IHKplus 2.2024 | Einblick

Einigung statt Streit

Der Großteil der rund 20.000 bei der IHK Köln eingetragenen Ausbildungsverhältnisse verläuft bis zum Abschluss unproblematisch. Wenn es doch zu Konflikten kommt, ist der von der IHK Köln eingerichtete Schlichtungsausschuss die erste Anlaufstelle. Die Schlichter und Schlichterinnen können die meisten Streitigkeiten erfolgreich beilegen – und so teure Gerichtsprozesse vermeiden.
Mit starrem Gesichtsausdruck sitzt der 18-jährige Auszubildende neben seinem Ausbildungsleiter. Seit mehreren Wochen sind die Fronten verhärtet, im Betrieb reden die beiden kaum noch miteinander. Die Atmosphäre ist angespannt. Ihnen gegenüber sitzen zwei Mitglieder des Schlichtungsausschusses der IHK Köln – einer vertritt die Arbeitgeber-, der andere die Arbeitnehmerseite. Als unparteiische Schlichtende sollen sie helfen, die Wogen zu glätten und eine außergerichtliche Einigung herbeizuführen. Das Prozedere ist klar vorgegeben: Zunächst trägt jeder seine Schuldvorwürfe vor, die Gegenseite hört zu.
Bei Meinungsverschiedenheiten versuche ich, als Schlichter zu vermitteln. Dabei gelingt es häufig, die zerstrittenen Parteien wieder auf den gemeinsamen Weg einer erfolgreichen Ausbildung zurückzuführen
— Ernst Busch, Schlichter
Der Jüngere beginnt: Der Betrieb habe nicht ordnungsgemäß ausgebildet, er sei zum Beispiel für ausbildungsfremde Tätigkeiten eingesetzt worden. Außerdem seien geleistete Überstunden nicht abgegolten worden. Die Vorwürfe des Betriebs: Der Auszubildende sei regelmäßig zu spät erschienen und seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen. Überstunden seien bezahlt worden.

90 Prozent aller Schlichtungsverfahren sind erfolgreich

So könnte ein typisches Schlichtungsverfahren zwischen Auszubildenden und ausbildendem Betrieb beginnen. Doch auch wenn die Situation zunächst festgefahren und eine Einigung fast unmöglich scheint, sind die ehrenamtlichen Schlichterinnen und Schlichter der IHK Köln in circa 90 Prozent aller Schlichtungsverfahren erfolgreich: Die vormals zerstrittenen Parteien einigen sich auf eine einvernehmliche Lösung.
Bei Streitigkeiten zwischen Unternehmen und Azubi gilt: „Die Parteien müssen bei Streitigkeiten immer erst zum Schlichtungsausschuss, sie können nicht direkt vor das Arbeitsgericht gehen“, erklärt Vera Lange, Leiterin Prüfungswesen Fortbildung und Bildungsrecht bei der IHK Köln. Angesichts der hohen Erfolgsquote ist die kostenfreie Schlichtung ein ideales Vorgehen, um dem Gericht und beiden Parteien viel Zeit, Mühe und Kosten zu ersparen.
Der Antrag auf Schlichtung wird meist vom Azubi gestellt. Hauptsächlich, weil er gekündigt wurde und dagegen vorgehen will. Weitere Gründe für Konflikte sind meist unentschuldigte Fehlzeiten, aber auch Uneinigkeiten über Dienstzeiten,  Arbeitseinsätze oder ausstehende Ausbildungsvergütung.
Wenn sich beide Parteien am Ende der Schlichtung einigen, kommt es zu einem Vergleich, der schriftlich festgehalten wird. Wenn keine Einigung möglich ist, fällen die beiden Schlichtenden einen sogenannten Spruch. Stimmen beide Parteien diesem zu, ist er rechtskräftig. Nimmt nur eine Partei den Spruch nicht an, können beide vor dem Arbeitsgericht klagen.

Schlichterinnen und Schlichter kommen aus der Praxis

Einen Streit zu schlichten, ist keine leichte Aufgabe – wer also hat das Zeug zu diesem Ehrenamt? „Man sollte  lösungsorientiert denken und die Perspektiven wechseln können“, sagt Lange. Ebenso gehört Empathie zu den Voraussetzungen. Kein Problem, denn die meisten Schlichterinnen und Schlichter sind oder waren in der betrieblichen Ausbildung tätig. Ihnen sind mögliche Konflikte und Lösungsansätze also aus der Alltagspraxis bekannt.
Viele der Ehrenamtlichen treibt vor allem der Gedanke an, etwas Gutes zu tun und zu helfen. „Mir macht es Freude und Spaß, wenn ich erlebe, dass die Parteien sich doch noch einigen. Und wenn nicht – was glücklicherweise selten vorkommt – sag ich mir: Was soll´s, einen Versuch ist es immer wert“, sagt Rolf-Frank Conradi, seit 2007 Schlichter bei der IHK Köln.

Ein Schlichtungstermin pro Quartal für Ehrenamtliche

Wer sich für das Ehrenamt interessiert, kann zunächst bei Schlichtungen hospitieren, um Eindrücke und Erfahrung zu sammeln. Im Takt von zwei Wochen bietet die IHK drei Schlichtungstermine pro Tag an. Im Schnitt nimmt jeder und jede Ehrenamtliche einen Termin pro Quartal wahr.
„Dass bei einer Schlichtung (fast) alles möglich ist, zeigt ein aktueller Fall, bei dem mehrere Azubis gemeinsam die Berufsschule geschwänzt unn auch gemeinsam die Entschuldigung gefälscht hatten", berichtet Vera Lange, Leiterin Prüfungswesen und Bildungsrecht. Als die betrügerische Aktion aufflog, habe das Ausbildungsunternehmen den Jugendlichen gekündigt. Die Azubis dagegen sahen in ihrem Vorgehen nur einen harmlosen Streich und wollten die Kündigungen nicht hinnehmen. So folgte beim Schlichtungstermin die detaillierte Aussprache über den Vorfall.
Vera Lange: „Einer der Azubis hat im Laufe der Schlichtung die Einschätzung des Betriebes über die Aktion nachvollzogen, seinen Fehler eingesehen und das Ausbildungsunternehmen um Entschuldigung gebeten.“ Anders als die anderen habe er darauf verzichtet, die Schuld seinen Mit-Azubis in die Schuhe zu schieben. „Er erhält nun eine zweite Chance, seine Ausbildung dort erfolgreich abzuschließen. Das Unternehmen hat diese Kündigung zurückgenommen.“
Hintergrund
14 Ehrenamtliche Schlichterinnen und Schlichter
50 Schlichtungen
46 Einigungen

IHK Köln, Stand: 2022
Vera Lange
Leiterin Prüfungswesen Fortbildung und Bildungsrecht