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Investitionen in die Infrastruktur sicherstellen
Kaweh Mansoori, Hessischer Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum sowie stellvertretender Ministerpräsident, spricht darüber, wie das Wohnen, Leben und Arbeiten in Hessen wieder attraktiver werden kann.
© Amrei Pfeiffer/HMWVW
Herr Mansoori, Menschen wünschen sich attraktive Wohn-, aber auch Lebensräume. In unseren Innenstädten und Ortskernen sieht es traurig aus. Es gibt viel Leerstand. Die IHKs versuchen, zur Belebung der Zentren beizutragen, zum Beispiel durch die Initiative „Heimat shoppen“, für die Sie in Hessen Schirmherr sind. Wo sehen Sie Möglichkeiten, hier etwas zum Positiven zu wenden?
Die Situation in den Innenstädten treibt mich massiv um. Wir haben in dem gemeinsamen Bündnis, an dem die IHKs beteiligt sind, klar formuliert: Es geht nicht nur um die Innenstadt als Wirtschaftsfaktor oder Handelsplatz, sondern um Begegnungsräume, wo sich unterschiedlichste Menschen treffen. Ich halte das für essenziell für unsere freiheitliche Demokratie. Es gibt vielfältige Initiativen, teilweise zusammen mit den IHKs, wie das Programm „Zukunft Innenstadt“ oder der Wettbewerb „Ab in die Mitte“, die niedrigschwellig Innovation fördern und kreative Ideen anregen. Schon mit kleinen Maßnahmen ist es möglich, öffentliche Räume enorm aufzuwerten. In dem Bündnis sprechen wir auch darüber, wie die Förderprogramme des Landes angepasst werden müssen und wo man in Zukunft Schwerpunkte setzt. Wir sammeln in ergebnisoffenen Prozessen kluge Ideen, wie es weitergeht. Ich glaube, allen Akteuren ist bewusst, dass es für eine Gesellschaft nicht gut ist, wenn unterschiedliche Menschen sich nicht mehr begegnen, sondern unter sich bleiben.
Wir sprechen viel darüber, wie die Menschen leben und was sie für Bedürfnisse haben. Dazu gehört auch, zügig von A nach B zu kommen. Das ist in unserem Ballungsraum nicht immer einfach, weder für Menschen noch für Waren. Schiene, Straße, Radwege – es gibt reichlich Verbesserungspotenzial, aber auch Finanzierungsgrenzen. Wie wollen Sie die hessische Verkehrsinfrastruktur zukunftsfähig aufstellen?
Ich bin selbst in einer Flächenkommune groß geworden. In meinem Ortsteil ist der Bus sonntags viermal in die Kreisstadt Gießen gefahren. Jetzt lebe ich mitten in der Stadt Frankfurt. Da werde ich alle vier Minuten von der U 4 abgeholt. Die Lebenswirklichkeiten sind sehr unterschiedlich in Hessen. Aber alle Menschen haben einen Anspruch darauf, mobil zu sein. Und für die unterschiedlichen Bedarfe etwas anzubieten, das braucht eben auch eine Vielfalt in der Verkehrspolitik. Beim Auto wird es eher darum gehen, nachhaltigen Antriebstechnologien eine stärkere Chance zu geben, indem wir zum Beispiel die Ladeinfrastruktur für E-Mobilität stärker ausbauen. Je dichter besiedelt das Gebiet ist, desto stärker ist die Bedeutung des ÖPNV, auch die der Schiene. Da spielen Preis und Verlässlichkeit eine große Rolle. Ich bin glühender Verfechter des Deutschlandtickets. Da werden zum ersten Mal Bus und Bahn aus der Perspektive der Fahrgäste gedacht, die nicht mehr überlegen müssen, gilt mein Ticket oder gilt es nicht. Wichtig ist vor allem, dass wir in der Infrastruktur Verlässlichkeit bieten: moderne Individualmobilität da, wo wir nicht in der Taktzahl mit Bussen und Bahnen fahren können, Zwischenangebote wie Bürgerbusse und Ruf-Taxis und einen guten, attraktiven, eng getakteten ÖPNV im dicht besiedelten Gebiet – so wird, glaube ich, das Verkehrsthema gelöst.
Kriegen wir es auch finanziert?
Wir müssen es finanzieren. Für die Wirtschaft spielt eine marode Verkehrsinfrastruktur eine Riesenrolle. Eines der schlimmsten Beispiele, das mir einfällt, ist die Bergshäuser Brücke in Nordhessen. Die wird vom Netz gehen, bevor die neue Brücke da ist. Das ist verkehrspolitisch und wirtschaftspolitisch eine Katastrophe. So etwas darf uns nicht passieren. Da wird Wohlstand vernichtet. Deswegen muss man jetzt im Zuge der Haushaltskonsolidierung sehr darauf achten, nicht an den falschen Ecken und Ende zu sparen, sondern – soweit das möglich ist – Investitionen in die Infrastruktur sicherzustellen. Ich finde die Diskussion auf der Bundesebene, so etwas wie einen Infrastrukturfonds einzurichten, sehr sinnvoll. Damit könnten wir über Haushaltsperioden hinweg Mittel für die Zukunftsinvestitionen bereitstellen, die notwendig sind, damit die Wirtschaft wächst. Nur wenn wir Wachstum generieren, ist sichergestellt, dass wir ausreichend Mittel haben für Förderprojekte und soziale Politik, die mir persönlich als Sozialdemokrat auch sehr wichtig ist.
