Vom Analogen hin zum Digitalen

Zehn Wahlgruppen – zehn Branchen, Teil 4: Vier Vollversammlungsmitglieder aus regionalen Banken berichten über die Herausforderungen ihres Arbeitsalltages und ihren Weg vom Gestern zum Heute und ihre Vision zum Morgen.
An den Beginn seiner Ausbildung kann sich Ralph Kehl noch bestens erinnern. Am 1. August 1986 startete der angehende Bank kaufmann bei der Raiffeisenbank Kirchhain, Vorgänger der VR Bank Hessenland eG. „Man legte mir einen großen Stapel Kontoauszüge auf den Tisch, die ich nach Ortschaften und Kontonummern sortieren musste. Das war schon ziemlich desillusionierend“, sagt Kehl, heute Mitglied des Vorstandes. Damals sei es auch üblich gewesen, dass Kunden mit ihren Rechnungen in die Bank kamen, um vor Ort mit einem Mitarbeiter den Überweisungsträger auszufüllen. Knapp 40 Jahre später haben Automatisierung und Digitalisierung die Branche radikal verändert. „Die Innovationszyklen werden immer kürzer“, beobachtet der Vizepräsident der IHK Gießen-Friedberg.

Weniger Institute und Filialen, weniger Mitarbeiter

Wie der technologische Fortschritt und der Zwang zur Größe die Bankenlandschaft verändert haben, zeigt eindrucksvoll ein Blick in die Statistik: Binnen 30 Jahren sank die Zahl der Institute laut Bundesbank von 4.700 auf 1.679. Arbeiteten nach der Jahrtausendwende (2003) noch 722.000 Beschäftigten bei Geschäftsbanken, Sparkassen und Volksbanken, waren es Ende 2020 nur noch 552.000. Und das einst dicht geknüpfte Filialnetz von fast 70.000 Geschäftsstellen (1995) dünnten die Institute auf zuletzt 25.700 aus. Bei der VR Bank Hessenland waren es 81 Zweigstellen im Jahr 2000, heute sind es gerade noch 11.
Und doch bleiben die Geschäftsmodelle in ihren Grundzügen aktuell. „Sparen, leihen und wohltätig sein, diese Ideen aus der Vergangenheit sind die Elemente unseres Geschäftsmodells für Gegenwart und Zukunft“, sagt Roman Kubla, Vorstandsmitglied bei der Sparkasse Oberhessen, deren Geschichte 1833 mitten in der Wetterau in Nidda begann. Bei einem der ersten Vorgängerinstitute, der „Ludwig- und Mathildenstiftung“, konnten die Bürger erstmals ihr Erspartes sicher und zinserträglich anlegen. Dank der Einlagen konnte die Stiftung Geld ausleihen und aus den Zinserträgen auch wohltätige Zwecke in der Region fördern.

App statt Schalter, Karte statt Bargeld

Blieben Bankgeschäfte rund 150 Jahre meist mit dem Besuch in einer Filiale verbunden, markierte das Jahr 1980 den Beginn eines neuen Zeitalters im Zahlungsverkehr. Am 12. November 1980 startete die Deutsche Bundespost die ersten größeren Versuche zu Finanzgeschäften via Bildschirmtext (BTX). „Heute werden rund zwei Drittel aller Geschäftsvorfälle in unserer Sparkasse von den Kunden digital erledigt“, weiß Kubla. In einer zunehmend digitalisierten Welt habe sich die Sparkasse Oberhessen zu einem Überall-Finanzdienstleister entwickelt: mit Online-Banking, Sparkassen-App, innovativen Bezahllösungen mit dem Smartphone, medialen und digitalen Beratungs- und Serviceangeboten per Telefon, Chat und E-Mail sowie persönlicher Beratung vor Ort mit einem weiterhin dichten Filialnetz. Selbst jeder Dritte der älteren Kunden (über 70 Jahre) sei digital unterwegs. 320.000 Anrufe gehen jährlich in der Telefonfiliale ein. Gleichzeitig gebe es einen Trend zum bargeldlosen, oftmals auch kontaktlosen Bezahlen, zuletzt auch verstärkt durch die Corona-Pandemie. Die Kartenzahlungen hätten mittlerweile die Barzahlungen überrundet, so Kubla.
Einen Alltag ohne Bargeld kann sich die Wirtschaft trotzdem nicht vorstellen. Die Vollversammlung der IHK Gießen-Friedberg hat sich deshalb im März 2016 in einer Resolution einstimmig gegen die absehbare Änderung von Obergrenzen bei Bargeldtransaktionen sowie gegen die teure Abschaffung des 500-Euro-Scheins innerhalb der EU ausgesprochen. Der Staat könne nicht alle Unternehmer unter Generalverdacht stellen, Geldwäsche zu betreiben, nur weil größere Rechnungsbeträge mit Bargeld bezahlt werden. Namhafte Experten, darunter der ehemalige Bundesbankpräsident Jens Weidmann bestätigten laut IHK, dass die gewählten Obergrenzen ungeeignet seien, um kriminellen Geldwäschern das Handwerk zu legen. Bargeld biete zudem einen Schutz vor Negativzinsen. Für Alexander Schagerl, Vorstandsmitglied der 1872 gegründeten Volksbank Lauterbach-Schlitz eG und Befürworter der Bargeldkampagne, ist die Bargeldliebe der Deutschen einerseits kulturell geprägt, andererseits auch eine Frage der Freiheit. Ferner sollte man bedenken, dass unbare Transaktionen den Zahlungsverkehr gläserner machen. „Das kann jeder täglich beobachten, wenn nach einem Online-Kauf plötzlich passende Werbung auf dem Bildschirm erscheint.“

