Neues zur Arbeitszeiterfassung
Bisheriger Stand zur Arbeitszeiterfassung
Im Arbeitszeitgesetz (ArbZG) gibt es aktuell keine Verpflichtung zur generellen Aufzeichnung der Arbeitszeit.
Nach § 16 Abs. 2 ArbZG sind Arbeitgeber verpflichtet, die über die werktägliche Arbeitszeit nach § 3 Satz 1 ArbZG hinausgehende Arbeitszeit der Arbeitnehmer aufzuzeichnen. Es galt somit bisher schon, dass Überstunden und die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen aufgezeichnet werden müssen.
Gesonderte Aufzeichnungspflichten gelten bereits zudem u.a. für:
- Geringfügig Beschäftigte (Minijobber), § 17 Abs. 1 Mindestlohngesetz (MiLoG)
- Arbeitnehmer in den in § 2a Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz (SchwarzArbG) genannten Wirtschaftsbereichen
- Arbeitnehmer im Straßentransport, § 21a Abs. 7 ArbZG
- Arbeitnehmer in der Fleischwirtschaft, § 6 Abs. 1 Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischwirtschaft (GSA Fleisch)
- bestimmte Arbeitnehmer im Anwendungsbereich des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG), § 19 Abs. 1 AEntG
- bestimmte Leiharbeitnehmer, § 17c Abs. 1 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)
Bislang war die überwiegende Auffassung, dass im deutschen Recht keine allgemeine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung existiert. Für alle überraschend hat das BAG aber nun entschieden, dass bereits jetzt eine generelle Aufzeichnungspflicht besteht.
Entscheidung BAG 13.09.2022 – generelle Arbeitszeiterfassung
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt hat am 13.9.2022 beschlossen, dass der Arbeitgeber nach § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) generell verpflichtet ist, ein System einzuführen, mit dem die von den Arbeitnehmern geleistete Arbeitszeit erfasst werden kann.
Der Europäische Gerichtshof hatte bereits 2019 entschieden, dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union verpflichtet sind, Arbeitszeitgesetze zu erlassen, die eine Regelung enthalten, mit der die Arbeitszeiten verbindlich und objektiv gemessen werden können. Eine entsprechende gesetzliche Regelung ist in Deutschland jedoch noch nicht umgesetzt. Bislang waren daher nur einige Brachen von der Verpflichtung betroffen.
Der Beschluss des BAG betrifft nunmehr jedoch alle Branchen.
Dabei beinhaltet der Beschluss die grundsätzliche Verpflichtung des Arbeitgebers, ein System zur Erfassung der von seinen Arbeitnehmern geleisteten täglichen Arbeitszeit einzuführen, das Beginn und Ende und damit die Dauer der Arbeitszeit einschließlich der Überstunden umfasst. Zudem müssen die Arbeitszeiten nicht nur erhoben werden, sondern diese Daten müssen vielmehr so erfasst und damit aufgezeichnet werden, dass eine Kontrolle durch die zuständigen Behörden gewährleistet ist.
Nicht notwendig dürfte derzeit die Einführung eines digitalen Systems sein. Denn zur konkreten Form der Erfassung sagt der Beschluss des BAG nichts aus. Vielmehr können beispielsweise Aufzeichnungen in Papierform genügen. Zudem ist es möglich, die Aufzeichnung der betreffenden Zeiten als solche an den Arbeitnehmer zu delegieren. Dem Arbeitgeber obliegt es insoweit das System einzurichten und die Arbeitnehmer anzuhalten, das System auch zu nutzen.
Für leitende Angestellte im Sinne des § 5 Absatz 3 Betriebsverfassungsgesetz ist davon auszugehen, dass diese Vorgaben nicht gelten. Denn bereits das Arbeitszeitgesetz ist auf diese Gruppe nicht anwendbar.
Ein Verstoß gegen die Erfassungspflicht ist derzeit noch nicht unmittelbar bußgeldbewährt, da es an einer gesetzlichen Regelung fehlt. Allerdings kann ein Bußgeld dann drohen, wenn einer vorherigen Anordnung der zuständigen Behörde zur Arbeitszeiterfassung nicht Folge geleistet wird.
Die vollständigen Entscheidungsgründe des BAG-Beschlusses finden Sie hier.
UPDATE Gesetzgebungsverfahren April 2023
Das BMAS hatte angekündigt, die Entscheidung des BAG aufzugreifen und eine praktikable gesetzliche Regelung vorzuschlagen. Mit etwas Verspätung hat es im April 2023 einen Referentenentwurf vorgelegt.
Achtung: Die Regelungen sind noch nicht in Kraft! Derzeit ist das Gesetzgebungsverfahren noch in einer sehr frühen Phase. In der Folgezeit findet die Verbändeanhörung und die Ressortabstimmung statt. Sodann wird ein Gesetzentwurf von der Bundesregierung erarbeitet. Es ist recht wahrscheinlich, dass im Laufe des Verfahrens noch Änderungen an dem Entwurf vorgenommen werden. Das finale Gesetz bleibt also abzuwarten.
