Der Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters

1. Vorbemerkung

Mit der Beendigung des Vertragsverhältnisses entsteht in der Regel ein Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters gegenüber dem Unternehmer. Wann das der Fall ist und wann nicht, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wie er zu berechnen ist etc., ist Gegenstand der nachfolgenden Ausführungen. Tipps aus der Praxis für Handelsvertreter und Unternehmer finden sich am Ende dieser IHK-Information.

2. Rechtsgrundlage und Abgrenzung

In der Regel kann der Handelsvertreter, der seine Tätigkeit nicht nur im Nebenberuf ausübt, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses von dem Unternehmer, dem er einen von ihm aufgebauten und/oder intensivierten Kundenstamm hinterlässt, gemäß § 89 b Handelsgesetzbuch (HGB) eine angemessene Ausgleichszahlung verlangen.
In der vorliegenden IHK-Information kann nur der Ausgleichsanspruch des Warenvertreters abgehandelt werden. Zwar gilt § 89 b HGB mit einigen Einschränkungen grundsätzlich auch für Versicherungs- und Bausparkassenvertreter sowie die Vermittler von Finanzdienstleistungen; für diese Vertriebssparten wurden jedoch seitens der Spitzenverbände der Versicherungswirtschaft jeweils individuelle „Grundsätze zur Errechnung der Höhe des Ausgleichsanspruchs“ erarbeitet, deren Behandlung den Rahmen dieser Ausführungen sprengen würde. Letzteres gilt auch für die Darlegung der in bestimmten Konstellationen denkbaren Ausgleichsansprüche von Vertragshändlern, Franchisenehmern und Kommissionsagenten.
Des Weiteren wird darauf hingewiesen, dass sich die nachfolgenden Ausführungen nur auf inländische Handelsvertreterverhältnisse beziehen können, da sich die Rechtslage bei Vertretungen im Ausland beziehungsweise mit ausländischen Unternehmern, insbesondere außerhalb der EU und des EWR (Europäischer Wirtschaftsraum), völlig anders darstellen kann.

3. Definition des Ausgleichsanspruchs

Der Handelsvertreter kann von dem Unternehmer nach Beendigung des Vertragsverhältnisses einen angemessenen Ausgleich verlangen, wenn und soweit
  1. der Unternehmer aus der Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, auch nach Beendigung des Vertragsverhältnisses erhebliche Vorteile hat und
  2. die Zahlung eines Ausgleichs unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der dem Handelsvertreter aus Geschäften mit diesen Kunden entgehenden Provisionen, der Billigkeit entspricht.
(Text des § 89 b Abs. 1 Satz 1 HGB, Hervorhebungen stammen vom Verfasser dieses Merkblatts.)

4. Entfallen des Ausgleichsanspruchs

Ein Ausgleichsanspruch besteht nicht, wenn der Handelsvertreter das Vertragsverhältnis selbst gekündigt hat, es sei denn, dass Umstände, die dem Unternehmer zuzurechnen sind, hierzu begründeten Anlass gaben oder wenn dem Handelsvertreter eine Fortsetzung seiner Tätigkeit wegen Krankheit oder Alters (in der Regel mit Erreichen des jeweiligen gesetzlichen Rentenalters, derzeit 65 Jahre plus x) nicht zugemutet werden kann.
Ebenso wenig besteht der Anspruch, wenn der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Handelsvertreters vorlag.
Ein Anspruch besteht auch dann nicht, wenn aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem Unternehmer und dem Handelsvertreter, die nach Vertragsende getroffen wurde, ein Dritter anstelle des Handelsvertreters in das Vertragsverhältnis eintritt.

5. Zwingendes Recht

Der Ausgleichsanspruch kann nicht im Voraus ausgeschlossen werden, er ist unabdingbar.
In aller Regel scheitert der Versuch, den Ausgleichsanspruch durch Vertragsklauseln auszuschließen, wie beispielsweise die Vereinbarung der Zahlung eines wirtschaftlich nicht veranlassten “Einstands” für die Übernahme der Handelsvertretung oder die Klausel, dass in der vereinbarten Provision ein – angeblicher – Zuschlag von x % enthalten ist, der über die branchenüblichen Provisionssätze hinaus gewährt wird, oder auch die Formulierung, dass ein Teil der laufenden Provisionszahlungen als Darlehen an den Handelsvertreter gewährt wird, das mit einem späteren Ausgleichsanspruch zu verrechnen ist. Solche Klauseln sind in aller Regel rechtsunwirksam, soweit nicht ein ernsthafter wirtschaftlicher Hintergrund vorhanden ist.

