Künstliche Intelligenz lernt und passt sich an
Ob bei der Analyse von Toastbrot, bei der Inspektion von Industriehallen, beim Messen von Kalorien oder bei der Personalplanung – Künstliche Intelligenz (KI) kommt mittlerweile bei vielen Produkten und Dienstleistungen zum Einsatz. Prozesse werden verbessert, neue Freiräume geschaffen. Neue Geschäftsmodelle entstehen und treiben die digitale Transformation auch in Südhessen voran.
Text: Stephan Köhnlein
Mit hoher Geschwindigkeit läuft das Band mit Walnusskernen vorbei. Nuss oder doch ein Schalensplitter? Das ist mit dem menschlichen Auge oft kaum zu erkennen und auf Dauer eine extrem anstrengende Arbeit. Für die KI-gestützte Bildverarbeitung von Strelen Control Systems aus Büttelborn ist das dagegen kein Problem. Mit hoher Präzision blasen Düsen die Fremdkörper in einen Abfallbehälter. „Viele unserer Anwendungen beschäftigten sich mit der Fragestellung, wie man die Qualität eines Produkts mit Künstlicher Intelligenz beurteilen und die Maschinensteuerung optimieren kann“, sagt Firmengründer Stephan Strelen.
Stephan Strelen hat bereits vor rund zwei Jahrzehnten in Informatik zum Thema KI promoviert. Den aktuellen Hype um das Thema sieht er ambivalent. „Zum einen ist es natürlich toll, dass das Thema mittlerweile so angekommen ist und akzeptiert wird“, sagt er. „Wenn ich vor 20 Jahren von KI gesprochen habe, wurde ich oft angeguckt, als würde ich von Außerirdischen erzählen“, sagt er schmunzelnd. Auf der anderen Seite erlebe er mittlerweile aber immer öfter, dass Kunden mit dem Wunsch an ihn herantreten, dass sie unbedingt ein KI-Projekt brauchen. „Dabei ist es zunächst völlig egal, was da passiert – Hauptsache KI. Das ist schon ziemlich absurd.“
Vor 14 Jahren ging Strelen mit seinem Unternehmen auf den Markt, das als Systemhaus für industrielle Bildverarbeitung konzipiert war. Heute hat er 21 Mitarbeiter und sieht sich breit aufgestellt – mit einem Fokus auf die Nahrungsmittelindustrie, wie er es schon bei der Gründung angepeilt hatte. Dass KI mittlerweile in aller Munde ist, hängt für den Informatiker auch damit zusammen, dass die Rechnerleistung in den vergangenen Jahren massiv gestiegen ist. „Damit werden viele neue Anwendungen überhaupt erst möglich“, sagt er. „Künstliche Intelligenz ist ja auch ein Werkzeug, um mit sehr vielen Daten umzugehen.“
Strelens Technik kann die Qualitätskontrolle in der Lebensmittelindustrie verbessern – und das nicht nur bei Nüssen. So zeigt er Beispiele, wie seine KI-Anwendungen die Größe von Kartoffelchips beurteilen oder sie auf grüne und braune Stellen überprüfen. Die Qualität von Toastbrot bemisst die KI unter anderem über die Porosität der Kruste.
Zusammenspiel mit Maschinenbau
KI-Systeme können lernen und sich selbst anpassen, während herkömmliche Programme nur die festgelegten Algorithmen befolgen, wie Strelen erklärt. So lerne seine KI beispielsweise, Qualitätsmängel bei Kartoffelchips in neuen Bildern zu erkennen, ohne dass für jedes neue Objekt eine Regel oder Formel geschrieben werden müsse.
