Zukunft lebt von Zuversicht – Gut besuchter IHK-Jahresempfang

Die Frage nach der Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland stand im Mittelpunkt des Jahresempfangs der IHK Gießen-Friedberg. Über 600 Gäste aus dem In- und Ausland nutzten die Gelegenheit zum intensiven Austausch.
Spannende Gespräche mit Wirtschaftsexperten und Vertretern der Politik, die Verleihung des Unternehmenspreises sowie ein hochaktueller Festvortrag und der Austausch der Unternehmer untereinander – all das hatte der diesjährige Jahresempfang der IHK Gießen-Friedberg in der Friedberger Stadthalle zu bieten. „Wir möchten Brücken zwischen den Kontinenten bauen“, begrüßte IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Matthias Leder Gäste aus zehn Nationen und vier Kontinenten in drei Sprachen. Über 600 Unternehmerinnen und Unternehmer sowie Repräsentanten aus Wirtschaft, Politik und Verbänden Mittelhessens waren am Mittwochabend der Einladung der IHK gefolgt.

Unternehmen stark machen

Im Hinblick auf das Thema des Abends, „Aufbruch statt Abbruch – Wie der Wirtschaftsstandort Deutschland Zukunft hat!“, tauschte sich IHK-Präsident Rainer Schwarz mit dem Moderator des Abends, dem früheren Herausgeber der F.A.Z. Werner D’Inka, aus. Die drei großen Herausforderungen der deutschen Wirtschaft seien, für eine wettbewerbsfähige und stabile Energieversorgung zu sorgen, die ausufernde Bürokratie einzudämmen und die Fachkräftelücke zu schließen. „Als IHK folgen wir unserer Devise, Herausforderungen stets mit einer positiven und proaktiven Einstellung zu begegnen“, machte Schwarz deutlich. Im Mittelpunkt stehe dabei immer die Stärkung der Region und ihrer Unternehmen. „Grundvoraussetzung zur Aufrechterhaltung jedweder Energieversorgung sind realistische Planungen sowie Regel- und Finanzierungssicherheit“, betonte der IHK-Präsident. Durch hohe Strompreise – 24 Cent/kWh in Deutschland, 14 Cent/kWh dagegen zum Beispiel in den USA – drohten immer mehr energieintensive Unternehmen ins Ausland abzuwandern. Zwar habe die Bundesregierung 2024 die Stromsteuer für besonders energieintensive produzierende Unternehmen gesenkt. Der Rosenzüchter aus Steinfurth profitiere aber nicht davon, obwohl er durch die notwendige Kühlung ebenfalls hohen Energiekosten ausgesetzt sei. „Wir setzen uns dafür ein, die Abgaben für alle Gewerbe zu senken“, so Schwarz.

Bürokratie abbauen, Fachkräfte sichern

„Der Abbau ausufernder Bürokratie ist von entscheidender Wichtigkeit für den Wirtschaftsstandort Deutschland“, betonte Schwarz und nannte als Beispiel das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Allein im vergangenen Jahr hätten die IHKs zusammen mit anderen Verbänden der Bundesregierung 442 konkrete Vorschläge zum Abbau unangemessener Bürokratie gemacht. Zwar habe das Bundesministerium der Justiz zu jedem einzelnen Vorschlag Stellung bezogen. Doch nur bei 115 der 442 Vorschlägen sei vonseiten der Bundesregierung eine vollständige oder teilweise Umsetzung vorgesehen.
In puncto Fachkräftesicherung sprach sich der IHK-Präsident dafür aus, Fachkräfte aus Drittstaaten nach Deutschland zu holen. Trotz des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes benötigten die Verfahren zur Anerkennung und Visumsvergabe noch immer viel zu lange und seien zu komplex. „Deutschland braucht mehr Vertrauen in die Kräfte des Marktes anstatt in die Vorstellung, dass der Staat alles bis ins Detail regeln muss“, betonte Schwarz. Beim Thema Einwanderung von Fachkräften stehe die IHK ihren Mitgliedern ebenso zur Seite wie bei den Themen Inklusion und passgenaue Besetzung.

