Handel im Wandel

Zehn Wahlgruppen – zehn Branchen, Teil 1: Drei Unternehmer des Einzelhandels aus den Reihen der IHK-Vollversammlung berichten über ihren Weg vom Gestern zum Heute und ihrer Vision zum Morgen.
Kaum eine Branche ist wandlungsfähiger als der Einzelhandel. Früher noch auf Marktplätzen oder als Tauschgeschäft betrieben, entwickelte er sich kontinuierlich weiter. Die Schreibmaschine wurde durch den Computer ersetzt, aus kleinen Handwerksbetrieben sind große Unternehmen geworden. Generell spielt Digitalisierung in allen Unternehmensbereichen eine zunehmend wichtige Rolle. Dennoch ist persönliche Beratung durch nichts zu ersetzen. Wie Statistiken zeigen, hat der stationäre Einzelhandel in den letzten Jahren – von der Pandemie einmal abgesehen – deutliche Zuwächse zu verzeichnen.

Showroom im Hof

Die Erfolgsgeschichte der „Möbelstadt Sommerlad“ begann im Herzen des Reiskirchener Ortsteils Bersrod. Hier gründete Rudolf Sommerlad, der Großvater des heutigen Inhabers Frank Sommerlad, 1930 eine kleine Schreinerei, in der er auch eigene Möbel herstellte. Der damalige „Showroom“ befand sich im Hof der Werkstatt. Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Bedarf an Möbeln so groß, dass Rudolf Sommerlad nicht mehr mit der Produktion nachkam. Also gründete er kurzentschlossen ein Handelsu nternehmen und importierte Tische, Stühle, Schränke und vieles mehr aus den Niederlanden. In den 50er Jahren zog es den Geschäftsmann an die Peripherie Gießens, in den Flutgraben. Die damals 3.000 Quadratmeter umfassenden Geschäftsräume wurden bereits zehn Jahre später auf 10.000 Quadratmeter erweitert. In den 70er Jahren übergab Rudolf Sommerlad die Geschäfte an seinen gleichnamigen Sohn, der das Parkhaus ausbauen ließ. Unter dem Parkhaus entstand auf zwei Etagen die „Holzbude“, wo sofort verfügbare Waren angeboten wurden. Seit dieser Zeit ist „Sommerlad“ auch Mitglied im Einkaufsverband „Begros“, dem aktuell 17 inhabergeführte Familienunternehmen angehören. „Dieser Zusammenschluss bringt uns noch heute Preisvorteile bei Einkäufen“, erklärt Frank Sommerlad.

Einstieg in den Discout-Möbel-Verkauf

Bereits seit seinem 14. Lebensjahr packt der heutige Inhaber im Unternehmen mit an. Nach seinem Abitur an der Friedrich-Feld-Schule (heute Wirtschaftsschule am Oswaldsgarten), studierte er Betriebswirtschaft an der THM. Die Abschlussarbeit schrieb er über das Thema „Markt und Standortanalyse im Möbeleinzelhandel“. Sein Wissen untermauerte er durch die Arbeit bei der Unternehmensberatung BBE in Hamburg. „Ich war der erste duale Student“, erzählt er lachend. Denn während seines Studiums habe er weiterhin im Möbelgeschäft ausgeholfen. Mit 26 Jahren wurde Frank Sommerlad Geschäftsführer und kam nur kurze Zeit später auf die Idee, mit „SOMIT“ in den Discout-Möbel-Verkauf einzusteigen. Eine Idee, die zunächst im Unternehmen kritisch aufgenommen wurde, sich dann aber bald erfolgreich etablierte. Nachdem Vater und Sohn sechs Jahre zusammengearbeitet hatten, verstarb Rudolf Sommerlad. „Von heute auf morgen musste ich die volle Verantwortung für damals 300 Mitarbeiter übernehmen“, erinnert sich Frank Sommerlad. Hinzu kam, dass gerade ein Umzug an den heutigen Standort im Schiffenberger Tal geplant war. Die Eröffnung erfolgte schließlich im November 2000.

