Arbeitsrecht
Scheinselbstständigkeit
Die gesetzlichen Regelungen über die "Scheinselbstständigkeit" und die Rentenversicherungspflicht bestimmter Selbstständiger haben unter anderem zum Ziel, die nur zum Schein als Selbstständige tätige Arbeitnehmer für die Sozialversicherung besser zu erfassen und bestimmte Selbstständige als Pflichtversicherte in die Rentenversicherung aufzunehmen.
Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen der soziale Schutz der Betroffenen dauerhaft sichergestellt und die Finanzgrundlagen der Sozialversicherung vor Erosion bewahrt werden.
Erfassung "scheinselbstständiger" Arbeitnehmer
Als "scheinselbstständig" gelten solche Erwerbstätige, die zwar den Status eines selbstständigen Unternehmers (freiwillig oder auf Drängen ihres "Auftraggebers") beanspruchen, deren Tätigkeit in Wirklichkeit aber der eines Arbeitnehmers entspricht.
Bei der Beurteilung des Status wird auf die Gesamtsituation abgestellt. Erkennbares unternehmerisches Handeln und die freie Entscheidung des Unternehmers stehen dabei im Vordergrund. Die Sozialversicherungsträger untersuchen, ob Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers vorliegen.
Dabei spielen insbesondere die Aspekte
- Beschäftigung eigener sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer
- Tätigkeit auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber
- Durchführung entsprechender Tätigkeiten auch durch Arbeitnehmer
- Unternehmerisches Auftreten am Markt
- Der Unternehmer hat die Tätigkeit beim Auftraggeber zuvor als dessen Arbeitnehmer ausgeführt
eine Rolle.
Wer einen Existenzgründungszuschuss nach § 421 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) III beantragt, gilt als selbstständig.
Feststellung der Sozialversicherungspflicht
Wird von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) ein "scheinselbstständiges" Arbeitsverhältnis festgestellt, ohne dass die Beteiligten die Überprüfung des Status veranlasst haben, setzt die Sozialversicherungspflicht in der Regel mit Aufnahme der Tätigkeit ein.
Nur, wenn der Betroffene oder der Arbeitgeber weder vorsätzlich noch grob fahrlässig von einer selbständigen Tätigkeit ausgegangen sind, tritt die Versicherungspflicht erst mit dem Tag der Bekanntgabe der Entscheidung der BfA ein - vorausgesetzt, der Beschäftigte stimmt dem BfA-Bescheid zu und hat sich für den Zwischenzeitraum zwischen Beginn der Tätigkeit und Erteilung des Bescheides adäquat für den Krankheitsfall und das Alter abgesichert.
Um das Risiko einer Fehleinschätzung auszuschließen, können die Beteiligten innerhalb eines Monats nach Aufnahme der Tätigkeit einen Antrag bei der BfA stellen, damit verbindlich festgestellt wird, dass keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegt (Anfrageverfahren). Die BfA entscheidet dann aufgrund einer Gesamtwürdigung der Situation des Unternehmens. Als Anhaltspunkte für eine abhängige Beschäftigung werden eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers angesehen.
Nur wenn
- ein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt,
- der Beschäftigte zustimmt und
- er sich für den Zwischenzeitraum zwischen Beginn der Tätigkeit und Erteilung des Bescheides adäquat für den Krankheitsfall und das Alter abgesichert hat,
tritt die Sozialversicherungspflicht zu dem Zeitpunkt ein, zu dem eine unanfechtbare Entscheidung vorliegt. Widerspruch und Klage haben aufschiebende Wirkung.
Konsequenzen der "Scheinselbstständigkeit"
Sozialversicherungsrechtliche Folgen
Der bisherige Auftraggeber hat nunmehr als Arbeitgeber die üblichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die gesetzlichen Krankenkassen abzuführen und den Arbeitnehmer dort als solchen anzumelden. Die Kranken- und Pflegeversicherungspflicht richtet sich nach der jeweiligen Versicherungssituation (unter anderem Höhe des Einkommens, aktuelle Beitragsbemessungsgrenze). Zu beachten ist, dass der Arbeitgeber unter Umständen die Sozialversicherungsbeiträge für die letzten vier Jahre nachzahlen muss, er von dem Arbeitnehmer aber nur drei Monate lang einen Teil des Gehaltes einbehalten darf. Abweichende Regressregelungen zwischen den Parteien sind unwirksam!
Arbeitsrechtliche Folgen
Wird "Scheinselbstständigkeit" festgestellt, so kann der "Scheinselbstständige" seinen Arbeitnehmerstatus gegebenenfalls einklagen. Das Arbeitsgericht prüft dann anhand der bisherigen Kriterien der Rechtsprechung, ob dem "Scheinselbstständigen" Arbeitnehmerstatus zuerkannt werden kann. Ist dies der Fall, so ist der vermeintlich Selbstständige nun Angestellter mit Kündigungsschutz, Urlaubsanspruch, Lohnfortzahlungsanspruch im Krankheitsfall und unterliegt der Sozialversicherungspflicht.
