IHK-Merkblatt (Stand: in Bearbeitung im März 2024)
Abmahnung und Kündigung
- 1. Abmahnung
- 1.1. Allgemeines
- 1.2. Voraussetzungen
- 1.3. Entbehrlichkeit einer Abmahnung
- 2. Die Kündigung
- 2.1. Allgemeines
- 2.2. Die ordentliche Kündigung
- 2.3. Die außerordentliche Kündigung
- 2.4. Die Änderungskündigung
- 2.5. Im Anschluss an die Kündigung
- 3. Kündigungsschutzgesetz
- 3.1. Allgemeines
- 3.2. Personenbedingte Kündigung
- 3.3. Verhaltensbedingte Kündigung
- 3.4. Betriebsbedingte Kündigung
- 4. Erschütterung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
1. Abmahnung
1.1. Allgemeines
Die Abmahnung stellt eine Rüge der Unternehmen dar, mit der sie in einer für die Angestellten hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise Fehlverhalten beanstanden. Die Abmahnung erfüllt auch eine Warnfunktion und ist im Gegensatz zur Kündigung das mildere Mittel. Daher ist vor dem Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung regelmäßig eine vorherige Abmahnung des Betriebs erforderlich. Die Angestellten sollen dadurch die Chance erhalten, ihr Fehlverhalten in Zukunft zu ändern.
1.2. Voraussetzungen
Eine Abmahnung bedeutet, dass Arbeitgebende in einer für die angestellte Person hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise Beanstandungen vorbringt, indem er
- den Arbeitnehmer auf seine arbeitsvertraglichen Pflichten aufmerksam macht und
- ihn zugleich für die Zukunft zu einem vertragsgetreuen Verhalten auffordert und
- individualrechtliche Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung androht, insbesondere auf die im Wiederholungsfall bestehende Gefährdung des Arbeitsverhältnisses hinweist.
Bei Ausspruch einer Abmahnung ist stets auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu achten. Dadurch sollen schwerwiegende Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Verstößen vermieden werden. Der Arbeitgeber sollte also im Vorfeld eines Fehlverhaltens entscheiden, wie schwerwiegend die Pflichtverletzung war und ob er diese förmlich abmahnen möchte.
Die Abmahnung bedarf keiner besonderen Form, sollte jedoch stets schriftlich erfolgen. Dies liegt daran, dass der Arbeitgeber in einem späteren Kündigungsschutzprozess dafür beweispflichtig ist, dass er die Abmahnung tatsächlich ausgesprochen hat.
Die Abmahnung sollte unverzüglich nach dem Fehlverhalten erfolgen, obwohl der Arbeitgeber grundsätzlich nicht an Fristen gebunden ist. Die Abmahnung selbst wird jedoch in ihrer Wirkung geschwächt, wenn ein Fehlverhalten erst nach geraumer Zeit gerügt wird und der Arbeitnehmer sich in der Zwischenzeit an seine arbeitsvertraglichen Pflichten gehalten hat. Das könnte dazu führen, dass dieses weit zurückliegende Fehlverhalten im Rahmen einer Kündigung keinen Kündigungsgrund mehr darstellen kann.
Eine zu ihrer Zeit voll wirksame, berechtigt ausgesprochene Abmahnung verliert jedoch auch mit der Zeit ihre Wirkung. Für den konkreten Zeitraum gibt es keine gesetzlichen Vorgaben. Jedoch kann bei einer verhaltensbedingten Kündigung, die erst nach einem längeren Zeitraum erfolgt, im Einzelfall eine weitere vorherige Abmahnung erforderlich sein.
Der Arbeitgeber darf keine pauschalen Rügen in die Abmahnung aufnehmen, sondern muss stets ein konkretes Fehlverhalten rügen. Nur so weiß der Arbeitnehmer, dass ein bestimmtes Verhalten nicht mehr hinnehmbar ist und er dieses in Zukunft einstellen muss.
Der Arbeitgeber sollte vor einer Abmahnung - und auch vor einer personen- oder verhaltensbedingten Kündigung - dem Arbeitnehmer stets die Gelegenheit zur Stellungnahme geben.
