Sprachbarrieren mit Toleranz und Kreativität begegnen

Constanze von Alvensleben ist Geschäftsführerin des Kfz-Teilehändlers F.A. Wobst GmbH & Co. KG. Im Interview berichtet sie von ihren Erfahrungen mit der Einstellung von ausländischen Fachkräften.
Frau von Alvensleben, wie lief der Rekrutierungsprozess bei Ihnen ab? Haben Sie bei der Rekrutierung die Unterstützung externer Agenturen in Anspruch genommen? Wenn ja, wie gestaltete sich die Zusammenarbeit?
Aktuell arbeiten wir mit zwei inhabergeführten Agenturen zusammen, die uns bei der Suche nach geeigneten Auszubildenden eng begleiten. Die eine Agentur ist auf Talente aus Indien spezialisiert, die andere auf Talente aus Marokko. Beide Agenturen sind jeweils vor Ort ansässig und haben somit direkt Zugang zu den ausländischen Bewerberinnen und Bewerbern. Das ist zum einen bei der Arbeitgebersuche für die Talente unheimlich wichtig und zum anderem auch für das gesamte Recruiting für uns als potenzieller Arbeitgeber. Für beide Seiten ist somit immer ein passender Ansprechpartner greifbar und der gesamte Prozess ist somit sehr organisiert.
Welche besonderen Herausforderungen sehen Sie speziell im Hinblick auf die Rekrutierung von Fachkräften aus anderen Ländern?
In erster Linie ist es natürlich nicht einfach, den richtigen „Match“ für Talent und Arbeitgeber zu finden. Beide Seiten müssen sich rein digital kennenlernen und können sich, falls es überhaupt zu einem Interview kommt, oft nur oberflächlich in einer jeweiligen Fremdsprache austauschen. Hier braucht es dann eine gute Begleitung und Übersetzung durch eine professionelle Agentur/einen Vermittler sowie Mut, Tatendrang und ein gutes Bauchgefühl für beide Seiten. Hinzu kommen Unmengen an bürokratischen Hürden mit einer Vielzahl an Formularen, deren Sinn und Zweck dringend auf den Prüfstand gestellt werden muss. Vom Start der Talentsuche bis zur tatsächlichen Arbeitsaufnahme vergeht oft ein ganzes Jahr. Einen so langen Atem müssen Talente und Unternehmen derzeit beweisen! Das ist für viele Unternehmer einfach zu lang.
Wie gestaltet sich die Einarbeitung ausländischer Fachkräfte in Ihrem Unternehmen?
Ich bin unheimlich stolz auf unser Unternehmen und jedes einzelne Teammitglied. Denn die wesentliche Integrationsleistung findet natürlich im Team statt, dessen Mitglieder die sprachlichen und kulturellen Hürden gemeinsam überwinden müssen. Auch unsere Kunden sind gefragt, bei unseren ausländischen Auszubildenden etwas mehr Geduld und Verständnis mitzubringen. Das ist im hektischen Alltag nicht immer einfach, aber wird bisher sehr gut gemeistert, zumal wir uns für diesen Weg schon lange entschieden haben. Schon vor über sieben Jahren haben wir geflüchtete junge Menschen im Rahmen einer kaufmännischen Ausbildung bei uns aufgenommen. Zuletzt sind Talente für eine Ausbildungsstelle eigens für uns eingereist. Unser Team hat gelernt, Sprachbarrieren mit Toleranz und Kreativität zu begegnen, gleichzeitig fordern wir von unseren Talenten aber auch Engagement und Leistungsbereitschaft ein.
Wie werden kulturelle Unterschiede in Ihrem Unternehmen während der Einarbeitung internationaler Fachkräfte berücksichtigt, und welche Strategien werden angewandt, um damit umzugehen?
