Neue Ideen gegen den Fachkräftemangel

Nicht nur in der Wetterau sind Unternehmen einem akuten Mangel an geeigneten Kandidaten für ihre offenen Stellen ausgesetzt. Wie dieser Entwicklung auf dem deutschen Arbeitsmarkt begegnet werden könnte, stand im Mittelpunkt der Veranstaltung „Personalmangel neu denken – neue Wege statt Resignation“ des Unternehmerverbandes Wirtschaftsrat Deutschland, Sektion Wetterau, in den Räumen der IHK Gießen-Friedberg in Friedberg.
In den kommenden Jahren werden 13 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer fehlen. „Fast ein Drittel der 45 Millionen Erwerbstätigen geht in Rente“, betonte Udo Krauß, Vorsitzender der Landesfachkommission Bildungs- & Arbeitsmarktpolitik des hessischen Wirtschaftsrates und Managing Partner der Frankfurter Unternehmensberatung Synk Group. Diese Entwicklung werde sich auch bei der regionalen Suche nach Fachkräften deutlich auswirken. Daher gelte es für die Unternehmen, sich rechtzeitig auf diese weitere Verschärfung des Fachkräftemangels einzustellen.
Informative Einblicke in das Angebot der Agentur für Arbeit Gießen gab Sabine Breitsprecher, Teamleiterin Arbeitgeber-Service Wetterau. So würden Unternehmen in Veranstaltungen erfahren, wie sich beispielsweise neue Mitarbeiter finden ließen oder ob etwa Positionen für Fachkräfte auch durch ungelerntes Personal oder Hilfskräfte zu besetzen seien. Zudem würden Betriebe Unterstützung bei der Frage erhalten, wie sich bewährte Mitarbeiter halten und motivieren ließen. Dies sei vor allem für kleine Unternehmen ein schwieriger Prozess.
Bei der Personaleinstellung schlug Breitsprecher vor, durch „Kennenlern-Gespräche auch weniger Qualifizierte an ihre Aufgaben heranzuführen“. Zwar sei dadurch die Einarbeitungsphase länger und der Aufwand für die Unternehmen höher, doch dies erleichtere die Agentur für Arbeit durch einen Lohnkostenzuschuss von bis zu 50 Prozent und eine Förderdauer von bis zu einem Jahr. Eine weitere Möglichkeit sei, das vorhandene Personal zu Fachkräften weiter zu qualifizieren. Hier wirke sich das „Gefühl, sich weiterzuentwickeln, motivierend für die Mitarbeiter aus“. So werden etwa Kurse für Business-Englisch oder andere Weiterbildungen mit einem Zuschuss der Agentur für Arbeit bis zu 100 Prozent des Arbeitsentgelts für Mitarbeiter eines Unternehmens unterstützt.
Mehr ausländische Mitarbeiter
Auf die Rekrutierung von Arbeitskräften aus dem Ausland wies Andreas Mertenbacher hin. Der Experte für Fachkräftegewinnung aus dem Ausland und Beauftragte für Künstliche Intelligenz (KI) bei der IHK Gießen-Friedberg betonte, dass nach seiner Einschätzung zwei Drittel der Unternehmen noch keine Erfahrungen mit Fachkräften aus Drittstaaten haben. Gleichzeitig kämen aber bei über 70 Prozent der Betriebe solche Fachkräfte grundsätzlich für offene Stellen infrage.
Bei der Betreuung von ausländischen Fachkräften ginge es neben vielen kleinteiligen Themen wie Krankenversicherung oder Wohnungssuche vor allem um die Sprachkenntnisse. „Die Sprache ist das entscheidende Kriterium“, betonte Mertenbacher. Er verwies zugleich darauf, dass Firmen Informationen zur Einwanderung von Fachkräften in der IHK-Veranstaltungsreihe „Internationaler Fachkräfte Nexus" erhalten.
Den wichtigen Aspekt des Wissens in einer digitalen Welt hob Rinku Sharma, Mitgründer der techeroes gGmbH, hervor. Sein Unternehmen kümmert sich vor allem um die Vermittlung von Technologiekenntnissen in Kindergärten und Schulen. „Man muss mit digitalen Themen sehr früh beginnen, sonst sind Kinder nicht mehr dafür zu interessieren“, sagte Sharma. Künstliche Intelligenz müsse anfassbar sein.
Auf das wertvolle Wissen von älteren, erfahrenen Experten und solchen, die bereits aus der Erwerbstätigkeit ausgeschieden sind, wies Yani Neugebauer, Geschäftsführerin des Gründungszentrums 50plus, hin. Sie können Unternehmen mit ihrem Know-how unterstützen, ohne eine Vollzeitstelle zu belegen. Als Beispiel für eine gelungene Umsetzung nannte Neugebauer einen Einkaufsleiter, den sie für einen begrenzten Zeitraum an eine Firma vermittelt hatte. Dem Experten gelang es, die Kosten für die Beschaffung um zehn Prozent zu senken und die Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten zu beenden.
Kreative Wege gehen
In der anschließenden Diskussion wies eine Teilnehmerin auf die schwierige Lage von Frauen hin, die nach der Mutterschaft in die Vollzeittätigkeit zurückkehren wollten. Hier mangle es an Betreuung für Kin[1]der. Das untermauert auch die aktuelle Teilzeitquote der Frauen in Deutschland, die laut Statistischen Bundesamt 2024 bei 49,20 Prozent liegt (bei Männer 12,70 Prozent), so Krauß.
Als eines der größten Hindernisse für Unternehmen nannte Andreas Mertenbacher die wachsende Bürokratie. „Ein Großteil aller Gesetze für die deutsche Wirtschaft kommt von der EU“, sagte er. In der Praxis zeige sich die Belastung etwa bei Führungskräften in der Gastronomie, die allein 14 Stunden pro Woche mit behördlichen Verordnungen beschäftigt seien.
Yani Neugebauer wies darauf hin, dass der Personalmangel in den nächsten Jahren massiv zunehmen wird. „Jetzt ist der Zeit[1]punkt gekommen, an dem Unternehmen und Politik neue, kreative Wege gehen müssen. Wenn wir nicht alle Register ziehen und das Thema neu denken, wird der Wohlstand unseres Landes bedroht. Veranstaltungen wie diese zeigen, dass es auch in unserer Region innovative Lösungsansätze für betroffene Unternehmen gibt. Das macht Mut statt Resignation.“

VON MICHAEL DÖRFLER

Stand: 05.06.2024