IHKplus 3.2024 | Einblick

Ehrenamtliche Richterinnen und Richter: „Man lernt sehr viel"

Ehrenamtliche Richterinnen und Richter erzählen von ihrer spannenden Aufgabe.
„Als Forscher bin ich naturgemäß neugierig, also hat mich diese Möglichkeit interessiert, als ich darauf angesprochen wurde“, sagt Richard Geibel. Er ist, neben seiner Tätigkeit als Institutsleiter und einer Professur an der IU International University of Applied Sciences, Handelsrichter am Landgericht Köln. Die Besonderheit: Handelsrichter sind ehrenamtlich tätig – und der Ausbildung nach durchweg keine Juristen. „Sie bringen kaufmännischen Sachverstand ein“, erklärt Roland Ketterle, Präsident des Kölner Landgerichtes.
Als Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaft werden sie von der IHK vorgeschlagen und, nach einer formalen Prüfung, vom Gericht für diese Funktion ernannt. Der Wert diese Ehrenamtes für das Gericht sei groß, so der Gerichtspräsident. Mal erweist sich ihre Fähigkeit, Bilanzen zu lesen, als wertvoll, mal auch ihr Blick hinter die Kulissen: „Zu wissen, welches Unternehmen mit welchem verbandelt ist – das ist von großer Bedeutung.“ Zugleich seien die Handelsrichter Botschafter: „Sie unterstützen das wechselseitige Verstehen, sorgen für einen demokratischen Effekt und bürgerschaftliche Rückkoppelung.“

„Ein Wort von Kaufmann zu Kaufmann"

„Die Vorsitzenden sind brillant juristisch ausgebildet, aber sie haben nicht die Expertise aus dem unternehmerischen Alltag – etwa, dass in bestimmten Kontexten E-Mails heute durchaus üblich sind, wo man früher eine Unterschrift und einen Stempel gebraucht hätte“, beschreibt Sebastian Wolfram. Auch er ist neben seiner Tätigkeit als kaufmännischer Geschäftsführer eines IT-Unternehmens Handelsrichter und investiert dafür rund einmal im Monat gut einen halben Tag, denn: „Es motiviert mich, einen Beitrag zugunsten der Wirtschaft und des Rechtssystems zu leisten. Ich finde am Konzept des Handelsrichters toll, dass wir aktuelles Wirtschaftsgebaren in die Urteilsfindung einfließen lassen können.“ Spannend findet er auch, dass in festgefahrenen Verhandlungen manchmal das Wort eines Handelsrichters „von Kaufmann zu Kaufmann“ viel bewirkt und zuvor unvorstellbare Vergleiche plötzlich möglich macht.
Seit sechs Jahren hält Richard Geibel sich einen Tag im Monat frei, um mit einem weiteren Handelsrichter und einem Berufsrichter über Streitfälle aus der Wirtschaft zu verhandeln. Mitunter gehe es um Fragen, mit denen er auch als Mentor von Start-ups konfrontiert sei, etwa: „Gehört eine Domain einer Person oder einer Firma? Durch die Digitalisierung muss das klassische Wettbewerbs- und Kartellrecht auch in der digitalen Welt abgebildet werden. Wenn ich durch meine Kompetenz etwas dazu beisteuern kann, freut mich das besonders.“
Den unbezahlten Zeitaufwand empfindet er als einen Weg, gute Erfahrungen zurückzugeben: „Die IHK hat mir bei der Gründung meiner ersten Firma sehr geholfen, und auch das Gemeinwesen hat viel für mich getan: Ich war zehn Jahre lang in Köln, zunächst als Doktorand und anschließend als Dozent, an der Uni tätig, vorher zehn Jahre an der RWTH Aachen. Ich denke, was wir hier haben, sollten wir schützen und bewahren.“