Uns ist es wichtig, auch über die berufliche Zusammenarbeit hinaus eine Integration zu gewährleisten. Nur wenn sich das Talent auch außerhalb des Betriebes wohlfühlt, ist eine längere Zusammenarbeit überhaupt möglich. Insbesondere für den Spracherfolg ist die außerberufliche Integration von hoher Relevanz. Hier ist entweder eine gute Struktur der Agentur gefragt, die bevorzugt „Mentoren-Systeme“ anbietet, oder ein hohes Engagement der Betriebe erforderlich. In unserem Fall haben wir gezielt Fachkräfte aus den Ländern angesprochen, aus denen Mitarbeiter schon heute in unserem Team vertreten sind. Unserer eigens für uns eingereisten Fachkraft konnten wir daher einen „Buddy“ im Unternehmen zur Seite stellen, der sich Kultur und Muttersprache mit der ausländischen Fachkraft teilt. Das macht eine Integration im Unternehmen, der Berufsschule sowie in der Freizeit natürlich wesentlich einfacher.
Wie wichtig ist der Spracherwerb ausländischer Fachkräfte für die Einarbeitung und wie unterstützen Sie diesen?
Für die Einreise ist ein zertifiziertes Sprachniveau von mindestens B1 erforderlich. Im Alltag reicht das zwar für den Start aus, für eine wirklich selbstständige Mitarbeit ist das jedoch nicht ausreichend – ins[1]besondere im Berufsalltag, in dem oft branchenspezifisches Vokabular erforderlich ist. In unserem internen Einarbeitungsprozess legen wir Wert darauf, dass Talente eine angemessene Zeit zur Einarbeitung erhalten, ohne direkt dem Leistungsdruck beim Austausch mit dem Kunden ausgesetzt zu sein. Branchenspezifisches Vokabular wird zum Beispiel durch den physischen Umgang mit der Ware geschult – also beim Kommissionieren der Ware. Weitere kaufmännische Aufgaben ohne erforderliches umfangreiches Fachvokabular können die Preis- und Artikelpflege in unserer Warenwirtschaft sein. Neben einer angemessenen und begleiteten Einarbeitung bieten wir außerdem Sprachunterricht an, der übrigens auch gern von unseren Auszubildenden ohne Migrationshintergrund wahrgenommen wird.
Welcher Unterschied besteht Ihrer Einschätzung nach bei der Rekrutierung von auszubildenden und ausgebildeten Fachkräften?
Die Hürden für das Rekrutieren von auszubildenden Fachkräften sind mit der richtigen Agentur, einem toleranten Team sowie einer Menge Mut und Tatendrang von Talent und Unternehmen zu nehmen. Für hoch[1]qualifizierte ausgebildete Fachkräfte hingegen stellt sich Deutschland aktuell wenig attraktiv dar. Hier müssen sich nicht nur Unternehmen, sondern vor allem Talente auf Unmengen bürokratischer Formulare mit einer langen Bearbeitungszeit einstellen. Zudem werden etliche Ausbildungsabschlüsse nicht anerkannt – während andere Nationen die Qualifikationsprüfung den Unternehmen überlassen und dazu noch mit „Willkommens-Boni“ für die Talente winken.
Welche Ratschläge haben Sie für Unternehmen, die sich mit der Frage beschäftigen, Fachkräfte aus dem Ausland zu rekrutieren?
Haben Sie Mut und legen Sie einfach los! Sie geben damit nicht nur Fachkräften eine Chance auf dem Arbeitsmarkt, sondern auch Ihrer Unternehmung eine Chance zur Weiterentwicklung. Darüber hinaus sind wir als Gesellschaft davon abhängig, qualifizierte ausländische Fachkräfte für uns zu gewinnen, um den Mittelstand zu erhalten. Es ist bekannt, dass uns in den nächsten Jahren eine „Rentenwelle“ erreichen wird, die auf eine zurückgehende Anzahl von Auszubildenden trifft. Es besteht also dringend Handlungsbedarf – und die Einwanderung von qualifizierten Fachkräften ist eine mögliche Antwort, um mit dieser Herausforderung umzugehen.
Das Interview führte Simon Deventer.
Stand: 31.05.2024