Klassische Programme seien dagegen statisch und erforderten manuelle Anpassungen, wenn sich Anforderungen oder Daten änderten. „Theoretisch könnte man zwar versuchen, eine KI-Entscheidung als Formel darzustellen“, sagt Strelen. „Aber diese Formel hätte dann Millionen oder sogar Milliarden Elemente und könnte von einem Menschen nicht mehr begriffen werden.“
Wenn Strelen Kunden seine Firma präsentiert, zeigt er zunächst das Foto einer großen Werkstatt am Standort in Büttelborn. „Ich betone unsere Maschinenbaukompetenz, weil die uns ermöglicht, Turnkey-Lösungen zu bauen, was meint, dass der Kunde die Anwendung bzw. das Produkt ohne weiteren Aufwand sofort einsetzen kann“, sagt er. „Gerade in der Nahrungsmittelindustrie geht es häufig nicht nur darum, etwas zu erkennen, sondern ein schlechtes Produkt gleich aus dem Prozess zu entfernen. Und das geht eben nur mit Maschinenbaulösungen.“
Intelligente Schneidebretter aus Darmstadt
Philo Boras, Geschäftsführer von Aurora Life Science
© Aurora Life Science
Auch bei der Aurora Life Science GmbH stehen Lebensmittel im Blickpunkt. Philo Boras und Jonathan Oberthür haben ein digitales Schneidebrett entwickelt, das Nahrungsmittel optisch erkennt, wiegt und dann über eine App direkt tracken kann. Im Gegensatz zu gängigen Apps, die Lebensmittel nur über Bilder auf ihren Kaloriengehalt schätzen, ermöglicht das Brett eine wesentlich exaktere Bestimmung. „Denn ob zum Beispiel eine Avocado reif ist, kann ich von außen oft nicht beurteilen. Aber das ist ein ganz wichtiger Faktor für die Zahl der Kalorien.“
Kennengelernt haben sich die beiden Gründer beim Uni-Sport in Darmstadt. Als sie einmal nach dem Training nach Hause gingen, bekam Boras auf dem Handy Werbung für eine Küchenwaage angezeigt, die zwar eine Bluetooth-Verbindung hatte, aber auch ein Büchlein mit Zahlencodes für die verschiedenen Lebensmittel. „Den Code musste man eintippen, dann hat man zum Beispiel eine Tomate daraufgelegt, und anschließend wurden die Kalorien angezeigt“, erinnert sich Boras. „Wir haben beide Ingenieurswissenschaften studiert, außerdem einen Sporthintergrund und fanden das total absurd“, erinnert er sich. „Dann sagten wir uns: Das muss doch einfacher gehen.“
Sie recherchierten eine Weile, gründeten im Jahr 2018 das Unternehmen und bauten im folgenden Jahr den ersten Prototyp. Ihren Sitz haben sie im HUB31, dem Gründungszentrum der Stadt und der IHK Darmstadt, an dem mittlerweile auch die TU Darmstadt und die h_da beteiligt sind. Dort finden innovative Gründerinnen und Gründer aus Wissenschaft und Wirtschaft nicht nur Räume und technische Infrastruktur, sondern auch umfassende Beratung und Begleitung. Aurora Life Science hat mittlerweile elf Mitarbeiter*innen, davon fünf in Vollzeit, und ist mittlerweile industrialisiert, kann also in Serie fertigen. Die Kundenzahl wachse stetig.
Rund ein Drittel unserer Kunden sind Menschen, die zunehmen wollen.Philo Boras
Boras und Oberthür haben dabei zwei große Zielgruppen im Blick: Menschen, die ihr Körpergewicht verändern wollen, und Menschen, die ihre Gesundheit über den Kalorienbedarf kontrollieren müssen. Aktuell liegt der Fokus auf der ersten Gruppe, wobei es nicht nur ums Abnehmen geht. „Rund ein Drittel unserer Kunden sind Menschen, die zunehmen wollen“, sagt Boras. Er selbst ist zum Beispiel Gewichtheber, wo es oft wichtig ist, einige Kilo zuzulegen, um in einer anderen Gewichtsklasse antreten zu können.
Bei Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen auf Kalorien achten müssen, handelt es sich etwa um solche mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetiker. Hier ist es nochmals deutlich wichtiger, dass Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit exakten Zahlen arbeiten können, denn einige Kalorien zu viel können deutlich schwerwiegendere Folgen haben als bei gesunden Menschen. Rechtlich ist der Zugang zu diesem Markt allerdings schwieriger, weil man dazu als Medizinprodukt zugelassen werden muss. „Wir haben aber tatsächlich Kunden, die Kinder mit Typ-1-Diabetes haben und sehr genau auf deren Ernährung achten“, sagt er. „Die Eltern bringen ihren Kindern bei, was im Essen enthalten ist, und da ist unser Gerät eine riesige Erleichterung für sie. Weil die Erkennung automatisch erfolgt, können die Eltern ihren Kindern quasi spielerisch vermitteln, was sie gut vertragen und was nicht.“
Die Waage erkennt die Limette mithilfe künstlicher Intelligenz und kann bezogen auf das Gewicht verschiedene Angaben zu den Nährstoffen machen. Die Serienproduktion ist angelaufen.
