Im Abwärtsstrudel
Mit den anhaltend hohen Energie- und Rohstoffpreisen, dem Fachkräftemangel und hohen bürokratischen Belastungen haben sich die wirtschaftlichen Aussichten für die Unternehmen erneut stark eingetrübt.
Die Lage in den Unternehmen ist überaus angespannt, und es zeichnet sich ein sehr düsteres Bild ab. Lediglich zehn von 100 Befragten im IHK-Bezirk erwarten bessere Geschäfte im kommenden Jahr, rund jeder Fünfte bezeichnet die aktuelle Geschäftslage als schlecht. Der aktuelle Konjunkturklimaindex erreicht damit lediglich 89,9 Punkte. Gegenüber der letzten Befragung ist er deutlich abgerutscht. Im Frühsommer dieses Jahres lag er noch bei 101,2 Punkten und damit oberhalb der Zufriedenheitsschwelle von 100 Punkten.
„Unsere Unternehmen müssen mit zu vielen Herausforderungen gleichzeitig zurechtkommen: die höchsten Strompreise, die höchsten Steuerbelastungen in der EU, eine marode Infrastruktur und die finanziellen Auswirkungen der Energiewende“,
schildert IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Leder die schwierige aktuelle Lage auf der Konjunktur-Pressekonferenz der Industrie- und Handelskammer bei dem Spieleverlag Pegasus Spiele am Freitag in Friedberg.
Der Spieleverlag, einst als Zwei-Mann-Betrieb von Karsten Esser und Andreas Finkernagel gegründet, feiert in diesem Jahr sein 30-jähriges Jubiläum. Zu diesem Anlass überreichten Leder und Präsident Rainer Schwarz die IHK-Jubiläumsurkunde und gratulierten zugleich zur diesjährigen Auszeichnung mit dem „Spiel des Jahres“ für Dorfromantik – Das Brettspiel. „Wir freuen uns sehr darüber, dass das Interesse an Brett- und Gesellschaftsspielen stetig wächst und insbesondere in den vergangenen Jahren stark gestiegen ist“, sagte Geschäftsführer Andreas Finkernagel. Das 2014 eingeweihte Firmengebäude inklusive Lager ist für das expandierende und inzwischen auf knapp 90 Beschäftigte angewachsene Unternehmen bereits zu klein geworden. Daher habe man sich zu einer Erweiterung von Lager- und Büroflächen entschieden. Im Februar 2024 soll der Bau fertiggestellt sein, Büro und Lager umfassen dann etwa doppelt so viel Fläche wie aktuell. Hinzu komme ein neuer Outlet-Store, ebenso Spielräume. Auch international ist der Verlag erfolgreich: 2021 wurde die Tochterfirma Pegasus Spiele North America gegründet.
Kreditgewerbe ist optimistisch
Einzige Branche mit einem Klimaindex oberhalb der Zufriedenheitsschwelle von 100 Punkten sind die Dienstleister. Sie liegen bei 103. Einsamer Spitzenreiter unter den Dienstleistern ist das Kreditgewerbe mit 147,9 Punkten. Der Grund für den optimistischen Blick des Kreditgewerbes in die Zukunft ist der Zinsanstieg, wodurch die Einnahmen im Kreditgeschäft steigen.
Im Vergleich zur Gesamtbeurteilung in Hessen zeigt sich, dass der Abstand zwischen dem IHK-Bezirk und dem Bundesland derzeit gering ist. Aktuell weist Hessen einen Klimaindex in Höhe von 90,9 auf und ist damit im Vergleich zum Frühsommer auch unter die Zufriedenheitsschwelle von 100 Punkten gerutscht. Und in Hessen ist der aktuelle Wert sogar der zweitschlechteste Wert seit dem Jahr 2010, also seit 13 Jahren. Nur während der Energiekrise im Herbst 2022 war der Pessimismus größer. Noch nicht einmal während der Corona-Krise waren die Werte so negativ.
Der IHK-Konjunkturklimaindex ermittelt die Lagebeurteilung und die Erwartungen an die zukünftige Geschäftslage. Befragt wurden in der Herbst-Umfrage der IHK Gießen-Friedberg zwischen Mitte September und Anfang Oktober 2023 knapp 850 Betriebe, mehr als jeder Dritte nahm an der Befragung teil.