1.3. Entbehrlichkeit einer Abmahnung
Eine Abmahnung muss im Einzelfall nicht ausgesprochen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen wird. Das betrifft die Fälle,
- bei denen erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht den Willen hat, sich vertragsgerecht zu verhalten. Ist dem Arbeitnehmer sein vertragswidriges Verhalten bewusst und setzt er dennoch uneinsichtig und hartnäckig seine Pflichtverletzungen fort, so liefe die Warnfunktion der Abmahnung ins Leere und der Arbeitgeber müsste auch künftig mit Pflichtverletzungen rechnen.
- in denen besonders schwere Verstöße vorliegen, da der Arbeitnehmer von vornherein nicht mit der Billigung seines Verhaltens rechnen kann und er sich bewusst sein muss, dass sein Arbeitsplatz gefährdet ist.
Besonders schwerwiegende Verstöße sind beispielsweise Diebstahl oder Betrug, Annahme von Schmiergeldern und eigenmächtig genommener Urlaub.
2. Die Kündigung
2.1. Allgemeines
Die Kündigung stellt in der Praxis die wichtigste Art der Beendigung von Arbeitsverhältnissen dar. Die Kündigung muss stets schriftlich erfolgen, der Angabe eines Grundes bedarf es für ihre Wirksamkeit jedoch nicht. Der gekündigte Arbeitnehmer hat aber Anspruch auf Mitteilung des Grundes, damit er die Kündigung auf ihre Rechtmäßigkeit hin prüfen kann. Der Arbeitgeber hat stets die speziellen Kündigungsbestimmungen für besonders schutzwürdige Arbeitnehmer wie z.B. Schwangere oder Schwerbehinderte zu beachten. Daneben gelten auch in Ausbildungsverhältnissen abweichende Regelungen.
Der Betriebsrat ist - sofern es ihn gibt - grundsätzlich vor jeder Kündigung anzuhören. Eine ohne vorherige Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung ist immer unwirksam.
Im Rahmen von Kündigungen ist grundsätzlich zwischen Kleinbetrieben und solchen, die an das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) gebunden sind, zu unterschieden. Betriebe, die vom KSchG erfasst sind, unterliegen bei der Kündigung strengeren Voraussetzungen als Kleinbetriebe.
2.2. Die ordentliche Kündigung
Die ordentliche Kündigung ist die ‚normale’ Kündigung eines Arbeitsverhältnisses. Sie kann in der Regel nur zu bestimmten Terminen oder unter Einhaltung bestimmter Kündigungsfristen erfolgen. Diese Fristen können durch Tarif- oder Arbeitsvertrag von den gesetzlich vorgegebenen Fristen abweichen. Weitere Informationen finden Sie in unserem Merkblatt zum Thema "Kündigungsfristen im Arbeitsrecht".
2.3. Die außerordentliche Kündigung
Bei einer außerordentlichen Kündigung sieht das KSchG keinen besonderen Kündigungsschutz vor. Jedoch gilt auch hier bei Betrieben, auf die das KSchG grundsätzlich anwendbar ist, die Klagefrist von 3 Wochen, die der Arbeitnehmer einhalten muss, wenn er gegen eine außerordentliche Kündigung seitens des Arbeitgebers vorgehen möchte.
Bei der außerordentlichen Kündigung ist ein wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses erforderlich. Das bedeutet, dass Tatsachen vorliegen müssen, aufgrund derer dem Kündigenden eine Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. An den wichtigen Grund sind grundsätzlich hohe Anforderungen zu stellen. Ein wichtiger Grund kann beispielsweise bei Einstellungsbetrug oder beharrlicher Arbeitsverweigerung in Betracht kommen. Im Einzelfall kann bei der außerordentlichen Kündigung auch eine vorherige Abmahnung erforderlich sein.
Die außerordentliche Kündigung muss schriftlich innerhalb von 2 Wochen nach Kenntnis des zur Kündigung berechtigenden wichtigen Grundes erfolgen. Der Grund ist im Kündigungsschreiben nicht zwingend anzugeben. Jedoch kann es in der Praxis sinnvoll sein, den Grund dennoch anzugeben, damit der Arbeitnehmer nachvollziehen kann, warum die Kündigung erfolgte. Zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit hat der Arbeitnehmer gegenüber seinem Arbeitgeber daneben einen Anspruch auf Auskunft über den zugrunde liegenden Grund.