Steuerrechtliche Folgen
Die Veränderung der Verhältnisse kann auch steuerrechtliche Konsequenzen haben. Sowohl Arbeitgeber als auch Arbeitnehmer haben dann die neue Situation gegebenenfalls steuerrechtlich nachzuvollziehen und haften für die Nachzahlungen als Gesamtschuldner, sie können also beide zur Zahlung der Außenstände in voller Höhe aufgefordert werden.
Da dies Einzelfallbetrachtungen sind, empfiehlt es sich, einen Steuerberater hinzuzuziehen und sich mit dem zuständigen Finanzamt abzustimmen. "Scheinselbstständige" müssen beachten, dass sie als Arbeitnehmer den lohn-/einkommensteuerrechtlichen Regelungen unterliegen und durch diese Tätigkeit fortan keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb mehr erzielen. Darüber hinaus schuldet der vermeintliche Auftragnehmer gegebenenfalls die auf seinen bisherigen Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz, während ein Vorsteuerabzug für den Auftraggeber (der in diesem Fall wie ein Arbeitgeber zu behandeln ist) nicht in Betracht kommen würde. Hier sind koordinierte Ländererlasse zum weiteren Verfahren abzuwarten.
Gewerberechtliche Folgen
Spätestens mit Feststellung der "Scheinselbstständigkeit" endet auch die unternehmerische Tätigkeit für das betriebene Gewerbe. Dies heißt, das Gewerbe muss abgemeldet werden. Auch die gesetzliche Mitgliedschaft in der Industrie- und Handelskammer und die gesetzliche Verpflichtung zur Mitgliedschaft in der Berufsgenossenschaft enden zu diesem Zeitpunkt.
Rentenversicherungspflichtige Selbstständige
Ist ein Unternehmer echter Selbstständiger ohne eigene sozialversicherungspflichtige Beschäftigte und hat er im wesentlichen nur einen Auftraggeber (Faustregel 5/6 des Umsatzes werden über einen Auftraggeber generiert), dann ist er auch als Selbstständiger rentenversicherungspflichtig, so die Regelung des § 2 Abs. 1 Nr. 9 SGB VI. Er hat seine Beiträge in vollem Umfang selbst zu zahlen und sich sofort beim zuständigen Rentenversicherungsträger anzumelden.
Es gibt nur wenige Möglichkeiten, sich von der Rentenversicherungspflicht befreien zu lassen:
- Der Antragsteller ist Existenzgründer: Er wird für die Dauer von drei Jahren nach Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit von der Rentenversicherungspflicht befreit. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.
- Der Antragsteller hat das 58. Lebensjahr vollendet: Er wird vollständig von der Rentenversicherungspflicht befreit, wenn er bereits selbständig war und die Versicherungspflicht erstmalig aufgrund der Neuregelung zur rentenversicherungspflichtigen Selbstständigkeit eingetreten ist. Die Befreiung wirkt vom Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen an, wenn sie innerhalb von drei Monaten beantragt wird, sonst vom Eingang des Antrags an.
Sonderfall: Handelsvertreter
Mit dem Wegfall der Vermutungskriterien ist auch die Ausnahmeregelung für Handelsvertreter hinfällig geworden. Entscheidend für die Frage ihrer Selbstständigkeit ist damit, ob sie ihre Tätigkeit im Wesentlichen frei gestalten und über ihre Arbeitszeit bestimmen können (§ 84 Abs. 1 S. 2 Handelsgesetzbuch). Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, können auch Handelsvertreter "scheinselbstständig" sein. Indizien dafür sind beispielsweise Umsatzvorgaben, eng angelegte Kontrollen des Auftraggebers, Pflichtanwesenheit, vorgegebene Pflichttermine bei Kunden, Tourenpläne, Urlaubsabstimmung mit dem Auftraggeber sowie das Verbot, Angestellte einzustellen.
Kann sich der Handelsvertreter Tätigkeit und Arbeitszeit frei einteilen und liegen die obengenannten Kriterien vor, ist auch er ein grundsätzlich rentenversicherungspflichtiger Selbstständiger.
Fazit
Die Abgrenzung zwischen Selbstständigen, rentenversicherungspflichtigen Selbstständigen und "Scheinselbstständigen" bleibt schwierig. Viele Einzelfälle und strittige Punkte werden weiterhin von der Rechtsprechung anhand der bisherigen Kriterien zu klären sein. Dabei kann das Ergebnis der arbeitsrechtlichen Prüfung die Auftragnehmerstellung sein, während die sozialversicherungsrechtliche Prüfung derselben Person den Arbeitnehmerstatus zuspricht, verbunden mit der entsprechenden Sozialversicherungspflicht.
Insbesondere Existenzgründer sollten sich innerhalb von drei Monaten nach der Aufnahme der Geschäftstätigkeit an die Deutsche Rentenversicherung Bund wenden und schriftlich einen Antrag auf Befreiung von der Rentenversicherungspflicht stellen. Vorabklärungen sind ebenfalls möglich.
Bei Unklarheiten bezüglich der "Scheinselbständigkeit" sollte bei der Rentenversicherung innerhalb von einem Monat ein Antrag auf Feststellung gestellt werden.