Energie- und Rohstoffpreise zu hoch
Die nahe Zukunft beurteilen die Firmen im IHK-Bezirk mehr als skeptisch, die Betriebe erwarten weiterhin sehr schwierige Rahmenbedingungen. Noch immer sind die hohen Energie- und Rohstoffpreise das größte Problem. Mehr als jedes zweite Unternehmen nennt Energie- und Rohstoffpreise als größtes Risiko der Geschäftsentwicklung. „Die Anhebung des CO2-Preises ist Unfug. Entweder die Bundesregierung ist überzeugt von der Wirkungsweise der europaweit eingesetzten CO2-Zertifikate. Dann bedarf es keiner zusätzlichen CO2-Steuer. Oder sie glaubt nicht an die Wirkungsweise der CO2-Zertifikate, dann gehören diese abgeschafft. So wird nur eine Politik nach dem Motto ‚Recht ist, was die Kasse füllt‘ betrieben“, so Leder.
„Jetzt kommt zum Krieg in der Ukraine noch der Angriff der Hamas auf Israel mit all seinen Folgen hinzu. Wenn sich dieser Konflikt ausweiten sollte und weitere Parteien in das Kriegsgeschehen einsteigen, könnte das weitere negative wirtschaftliche Folgen in Deutschland nach sich ziehen – insbesondere im Hinblick auf Energie- und Warenpreise“,
erklärt Präsident Rainer Schwarz. Konflikte in der Nahost-Region könnten das Wirtschaftswachstum weltweit stark beeinträchtigen. Diese Region sei ein wichtiger Energielieferant mit bedeutenden Handelsrouten.
Stimmung durchgängig negativ
Den besten Klimaindex der Konjunkturumfrage erzielt der Landkreis Gießen mit einem Wert von 95,6. Im Frühsommer dieses Jahres kamen die Betriebe aus Gießen, Heuchelheim, Linden oder Pohlheim noch auf einen Wert von 104,1. Als dienstleistungsstarke Region ist im Landkreis Gießen dennoch noch mehr Optimismus erkennbar als in den anderen beiden IHK-Bezirken.
Der Wetteraukreis erreicht einen Klimaindex von 89,5, also ebenfalls unterhalb der Zufriedenheitsschwelle von 100. Der Wert im Frühsommer betrug 101. Es zeigt sich damit auch im Wetteraukreis, dass die Skepsis bei der Bewertung der Geschäftslage zugenommen hat.
Mit einem Wert von 77,2 Punkten belegt der Vogelsbergkreis schließlich den dritten Platz. Die Betriebe um Alsfeld und Lauterbach lagen im Frühsommer noch bei einem Klimaindex von 96,5. Also ist auch im Vogelsbergkreis ein Abwärtstrend erkennbar.
Rainer Schwarz, Andreas Finkernagel und Dr. Matthias Leder (v.l.)
Einzelhandel in Gießen leidet
Sehr schwierig ist die Situation im Einzelhandel. Hier kommen die Betriebe des Landkreises Gießen auf einen Klimaindex von nur noch 55,3 gegenüber 72,8 Ende 2022. Sicherlich spiegelt sich darin auch der Gießener Verkehrsversuch wider. Die weitreichenden Baumaßnahmen im Vorfeld des gescheiterten Verkehrsversuchs haben bei zahlreichen Händlern der Gießener Innenstadt zu erheblichen Umsatzeinbußen geführt. Das zeigt sich auch in den Konjunkturzahlen. Die IHK hat bereits gegenüber der Stadt Sofortmaßnahmen zur Sicherung des Weihnachtsgeschäfts gefordert. Dazu zählt die schnellstmögliche Beseitigung bestehender Engpässe.
Die hohen Energiekosten sind auf Dauer für den Einzelhandel zu einer echten Gefahr geworden. Darüber hinaus haben sich Konsumgewohnheiten durch die Corona-Pandemie nachhaltig verändert, viele Konsumenten nutzen verstärkt den Onlinehandel. Auch im Vogelsberg ist jeder Optimismus im Einzelhandel verflogen: Hier liegt der Klimaindex bei 69,3, im Wetteraukreis sind es 82,7 Punkte.