2.4. Die Änderungskündigung
Der Arbeitgeber hat nicht das Recht, den Arbeitsvertrag einseitig, ohne Einvernehmen des Arbeitnehmers, zu ändern. Die Abänderung des ursprünglichen Vertrages ist nur mit einem neuen Arbeitsvertrag möglich. Das heißt, wenn beide Parteien zustimmen, kann der Arbeitsvertrag mit denen vom Arbeitgeber angestrebten Änderungen neu vereinbart werden. Stimmt der Arbeitnehmer den vorgeschlagenen Änderungen nicht zu, so muss der Arbeitgeber den bisherigen Vertrag ordnungsgemäß kündigen, um in einem neuen Vertrag seine Änderungswünsche niederzulegen.
Eine Änderungskündigung liegt demnach dann vor, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis kündigt und in diesem Zusammenhang gleichzeitig ein neues Vertragsangebot unterbreitet. Die Änderungskündigung stellt also eine echte Kündigung dar, sodass bei den betreffenden Betrieben die Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes zu beachten sind.
Dem Arbeitnehmer steht es zu, die Änderungskündigung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung der sozialen Rechtfertigung durch das Arbeitsgericht anzunehmen.
2.5. Im Anschluss an die Kündigung
Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer im Anschluss an eine Kündigung auf dessen Verlagen hin eine angemessene Zeit zur Suche eines neuen Arbeitsverhältnisses zu gewähren. Dabei ist gleichgültig, welche Partei das bestehende Arbeitsverhältnis gekündigt hat.
Der restliche Jahresurlaub ist – wenn möglich – noch in natura während der Kündigungsfrist zu gewähren. Sollte dies z.B. aus betrieblichen Gründen nicht möglich sein, oder aber eine fristlose Kündigung erfolgt sein, so ist der Urlaubsanspruch abzugelten.
Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer ein einfaches Zeugnis über die Art und Dauer der Beschäftigung zu erteilen. Auf ausdrückliches Verlangen des Arbeitgebers ist ein qualifiziertes Zeugnis mit zusätzlichen Angaben zu Leistung und Führung im Dienst zu erteilen. Weitere Informationen erhalten Sie in unserem Merkblatt "Arbeitszeugnis".
3. Kündigungsschutzgesetz
3.1. Allgemeines
Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) findet Anwendung, wenn eine bestimmte Anzahl von Arbeitnehmern beschäftigt wird und der von der Kündigung betroffene Arbeitnehmer selbst schon länger als 6 Monate bei dem Betrieb beschäftigt ist.
Ab einer Anzahl von 11 Arbeitnehmern gilt das KSchG zwingend, bei weniger Arbeitnehmern gelten aufgrund von Gesetzesänderungen gewisse Übergangsregelungen bezüglich der Anwendbarkeit. Bei weniger als 5 Arbeitnehmern findet das KSchG jedenfalls keine Anwendung. Auszubildende bleiben bei der diesbezüglich relevanten Anzahl von Arbeitnehmern unberücksichtigt. Teilzeitbeschäftigte werden entsprechend ihrer wöchentlichen Arbeitszeit mit in die Anzahl einbezogen. Ein Teilzeitbeschäftigter wird bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5, bei einer regelmäßigen Wochenarbeitszeit von nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 mit berücksichtigt.
Zweck des Kündigungsschutzgesetzes ist es, sozial ungerechtfertigte Kündigungen zu verhindern. Will der Arbeitnehmer gegen die Kündigung vorgehen, so muss er innerhalb von 3 Wochen nach Zugang der Kündigung vor dem Arbeitsgericht Klage erheben.
Eine Kündigung ist grundsätzlich sozial ungerechtfertigt, wenn
- die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 Betriebsverfassungsgesetz verstößt
- der Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz des Betriebes weiterbeschäftigt werden kann und der Betriebsrat widersprochen hat
- die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist
- eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Arbeitsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat und der Betriebsrat der Kündigung widersprochen hat
Eine Kündigung ist dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch in der Person oder im Verhalten des Arbeitnehmers liegende Gründe oder durch dringende betriebliche Erfordernisse bedingt ist.
