Vom Rathausbau zur Cyberversicherung

Zehn Wahlgruppen – zehn Branchen, Teil 2: Vier Dienstleister aus den Reihen der IHK-Vollversammlung berichten über ihren Weg vom Gestern zum Heute und ihre Vision zum Morgen.
Dienstleistung hat viele Gesichter und umfasst alle Bereiche des täglichen Lebens. Und schon immer hatte sie etwas mit Menschen zu tun. In fortgeschrittenen Volkswirtschaften machen Dienstleistungen aktuell etwa zwei Drittel der Wertschöpfung und Beschäftigung aus. Auch im Bezirk der IHK Gießen-Friedberg gibt es die unterschiedlichsten Angebote. Stellvertretend für alle anderen stehen die folgenden vier Beispiele.

Vernetzte Planung

Mit der Gründung eines Architekturbüros durch Heinrich Hohmann im Jahre 1934 begann die lange und erfolgreiche Geschichte der blfp architekten. „Damals wurden die Bauvorhaben noch auf einem Zeichenbrett mit einem Tuschefüller konstruiert“, weiß Andreas Schmitt, seit 2013 Geschäftsführer des Unternehmens, das an den Standorten Friedberg und Gießen aktuell rund 100 Mitarbeiter zählt. Perspektiven, Schnitte und Ansichten wurden damals auf diese Weise in die dritte Dimension gebracht. Arbeitsmodelle entstanden in der eigenen Werkstatt. 1989 hielt mit „Viktor“ der erste Computer Einzug in das Architektenbüro und die Tuschezeichnungen wurden durch CAD (Computer-aided Design) ersetzt.
„Intelligenz hat der Strich aber erst durch den Einsatz von BIM bekommen“, sagt Schmitt. BIM bedeutet „Building Information Modeling“ und steht für die vernetzte Planung, den Bau und die Bewirtschaftung von Gebäuden mithilfe von Software. Hierbei werden alle relevanten Bauwerksdaten digital modelliert, kombiniert und erfasst. „Großer Vorteil ist, dass alle Beteiligten gemeinsam an einem Modell arbeiten können. Das sorgt für eine hohe Planungssicherheit und -tiefe“, erklärt Schmitt, der seit 2018 gemeinsam mit Claudia Moser, Günter Gondolf, Olaf Fritz und Benjamin von Zehmen – alles langjährige Mitarbeiter – Gesellschafter des Unternehmens ist. Von 2002 bis 2017 war Michael Frielinghaus alleiniger Inhaber. Damals hieß das Unternehmen BLFP Frielinghaus Architekten. „Wir haben einen Wandlungsprozess vollzogen, weg vom klassischen Alleingesellschafter hin zu einem Unternehmen mit mehreren Gesellschaftern“, unterstreicht Schmitt. Mit Jahresende 2021 wurde Claudia Moser als weitere Geschäftsführerin bestellt.
Business_BLFP_Druckmedien_Jemanda (11 von 58)

Besondere Projekte

Tätig ist das Architektenbüro heute bundesweit in allen Typologien des Hochbaus. Während in den 1980er- und 1990er-Jahren der öffentliche Bau, Schul- und Sportstätten einen Tätigkeitsschwerpunkt bildeten, sei man heute auch verstärkt im Wohnungsbau, im Bürobau, bei Bauten für Industrie und Handel, Gesundheitswesen und vielem mehr tätig, zählt Schmitt auf. Viele Rat- und Kreishäuser, wie beispielsweise das in Friedberg, seien von blfp realisiert worden. Besondere Projekte seien die Sanierung und der Umbau des denkmalgeschützten Schlosses in Butzbach oder der Neubau des Bischofssitzes in Limburg gewesen, der zuletzt in ein Museum umgebaut wurde. Auch das Sport- und Freizeitzentrum Frankfurt-Kalbach, der Neubau von Pascoe Naturmedizin in Gießen und der Betriebsbereich Ost des Frankfurter Flughafens wurden von blfp geplant.