6. Gesetzliche Voraussetzungen im Einzelnen

Die Voraussetzungen des Ausgleichsanspruchs ergeben sich aus dem oben unter Ziff. 3 abgedruckten Gesetzestext und werden nachfolgend im Einzelnen abgehandelt.
Voraussetzung 1 - Beendigung des Vertragsverhältnisses:
Die Beendigung des Vertragsverhältnisses ist gleichzeitig Voraussetzung und maßgeblicher Zeitpunkt für das Entstehen des Ausgleichsanspruchs. Beendigungstatbestände sind Kündigung durch den Unternehmer, einverständliche Vertragsaufhebung, Tod (dann Anspruch der Erben) und unter bestimmten Voraussetzungen (s. o. Ziffer 4) auch Eigenkündigung des Handelsvertreters. Eine wesentliche Bereichsreduzierung kann als (Teil-) Beendigung ebenfalls ausgleichsbegründend sein.
Voraussetzung 2 - Werbung neuer Kunden beziehungsweise Intensivierung von Altkunden:
Der Ausgleichsanspruch knüpft an die Geschäftsverbindung mit neuen Kunden, die der Handelsvertreter geworben hat, an. „Neukunden“ sind Kunden, die bei Vertragsbeginn für den Unternehmer als Kunden noch nicht existierten und während der Zusammenarbeit vom Handelsvertreter geworben wurden. Ausgleichspflichtig sind nach dem Gesetz ausdrücklich auch sog. „intensivierte“ Altkunden, wobei davon auszugehen ist, dass ein solcher Altkunde dann ausgleichspflichtig ist, wenn der Handelsvertreter die Geschäftsverbindung mit diesem so wesentlich erweitert hat, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht (Grundsatz der Rechtsprechung: Umsatzverdoppelung). Nicht ausgleichspflichtig sind lediglich nicht „intensivierte“ Altkunden.
Voraussetzung 3 - Erhebliche Unternehmervorteile:
Dem Unternehmer müssen Geschäftsverbindungen verbleiben, welche die Aussicht auf weitere Abschlüsse (Nachbestellungen) in einem überschaubaren Zeitraum begründen. In Betracht kommen nur Kunden, die der Handelsvertreter neu geworben oder mit denen er eine vorhandene Geschäftsverbindung wesentlich erweitert hat (vgl. „Voraussetzung 2“). Die Aussicht auf weitere Abschlüsse ist aus Sicht des Stichtages (Beendigung des Vertragsverhältnisses) zu bewerten, und zwar anhand der Abschlüsse mit den betreffenden Kunden innerhalb der letzten 12 Monate des Vertragsverhältnisses, wobei bei langlebigen Wirtschaftsgütern, die vom Kunden erst nach mehreren Jahren nachbestellt zu werden pflegen, auch ein längerer Zeitraum zugrunde gelegt werden kann.
Auch nach der Abänderung des § 89 b HGB infolge eines Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 26. März 2009 kann sich der Handelsvertreter im Rechtsstreit grundsätzlich auf die Vermutung berufen, dass die Unternehmervorteile (mindestens) den Provisionsverlusten des Handelsvertreters entsprechen. Zur Berechnung siehe unten Ziffer 4 „Berechnung des Ausgleichs“.
Voraussetzung 4 - Billigkeitsprüfung:
Der Ausgleichsanspruch kann sich beim Vorliegen besonderer Umstände erhöhen, aber auch vermindern oder ganz ausgeschlossen sein. Der Billigkeitsgrundsatz dient speziell dazu, die Höhe des geschuldeten Ausgleichsbetrages zu beeinflussen.
Wichtigster Billigkeitsgesichtspunkt sind nach der EG-Handelsvertreter-Richtlinie von 1986 und aus Sicht des EuGH-Urteils vom 26. März 2009 die dem Handelsvertreter aus Geschäften mit den von ihm geworbenen beziehungsweise intensivierten Kunden entgehenden Provisionen. Anders aber als bis 2009 ist der Ausgleichsanspruch heute nicht mehr durch die entgangenen Provisionen nach oben begrenzt, er kann bei entsprechend höheren Unternehmervorteilen gemäß oben „Voraussetzung 3“ oder aus Gründen der Billigkeit im Einzelfall die Provisionsverluste übersteigen, was in der Praxis den Vertretern zugutekommen wird, die bevorzugt Rahmenverträge oder Dauerschuldverhältnisse vermitteln (wo oft nur eine Einmalprovision entsteht) oder im sog. Rotationsvertrieb tätig sind.
Vermindern kann sich der Ausgleich u. a. wegen der Sogwirkung einer Marke, bei Leistungen des Unternehmers zur Altersversorgung des Handelsvertreters, bei außergewöhnlichen Beiträgen des Unternehmers zum Absatz des Vertreters mittels Werbeetat oder Zuschüssen zu den Unkosten, wegen der Ersparnis von Ausgaben (wenn die Unkosten der Vertretung besonders hoch waren) oder bei einer Möglichkeit der Weiternutzung des Kundenstammes durch den Handelsvertreter nach Übernahme einer Konkurrenzvertretung. Eine Herabsetzung kann sich auch aus den Hintergründen der Vertragsbeendigung, insbesondere aus einem grob schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters ergeben.
Ausgleichserhöhende Faktoren im Rahmen der Billigkeitsprüfung können unter anderem die langjährige erfolgreiche Tätigkeit des Handelsvertreters und dessen besondere schwierigen und aufwendigen Bemühungen zur Kundengewinnung, unter Umständen auch eine Einstandszahlung bei Übernahme der Vertretung, letztlich auch ein besonders des Unternehmers sein, das zum Auseinandergehen führte.
Es gibt keine zeitliche Untergrenze für die Dauer der Zusammenarbeit bis zum Entstehen eines Ausgleichsanspruchs. Ein Ausgleichsanspruch kann in geeigneten Fällen auch nach einer Zusammenarbeit von wenigen Monaten entstanden sein.