Vier neue Ehrenmitglieder

Für ihre Verdienste um die IHK und die Wirtschaft im Kammerbezirk zeichneten Dr. Matthias Leder und Rainer Schwarz im Auftrag der Vollversammlung vier ehemalige Mitglieder der Vollversammlung aus und ernannten sie zu Ehrenmitgliedern: Inge von Alvensleben, Wobst GmbH & Co. KG Gießen, hat fünf Legislaturperioden der Vollversammlung und jeweils vier dem Haushaltsausschuss und dem Regionalausschuss Gießen angehört. Dr. Angelika Schlaefke, Dr. Schlaefke Sprachen, Kommunikation & Training GmbH, war vier Legislaturperioden im Präsidium der Vollversammlung aktiv und hat sich vor allem für das Thema Bildung stark gemacht. Durch ihren kontinuierlichen Einsatz hat Angelika Schlaefke, die bereits bei der Gründung des Arbeitskreises Unternehmerinnen 2015 als eine von zwei Sprecherinnen gewählt wurde, diesen als beliebtes Netzwerk für weibliches Unternehmertum im Kammerbezirk etabliert. Sie bleibt darüber hinaus weiterhin Leiterin des Arbeitskreises Personal bei der IHK Gießen-Friedberg.
Ralph Kehl, Vorstand der VR Bank HessenLand eG Alsfeld, hat zwei von seinen insgesamt drei Legislaturperioden in der Vollversammlung dem Präsidium angehört und sei sowohl ein „wichtiger Vertreter des Vogelsbergkreises als auch ein kompetenter Ansprechpartner für Finanz- und Rechnungsfragen“ gewesen, wie Leder und Schwarz hervorhoben. Michael Kraft, Neils & Kraft GmbH & Co. KG, hat zwei von fünf Legislaturperioden dem Präsidium der Vollversammlung angehört und hatte eine Legislaturperiode den Vorsitz im Regionalausschuss Gießen inne. Leder dankte Michael Kraft für seinen „unermüdlichen Einsatz für eine ausgewogene Verkehrspolitik in der Stadt Gießen“.
Eine Ehrennadel erhielt Sigrid Fuhr, J.H. Fuhr GmbH & Co. KG Gießen, für vier Legislaturperioden in der Vollversammlung und eine im Handels- und Mittelstandsausschuss. Eine weitere Ehrennadel ging an Heinz-Jörg Ebert, Schuhhaus Darré GmbH & Co. KG Gießen, der für vier Legislaturperioden in der Vollversammlung sowie drei Legislaturperioden – davon eine als Vorsitzender – im Regionalausschuss Gießen gewürdigt wurde.

Innovativ und mitarbeiterorientiert

Ein weiterer Höhepunkt des Abends war die Verleihung des IHK-Unternehmenspreises 2024 an drei regionale Unternehmen: die Ille Papier-Service GmbH aus Altenstadt und die CURSOR Software AG aus Gießen in der Kategorie Handel und Dienstleistung sowie die Hotel K7 GmbH & Co. KG aus Bad Nauheim als Jungunternehmen wurden geehrt. Der Preis würdigt die Innovations- und Leistungskraft der Unternehmen im IHK-Bezirk. Schwerpunkt 2024 war das Thema „Attraktiver Arbeitgeber“. „Die Gewinnung von Fachpersonal stellt aktuell eine der größten Herausforderungen dar. Umso wichtiger ist es, dass Mitarbeiter Wertschätzung erfahren und ihnen attraktive Angebote, beispielsweise in puncto Vereinbarkeit von Familie und Beruf, gemacht werden“, unterstrich Leder.
„Die Auszeichnung war eine große Überraschung für uns“, freute sich Ivo Seher, Geschäftsführer des ersten Boutique-Hotels K7 in Bad Nauheim. 2019 eröffnet, zeichnen Individualität und Kreativität die 19 Zimmer des dreistöckigen Gebäudes aus. Genauso individuell wie die Räumlichkeiten wird auch auf die Bedürfnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingegangen: Kinder dürfen nach Absprache mit ins Büro gebracht werden, die Arbeitszeiten werden den Bedürfnissen angepasst. So wird beispielsweise Rücksicht darauf genommen, wenn jemand nicht – wie normalerweise in der Hotellerie üblich – am Wochenende arbeiten kann. Regelmäßig werden in Kooperation mit der Barmer Krankenkasse Gesundheitstage inklusive Checks angeboten.