3.2. Personenbedingte Kündigung
Die personenbedingte Kündigung knüpft an die persönlichen Eigenschaften des Arbeitnehmers selbst an. Ein personenbedingter Kündigungsgrund liegt danach vor, wenn ein Arbeitnehmer objektiv nicht (mehr) in der Lage ist, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, wenn er also die Fähigkeit oder Eignung zur Erbringung der Arbeitsleistung verloren hat. Hierzu zählen mangelnde körperliche oder geistige Eignung, wobei ein Verschulden seitens des Arbeitnehmers nicht erforderlich ist. Weitere Beispiele sind eine fehlende Arbeitserlaubnis, eine Arbeitsverhinderung wegen Haft oder der Verlust des Führerscheins als erforderliche Berufsausübungserlaubnis.
Die Krankheit als solche ist kein Kündigungsgrund. Jedoch können langfristige Erkrankungen eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen, wenn
- der Arbeitnehmer in der Vergangenheit langfristig erkrankt war und
- bei vorausschauender Betrachtungsweise auch in Zukunft mit langfristiger Erkrankung zu rechnen ist und
- es infolge der Krankheit zu betrieblichen Störungen kommt und
- eine Versetzung des Erkrankten nicht möglich ist.
Welche Zeitspanne eine langfristige Erkrankung bedeutet, richtet sich jeweils nach dem Einzelfall. So muss bei einem langfristig Beschäftigten ein längerer Zeitraum zugrunde gelegt werden als bei einem erst kurzfristig Beschäftigten.
3.3. Verhaltensbedingte Kündigung
Bei einer verhaltensbedingten Kündigung wird nicht auf die Eigenschaften des Arbeitnehmers, sondern auf sein Verhalten abgestellt. Insbesondere kommen hier Verletzungen der arbeitsvertraglichen Pflichten in Betracht. Typische Beispiele sind ständiges Zuspätkommen, unzulässige Nebentätigkeiten, Verletzung von Anzeige- und Nachweispflichten im Krankheitsfall oder Beleidigungen von Vorgesetzten. Die verhaltensbedingte Kündigung stellt dabei keine Sanktion für vergangenes Fehlverhalten dar, sondern soll gegen daraus resultierende künftige negative Auswirkungen vorgehen. Bei der verhaltensbedingten Kündigung ist regelmäßig eine vorherige Abmahnung erforderlich.
3.4. Betriebsbedingte Kündigung
Bei einer betriebsbedingten Kündigung ist erforderlich, dass einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers dringende betriebliche Erfordernisse entgegenstehen. Dabei kann der Arbeitgeber eine gerichtlich nicht überprüfbare unternehmerische Entscheidung treffen, die sich z.B. auf Umsatzrückgänge, Änderung der Produktionsabläufe oder Stilllegungen von Betriebsstätten beziehen kann. Der Arbeitgeber kann aber in der Folge dahingehend beweispflichtig sein, dass die Kündigung gerade aufgrund der unternehmerischen Entscheidung erfolgt ist.
Die Kündigung muss im dringenden Interesse des Betriebes erfolgt sein. Sie ist folglich nicht zulässig, wenn weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Typische Beispiele dafür sind Kurzarbeit, Abbau von Überstunden oder anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit im Betrieb, evtl. nach vorherigen Umschulungen.
Vor einer betriebsbedingten Kündigung ist zwingend eine Sozialauswahl vorzunehmen. Die Sozialauswahl richtet sich nach folgenden Kriterien:
- Dauer der Betriebszugehörigkeit
- Lebensalter
- Unterhaltspflichten
- Schwerbehinderung des Arbeitnehmers
Das Merkmal ‚Lebensalter’ ist grundsätzlich kritisch zu sehen, dürfte hier jedoch trotz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das Ungleichbehandlungen u.a. wegen des Alters untersagt, zulässig sein. Es stellt nur ein Kriterium von mehreren dar und kann für sich betrachtet, ohne Einbeziehung der Besonderheiten des Betriebes, in der Regel nicht zu einer gerechtfertigten Entscheidung des Arbeitgebers führen. Das Merkmal berücksichtigt die Tatsache, dass jüngere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt leichter eine neue Anstellung finden können als ältere Arbeitnehmer.