Es gibt noch ein Seitenthema zur Mobilität: Besonders groß ist der Fachkräftemangel bei unseren Logistikunternehmen. Was kann man tun, um Menschen für die Verkehrsbranche, für die Logistikbranche zu begeistern?
Wir haben einen runden Tisch, wo es primär um die Personalbedarfe im Busverkehr geht. Aber die Erkenntnisse, die wir da sammeln, sind für die Verkehrsbranche insgesamt von großer Relevanz. Ich glaube, wir müssen deutlich schneller werden bei der Integration von Arbeitskräften aus dem Ausland. Der Erwerb der Sprache muss schneller gehen, Führerscheine müssen möglicherweise schneller anerkannt werden. Ich will es aber verknüpfen mit anderen Zuständigkeiten, die ich habe. Es ist gerade ein neuer Tarifvertrag für den Busbereich abgeschlossen worden. Da liegt der Lohneckwert bei 20,14 Euro. Die frei finanzierte Wohnung in Frankfurt kostet 19 bis 20 Euro pro Quadratmeter. Wie soll ein Busfahrer von dem Gehalt so eine Wohnung bezahlen? Deswegen müssen wir im niedrigpreisigen Segment Wohnungen anbieten. Ich würde gern mit den großen Arbeitgebern der Region darüber sprechen, was wir tun müssen, damit sie sich stärker im Bau von Werkswohnungen betätigen. Vielleicht ist die neue Wohnungsgemeinnützigkeit, die der Bund auf den Weg bringt, ein Schlüssel, um über dieses Thema ins Gespräch zu kommen. Tochtergesellschaften von Unternehmen, die keinen anderen Zweck verfolgen, als preisgünstige Wohnungen für die eigenen Beschäftigten zur Verfügung zu stellen, und damit gar kein Geld verdienen wollen, könnten zumindest steuerbegünstigt gestellt werden, damit daraus ein Geschäftsmodell werden kann, das sich wirtschaftlich trägt. Nur wenn wir diese unterschiedlichen Ansätze zusammenbringen – einfaches Baurecht, geförderten Wohnungsbau, aber auch Werkswohnungen für Betriebsangehörige – werden Menschen, die 20 Euro die Stunde verdienen, Wohnungen finden, sich in der Region ansiedeln und Lkw und Busse fahren.
… und in den Städten einkaufen, sich begegnen – hier schließt sich der Kreis. Das bringt uns zu der Frage, was für Sie als Radikal-Pragmatiker, wie Sie sich selbst nennen, so wichtig ist, dass Sie damit gleich anfangen wollen?
Wir packen vieles gleichzeitig an, weil es gleiche Prioritäten hat. Mit Blick auf die wirtschaftliche Lage hat die Bauwirtschaft eine große Chance, insgesamt die Konjunktur zu verbessern. Deswegen haben wir ganz schnell die Kommission Innovation im Bau eingesetzt. Ich glaube an den Effekt von einfacherem Baurecht und wir werden dafür zeitnah erste Vorschläge auf den Tisch legen. Ich habe auch früh die gleichzeitige Entbürokratisierung des Tariftreue- und Vergaberechts in Hessen und die Verbindung mit guter Arbeit und fairen Löhnen verknüpft. Da werde ich den Gesetzentwurf noch in diesem Jahr präsentieren. Das Ziel ist, dass die Eintrittshürden für Unternehmen niedriger werden, dass die Bürokratie abgebaut wird, dass der Anwendungsbereich des Gesetzes kleiner wird und wir dort, wo das Gesetz Anwendung findet, insgesamt für fairen Wettbewerb sorgen. Es kann nicht sein, dass Bauunternehmen in Hessen Steuern zahlen und diese Bauaufträge finanzieren, sich aber anschließend nicht darauf bewerben können, weil sie immer unterboten werden von anderen, die sich nicht an die Löhne halten, die hier bei uns bezahlt werden. Das zusammenzubringen ist Ziel des Gesetzes und das sind zwei gewichtige Beispiele, wo wir in diesem Jahr noch Antworten geben.
Wir freuen uns darauf und bedanken uns sehr für das Gespräch.
Das Interview führten Birgit Arens und Frank Achenbach, IHK Offenbach.
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Doris Steininger
Stand: 09.10.2024