Gesamte Planung aus einer Hand

Stolz ist Andreas Schmitt auch auf die Planung des Neubaus des Universitätsklinikums Gießen. „Ein 180-Millionen-Projekt“, wie der Architekt betont, an dem man aktuell noch Umbauten im Bestand vornehme. Auch der Entwurf des neuen Sportzentrums der Liebig-Schule in Gießen liegt in den Händen des erfahrenen Architektenteams. Im Bereich Industrie und Handel arbeite man im Auftrag eines großen Mineralölkonzerns an dem Projekt „Tankstelle der Zukunft“. Ein Großauftrag in der Region sei auch das Konzept für Therme und Hotel in Bad Nauheim.
Erst 2021 hat blfp eine neue Generalplanungsgesellschaft für Großprojekte inklusive aller Fachdisziplinen gegründet, um den Bauherren alle Planungsdisziplinen aus einer Hand bieten zu können. Eine ebenfalls neue Baumanagement-Gesellschaft soll die Planungen umsetzen. „Wichtig ist es, immer neue Perspektiven zuzulassen, flexibel im Kopf zu sein und sich auf neue Aufgaben einstellen zu können“, fasst Andreas Schmitt zusammen. „Ein langer Lebenszyklus eines Gebäudes, auch im Sinne einer Zweit- oder Drittverwertung, ist neben der energetischen Optimierung ein wichtiger Baustein für Nachhaltigkeit. Wir konzipieren Projekte für alle Lebensbereiche.“

Erweiterung der Risikofelder

In allen Lebenslagen gefragt sind auch die Dienste des Versicherungsmaklers Mesterheide Rockel Hirz Trowe AG Holding. „Durch die Pandemie hat sich das Risikobewusstsein der Menschen geändert. Die Kunden suchen vermehrt nach Möglichkeiten, ihr Unternehmen abzusichern“, beobachtet Vorstand Ralph Rockel. Während Elementarschäden bei seinem Eintritt in die Versicherungsbranche vor 23 Jahren kaum als Risiko angesehen wurden, sei ein Schutz gegen diese vor allem nach den aktuellen Ereignissen stärker denn je nachgefragt. „Die Risikofelder haben sich deutlich erweitert, vor allem was Starkregen- oder Produkthaftungsszenarien betrifft“, unterstreicht der Fachmann. Auch Cyberversicherungen ständen bei den Kunden hoch im Kurs. „Früher hat es noch keine intensive Nutzung des Internets und somit auch ein niedrigeres Cyberrisiko gegeben. Heute ist nahezu jedes Unternehmen von einer funktionierenden IT abhängig“, weiß Ralph Rockel. Vertrauensschaden- und Cyberversicherungen würden durch Hacker verursachte Schäden abdecken.
1995 wurde das Unternehmen von Ulrich Mesterheide in Alsfeld gegründet, drei Jahre später traten sein Sohn Lars und sein Studienkollege Ralph Rockel als Gesellschafter in die Firma ein. Von ehemals vier Mitarbeitern inklusive Bürokraft hat sich die Mesterheide Rockel Hirz Trowe AG Holding im Laufe der Jahrzehnte zu einem weltweit operierenden Versicherungsmakler mit 600 Mitarbeitern entwickelt, von denen noch immer 85 in Alsfeld tätig sind. Aktuell befinden sich weitere Standorte unter anderem in Frankfurt am Main, München, Düsseldorf, Köln, Berlin, Stuttgart, Nürnberg, Hamburg und Wien. „Durch den Zukauf von Unternehmen haben wir uns zum drittgrößten inhabergeführten Versicherungsmakler Deutschlands entwickelt“, sagt Ralph Rockel. Wichtige Schritte seien die 2016 geschlossene Partnerschaft mit der Firma Trowe in Düsseldorf sowie vier Jahre später der Einstieg eines Londoner Finanzinvestors mit einer Minderheitsbeteiligung gewesen.

