IHK-Konjunkturumfrage: Zu schwache Lichtzeichen

Auch wenn der Konjunkturklimaindex etwas gestiegen ist: Von einem Aufschwung ist der IHK-Bezirk nach wie vor weit entfernt. Einzig die Dienstleistungsbranche meldet positive Indikatoren.
Die Verunsicherung in den Unternehmen hält unvermindert an. Im Vergleich zur Konjunkturumfrage zum Jahreswechsel 2023/24 hat sich der Konjunkturklimaindex nur um wenige Punkte auf 91,6 Punkte verbessert. Zum Jahreswechsel notierte er bei 87,8 Punkten. Die Zufriedenheitsschwelle von 100 Punkten wird nach wie vor deutlich unterschritten, der maximal mögliche Wert liegt bei 200 Punkten. Seit Herbst 2020 notierte der Konjunkturklimaindex nur in drei von elf Konjunkturumfragen über 100 Punkte. „Die Negativserie verdeutlicht, dass die Unternehmen in einer anhaltend schlechten Verfassung sind“, erklärt IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder.
Es mangelt an Wachstumsimpulsen. Selbst wenn es einige Lichtblicke gibt wie gesunkene Energiepreise und eine niedrigere Inflation, zeigt sich dennoch, dass Deutschland nach zwei Rezessionsjahren in diesem Jahr nur mehr in eine Stagnation wechselt. Laut Europäischer Zentralbank (EZB) dürfte der Euroraum in diesem Jahr um 0,6 Prozent wachsen. Deutschland kommt dagegen im Vergleich 2024 gerade auf einen mageren Zuwachs von 0,3 Prozent und wäre damit wieder unter den Schlusslichtern im Euroraum.

Wenig Spielraum für Innovationen

„Die Stimmung in vielen Unternehmen bleibt angespannt. Als größtes Risiko sehen die Unternehmerinnen und Unternehmer die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen. Damit ist die Politik gefordert, endlich das Ruder rumzureißen und nachhaltig bessere Bedingungen für die Unternehmen zu schaffen“, erklärt Leder. Nahezu ähnlich kritisch beurteilen die Betriebe den Fachkräftemangel, die Inlandsnachfrage sowie die Energie- und Rohstoffpreise. „Diese Mixtur führt dazu, dass zu wenig Zeit und Geld für Innovation und Wachstum bleibt“, ergänzt der Hauptgeschäftsführer.
Der IHK-Konjunkturklimaindex ist ein Mittelwert aus die Lagebeurteilung und Erwartungen an die zukünftige Geschäftslage. Weitere Fragen der Konjunkturumfrage drehen sich um geplante Investitionen, die Entwicklung von Beschäftigung und Export, Entwicklungsrisiken, Investitionsmotive und -pläne oder die Finanzlage der Unternehmen. Zwischen Mitte März und Ende April hat die IHK Gießen-Friedberg über 870 Betriebe in ihrem Bezirk befragt, zu dem die Landkreise Gießen (außer Wettenberg und Biebertal), Vogelsberg und Wetterau zählen. An der Umfrage teilgenommen haben 297 Betriebe.

Saldo bei Investitionen im Minus

Ein Indikator für die Entwicklung der Konjunktur sind geplante Investitionen. Im IHK-Bezirk will rund jeder fünfte Betrieb mehr investieren, mehr als jeder dritte plant weniger Investitionen. Der Saldo ist damit negativ. „In erster Linie gehen die Unternehmen den Ersatzbedarf an“, erläutert IHK-Präsident Rainer Schwarz. Mit 64,2 Prozent ist dies mit großem Abstand das wichtigste Motiv.Produktinnovationen streben rund 26 Prozent der Betriebe an, rationalisieren wollen gut 24 Prozent.
Einzelne Vorhaben entfalten jedoch eine gewisse Strahlkraft in der Region. So plant der neue Eigentümer der Spezialpapierfabrik IS Holding eine umfangreiche Investition. Die türkische Unternehmensgruppe hatte die 200 Jahre alte Papierfabrik in Ober-Schmitten übernommen, nachdem der Standort vom Vorbesitzer geschlossen worden war. In Alsfeld entsteht ein 44 Hektar großes Industriegebiet, wo sich DHL Express und Nordwest ansiedeln. Beide Unternehmen werden dort Logistikzentren aufbauen.
Im Vogelsberg schreitet der Ausbau der Windkraft voran. Hier werden vermehrt mehrere kleine Anlagen durch eine neue und deutlich höhere Anlage ersetzt. Im Windpark Eckmannshain entstehen aktuell drei Großrotoren, ein Umspannwerk folgt im Herbst. In den Ulrichsteiner Windparks sind ebenfalls größere Umbauten geplant: 18 Anlagen sollen abgebaut, fünf neue Energieerzeugungsanlagen aufgestellt werden.

