ihrem Wohnzimmer sichtbar werden.
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Bauchentscheidung für Wipperfürth

So verbinden die Händlerinnen und Händler vor Ort zusammen mit Stadtverwaltung und Marketingverein genau das, was auch der IHK-Studie zufolge das Erfolgskonzept einer Innenstadt ist, in der Menschen sich gerne aufhalten: ein gutes Einkaufserlebnis, Veranstaltungen, die dem sozialen Miteinander Raum geben, und innovative Konzepte zu Angebot, Verkauf und Vermarktung.
Knapp 20 Kilometer weiter setzt in Wipperfürth auch Rieke Berkenkamp auf soziale Medien und die Attraktivität der Lage. „Jeden Morgen und jeden Abend schreibe ich etwas auf Instagram, das ist ein festes Ritual“, schildert sie. Erst im Frühjahr 2024 haben sie und ihr Lebensgefährte sich selbstständig gemacht mit der Boutique RI:KE – von Nord nach West. Der Slogan spielt darauf an, dass sie aus dem norddeutschen Niebüll stammt. Von dort hat sie ein Faible für dänische Mode mitgebracht, die sie nun, zusammen mit Kollektionen deutscher und holländischer Firmen, in Wipperfürth anbietet. Als Gruß von der Küste gibt es zusätzlich Sylter Liköre und Gin. „Ich habe mich aus dem Bauch heraus für Wipperfürth entschieden. Es hat ein gemütliches Stadtbild und ich habe mich hier wohlgefühlt“, beschreibt die Unternehmerin.
Gegenüber hat Peter Wittfeld, dessen Frau seit zwölf Jahren das Geschenkhaus Waldmann führt, einen anderen Blick auf das kleine Zentrum, etwa die neue Gestaltung von Straße und Gehweg. Früher, sagt er, sei das ein klassischer, höherer Bordstein gewesen. Nun gibt es keine klare Unterscheidung mehr von Fußgängerbereich und Straße, der Bordstein ist durchweg abgesenkt. Das habe zur Folge, dass Autos in der engen Straße den Bürgersteig jetzt zum Überholen nutzen und Kinder keine klare Abgrenzung zwischen Bürgersteig und Fahrbahn erkennen, „das ist ein Riesenproblem“.
Lockdowns, Energiekrise und die Sorge vor Krieg hätten nach dem Abschluss der Bauarbeiten zusätzlich das Geschäft erschwert. Im Geschenkhaus, das einen Schwerpunkt bei Kochgeschirr, Porzellan und anderen Küchenwaren hat, setzt man auf besondere Aktionen wie Backvorführungen und ergänzende Angebote, etwa Kaffee aus einer besonderen Rösterei oder Messerschleiferei als zusätzliche Dienstleistung.

Ein gemütlicher Ort

Auch Barbara Pier hat in der „Wollkiste“ die Erfahrung gemacht, dass Verkauf alleine für den Umsatz nicht ausreichend ist. Sie veranstaltet jeden Nachmittag Strickkreise, deren Teilnehmerinnen bezahlen müssen.
Wirklich lukrativ sei es trotzdem nicht, aber das Geschäft ist für sie eine Herzensangelegenheit: „Meine Oma war Handarbeitslehrerin. Von ihr habe ich mit acht Jahren häkeln und stricken gelernt und die Nadeln seitdem nicht mehr aus der Hand gelegt.“
Zusammen mit einer gut vernetzten Anwohnerin setzt sie sich für ein schönes, belebtes Stadtbild ein und gewinnt immer wieder Mitstreiter für ihre Ideen: „Wenn die Stadt sagt, dass etwas nicht geht, suche ich einen anderen Weg. Wipperfürth ist gemütlich, schnuckelig, nur Mode für Teenager gibt es meinem Gefühl nach zu wenig.“ So wie die anderen Geschäftsleute in Wipperfürth, Wermelskirchen und Brühl macht sie sich dafür stark, dass die Region auch in Zukunft noch belebte, lebenswerte Zentren hat.
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Leiterin Wirtschaft und Politik