„Mission – Vision Sommerlad 2030“

„Nur, weil wir in den letzten Jahrzehnten gut gewirtschaftet haben, konnten wir die Pandemie überstehen“, unterstreicht Frank Sommerlad. Fünf Monate musste das Möbelhaus Corona-bedingt schließen. Eine Entscheidung, die der Firmenchef noch immer nicht nachvollziehen kann. „Wir verfügen über 32.000 Quadratmeter, jedem Kunden hätten 100 Quadratmeter zur Verfügung gestanden.“ Auch sein mit einem Krisenmanager erarbeitetes Konzept einer Teststraße vor der „Möbelstadt Sommerlad“ wurde vom Gericht abgelehnt. „Insgesamt haben wir acht Millionen Kapital durch die beiden Lockdowns verloren.“
Aktuell arbeiten 500 Mitarbeiter/-innen bei „Sommerlad“. Zur Firmengruppe gehört neben der „Möbelstadt Sommerlad“ und einem „SOMIT“ in Gießen ein Küchenfachgeschäft in Fulda sowie ein, erst im August letzten Jahres neu eröffneter, Küchenfachmarkt und ein zweiter „SOMIT“ in Marburg. In die Zukunftsplanung hat Frank Sommerlad seine Angestellten miteinbezogen. Gemeinsam mit 260 Mitarbeiter/-innen sei die „Mission – Vision Sommerlad 2030“ erarbeitet worden. Diese sieht unter anderem einen Ausbau der „SOMIT-Möbel-Discounter“ und der Küchenfachgeschäfte vor. Darüber hinaus soll in Kooperation mit Möbel Kempf in Aschaffenburg nach 40 Jahren ein neues Warenwirtschaftssystem eingeführt werden. Auf dem Plan stehen aber auch Punkte, wie ein nachhaltiger Handel mit Neu- und Gebrauchtmöbeln. „Interzero“, einem Recycling-Kreislauf ist das Unternehmen bereits angeschlossen. Auch im Bereich Ausbildung ist „Sommerlad“ gut aufgestellt: Aktuell werden 40 junge Frauen und Männer ausgebildet. Die Nachfolge im Unternehmen ist mit den Söhnen Jan und Dominik Sommerlad gesichert.

Von der Schneiderei zum Textilhandel

Ebenfalls aus einem Handwerksbetrieb sind die Modehäuser Ruths in Friedberg und Bad Nauheim hervorgegangen. 1898 von Peter Ruths in Friedberg gegründet, wurde in den 20er Jahren aus der ehemaligen Schneiderei ein kleiner Modeladen. In den 50er Jahren übergab Peter Ruths das Geschäft an seinen gleichnamigen Sohn, der zehn Jahre später eine Filiale in Bad Nauheim eröffnete. Heute wird „Mode Ruths“ in vierter Generation von Jochen Ruths sowie Eike-Susanne, Peter und Roman Ruths geleitet.
Erklärtes Ziel der Gesellschafter ist es, den stationären Handel zu stärken. Aus diesem Grund hat sich Jochen Ruths in seiner Funktion als Präsident des Handelsverbandes Hessen im Dezember kritisch zur 2G-Regelung im Einzelhandel geäußert. Er verwies auf die bereits bestehende Masken- und Abstandspflicht und betonte, dass die Kontrollen einen unglaublichen Aufwand im so wichtigen Weihnachtsgeschäft bedeuteten. „Der Handel ist ein sicherer Ort. Die Menschen freuen sich gerade in Krisenzeiten darauf einmal rauszukommen.“ Nach dem zweiten Lockdown hätten die Kunden wieder zu schätzen gelernt, welche Vorteile es doch hat, vor Ort einzukaufen.

Stärkung des stationären Handels

Ruths warnte eindringlich davor, die neue Regelung als ersten Schritt in einen schleichenden neuen Lockdown zu betrachten. Die 2G-Regelung würde die ohnehin vielerorts bereits dramatisch zurückgegangene Frequenzen weiter verschlechtern und erneut Unternehmen an den Rand der Existenz bringen. Dafür müssten nun schnellstmöglich Zugänge zu finanzielle Hilfen - wie der Überbrückungshilfe III Plus oder dem Kurzarbeitergeld - für betroffene Branchen erleichtert werden.
„Wir kommunizieren zwar über soziale Medien und haben unseren Online-Shop während des ersten Lockdowns ausgebaut, aber das hat keine Priorität“, erklärt Jochen Ruths. Allerdings habe sich der Bekanntheitsgrad der Modehäuser durch den Online-Shop, in dem eher Besonderheiten präsentiert werden, erhöht. „Wir haben gelernt, die sozialen Medien gezielt zu nutzen, um Menschen auf unsere Produkte aufmerksam zu machen.“

Das Erlebnis steht im Vordergrund

„Der Kunde von heute ist viel informierter als noch vor ein paar Jahren“, weiß Jochen Ruths. Während man bis in die 80er Jahre hinein auf Vollbedienung gesetzt habe, ließe man heute die Kunden erst einmal schauen. „Oftmals erhalten wir konkrete Fragen nach bestimmten Produkten“, sagt er. Und noch etwas habe sich geändert: „Die Kunden achten auf Nachhaltigkeit und kaufen eher Kleidungsstücke, die länger getragen werden können. Trends, die schnell verpuffen, gibt es so gut wie nicht mehr.“ Aufgrund der Pandemie seien zwar manchmal einzelne Artikel nicht lieferbar, aber ähnliche Ersatzteile ließen sich immer finden.
Gute Unterstützung habe er in der Krise von der Industrie- und Handelskammer erhalten, erklärt der IHK-Vizepräsident. Aber auch der Handel sei während Corona enger zusammengerückt und habe einen regen Austausch über Branchengrenzen hinweg gepflegt. „Wir werden uns schrittweise in Richtung Department-Store entwickeln, in den immer wieder neue Artikel integriert werden“, erklärt der Vorsitzende des Handelsverbandes abschließend. Beim Einkaufen in der Innenstadt solle künftig noch mehr das Erlebnis in den Vordergrund rücken.