Einbruch der Nachfrage in der Baubranche
Eine Branche, die aktuell ebenfalls massiv leidet, ist das Baugewerbe. Diese Schlüsselbranche für Deutschland leidet unter den steigenden Baukosten und den zunehmend schlechteren Finanzierungsbedingungen. Diese haben dazu geführt, dass die Genehmigungen für Wohnungen in den ersten sieben Monaten dieses Jahres um 28 Prozent zurückgegangen sind. Was der Branche auch zu schaffen macht, sind die gestiegenen Rohstoffpreise, zum Beispiel für Beton um 25 Prozent. Förderprogramme sind eingestellt worden, geplante Projekte werden zurückgestellt. Die Branche erwartet nach Verbandsangaben einen Umsatzrückgang um real sechs Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Im IHK-Bezirk erwarten mehr als zwei von drei Betrieben des Baugewerbes eine schlechtere Geschäftslage (68,8 Prozent). Eine gute aktuelle Geschäftslage verzeichnen lediglich 18,8 Prozent. „Die Auftragseingänge sind in der Breite eingebrochen, wie uns Betriebe berichten“, erklärt Matthias Leder. Von einer Insolvenz bedroht sieht sich allerdings aktuell kein Unternehmen im IHK-Bezirk, die Finanzlage ist bei 53,3 Prozent der Unternehmen unproblematisch. Hier zehren die Betriebe noch von der Substanz, die sie in den Jahren zuvor aufbauen konnten. „Aber auch in diesem Wirtschaftszweig regiert die Bürokratie: Baugenehmigungen stecken in langen Warteschleifen. Sie sollten beschleunigt werden, um das Bauwesen zu stärken. Außerdem brauchen wir zeitnah genügend bezahlbaren Wohnraum, unter anderem für eingewanderte Fachkräfte“, fordert Matthias Leder. Die Entschlackung bürokratischer Strukturen wäre ein Konjunkturprogramm zum Nulltarif.
Unternehmen investieren weniger
Mehr als jedes dritte Unternehmen im IHK-Bezirk gibt an, dass es weniger investieren werde. Mehr investieren wollen rund 25 Prozent, der Saldo liegt damit bei minus 10,6 Punkten. Weniger Investitionen bedeuten immer eine abnehmende Wettbewerbsfähigkeit. Und ein Blick auf die Motive, also warum die Unternehmen investieren wollen, zeigt eine noch größere Misere. Denn hier steht der Ersatzbedarf ganz oben, dieser ist aber ganz selten ein Treiber für Innovationen. Stattdessen wollen 28 Prozent der Betriebe deutlich rationalisieren. In den Umweltschutz will lediglich jedes fünfte Unternehmen investieren, in neue Produkte ebenfalls nur jeder fünfte Betrieb. Dabei sind neue Produkte der größte Hebel für Wachstum und Erfolg.
Auch Auslandsgeschäfte zählen zu den wichtigen Faktoren für eine gute Geschäftslage. Hierbei zeigt sich ebenso ein trübes Bild. Weniger exportieren will rund jeder dritte Betrieb. Mit einem steigenden Exportvolumen rechnet jeder zehnte Betrieb, woraus sich ein Saldo von minus 20,9 Punkten ergibt.
Fachkräftemangel gemeinsam angehen
Ein weiteres drängendes Thema ist der Mangel an Fachkräften und Bewerbern für eine duale Ausbildung. Knapp 56 Prozent der Unternehmen geben Fachkräftemangel als Risiko für ihre Geschäftstätigkeit an.
Die Situation auf dem Arbeitsmarkt im Bezirk der Arbeitsagentur Gießen, der den Landkreis Gießen, den Vogelsbergkreis und den Wetteraukreis umfasst, ist derzeit robust. Im September lag die Arbeitslosenquote bei 4,7 Prozent. Auffallend ist die vergleichsweise niedrige Zahl an neu gemeldeten Arbeitsstellen.
Wenn die Wirtschaft jedoch wieder Fahrt aufnehmen sollte, dürften vermehrt neue Stellen geschaffen werden. Damit der Fachkräftemangel aufgrund der demografischen Veränderungen jedoch nicht noch stärker zu einem Dauerproblem wird, gilt es, mehr Ausbildungsstellen zu schaffen und insbesondere auch junge Menschen für eine duale Ausbildung zu begeistern. Die IHK veranstaltet daher jährlich eine Ausbildungsmesse, den „Berufswegekompass“. Er bietet eine Orientierungshilfe und zeigt auch ganz praktisch anhand von Exponaten wie Robotern oder Maschinen, welche spannenden Ausbildungswege möglich sind.
Herausgegeben am 13. November 2023
Pressemeldung Nr. 69
Verantwortlich für den Inhalt: Doris Steininger, Tel. 06031/609-1100
Pressestelle: Doris Steininger, Tel. 06031 / 609-1100
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Stand: 19.07.2024