Aufstiegschancen garantiert

Bei der Ille Papier-Service GmbH steht der Mensch im Mittelpunkt. Das dynamische Familienunternehmen bietet seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern spannende Entwicklungs- und Aufstiegschancen. „Bei uns werden Mitarbeiter gefordert, aber auch stark gefördert und wertgeschätzt“, unterstrich Ille-Projektleiterin Marisa Haas. Marion Gottschalk, die gemeinsam mit Eric Gottschalk und Andreas Trostmann das Unternehmen leitet, fügte hinzu: „Alle Mitarbeiter können sich weiterentwickeln, ohne dafür das Unternehmen wechseln zu müssen.“ Externe und interne Weiterbildungsmöglichkeiten stellen auch bei der Integration von Geflüchteten eine wichtige Säule dar. Optimale Rahmenbedingungen werden durch eine moderne Ausstattung mit Arbeitsmitteln geschaffen, die die Gesundheit der Mitarbeiter schützen und die Arbeit erleichtern. Der Spezialist für maßgeschneiderte Hygienelösungen legt großen Wert auf die Ausbildung junger Menschen und arbeitet hier eng mit der IHK Gießen-Friedberg zusammen.

Flexibles Arbeiten

„Ohne die Unterstützung der IHK würde es uns heute vielleicht nicht geben“, erklärte Thomas Rühl, Gründer und Vorstandsvorsitzender der CURSOR Software AG. Höchste Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit sind die strategischen Ziele des führenden Experten für digitales Kundenmanagement, Fachbegriff CRM – Customer Relationship Management. Aktuell zählt das Unternehmen 130 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter viele Absolventen der mittelhessischen Hochschulen, zu denen auch die Vorstände Jürgen Heidak (CTO) und Andreas Lange (CSO) gehören. „Bei uns tragen alle zum Unternehmenserfolg bei“, unterstrich Rühl. Flexibilität wird bei CURSOR großgeschrieben, sowohl bei den Arbeitszeiten als auch beim Arbeitsort. Durch ein breitgefächertes Weiterbildungsangebot – individuell oder im Team – wird die persönliche Entwicklung der Mitarbeiter kontinuierlich gefördert. Betriebliche Altersvorsorge sowie Gesundheitsförderung durch Sportangebote sind weitere Boni. Das Unternehmen bietet 13 Gehälter, eine Ergebnisbeteiligung, bezuschusste Unternehmensaktien und Jobräder.

Am Ball bleiben

„Aktuell befinden wir uns nicht in der Situation, Festreden auf Deutschland zu halten“, stellte Prof. Dr. Justus Haucap vom Düsseldorf Institute for Competition (DICE) gleich zu Beginn seines „ungeschminkten Lageberichtes“ zum Thema „Aufbruch statt Abbruch – Wie der Wirtschaftsstandort Deutschland Zukunft hat!“ klar. Sowohl in Bezug auf das BIP-Wachstum als auch auf die Wettbewerbsfähigkeit hinke Deutschland hinterher. Bei Letzterer sei man dem aktuellen IMD World Competitiveness Ranking zufolge auf Platz 22 abgerutscht. „Wenn man viel erreicht hat, fehlen die Anreize, Innovationen bleiben auf der Strecke“, bedauerte er und verglich die deutsche Wirtschaft mit dem Fußball. „Bei den letzten sechs Weltmeisterschaften sind vier der Weltmeister bereits in der Vorrunde ausgeschieden.“ Politik sei aber nicht in der Lage, sich zu korrigieren. Zwischen der globalen Finanzkrise 2008/09 und Corona habe Deutschland in einem „goldenen Zeitalter“ gelebt und dabei vergessen, auch „Großbaustellen“ wie den demografischen Wandel, die öffentliche Infrastruktur und die öffentliche Verwaltung, den Arbeitsmangel sowie die Haushalt- und Schuldenbremse anzupacken.