Ist der Arbeitnehmer der Auffassung, dass die betriebsbedingte Kündigung sozial ungerechtfertigt sei, so kann er Klage vor dem Arbeitsgericht erheben. Er hat alternativ jedoch die Möglichkeit, auf die Klageerhebung zu verzichten, indem er die Klagefrist verstreichen lässt und stattdessen eine Abfindung verlangt. Diese Vorgehensweise setzt voraus, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in seiner Kündigungserklärung ausdrücklich auf den Kündigungsgrund und auf die Möglichkeit einer Abfindung hingewiesen hat.
Praxistipp: Sobald das Kündigungsschutzgesetz eingreift, darf eine Kündigung nur noch aus verhaltens-, personen- oder betriebsbedingten Gründen erfolgen. Ist das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar, muss der Arbeitgeber lediglich prüfen, ob eine Sonderkündigungsschutzvorschrift eingreift und welche Kündigungsfrist er zu beachten hat.
4. Erschütterung des Beweiswertes von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hat zur Frage der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entschieden (LAG Schleswig-Holstein v. 02.05.2023 – 2 Sa 203/22).
Wer in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Kündigung während der gesamten Kündigungsfrist der Arbeit aufgrund eingereichter Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen fernbleibt, muss damit rechnen, dass er unter Umständen keine Entgeltfortzahlung beanspruchen kann. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Urteil vom 2. Mai 2023, 2 Sa 203/22) hat in Auseinandersetzung mit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. September 2021 (Az. 5 AZR 149/21) den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in einer Gesamtbetrachtung aller Indizien als erschüttert angesehen. Im Rahmen der erforderlichen Beweisaufnahme konnte die Klägerin das Gericht nicht von ihrer Arbeitsunfähigkeit überzeugen.
Die als Pflegeassistentin beschäftigte Klägerin hatte am 4. Mai 2022 mit Datum 5. Mai 2022 ein Kündigungsschreiben zum 15. Juni 2022 verfasst und darin u. a. um die Zusendung einer Kündigungsbestätigung und der Arbeitspapiere an ihre Wohnanschrift gebeten. Sie bedankte sich für die bisherige Zusammenarbeit und wünschte dem Unternehmen alles Gute. Die Klägerin erschien ab dem 5. Mai 2022 nicht mehr zur Arbeit und reichte durchgehend bis zum 15. Juni 2022 und damit genau für sechs Wochen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein. Die beklagte Arbeitgeberin zahlte keine Entgeltfortzahlung. Die Zahlungsklage blieb anders als beim Arbeitsgericht Lübeck (Urteil vom 23. November 2022, 5 Ca 973/22) vor dem Landesarbeitsgericht erfolglos.
Das Landesarbeitsgericht verweist zunächst auf den hohen Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Der Arbeitgeber kann diesen Beweiswert nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt. Eine Erschütterung kommt nicht nur dann in Betracht, wenn sich ein Arbeitnehmer in Zusammenhang mit seiner Kündigung einmal zeitlich passgenau bis zum Ablauf der Kündigungsfrist krankschreiben lässt. Im Rahmen einer Gesamtbetrachtung ist der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch erschüttert, wenn die Krankschreibung aufgrund mehrerer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen durchgehend bis zum Ende der Kündigungsfrist andauert, diese punktgenau den maximalen Entgeltfortzahlungszeitraum von sechs Wochen umfasst und sich aus dem Kündigungsschreiben ergibt, dass der Verfasser von vornherein nicht mehr mit seiner Anwesenheit rechnet.
Bei der Beweiswürdigung stellt das Landesarbeitsgericht entscheidend darauf ab, dass nach seiner Überzeugung die Klägerin ihrem Arzt Beschwerden vorgetragen hat, die tatsächlich nicht bestanden haben.
Quelle: Pressemitteilung des Gerichts vom 23.06.2023, Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein
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