So kommen Nachfolger und Unternehmen zusammen
Digitalisierung stärken, Bürokratie abbauen und in Schulen Wirtschaftsthemen intensiver beleuchten: Mit diesem Mix könnte es gelingen, mehr Interesse am Unternehmertum zu wecken – so weit die unstrittigen Punkte auf der IHK-Podiumsdiskussion zur Nachfolgegründung. Beim Thema Steuern lagen die Ansichten dagegen weit auseinander.
Eine Unternehmensnachfolge bietet Chancen für berufliche Perspektiven. Doch die aktuelle wirtschaftspolitische Lage ist schwierig, sodass Interessenten oft zögern, sich eine Nachfolge zuzutrauen. „Gerade deshalb muss von der Politik die richtige Weichenstellung vorgenommen werden, um Gründungen insgesamt attraktiver zu machen“, erklärte Jochen Ruths, IHK-Vizepräsident auf der Podiumsdiskussion „Nachfolgegründung – Die Zukunftsperspektive!“ am 13. März in der Gießener Geschäftsstelle der IHK. Zu der Veranstaltung hatte der IHK-Verbund Mittelhessen alle im Hessischen Landtag vertretenen Parteien eingeladen. „Als IHK wollen wir dazu beitragen, die Antworten der Politik transparenter zu machen“, so Ruths. Moderator des Abends war Carsten Jens, Chef vom Dienst bei hr-Info. Der IHK-Verbund Mittelhessen umfasst die IHKs Gießen-Friedberg, Lahn-Dill. Limburg und Kassel-Marburg.
Der Blick auf einige Zahlen macht deutlich: Der Handlungsbedarf ist groß. Laut einem KfW-Monitoring war 2021 fast jeder dritte Unternehmer über 60 Jahre alt. Bis 2025 streben jedes Jahr rund 120.000 Unternehmen eine Nachfolge an. Jedoch gab es in den vergangenen Jahren nur rund halb so viele Nachfolgegründungen, nämlich durchschnittlich 60.000. „Es gehören viel Mut und ein breites Kreuz dazu, ein Unternehmen zu übernehmen“, unterstrich Jens. Doch Interessenten seien Mangelware. „Warum diese Verzagtheit?“, fragte der Moderator. Hohe Unternehmenssteuern und Energiepreise seien zwei wesentliche Gründe, warum zu wenig Unternehmen interessierte Nachfolger fänden, so Jens weiter.
Gestalteten einen gelungenen Abend (v.l.): Moderator Carsten Jens, Tobias Eckert (SPD), Elisabeth Kula (Die Linke), Dr. Frank Wendzinski (IHK Gießen-Friedberg), Lisa Deißler (FDP), Jochen Ruths (Vizepräsident IHK Gießen-Friedberg), Kaya Kinkel (Bündnis 90/Die Grünen), Michael Ruhl (CDU), Andreas Lichert (AfD), Stephan Schmidt (Vizepräsident IHK Limburg)
© Ann-Kathrin Oberst/IHK GI-FB
Elisabeth Kula, Fraktionsvorsitzende der Linken im Hessischen Landtag, hielt dem entgegen, dass es dennoch ab fünf Millionen Euro Unternehmensvermögen eine Vermögenssteuer in Höhe von einem Prozent brauche. „Im ländlichen Raum gibt es im Gesundheitswesen und für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs einen enormen Investitionsbedarf“, so ihre Begründung. Eine Vermögenssteuer würde die Bereitschaft zu gründen oder zu übernehmen noch stärker ausbremsen, kritisierte Lisa Deißler, Mitglied des Hessischen Landtags für die FDP. Deutschland habe kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem, ergänzte Andreas Lichert, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Alternative für Deutschland in Hessen. Steuersenkungen seien das Mittel der Wahl, um die richtigen Anreize für Nachfolge und Unternehmertum zu setzen. Zusätzlich zu einer Anhebung der Vermögenssteuer sprach sich Kula auch für eine Erhöhung der Erbschaftssteuer aus, wobei es einen Substanzschutz für KMU geben solle. Gesellschaftlicher Reichtum werde in erster Linie vererbt, hohe Vermögen sollten stärker zur Verteilungsgerechtigkeit beitragen.