Maßgeschneiderte Versicherungslösungen

„95 Prozent unserer Mandanten sind Firmen“, führt Rockel aus. Für jede Branche – von Logistik- über Immobilien- bis hin zu Finanzunternehmen – ständen Spezialteams zur Verfügung. Etwa 60.000 Schadensfälle würden für Mandanten pro Jahr bearbeitet und Zahlungen von circa 280 Millionen Euro geleistet. „Der größte Schaden, den wir jemals hatten, war ein Feuerschaden im vergangenen Jahr, der Kosten von 74 Millionen Euro verursacht hat.“
Durch die Zusammenarbeit mit Lloyd’s of London ist das Unternehmen in der Lage, maßgeschneiderte Versicherungs- und Rückversicherungslösungen für eine Vielzahl von Risiken anzubieten, die es bei deutschen Versicherern nicht gibt. Hierzu zählen unter anderem Terrorrisiken, Cyberbedrohungen oder Transaktionsversicherungen bei Firmenverkäufen. Ziel der Mesterheide Rockel Hirz Trowe AG Holding ist es, die internationalen Netzwerke im Sinne der Kunden weiter auszubauen und um zehn Prozent pro Jahr zu wachsen. Investieren möchte man auch in Mitarbeiter und Digitalisierung. „Wir bilden für den Eigenbedarf aus, haben derzeit 31 Auszubildende“, erläutert Rockel.

Einzelkurse sind gefragt

Vier Jahre älter ist die Dr. Schlaefke Sprachen, Kommunikation & Training GmbH. Im Oktober 2021 feierte die Sprachschule aus Gießen ihr 30-jähriges Jubiläum. Corona-bedingt musste die Feier leider ausgefallen, wurde aber auf den nächstmöglichen Zeitpunkt verschoben. „Die Pandemie hat uns hart getroffen“, erzählt Firmeninhaberin und IHK-Vizepräsidentin Angelika Schlaefke. Von 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern seien noch 15 im Team geblieben. „Die meisten unserer Kunden sind Firmenkunden. Und wenn es Firmen nicht so gut geht, werden als Erstes die Schulungen gekürzt“, weiß sie aus langjähriger Erfahrung. „Da wir die Räumlichkeiten und natürlich ein entsprechendes Hygienekonzept hatten, konnten wir allerdings einen Zuwachs an Einzelkursen sowohl bei Firmenkunden als auch bei Privatpersonen verbuchen.“ Dennoch sei 2020 im Vergleich zum Vorjahr ein Umsatzrückgang von über 50 Prozent zu verzeichnen gewesen. „Ich gehe aber davon aus, dass die Tendenz 2021 besser aussehen wird und wir die Krise langsam durchschritten haben.“

Schnell auf online umgestellt

„Die Tatsache, dass wir noch auf dem Markt sind, zeigt, dass wir uns anpassen konnten“, unterstreicht Schlaefke. „Um zu überleben, haben wir schnell auf Online-Schulungen umgestellt, die wir zuvor noch nicht angeboten hatten.“  Die meisten Kunden hätten die Umstellung sehr gut mitgemacht. „Wenn man Kunden länger kennt, sind Online-Schulungen einfacher. Denn gerade im Bildungsbereich ist der persönliche Kontakt sehr wichtig.“ Aktuell bietet die Sprachschule 80 Prozent der Kurse als Online-Variante an. „Ich gehe davon aus, dass wir auch nach der Pandemie 40 Prozent online anbieten werden.“ Ein großer Vorteil dabei sei, dass die jeweiligen Sprachtrainer ortsunabhängig, also auch von ihrem Heimatland aus arbeiten könnten. „Ich habe das Online-Arbeiten schätzen gelernt und nehme an, dass einige Firmen nicht mehr zurück zu Präsenzseminaren gehen werden. Online-Besprechungen sind nicht die Zukunft, sondern die Gegenwart.“ Gerade im Bereich Dienstleistung sei Kundenbindung besonders wichtig, betont Schlaefke. „Gemeinsam ist es uns gelungen, auch in der Krise zu bestehen.“