Kritik am digitalen Euro

„Die für 2026 geplante Einführung des digitalen Euro markiert den Beginn des nächsten großen Innovationszyklus“, sagt Kehl. Nachdem Hyperinflationen in den 1920er- und 1940er-Jahren zwei Währungsreformen nach sich gezogen hatten und es mit dem Euro erstmals ein europaweit einheitliches Zahlungsmittel gibt, will die EZB ein weiteres Währungskapitel aufschlagen, was die IHK Gießen-Friedberg allerdings kritisch sieht: „Wir warnen vor der geplanten Einführung des digitalen Euro als einem weiteren Schritt zur scheibchenweisen Abschaffung von Bargeld“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Matthias Leder.
Sollte die EZB jedoch den Plan umsetzen, würde ein Teil des Zahlungsverkehrs nicht mehr über die Banken laufen, sondern direkt von Kunde zu Kunde oder auch Unternehmen zu Unternehmen abgewickelt“, sagt Kehl. Die Bank als Intermediär fällt dann aus. „Wir wandeln uns bereits jetzt vom reinen Finanzdienstleister zum regionalen Ökosystem.“ Schon heute biete die VR Bank Hessenland ihren Kunden zum Beispiel IT- und Handwerker-Dienstleistungen an. „Unsere Marke steht für Vertrauen. Und wer seiner Bank Geld anvertraut, vertraut ihr zum Beispiel auch seine Daten an“, bringt es der Genobank-Chef auf den Punkt.

Skepsis auch mit Blick auf Kryptowährungen

Dass sich nicht jede Innovation wie erwartet durchsetzt, lehrt die Geschichte der Kryptowährungen, die mit ihren Berg- und Talfahrten Märkte und Anleger in Atem halten. Eigentlich, so die Vision, sollten Bitcoin & Co. künftig das dominierende Zahlungsmittel im Internet werden. Im September vergangenen Jahres hatte El Salvador als erstes Land der Welt die Kryptowährung als gesetzliches Zahlungsmittel eingeführt. Nun fordert der Internationale Währungsfonds (IWF) den mittelamerikanischen Staat auf, der Cyber-Devise diesen Status wieder zu entziehen. Mit der Verwendung seien große Risiken verbunden – für die Finanzstabilität, die finanzielle Integrität und den Verbraucherschutz. Auch Mark Zuckerberg zahlte Lehrgeld. Der mächtige Facebook-Chef wollte, dass die ganze Welt mit „Diem“, zuvor „Libra“, zahlt statt in lokalen Währungen. Gegen das Prestigeobjekt liefen jedoch Regierungen und Notbanken Sturm – mit Erfolg. Zuckerberg hat das Kryptoprojekt „Diem Association“ Anfang Februar 2022 offiziell beerdigt.
Während die Deka, das Wertpapierhaus der Sparkassen-Finanzgruppe, auf einer Blockchain-basierten Deka-Wertpapierplattform erste Kryptowertpapiere – Urkunden in Papierform werden dafür nicht mehr benötigt – elektronisch emittiert, bleibt Schagerl von der Volksbank Lauterbach-Schlitz skeptisch. „Riskant, spekulativ, volatil und anfällig für Hackerangriffe“ nennt er als mögliche Gefahren von Bitcoin & Co. Im vergangenen Jahr habe der Höchststand bei knapp 60.000 Euro gelegen, das Tief bei 24.340 Euro. Für die Kunstwährung gebe es keine ausreichenden Sicherungssysteme, keinen Gegenwert wie bei Gold oder Aktien und schließlich würden für das Schürfen der Währung Unmengen an Energie verbraucht.