7. Berechnung des Ausgleichs

Die Ausgleichsberechnung erfolgt in drei Schritten, der Rohausgleichsberechnung (1. Schritt), der Ermittlung der Obergrenze anhand eines Mehrjahresvergleichs (2. Schritt) und der Feststellung des konkreten Ausgleichsanspruchs anhand der beiden zuvor berechneten Beträge (3. Schritt).
Erster Schritt - Rohausgleichsberechnung:
Wie schon oben unter Voraussetzungen 3 und 4 dargestellt, hat sich an der Praxis der Berechnung des Rohausgleichs auch nach dem 26. März 2009 wenig geändert.
Aus diesem Grund wird die bewährte Methode der Berechnung über den Weg der Ermittlung der Provisionsverluste weiterhin herangezogen.
Hierzu legt man aus Praktikabilitätsgründen zunächst die Summe der Provisionen zugrunde, die der Handelsvertreter während der letzten 12 Monate seiner ungehinderten vertraglichen Tätigkeit aus Geschäften mit solchen Kunden verdient hat, die er während des Vertragsverhältnisses neu geworben oder intensiviert hat. Dabei geht die Rechtsprechung davon aus, dass diese Kunden – wenn nicht zum Stichtag schon bekannt ist, dass sie wegen Insolvenz oder aus anderen Gründen in Zukunft ausfallen während dieses Prognosezeitraums je nach Einzelfall zwischen 10 % und 30 % des Kundenstammes jährlich verloren gehen. Von dem daraus und nach der anschließenden Billigkeitsprüfung errechneten Gesamtbetrag ist eine Abzinsung vorzunehmen, denn durch den Ausgleichsanspruch werden die Provisionsverluste im Voraus abgegolten, während der Handelsvertreter die Provisionen erst innerhalb mehrerer Jahre verdient hätte.
Berechnungsbeispiel Rohausgleich (1. Teil)
Ein Handelsvertreter war als Bezirksvertreter seit dem 01. April 1995 im Bereich der Fußbekleidungsbranche für die Firma X, eine Herstellerin von Markenartikeln, tätig.
Die Zusammenarbeit wurde durch Unternehmerkündigung zum 30. Juni 2016 beendet. Bei einer zu berücksichtigenden Provision (Neukunden, aktivierte Altkunden) des Handelsvertreters in den letzten 12 Monaten der ungehinderten vertraglichen Zusammenarbeit in Höhe von 60.000,00 €, einem Prognosezeitraum von 4 Jahren, einer jährlichen Abwanderungsquote von 20 % und einer Abzinsung von 2 % ergibt sich Folgendes:

1. Folgejahr 01.07.2016 bis 30.06.2017 60.000,00 € ./. 20 % = 48.000,00 €
2. Folgejahr 01.07.2017 bis 30.06.2018 48.000,00 € ./. 20 % = 38.400,00 €
3. Folgejahr 01.07.2018 bis 30.06.2019 38.400,00 € ./. 20 % = 30.720,00 €
4. Folgejahr 01.07.2019 bis 30.06.2020 30.720,00 € ./. 20 % = 24.576,00 €
zusammen 141.696,00 €
Ist diese Zwischensumme ermittelt, sind sodann etwaige Billigkeitsgesichtspunkte, Beispiele siehe oben unter „Vorausset-zung 4“, zu berücksichtigen, deren Vorliegen in der Regel zu einem prozentualen Abschlag von der Forderung führt.
Der nach der Billigkeitsprüfung ermittelte Ausgleichsbetrag ist abzuzinsen. Die Abzinsung kann nach pauschalen Prozentsätzen oder nach mathematischen Grundsätzen erfolgen.
Berechnungsbeispiel Rohausgleich (2. Teil)
Aus der oben ermittelten Zwischensumme von 141.696,00 €
erfolgt im Beispielsfall ein Billigkeitsabzug von 25 % wegen der
Sogwirkung der Marke, verbleiben
106.272,00 €
Abzinsung 2 % (DATEV-Kapitalabzinsungstabelle Faktor 0,924):
= 98.195,00 €
Mit dem abgezinsten Ausgleichsbetrag ist somit der „Rohausgleich“ ermittelt.
Zweiter Schritt – Durchschnittsermittlung:
In einem zweiten Schritt ist – egal, welchen Weg man zur Berechnung des Rohausgleichs gewählt hat – nunmehr die “Obergrenze” des § 89 b Abs. 2 HGB zu ermitteln. Das Gesetz sieht vor, dass der Ausgleichsanspruch nicht höher sein darf als eine nach dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre der Tätigkeit des Handelsvertreters berechnete Jahresprovision oder sonstige Jahresvergütung, wobei bei kürzerer Zusammenarbeit der Jahresdurchschnitt während der tatsächlichen Dauer der Tätigkeit maßgebend ist. Liegt der Rohausgleich unter der Obergrenze, bleibt es bei diesem. Ist – wie in der Regel – die Obergrenze niedriger als der Rohausgleich, so besteht eine Ausgleichsforderung in Höhe der Obergrenze.
Zur Feststellung dieser Obergrenze sind nunmehr - anders als beim Rohausgleich - alle Vergütungsbestandteile, also auch Provisionen mit nicht aktivierten Altkunden, Bezirksprovisionen, Verwaltungsprovisionen, Regelvergütungen etc. heranzuziehen.
Berechnungsbeispiel Durchschnittsermittlung (3. Teil)
Der Handelsvertreter hatte in den letzten fünf Vertragsjahren mit dem Unternehmen folgende jährliche Gesamtvergütung aus dem Geschäft mit Alt- und Neukunden erzielt:

Zeitraum 01.07.2011 bis 30.06.2012: 50.000,00 €
Zeitraum 01.07.2012 bis 30.06.2013: 60.000,00 €
Zeitraum 01.07.2013 bis 30.06.2014: 65.000,00 €
Zeitraum 01.07.2014 bis 30.06.2015: 75.000,00 €
Zeitraum 01.07.2015 bis 30.06.2016: 70.000,00 €
zusammen 320.000,00 €
Daraus ergibt sich eine durchschnittliche
Jahresprovision in Höhe von 64.000,00 €
Dritter Schritt - Auswertung
Damit kann nun der Ausgleichsanspruch unter Berücksichtigung der Obergrenze des § 89 b Abs. 2 HGB endgültig beziffert werden.
Berechnungsbeispiel Ergebnis (4. Teil)
Da der Fünfjahresdurchschnitt niedriger ist als der zuvor ermittelte „Rohausgleich“, besteht ein Ausgleichsanspruch in Höhe von 64.000,00 €.

8. Ausschlussfrist und Verjährung

Der Handelsvertreter muss zwei gesetzliche Hürden beachten, um zu verhindern, dass er den Ausgleichsanspruch ohne Not verliert:
Zunächst ist der Ausgleichsanspruch gegenüber dem Unternehmer binnen einer Ausschlussfrist von einem Jahr ab Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend zu machen. Schriftliche Geltendmachung ist vom Gesetz nicht vorgeschrieben, aber dringend - auch zu Beweiszwecken - zu empfehlen.
Daneben ist die Verjährungsfrist zu beachten, innerhalb deren der Ausgleichsanspruch gerichtlich eingeklagt werden muss, um nicht an der Verjährung zu scheitern. Diese Frist spielt also dann eine Rolle, wenn sich die Parteien nicht zeitnah außergerichtlich einigen können. Die Verjährungsfrist nach dem HGB beträgt drei Jahre, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem das Vertragsverhältnis endete. Dringend zu beachten ist aus Sicht des Handelsvertreters der Umstand, dass heute regelmäßig in den Handelsvertreterverträgen die gesetzliche Verjährungsfrist abgekürzt wird, häufig auf 12 Monate ab Entstehung des Anspruchs und Kenntnis von den den Anspruch begründenden Umständen.
Die Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs und etwaige Verhandlungen über dessen Höhe sollten also unverzüglich nach Beendigung der Zusammenarbeit erfolgen.
Der Anspruch kann zwischen Geltendmachung und Verjährung verwirken, wenn er lange Zeit nicht weiter verfolgt wird.

9. Verzinsung und steuerliche Behandlung

Der Ausgleichsanspruch ist – auch ohne Mahnung oder Verzug – ab dem ersten Tag nach Beendigung der Zusammenarbeit mit 5 % jährlich zu verzinsen, wenn (wie in der Regel) beide Vertragspartner Kaufleute im Sinne des HGB sind.
Die (höheren) Verzugszinsen des BGB (bis zu 9 Prozentpunkte über Basiszinssatz) können ab dem Zeitpunkt geltend gemacht werden, in dem der Unternehmer in Verzug kommt, zum Beispiel nach Verstreichen einer vom Handelsvertreter gesetzten Zahlungsfrist.
Der Ausgleichsanspruch unterliegt der Umsatzsteuer. Einkommensteuerrechtlich erfüllen Handelsvertreterausgleichszahlungen den Begriff der Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. c Einkommensteuergesetz (EStG) mit dem Vorzug der Anwendbarkeit der günstigen Fünftel-Regelung des § 34 Abs. 1 EStG. Voraussetzung ist allerdings Zahlung in einer Summe anstelle von Raten.

10. Prozessuales

Sachlich zuständig sind in der Regel die ordentlichen Gerichte (Amtsgericht bis zu einem Streitwert von 5.000,00 €, Landgericht darüber). Ausnahmsweise kann bei einem arbeitnehmerähnlichen Handelsvertretervertragsverhältnis das Arbeitsgericht zuständig sein. Örtlich zuständig ist in der Regel das Gericht am Sitz des Beklagten, es sei denn, die Parteien haben wirksam – häufig bereits im Handelsvertretervertrag – eine anderslautende Gerichtsstandsvereinbarung getroffen.
Die Ausgleichsklage kann exakt beziffert werden, es genügt aber auch ein unbezifferter Leistungsantrag, bei dem die Höhe des beanspruchten Ausgleichs in das Ermessen des Gerichts gestellt und lediglich ein Mindestbetrag angegeben wird, der mit der Klage gefordert wird. Die für die Klageerhebung erforderliche Berechnung des Ausgleichsanspruchs kann im Einzelfall sehr mühselig sein und sollte spezialisierten Anwälten vorbehalten bleiben. Mit der Klage auf Zahlung kann im Weg der Stufenklage gleichzeitig ein Anspruch auf Auskunft geltend gemacht werden, wenn der Handelsvertreter selbst nicht die Möglichkeit hat, aus seinen Unterlagen die Höhe des geforderten Ausgleichs zu errechnen.