© Aurora Life Science
Das Wiege- und Schneidebrett ist mit einer App verbunden. Wenn man einen Apfel darauflegt, wird er von der eingebauten Kamera gescannt und von der dahinterliegenden KI als Apfel erkannt. Im Zusammenhang mit dem Gewicht zeigt die App dann Werte wie Nährstoffe, Kalorien, Proteine, Kohlenhydrate oder Fette. „Und dann kann ich entscheiden, ob ich den Apfel so essen will oder vielleicht noch einmal auseinanderschneiden möchte. Das kann ich auch auf dem Gerät erledigen.“
Das Schneidebrett ist ganz klassisch aus Holz. Zum einen liege das daran, dass ein Kunststoffschneidebrett nicht hygienisch sei. „In Rillen und Schneidespuren können sich Keime absetzen“, sagt Boras. Holz sei dagegen antibakteriell. Zudem entstehe beim Schneiden auf einem Kunststoffbrett Mikroplastik, das dann über die Nahrung aufgenommen werde. Es gebe zwar Ansätze für einen Kunststoff, der biologisch abbaubar ist. Aber der sei noch nicht marktreif.
Großen Wert legt Aurora Life Science als wachsendes Unternehmen auf den Standort Europa. „Die Hauptkomponenten kommen nahezu alle aus Deutschland, die Elektronik wird in der Schweiz gefertigt, und die Zusammenführung erfolgt in Rumänien“, sagt er. „Wir wollen in Europa bleiben und nicht in Asien fertigen.“
Das KI-Gesetz – ein Paket der Angst?
Wesentlich kritischer sieht dagegen Marc Dassler von Energy Robotics den Standort Europa und besonders Deutschland. Das Unternehmen mit aktuell 42 Mitarbeiter*innen hat seinen Sitz ebenfalls im HUB31 in Darmstadt und bietet autonome Roboter und KI-gestützte Inspektionen für die Öl- und Gasindustrie. In den vergangenen drei Jahren ist Energy Robotics stark gewachsen, hat sowohl den Umsatz deutlich steigern als auch Personal aufbauen können und mehrere Auszeichnungen gewonnen.
Dassler sieht gerade deutsche Unternehmen beim Zugang zum Venture-Capital-Markt deutlich benachteiligt. Hier herrsche ein Klima der Angst, gepaart mit extrem hohen Erwartungen. Das führe dazu, dass innovative Start-ups Schwierigkeiten hätten, Fuß zu fassen und ihr Potenzial auszuschöpfen. Unternehmen, die im KI-Bereich aktiv sind, würden zudem vom KI-Gesetz der Europäischen Union massiv eingeschränkt. „Das ist ein Paket der Angst“, sagt Dassler. „Es wird dazu führen, dass viele innovative Unternehmen die EU verlassen und in Länder mit günstigeren Rahmenbedingungen abwandern.“
Ein zentraler Bestandteil des Geschäftsmodells von Energy Robotics ist die Verwendung moderner KI-Software, die es den Robotern ermöglicht, verschiedene industrielle Inspektionen effizient und präzise durchzuführen. Die KI spielt eine entscheidende Rolle bei der Datenerfassung und -analyse. Die Roboter sind in der Lage, Informationen von Anlagen zu sammeln, diese Daten zu verarbeiten und in Erkenntnisse umzuwandeln, die den Kunden helfen, den Zustand ihrer Systeme zu überwachen.
„Gerade arbeiten wir daran, dass die Roboter in spätestens einem halben Jahr so schlau sind wie ein menschlicher Inspekteur, der versteht, was bei Anlagen und Steuerelementen falsch oder richtig ist“, sagt Dassler. Diese Entwicklung zielt darauf ab, die Effizienz der Inspektionen zu steigern und gleichzeitig menschliche Inspektoren zu entlasten. Durch die Automatisierung würden diese von oft monotonen oder gefährlichen Arbeiten entlastet und könnten sich auf wertschöpfende und komplexere Tätigkeiten konzentrieren.
Gerade vor diesem Hintergrund hält Dassler die Diskussion um Arbeitsplatzverluste für verfehlt. „Das Schlimme ist, dass wir in Deutschland noch immer glauben, dass KI irgendwie Menschen überflüssig macht. Fakt ist: Wir haben gar keine Menschen mehr!“ Bis zum Jahr 2035 werde die Zahl der Arbeitskräfte wegen des demografischen Wandels um etwa sieben Millionen sinken, sagt er – eine Zahl, zu der eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommt. Das stelle das Land vor ernsthafte wirtschaftliche Herausforderungen. Eine von der KI gestützte Automatisierung könne die Produktivität steigern und den Wohlstand sichern, insbesondere in Anbetracht des bevorstehenden Rentenproblems. Dafür seien aber zu viele Prozesse für Unternehmen zu bürokratisch. Hier müsse die deutsche Politik dringend Reformen anpacken und deregulieren, sagt Dassler.