Spezialisierungen im Fokus

Gute und schlechte Zeiten hat auch André Haußmann erlebt. „Die Kommunikations- und Werbebranche hat in den vergangenen Jahren eine rasante Entwicklung durchgemacht“, sagt Haußmann, der zusammen mit seiner Frau Friederike die in Bad Vilbel ansässige Agentur Marketing Effekt leitet. „Während früher von klassischen Agenturen alles aus einer Hand geboten wurde, stehen heute Spezialisierungen im Fokus.“ Bereits 1998 hat sich der Betriebswirtschaftler im Bereich Marketingkommunikation selbstständig gemacht und vier Jahre lang gemeinsam mit einem Kollegen ein Unternehmen in Frankfurt am Main betrieben. 2002 zog er nach Bad Vilbel um und gründete Marketing Effekt.
„Ich sehe mich als umsetzenden Berater, dessen Ziel es ist, mit anderen Menschen gemeinsam etwas zu erarbeiten“, sagt er. Bis 2010 hat er mit seiner Agentur schwerpunktmäßig Industrie- und Dienstleistungsunternehmen weltweit begleitet und beraten – bis die Wirtschaftsförderung Wetterau vor elf Jahren eine Agentur suchte. „Wir haben die Ausschreibung gewonnen und somit durch Zufall unser Geschäftsfeld komplett geändert“, erzählt er. So hat Haußmann unter anderem die Profilierung der Marke „Tourismus Region Wetterau GmbH“ sowie das Bundesforschungsprojekt „Kommune Innovativ“ maßgeblich mitgestaltet.

Kommunen lebenswert machen

Erfolgreich gestaltet sich auch die Zusammenarbeit mit Andrea Soboth vom Institut für Regionalmanagement (IfR) mit Sitz in Gießen. „Über Förderprogramme wie beispielsweise ‚Lebendige Zentren‘ – mit denen Hessen die städtebauliche Entwicklung in kleinen Städten und Gemeinden unterstützt – haben wir schon viele Projekte gemeinsam realisiert“, unterstreicht André Haußmann. Dass sowohl er als auch seine Frau BWL mit dem Schwerpunkt Tourismus und Marketing studiert haben, kommt ihnen bei der Arbeit zugute.
Betreut werden in der Regel Kommunen mit 5.000 bis 40.000 Einwohnern mit dem Schwerpunkt in der nordwestlichen Wetterau und dem Landkreis Gießen. Hierzu zählen beispielsweise Butzbach, Münzenberg und Langgöns. „Unser Ziel ist es, aus Kommunen attraktive Aufenthaltsorte zu machen.“ Gerade in der Pandemie sei es wichtig, auch Außenbereiche ansprechend zu gestalten. Oftmals wüssten Kommunen zwar ungefähr, was sie wollten, aber nicht, wie sich dies entsprechend umsetzen ließe. „Da sich die Menschen immer mehr online informieren, sollte jede Kommune ihre Kommunikation mit ihrer Bevölkerung optimieren.“ Die Instrumente hierfür seien in der Regel vorhanden, nicht aber das entsprechende Personal. „In schlechten Zeiten wird leider als Erstes bei der Marketingkommunikation gespart“, bedauert er. Hier gelte es, antizyklisch zu denken.
Gemeinsam mit Andrea Soboth haben Friederike und André Haußmann das „Team 360“ gegründet. „Projektbezogen stellen wir ein individuelles Netzwerk an freien Mitarbeitern mit den passenden Kompetenzen zusammen“, erläutert Haußmann, der auch den Vorsitz des Vereins Wirtschaft.Regionalentwicklung.Wetterau. e.V. innehat.
Herausgegeben im IHK-Wirtschaftsmagazin im Februar 2022
Der Video zum Thema steht in Kürze online.
Bewegt – damals wie heute
Gastwirtin Faustina Deibel, dargestellt von der Kunsthistorikerin Jutta Failing, erklärt in dem zur Wahlgruppe passenden Videobeitrag, was Kommunikation leisten kann und was nicht. Je nach Ansprechpartnerin nennt man sein Gegenüber „gnädige Frau“ oder „dumm Dunsel“.

Stand: 04.01.2023