11. Praxistipps

Für den Handelsvertreter:
  • Es empfiehlt sich, alle erhaltenen Provisionsabrechnungen Woche für Woche, Monat für Monat, Jahr für Jahr geordnet aufzubewahren, und zwar so, dass jeder einzelne provisionsauslösende Abschluss, soweit die Provisionsabrechnung des Unternehmers nicht ohnehin eine lückenlose Auflistung enthält, einer Provisionsabrechnung zugeordnet werden kann. Dies sollte strikt für die gesamte Dauer der Zusammenarbeit eingehalten werden. Ansonsten kommt es zu Zeitverlusten von Wochen oder Monaten, bis nach dem Ausscheiden der Ausgleichsanspruch halbwegs - wenn überhaupt noch - berechnet werden kann. Es droht Anspruchsverlust, soweit Provisionszahlungen nicht mehr nachverfolgt werden können.
  • Zeichnet sich die Notwendigkeit einer Eigenkündigung aus Krankheitsgründen ab, sollten nach dem Auftreten der Erkrankung ärztliche Atteste, die sich insbesondere auch auf die Zumutbarkeit der Fortführung der konkreten Handelsvertretertätigkeit beziehen, eingeholt und verwahrt werden. Werden Erkrankung und Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Tätigkeit nachher im Prozess bestritten, ist der Gesundheitszustand anderenfalls rückwirkend nur sehr schwer nachzuweisen.
  • Bei Zahlung einer Ablöse an seinen Vorgänger sollte sich der Handelsvertreter vom Unternehmen vertraglich festschreiben lassen, dass die Altkunden, für die er den Einstand gezahlt hat, im Fall der Beendigung seines eigenen Vertrages ausgleichsrechtlich als „neu“ geworben gelten.
  • Vorsicht bei Auszahlung des Ausgleichs in Raten, dabei könnten Tarifvergünstigungen der Einkommenbesteuerung des Ausgleichs entfallen (Steuerberater konsultieren!).
Für den Unternehmer:
  • Es empfiehlt sich, eine Software vorzuhalten, die es ermöglicht, auf alle Fragen betreffend die Provision sämtlicher beschäftigter Handelsvertreter und Vertriebsbezirke „mittels Knopfdruck“ – ohne tagelange Belegsuche im Archiv - Auskunft zu erteilen, und zwar nach Gruppen (Arten der Provisionen), Kunden (sowohl einzeln als auch nach Kategorien als auch in der Gesamtheit) und Zeiträumen (beliebig verschiebbare Monats-, Jahres- und 5-Jahres-Zeiträume). Dies ist nicht nur bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs, sondern auch im Rahmen der Erstellung unter anderem eines Buchauszuges mehr als hilfreich.
Für beide Vertragspartner:
  • Es empfiehlt sich, dass bei Beginn der Zusammenarbeit ein Altkundenverzeichnis mit den aktuellen Jahresumsätzen der vorhandenen Kunden erstellt und dem Vertrag beigefügt wird, um damit bereits im Vorfeld späterem Streit und Beweisschwierigkeiten bei der Ermittlung des Ausgleichsanspruchs bestmöglich vorzubauen.
Dieses Merkblatt soll - als Service Ihrer Kammer - nur erste Hinweise geben und erhebt daher keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Obwohl es mit größtmöglicher Sorgfalt erstellt wurde, kann eine Haftung für die inhaltliche Richtigkeit nicht übernommen werden.
Quelle: Industrie- und Handelskammer Schwaben
Verfasser: Rechtsanwalt Dr. Lemor, Augsburg
Stand: 10.04.2024