Schülern die Praxis nahebringen
Doch nicht nur das unsichere Umfeld lässt potenzielle Nachfolger zögern. Vielen fehlt es auch am nötigen Wissen. Mit zwei Schulstunden Politik und Wirtschaft ab der Sekundarstufe 2 zeigte sich Stephan Schmidt, Vizepräsident der IHK-Limburg und geschäftsführender Gesellschafter eines Tonbergbauunternehmens mit Sitz im Westerwald, nicht zufrieden. „Wie können wir Leistungsbereitschaft fördern, wenn wir eine Generation von Halbtagskräften heranziehen?“, fragte er provokativ. Ein eigenes Fach Wirtschaft ab Klasse 7 wäre zudem wünschenswert. Zwei Wochenstunden seien kaum ausreichend, um die grundsätzlichen Umfänge von Demokratie und Wirtschaft zu vermitteln.
Ein Zuhörer wies auf Skandinavien hin, wo Bauprojekte im Schulunterricht geplant würden. Dies wünsche er sich auch in Deutschland. Mehr Wirtschaft in der Schule sei aber nicht über bestimmte Fächer abzubilden, so die Meinung von Lisa Deißler. Es gelte, lebensnahe Projekte in bestehende Fächer hineinzutragen. „An den Fachoberschulen und berufsbezogenen Gymnasien findet genau das – je nach Standort – schon statt“, erklärte Michael Ruhl, Landtagsabgeordneter der CDU. Praxisnähe sei in diesen Schulformen gegeben und für manchen Schüler sei eine solche Schulform die bessere Wahl, wenn sich die berufliche Richtung schon im Jugendalter abzeichne. Interessant werde es zudem, wenn es die Möglichkeit gäbe, in den ersten Berufsschuljahren Ausbildungsgänge zusammenzufassen. Damit könnten junge Menschen näher am Wohnort ausgebildet werden.
Mehr Praxisnähe als alleiniger Anreiz für mehr Interesse an Unternehmensgründungen oder -nachfolgen dürfte die rückläufigen Zahlen indes nicht umkehren. 2022 ging die Zahl der Gründungen laut einer Studie des Start-up-Verbandes und des Branchendienstes Startupdetector um rund 18 Prozent zurück. Der Trend habe sich sogar im Jahresverlauf noch verstärkt.
Dass auch ein Bürokratieabbau zwingend notwendig ist, um Anreize zu schaffen, war Konsens in der Runde. „In Hessen müssen wir sogar noch Tankrechnungen aufkleben für einen Zuschuss – das ist nicht 2023“, kritisierte der SPD-Landtagsabgeordnete und Sprecher für Wirtschaftspolitik, Tobias Eckart. Eine Unternehmensgründung sollte auf staatlicher Seite schneller abgewickelt werden.
Mehr Gründungen auf dem Land
In Mittelhessen mit seiner starken Hochschulbasis, einer dynamischen Gründertätigkeit und intensiven Vernetzung würden die ländlichen Räume direkt von weniger Bürokratie und mehr Digitalisierung profitieren. Kaya Kinkel, Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion für Energie, erinnerte daran, dass ländliche Räume durch die Corona-Pandemie einen Boom erfahren hätten aufgrund der Lebensqualität, die es dort gebe. „Und wir stellen auch fest, dass die Gründungsaktivitäten im ländlichen Raum wieder verstärkt zunehmen.“ Voraussetzung sei ein gutes Internet. Die Gründungsaktivitäten und die Förderung der Unternehmensnachfolge dürften sich nicht nur auf Ballungsgebiete und Städte beschränken, sondern müssten auch eine Wirkung im ländlichen Raum entfalten. „Ich sehe aktuell ein großes Potenzial für die ländlichen Räume.“
Trotz vielfältiger und kontroverser Ansichten zu vielen Aspekten der Unternehmens- und Nachfolgegründung waren sich in einem Punkt alle einig: Gründen lohnt sich!
Trotz vielfältiger und kontroverser Ansichten zu vielen Aspekten der Unternehmens- und Nachfolgegründung waren sich in einem Punkt alle einig: Gründen lohnt sich!
IHK unterstützt Nachfolgeprozesse
Gefördert werden Nachfolgeprozesse auch durch die Beratungen der IHK mittels Sprechtagen und Seminaren. Zudem erhalten Interessierte Unterstützung durch die Plattform „nexxt-change“, eine etablierte Börse für die Unternehmensübergabe. Zudem hat die IHK Gießen-Friedberg zusammen mit den IHKs Kassel-Marburg, Lahn-Dill und Limburg ein Förderprojekt aus Mitteln des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) aufgesetzt, um die Unternehmensübergabe im ländlichen Raum zu analysieren und gezielt zu fördern.
Herausgegeben am 17. März 2023
Pressemeldung Nr. 23
Verantwortlich für den Inhalt: Doris Hülsbömer, Tel. 06031/609-1100
Pressestelle: Doris Hülsbömer, Tel. 06031 / 609-1100
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Stand: 19.07.2024