Folgende Neuregelungen sind darin derzeit vorgesehen:
- Jeder Arbeitgeber wird verpflichtet, Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aller Arbeitnehmer in elektronischer Form aufzuzeichnen. Mit der Verpflichtung zur elektronischen Erfassung geht der Gesetzentwurf über die Entscheidung des BAG hinaus.
- Eine bestimmte Form der elektronischen Aufzeichnung wird nicht vorgeschrieben. Neben den gebräuchlichen Zeiterfassungsgeräten kommen auch andere Formen der elektronischen Aufzeichnung in Betracht wie etwa Apps auf einem Mobiltelefon oder die Nutzung herkömmlicher Tabellenkalkulationsprogramme (z.B. Excel-Tabellen). Auch die Nutzung und Auswertung von elektronischen Schichtplänen soll möglich sein, sofern sich aus diesen Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit der einzelnen Arbeitnehmer ableiten lassen und Abweichungen von den im Schichtplan festgelegten Arbeitszeiten (z.B. Urlaub, Fehlzeiten oder zusätzliche Arbeitszeiten) gesondert elektronisch erfasst werden.
- Für kleine Unternehmen mit bis zu zehn Arbeitnehmern sieht der Gesetzentwurf eine Ausnahme von der elektronischen Aufzeichnungspflicht vor: diese können die Arbeitszeit auch händisch erfassen. Dies gilt auch für Unternehmen ohne Betriebsstätte im Inland, die bis zu zehn Arbeitnehmer nach Deutschland entsenden.
- Darüber hinaus gilt bezüglich der Aufzeichnungspflicht in elektronischer Form eine nach Unternehmensgröße gestaffelte Übergangsregelung: Die Pflicht zur Aufzeichnung in elektronischer Form gilt erst ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes. Bis dahin bleibt also die händische Aufzeichnung zulässig. Für Unternehmen mit weniger als 250 Arbeitnehmern verlängert sich diese Übergangsregelung auf zwei Jahre und für Unternehmen mit weniger als 50 Arbeitnehmern auf fünf Jahre.
- Grundsätzlich sind alle Arbeitnehmer von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung erfasst. Ausgenommen sind lediglich diejenigen Personengruppen, auf die das ArbZG auch bislang nicht anwendbar war. Zu nennen sind hier insbesondere „leitende Angestellte“, wobei hier Vorsicht geboten ist: Nicht jede Führungskraft ist automatisch ein leitender Angestellter. Leitende Angestellte kennzeichnet insbesondere, dass sie zur selbstständigen Einstellung und Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt sind. Faktisch ist das also ein sehr kleiner Kreis.
- Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit müssen grundsätzlich noch am Tag der Arbeitsleistung selbst – also tagesaktuell – aufgezeichnet werden.
- Arbeitgeber können die Aufzeichnung an die Arbeitnehmer delegieren, sie können sich aber dadurch nicht von der sie treffenden Aufzeichnungspflicht freizeichnen. Der Arbeitgeber muss dafür sorgen, dass die Arbeitszeit tatsächlich und korrekt aufgezeichnet wird. Dafür sind regelmäßige Stichproben und Kontrollen durchzuführen.
- Für die Fälle der Vertrauensarbeitszeit sieht der Gesetzentwurf eine besondere Regelung vor: Vertrauensarbeitszeit bleibt weiterhin möglich. Die Arbeitszeit muss aber auch hier erfasst werden. Dabei kann der Arbeitnehmer die Arbeitszeit selbst erfassen und der Arbeitgeber auf die Kontrolle der Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeit verzichten. Der Arbeitgeber muss dann aber gleichwohl „geeignete Maßnahmen“ ergreifen, die sicherstellen, dass Verstöße gegen das ArbZG vermieden werden. Als Beispiel benennt der Gesetzentwurf entsprechende Meldungen von Verstößen durch ein elektronisches Zeiterfassungssystem.
- Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die Arbeitszeitnachweise für mindestens zwei Jahre in deutscher Sprache aufzubewahren, um sie etwa für aufsichtsrechtliche Prüfungen, in einem arbeitsgerichtlichen Verfahren oder auf Verlangen des Betriebsrates vorlegen zu können.
- Auf Verlangen der Arbeitnehmer muss der Arbeitgeber diese in geeigneter Weise über die aufgezeichnete Arbeitszeit informieren und einen Ausdruck der aufgezeichneten Arbeitszeit aushändigen oder eine elektronische Kopie übermitteln.
- Die Sozialpartner haben die Möglichkeit, in einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung von bestimmten Verpflichtungen abzuweichen: In einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann vorgesehen werden, dass die Aufzeichnung nicht in elektronischer Form erfolgen muss. Weiter kann geregelt werden, dass die Aufzeichnung zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen kann, spätestens aber bis zum Ablauf des siebten auf den Tag der Arbeitsleistung folgenden Kalendertages. Zudem können bestimmte Arbeitnehmergruppen von der Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gänzlich ausgenommen werden.
- Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht sind nach dem Gesetzentwurf künftig bußgeldbewehrt. Es drohen Geldbußen bis zu 30.000 Euro.
Wir werden Sie in diesem Artikel über neue Entwicklungen im Gesetzgebungsverfahren laufend informieren.