Vom Krämerladen zum Supermarkt der Zukunft

„Vom Grundsatz her hat sich in unserer Branche nichts geändert“, sagt Lars Koch, geschäftsführender Inhaber des Edeka-Marktes in Friedberg. „Nur, dass der Kunde seit Ende der 50er Jahre seine Waren selbst in den Einkaufswagen lädt und nicht mehr von Verkäufern an der Ladentheke bedient wird. Die erste Edeka-Genossenschaft entstand 1898, als sich 21 Kaufleute aus dem Deutschen Reich im Hallesches-Tor-Bezirk in Berlin zur Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler zusammenschlossen. 23 solcher Genossenschaften vereinigten sich am 21. Oktober 1907 im Hôtel de Pologne in Leipzig zum Verband deutscher kaufmännischer Genossenschaften und am 25. November 1907 wurde die Zentraleinkaufsgenossenschaft des Verbandes deutscher kaufmännischer Genossenschaften eGmbH gegründet, aus der später die Edeka Zentrale AG & Co. KG wurde.
„Die größte Neuerung der letzten Jahre war in den 70er Jahren der Einzug der Scanner-Kassen“, erinnert sich Lars Koch, der seinen Beruf von der Pike auf gelernt hat und schon seit Baubeginn des Edeka-Marktes in der Strassheimer Straße für sein Geschäft verantwortlich zeichnet. „Die Präsentation der Ware hat zunehmend an Bedeutung gewonnen“, weiß Koch. Ziel sei es, die Artikel so wertig wie möglich zu präsentieren. Hierzu solle auch eine gezielte Beleuchtung beitragen. „Die Emotionen werden über die Anpreisung erzeugt“, so der Inhaber. Während einige Edeka-Märkte darauf verzichten, legt Koch großen Wert auf die Beschallung des Marktes. „Wir haben sogar einen eigenen Radiosender, um Spots vor Ort zu senden.“

Den klassischen Wochenendeinkäufer gibt es nicht mehr

Eine weitere wichtige Rolle spiele das Thema Regionalität. „Wir haben einen Großteil unserer Waren – von Eiern über Saft, Wasser und Bier bis hin zu Obst und Gemüse – schon immer von heimischen Produzenten gekauft.“ Das sei nicht nur gesünder, sondern spare auch Transportwege. Eine Untersuchung habe gezeigt, dass Honig aus der Region weitaus gesünder sei. Darüber hinaus trage es dazu bei, kleinen Betrieben bei der Vermarktung ihrer Produkte zu helfen. Ein Augenmerk legen Lars Koch und sein Team auch auf laktose- und glutenfreie Produkte. „Wir haben aber keine eigenen Stände dafür, sondern man findet glutenfreie Nudeln im Pastaregal und laktosefreie Schokocreme bei den anderen Süßspeisen.“
Nicht erst seit Corona werde bedarfsgerechter eingekauft. „Den klassischen Wochenendeinkäufer gibt es nicht mehr“, erklärt Koch. Aktuell habe man bei einigen Produkten große Beschaffungsprobleme. Dies sei den pandemiebedingten Problemen in den Lieferketten geschuldet. Als Profiteur der Krise sieht Koch die Lebensmittelbranche nicht. In den Monaten März, April und Mai sei zwar sehr viel gekauft worden, dies habe aber auch für erhöhte Personalkosten gesorgt. Und die gekauften Artikel müssten nun auch aufgebraucht werden, weswegen dann weniger eingekauft werde. Darüber hinaus habe man in Dinge wie Desinfektionsmittel oder Hinweisschilder investieren müssen.

Begehbarer Kühlschrank

Viel Geld investiert der Kaufmann aktuell auch in energiesparende Maßnahmen. „Wir züchten Kräuter und Salate in unserem Supermarkt. Das spart nicht nur Wasser und Energie, sondern ist auch absolut schadstofffrei.“ Auch die alten Neon-Röhren würden nach und nach durch moderne LEDs ersetzt.  Einen Scanner im Einkaufswagen findet Lars Koch zu umständlich. „Ich kann mir für die Zukunft eher einen höchstens 200 Quadratmeter großen Markt ohne Mitarbeiter vorstellen, in dem Dinge des täglichen Bedarfs gekauft werden können.“ Das Öffnen der Tür erfolge hier über eine App, eine Videokamera überwache, welche Produkte der Kunde in den Wagen lege und die Bezahlung erfolge an einem Terminal. Der Edeka-Markt in Hamburg sei aktuell dabei einen solchen kioskartigen Markt zu testen. „Dieser begehbare Kühlschrank stellt für mich ein Konzept mit Zukunft dar“, ist seine Überzeugung.
Herausgegeben im IHK-Wirtschaftsmagazin im Januar 2022

Der Video zum Thema

Bewegt – damals wie heute
Im ersten Branchen-Video entführt Dr. Jutta Failing als Kundin der 30er Jahre in die Welt des Schuhwerks und fragt sich, wo die Lösung der Händler liegen könnte, wenn eben dieser drückt. Sinnbildlich gesprochen: es geht in diesem Teil um die Gießener Business Improvement Districts – kurz BIDs – und die Rolle der IHK in dem Entstehungsprozess.
Stand: 04.01.2023