Mit Wettbewerbsnachteilen leben lernen

„China verbraucht mehr CO2 als alle OECD-Staaten zusammen“, kritisierte Haucap und sprach sich für eine international abgestimmte Klimapolitik aus, die Klimaschutz und wachsenden Wohlstand miteinander verbindet. Die Klimapolitik sollte sich mit Wachstum vereinbaren lassen, nicht mit Rezession. Ziel sollte es sein, etwas zu tun, das andere vielleicht nachmachen. Der Wettbewerbsnachteil zu den USA habe sich deutlich vergrößert, und auch zu Asien bestehe ohne Pipelinegas kein Wettbewerbsvorteil mehr. „Wir werden langfristig mit den Wettbewerbsnachteilen leben müssen. Ein subventionierter Industriestrom ist dauerhaft nicht durchzuhalten.“
Gemeinsam mit Japan habe Deutschland die höchsten Steuersätze innerhalb der G7-Staaten. Hier forderte der Volkswirtschaftler eine Verbesserung steuerlicher und regulatorischer Bedingungen für unternehmerische Investitionen und Innovation, wozu auch der systematische Abbau von überflüssiger Bürokratie und Regulierung zähle sowie eine ambitionierte Digitalisierungspolitik, deren Datenschutzbestimmungen attraktive Geschäftsmodelle nicht erschwere. „Eine Berichtspflicht, wie beispielsweise beim Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, sollte es nur bei voller Kostenerstattung geben.“ Dies könnte der Tendenz entgegenwirken, Leistungen, die früher der Staat übernommen habe, zu privatisieren.

Wenig Einhörner in Deutschland

Dass auch die Innovationsfähigkeit Deutschlands nachlasse, zeige sich an der abnehmenden Zahl angemeldeter Patente, sagte Haucap. Von den sogenannten Einhörnern, Unternehmen, die nach zehn Jahren einen Marktwert von über einer Milliarde Dollar haben, seien 50 Prozent in den USA angesiedelt, nur zwei Prozent in Deutschland. Aktuell sei die Beteiligung von Arbeitskräften am deutschen Arbeitsmarkt so hoch wie nie zuvor. Man könne also nicht von einem „Arbeitskräftemangel“ sprechen, sondern davon, dass viele Menschen weniger arbeiten. Auch hier gelte es, „bürokratische Knüppel“ vor allem im Hinblick auf die Migration abzuschaffen. Darüber hinaus sprach sich der Experte für eine Modernisierung der öffentlichen Infrastruktur und weitere Handelsabkommen mit Drittstaaten aus.
„Das Lösen der Schuldenbremse ist nicht sinnvoll“, warnte er. Denn Investitionen seien politisch unattraktiv, da die Kosten zwar heute entstünden, der Nutzen aber erst später eintrete. „Die Politik hat nach wie vor die Tendenz, Probleme mit Geld zu überdecken – das geht nicht mehr gut“, schloss Prof. Dr. Justus Haucap seinen Vortrag.
Pressemeldung Nr. 40
Verantwortlich für den Inhalt: Petra A. Zielinski, Tel. 06031/609-1920
Pressestelle: Doris Steininger, Tel. 06031/609-1100
Stand: 20.06.2024