06.04.2023, Nummer: 11

Vereinheitlichen – Vereinfachen – Beschleunigen: Erfolgreiche Fachkräftesicherung bedarf kluger Strategie und Umsetzungswillen

IHK-Präsident Dr. Andreas Sperl und Hauptgeschäftsführer Lukas Rohleder haben sich am heutigen Tag in Dresden im Rahmen eines Medientermins zu den Herausforderungen bei der Fachkräfte-sicherung, ihrer Sicht auf die politischen Bestrebungen auf Bundes- und Landesebene sowie die Rolle der Kammer bei der Gewinnung und Entwicklung von Arbeits- und Fachkräften im In- und Ausland geäußert.

Handlungsdruck hoch - inländische Potenziale nahezu ausgeschöpft

Präsident Sperl stellte in seiner Analyse den enormen Handlungsdruck heraus. So werden in Sachsen bis 2035 mehr als 900.000 Personen altersbedingt aus dem Arbeitsprozess ausscheiden, was jedem fünften Erwerbstätigen entspricht. Im Gegenzug reichen die Zuwächse über Ausbildung und Studium sowie das Heben von stillen Reserven, etwas bei der Teilzeit, der Frauenbeschäftigungsquote, der längeren Beschäftigung Älterer oder der Verringerung der Arbeitslosenzahl nicht ansatzweise aus, um die entstehende Lücke zu füllen. An gezielter, qualifizierter Zuwanderung führe somit kein Weg vorbei, wobei der Fokus auf sogenannten Drittstaaten liegen werde, auch die EU-Binnenmigration mehr oder weniger zu Erliegen bekommen ist.

Bund und Land reagieren - Bewertung mit Licht und Schatten

Hauptgeschäftsführer Rohleder griff diesen Aspekt auf und zog seinerseits ein ernüchterndes Fazit. Weder Deutschland noch Sachsen gelinge es bisher, genügend qualifizierte Zuwanderer anzulocken und zu halten. Abhilfe sollen unter anderem das soeben vom Bundeskabinett verabschiedete, überarbeitete Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) und der sächsische Maßnahmenplan zur Gewinnung internationaler Arbeits- und Fachkräfte bringen. Laut Rohleder geht das neue FEG in die richtige Richtung, in dem vor allem die Zuwanderung ohne in Deutschland anerkannte Berufsqualifikation erleichtert werde und eine sogenannte Chancenkarte, die dem kanadischen Punktesystem gleicht, die Einreise nach Deutschland zur Arbeitsplatzsuche möglich machen soll. Im Gegenzug dürfte es Arbeitgebern und Zuwanderungsinteressierten aber noch schwerer fallen, die  ohnehin schon komplexen Regeln und die unterschiedlichen Zuständigkeiten zu durchschauen, sowie die damit einhergehende Bürokratie zu meistern. Ebenfalls kritisch sieht die IHK eingezogene Mindestverdienstgrenzen, die an der Realität vieler dienstleistungsorientierter Branchen vorbei gingen, den Ausschluss der Zeitarbeit bei der Zuwanderung aus Drittstaaten sowie die unzureichenden personellen und technischen Ressourcen bei den Auslandvertretungen und den hiesigen Ausländerbehörden. Um den Spracherwerb zu verbessern, müssten zudem die Möglichkeiten zum Aufbau berufsbezogener Deutschkenntnisse im In- und Ausland massiv ausgebaut werden.
Licht und Schatten sieht Rohleder auch bei sächsischen Maßnahmenplan. Die enthaltenen Ziele, von einer weltoffenen Wahrnehmung des Freistaates über die Beschleunigung aufenthaltsrechtlicher Prozesse bis zur besseren Bindung ausländischer Studienabsolventen seien  alle richtig und nachvollziehbar, letztendlich habe das Dokument aber eher den Charakter einer Absichtserklärung, und lasse klare Zuständigkeiten, Fristen und Finanzierungsquellen vermissen. Ein aus Kammer- und Unternehmersicht ganz wichtiger Punkt sei zudem nicht enthalten, die Einrichtung jeweils einer zentralen Anlaufstelle für Betriebe und ausländische Fachkräfte in kreisfreien Städten und in den Landkreisen, die über den gesamten Prozessverlauf beraten und unterstützen, wozu auch alltagsintegrative Fragen gehören müssen.    

IHK bietet Regierung koordiniertes Vorgehen an und baut konkrete Unterstützung aus

Monatelange Wartezeiten bei den Ausländerbehörden, ein kaum erreichbarer Arbeitgeberservice der Arbeitsagenturen, die Nerven liegen bei vielen IHK-Mitgliedsunternehmen blank. Hinzu komme ein geradezu ausufernder Aktionismus verschiedener regionaler Akteure, in Eigeninitiative und mit teils beträchtlichen Summen an Fördergeldern im Rücken, Fachkräfte im Ausland anwerben und in die regionale Wirtschaft integrieren zu wollen, resümiert Präsident Sperl, und stellt klar, dass es so nicht weitergehen und auch nicht funktionieren könne. Stattdessen habe man der Staatsregierung ein koordiniertes Vorgehen bei der Anwerbung von Schulabsolventen für Ausbildung und Studium, von Arbeitskräften einschließlich deren Weiter- bzw. Nachqualifizierung sowie der Berufsaus-bildung nach deutschem Vorbild in definierten Zielregionen vorgeschlagen. Letztere sollten drei bis fünf Länder umfassen, in denen die Rekrutierung für Sachsen besonders lohnenswert erscheint. Parallel dazu wird die IHK eine eigene, interne Beratungsstruktur für den Prozess der Einstellung ausländischer Azubis, Arbeits- und Fachkräfte aufbauen.
Bereits aktiv und erfolgreich ist die IHK Dresden als Pilotkammer beim Bundesprojekt ValiKom, über welches Beschäftigte, die teils seit vielen Jahren beruflich tätig sind, aber nie einen entsprechenden Abschluss erworben haben, mittels theoretischer und praktischer Test ihre Fähigkeiten dokumentiert bekommen können. Zur Zielgruppe gehören inländische Arbeitskräfte mit gebrochenen Erwerbsbiographien genauso, wie Personen mit Flucht- und Migrationshintergrund, die sich in Sachsen aufhalten, mit Blick auf die Möglichkeiten des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes aber sicher auch Personen, die in ihren Heimatländern in den unterschiedlichsten Bereichen gearbeitet haben, ihre Qualifikation aber nicht entsprechend belegen können.