Vor dem Durchbruch soll derweil, glaubt man den Experten, eine neue Vermögensklasse stehen: „Non-Fungible Tokens“ (NFTs), digitale Echtheits- und Eigentumszertifikate, die mit einer Verschlüsselungstechnik zum Unikat programmiert werden. Mit NFTs können Anleger zum Beispiel digitalen Besitz an einem Bild erwerben, ohne dafür ein physisch greifbares Werk zu bekommen. Wie viele Anwendungen der Blockchain-Technologie sind NFTs eine neue Form von Verträgen, bei denen traditionelle Mittelsmänner wie Banken und Aufsichtsbehörden außen vorbleiben.
Während Kryptoprodukte noch den Beweis liefern müssen, dass sie nicht nur innovativ, sondern nachhaltig erfolgreich sind, haben Fintechs mit ihren technologiegetriebenen Finanzinnovationen den traditionellen Banken vorgemacht, dass disruptive Geschäftsmodelle etablierte Märkte sehr schnell umkrempeln können. Mehr als 700 Fintechs hätten sich in Deutschland mittlerweile etabliert, so der „FinTech Startup Monitor 2021“. Binnen weniger Jahre gelang einigen von ihnen der Ritterschlag zum sogenannten Einhorn, wie die Branche Start-ups nennt, die mit einer Marktbewertung von mehr als einer Milliarde US-Dollar glänzen, darunter der Online-Broker Trade Republic (2015), die Smartphone-Bank N26 (2013), der Anbieter digitaler Bankdienstleistungen Solarisbank (2016), das Anlageportal Raisin DS (2013) sowie der Anbieter Cloud-fähiger Bankensoftware Mambu (2011)

Werden Banken noch gebraucht?

Und während die Digitalisierung voranschreitet, ändert sich auch das Berufsbild. Mit der neuen Ausbildungsordnung, die seit dem 1. August 2020 für den Beruf Bankkaufmann/-frau gilt, hat sich auch die Finanzbranche zeitgemäßer aufgestellt. Die Vorgängerordnung stammte immerhin aus dem Jahr 1998, also aus einer Zeit, in der mobile Kommunikation noch kaum eine Rolle spielte. Digitaler, kunden- und praxisorientierter soll die Ausbildung künftig sein.
Als Hans-Heinrich Bernhardt Mitte der 1970er-Jahre seine Lehre zum Bankkaufmann machte, schrieb er noch auf einer IBM-Kugelkopfschreibmaschine. Wechsel, Schecks und Überweisungen wurden damals teils noch von Hand ausgefüllt. Wie das Digitale immer stärker das Analoge ablöst, belegen zahlreiche innovative Produkte. „Bis Ende 2022 können die Kunden bei uns selbst Kreditverträge komplett online abschließen“, sagt der Vorstand der 1858 gegründeten Volksbank Mittelhessen eG. Gleichzeitig etablierten sich neue Zahlungsmethoden, etwa „Pay-per-Use-Modelle“, bei denen die Unternehmer zum Beispiel Anlagen nicht mehr selbst erwerben, sondern nur noch nutzungsbasiert mit dem Hersteller abrechnen. Finanzierungspartner sind Banken oder auch Fintechs, die für die neue Art der Geschäftsbeziehung (Equipment-as-a-Service) Plattformen entwickeln. „Wir werden als Plattform gebraucht, um die Zahlungsströme zu managen“, sagt Bernhardt.
Mit gemischten Gefühlen beobachtet der Volksbank-Chef die wachsende Konkurrenz im Zahlungsverkehr. Neben den mächtigen US-Kreditkartenorganisationen Mastercard und Visa, Online-Bezahldiensten wie PayPal, Zahlungsabwicklern wie der niederländischen Adyen oder der deutschen RatePay mischen zunehmend die amerikanischen Tech-Konzerne wie Amazon mit Amazon Pay oder Apple mit Apple Pay auch am deutschen Point of Sale mit. Mit der European Payments Initiative (EPI) wollten die Europäer eigentlich ein eigenes Zahlungssystem aufbauen, um unabhängiger von der US-Konkurrenz zu werden. Aufgrund unterschiedlicher Interessen geriet das Projekt jedoch zuletzt ins Stocken. „Wenn wir in Europa nicht unsere Kräfte bündeln, verlieren wir an Boden gegenüber den USA und Asien“, unterstreicht Bernhardt. Auch mit der chinesischen Alipay-App könnten mittlerweile deutsche Kunden hierzulande bezahlen. Die Zukunft des Bankgewerbes schätzt Bernhardt recht nüchtern ein. „Banking is necessary. Banks are not“, zitiert der Banker Microsoft-Gründer Bill Gates, der diese Vision schon 1994 formulierte und viele ins Grübeln brachte. Heute ist die Gefahr durchaus real.
Herausgegeben im IHK-Wirtschaftsmagazin im April 2022
Der Video zum Thema steht in Kürze online.
Bewegt – damals wie heute
In diesem Videobeitrag überlegt die Dame von Welt um das Jahr 1892, wie sie ihr mühsam erspartes Geld gut anlegen kann. Den Sparstrumpf wirft sie dabei am Ende mutig in die Lüfte im Vertrauen, dass ein Bankenmensch von heute gewinnbringende Vorschläge macht. Welche Projekte die IHK in der Finanzpolitik zum Wohle der Wirtschaft bearbeitet, wird dann zudem ein Thema sein. Protagonistin ist wieder die Kunsthistorikerin Dr. Jutta Failing.
  




Stand: 04.01.2023