Immer geht es auch um Emotionen

Oft, sagt Geibel, gehe es bei den Gerichtsprozessen nicht allein um Geld – im Hintergrund seien immer auch Emotionen. Auch Sebastian Wolfram beschreibt: „Vieles dreht sich am Ende nicht um nüchterne, substanzielle, rechtliche Fragen, sondern entweder um schlecht dokumentierte Verabredungen oder um Prinzipienreiterei.“
Spektakulär sei für ihn das Verfahren der Deutschen Bank gegen Sal. Oppenheim gewesen: „Nicht nur, dass da diese drei, vier Kölner Persönlichkeiten auf der Beklagtenseite saßen, jeder mit einer großen Armee an Anwälten – es ging zudem um einen Streitwert im dreistelligen Millionenbereich, das ist außergewöhnlich.“
Auch abseits der großen Fälle nimmt man wertvolle Eindrücke mit, beschreiben beide Handelsrichter. „Ob zwei Parteien sich aufeinander zu oder auseinander bewegen, hängt entscheidend von der Moderationsfähigkeit des Vorsitzenden ab. Diesbezüglich lernt man in diesem Ehrenamt viel – und das hilft auch im eigenen beruflichen Alltag ungemein“, findet Richard Geibel.

Laien besonders gefragt

Während bei den Handelsrichtern die wirtschaftliche Expertise zum Tragen kommt, schätzt man am Finanzgericht, dessen Prozesse sich um Steuerstreitigkeiten drehen, gerade Steuerrechtslaien im Ehrenamt. Knapp die Hälfte der ehrenamtlichen Richter kommt über den Vorschlag der IHK, andere über andere Institutionen oder sie bewerben sich selbst. Regelmäßig kommen die ehrenamtlichen Finanzrichterinnen und -richter in sehr bedeutenden und komplexen Verfahren zum Einsatz, die in einem Senat, dem jeweils drei Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter angehören, verhandelt werden.
Dass die Streitigkeiten immer komplexer werden, bestätigt auch Sandra Mortsiefer, Unternehmensberaterin und seit fast 20 Jahren ehrenamtliche Richterin am Finanzgericht Köln: „Früher bekamen wir zu einem Fall zwei, drei leicht verständliche Seiten zu lesen, inzwischen ist es manchmal das Zehnfache – und so komplex, dass ich als Steuerrechtslaie an meine Grenzen komme.“ Dennoch schätzt sie ihre Aufgabe sehr: „Mich fasziniert es, hier wirklich eine Kontrollfunktion zu haben. Was für den Laien nicht nachvollziehbar ist, erklärt uns der Vorsitzende. Eine Entscheidung fällt erst, wenn wir sie verstanden haben. Das stärkt mein Vertrauen in die Gerichtsbarkeit unseres Landes sehr.“

Ehrenamt spiegelt den Blick der Bürgerinnen und Bürger

„Dass man den Fall erst einmal erklären muss, ist der ganz große Benefit“, so Dr. Jürgen Hoffmann, Vorsitzender des Senats, dem Mortsiefer angehört: „Diese demokratische Rückkoppelung ist das Ziel.“ Schließlich sollen die Bürgerinnen und Bürger den Richterspruch nachvollziehen können. Mit einem Besuchereingang, der einen der Gerichtsäle direkt mit der Straße verbindet, legt der älteste Teil des Kölner Finanzgerichtes bis heute Zeugnis davon ab, dass hier im 19. Jahrhundert die französischen Rechtsgrundsätze von Öffentlichkeit und Mündlichkeit Einzug in das deutsche Rechtssystem hielten: „Zuvor sah das preußische Recht Geheimverhandlungen vor“, sagt Hoffmann.
Roben tragen die Ehrenamtlichen am Finanzgericht nicht, doch auch sie sind voll stimmberechtigt – und ihre Stimme hat gleichrangiges Gewicht, sagt Hoffmann: „Es passiert selten, aber ich habe es schon erlebt, dass die zwei ehrenamtlichen Richter eines Senates zusammen mit einem Berufsrichter die anderen beiden Berufsrichter überstimmt haben.“
HANDELSRICHTERINNEN UND HANDELSRICHTER
75 Handelsrichterinnen und Handelsrichter gibt es derzeit am Kölner Landgericht. Sie vertreten einen Mix an Branchen und Generationen, sind voll stimmberechtigt und tragen – anders als Schöffen und ehrenamtliche Finanzrichter – auch eine Robe. Für die Aufgabe kommt in Frage, wer Mitglied eines Unternehmensvorstandes oder einer Geschäftsführung ist oder Prokura hat. Die Ernennung erfolgt für fünf Jahre und kann bei Interesse verlängert werden.

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