Dienstleister stützen Konjunktur

Mehr investieren wollen vor allem die Dienstleister. Fast jeder dritte Betrieb gab an, dass die Investitionen steigen sollen, jeder zweite plant gleichbleibende Investitionen. In dieser Branche notiert der Konjunkturklimaindex mit einem Wert von 105,3 auch über der Zufriedenheitsschwelle von 100 Punkten. „Die Dienstleistungsbranche hat sich zu einer starken und stabilen Stütze der Konjunktur entwickelt“, erklärt Schwarz. Die IT-Branche liegt dabei mit einem Wert von 136,7 Punkten weit vorn. Sie profitiert vom Strukturwandel, der mit der Digitalisierung einhergeht und zudem von der Corona-Pandemie beschleunigt wurde.
Mehr Personal wollen knapp 17 Prozent der Dienstleister einstellen, rund jeder zehnte Betrieb plant einen Beschäftigungsabbau. Der Saldo liegt mit 6,3 Punkten im positiven Bereich.
Ein Beschäftigungsabbau infolge Künstlicher Intelligenz (KI) zeigt sich in der Dienstleistungsbranche noch nicht. Die KI-Transformation dürfte unter den Büro-Jobs zu einer deutlichen Veränderung führen. „Mit einer beschleunigten Einführung von KI und einer effektiven Weiterqualifizierung von Arbeitnehmern entstehen große Chancen auf Produktivitätswachstum in den Unternehmen“, sagt Leder. Laut einer aktuellen Studie des McKinsey Global Institute könnten in Deutschland bis zum Jahr 2030 fast ein Drittel aller Arbeitsstunden automatisiert werden. Die stärksten Veränderungen ergeben sich nach Ansicht der Studienautoren in den Verwaltungsbereichen von Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen. 

Gießener Einzelhandel leidet

Dass der Galeria-Konzern seine Filiale in Gießen nicht schließt, ist ein starkes Signal für die Gießener Innenstadt. Mit dem Gießener Verkehrsversuch verzeichnete das Warenhaus einen hohen Umsatzverlust, sodass die Zukunft ungewiss war. Auch für andere Geschäftsleute und Immobilienbesitzer dürfte sich durch den Fortbestand des Warenhauses eine stärkere Bereitschaft für Investitionen ergeben. „Wenn sich die Rahmenbedingungen in der Gießener Innenstadt hin zu einer verbesserten Infrastruktur und einer ausgewogenen und verlässlichen Verkehrsplanung entwickeln, wird der Standort ungemein profitieren“, erklärt IHK-Präsident Schwarz.
Ein schneller Anschub ist dabei mehr als wünschenswert. Im Landkreis Gießen (außer Wettenberg und Biebertal) liegt der Konjunkturklimaindex im Einzelhandel bei 50,9 Punkten und ist damit gegenüber der Umfrage vom Jahreswechsel regelrecht abgestürzt. Damals lag er bei rund 80 Punkten. Insgesamt beläuft sich der Konjunkturklimaindex für den Landkreis Gießen auf 87,9 Punkte.

Fachkräftemangel im Vogelsberg

Ihre zukünftige Geschäftslage beurteilen vier von zehn Vogelsberger Betriebe eher ungünstig, sodass der Konjunkturklimaindex bei lediglich 74,6 Punkten liegt. In dieser Region spielt auch der Fachkräftemangel eine viel stärkere Rolle als im stärker städtisch geprägten Landkreis Gießen. Mehr als 60 Prozent der Unternehmen sehen im Fachkräftemangel ein Risiko für die wirtschaftliche Entwicklung (Gießen: knapp 49 Prozent).
Die Vogelsberger Industriebetriebe bewerten ihre aktuelle Geschäftslage deutlich pessimistischer als noch zum Jahreswechsel. Vier von zehn Betrieben geben eine schlechte Geschäftslage an, nur jeder zehnte Betrieb meldet eine gute Lage. Optimistisch blicken lediglich 5 Prozent der Industriebetriebe in die Zukunft. In dieser Branche notiert der Konjunkturklimaindex bei lediglich 67,5 Punkten. Noch vor einem Jahr lag er bei 106,4 Punkten. Fallende Exporterwartungen sind ein Faktor für diese Entwicklung. Sechs von zehn Betrieben gehen von einem Rückgang ihrer Exporte aus. Frappierend auch hier der Fachkräftemangel: 65 Prozent der Betriebe sehen darin ein Risiko für ihre Entwicklung.
In Lauterbach plant die STI Group eine größere Investition. Allerdings steht das Werk gleichzeitig vor einem größeren Stellenabbau. In den Standort Lauterbach will das Unternehmen bis Ende des Jahres über zehn Millionen Euro investieren. Ein Teil der Produktion wird umziehen, die Displayherstellung soll zukünftig im Werk Neutraubling bei Regensburg erfolgen.

Höherer Index in der Wetterau

In der Wetterau beläuft sich der Konjunkturklimaindex auf 101 Punkte. Der Indexwert legte gegenüber dem Jahreswechsel um fast neun Punkte zu. Die aktuelle Geschäftslage bewertet knapp jeder dritte Betrieb als gut, zufrieden äußert sich jeder zweite. Eine günstigere Geschäftslage in der Zukunft erwarten rund 16 Prozent, insbesondere die IT-Dienstleister blicken optimistisch in die Zukunft (33,3 Prozent).
Skeptisch schätzen die Wetterauer Unternehmerinnen und Unternehmer die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen ein. Diese werden als gravierendes Entwicklungsrisiko gesehen (54,1 Prozent), gefolgt vom Fachkräftemangel (47,4 Prozent) und den Arbeitskosten (45,2 Prozent).
Mit der Initiative des Business Improvement Districts (BID) „Innovationsquartier Kaiserstraße“ soll die Friedberger Einkaufsstraße in ein zukunftsorientiertes Viertel umgewandelt werden. Auf der Kaiserstraße sind etliche inhabergeführten Unternehmen ansässig, so etwa Optik Rahn, Frick Wohn- und Tischkultur oder das Bettenhaus Decher. Im Fokus steht die Umgestaltung der Kaiserstraße hin zu mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität.

Pressemeldung Nr. 38
Verantwortlich für den Inhalt: Doris Steininger, Tel. 06031/609-1100
Pressestelle: Doris Steininger, Tel. 06031/609-1100
Stand: 14.06.2024