Was ist das KI-Gesetz?
Das KI-Gesetz - englisch: European Artificial Intelligence (AI) Act - ist eine Verordnung über künstliche Intelligenz (KI) der Europäischen Union. Es ist die erste umfassende Verordnung dieser Art durch eine große Regulierungsbehörde weltweit.
Das Gesetz unterteilt die Anwendungen von KI in vier Risikokategorien:
1. unannehmbare Risiken
2. hohe Risiken
3. begrenzte Risiken
4. geringe oder keine Risiken
Verboten werden Anwendungen, die ein unannehm bares Risiko darstellen. Darunter fallen manipulative Techniken, um das Verhalten von Menschen in einer Weise zu beeinflussen, die ihre Entscheidungsfreiheit untergräbt. Außerdem verboten werden Techniken, die die Schwachstellen von Personen gezielt ausnutzen, etwa aufgrund von Alter, Behinderung oder einer sozialen Situation. Gleiches gilt für Anwendungen zur sozialen Bewertung, die Menschen auf der Grundlage ihres Verhaltens beurteilen.
KI-Technologien mit hohen Risiken gibt es in Bereichen wie dem autonomen Fahren, bei Entscheidungen über den Zugang zu Bildung sowie in der Strafverfolgung bei der Bewertung der Zulässigkeit von Beweismitteln. Solche Hochrisiko-KI-Systeme unterliegen strengen Verpflichtungen, bevor sie in den Verkehr gebracht werden – etwa mit Blick auf Qualität der Datensätze, Rückverfolgbarkeit und Dokumentation.
Für Anwendungen mit begrenztem Risiko gelten spezifische Transparenzpflichten, damit die Menschen wissen, dass sie beispielsweise bei der Verwendung von KI-Systemen wie Chatbots mit einer Maschine interagieren.
Erlaubt ist die freie Nutzung von KI mit geringem Risiko. Dazu gehören KI-fähige Videospiele oder Spamfilter. Die überwiegende Mehrheit der derzeit in der EU eingesetzten KI-Systeme fällt in diese Kategorie.
Das Gesetz ist zum 1. August 2024 in Kraft getreten und ist nach 24 Monaten in vollem Umfang anwendbar. Einige Teile gelten jedoch schon früher. So ist das Verbot von Systemen mit unannehmbaren Risiken bereits nach sechs Monaten anwendbar.
https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/policies/ regulatory-framework-ai
Das KI-Gesetz - englisch: European Artificial Intelligence (AI) Act - ist eine Verordnung über künstliche Intelligenz (KI) der Europäischen Union. Es ist die erste umfassende Verordnung dieser Art durch eine große Regulierungsbehörde weltweit.
Das Gesetz unterteilt die Anwendungen von KI in vier Risikokategorien:
1. unannehmbare Risiken
2. hohe Risiken
3. begrenzte Risiken
4. geringe oder keine Risiken
Verboten werden Anwendungen, die ein unannehm bares Risiko darstellen. Darunter fallen manipulative Techniken, um das Verhalten von Menschen in einer Weise zu beeinflussen, die ihre Entscheidungsfreiheit untergräbt. Außerdem verboten werden Techniken, die die Schwachstellen von Personen gezielt ausnutzen, etwa aufgrund von Alter, Behinderung oder einer sozialen Situation. Gleiches gilt für Anwendungen zur sozialen Bewertung, die Menschen auf der Grundlage ihres Verhaltens beurteilen.
KI-Technologien mit hohen Risiken gibt es in Bereichen wie dem autonomen Fahren, bei Entscheidungen über den Zugang zu Bildung sowie in der Strafverfolgung bei der Bewertung der Zulässigkeit von Beweismitteln. Solche Hochrisiko-KI-Systeme unterliegen strengen Verpflichtungen, bevor sie in den Verkehr gebracht werden – etwa mit Blick auf Qualität der Datensätze, Rückverfolgbarkeit und Dokumentation.
Für Anwendungen mit begrenztem Risiko gelten spezifische Transparenzpflichten, damit die Menschen wissen, dass sie beispielsweise bei der Verwendung von KI-Systemen wie Chatbots mit einer Maschine interagieren.
Erlaubt ist die freie Nutzung von KI mit geringem Risiko. Dazu gehören KI-fähige Videospiele oder Spamfilter. Die überwiegende Mehrheit der derzeit in der EU eingesetzten KI-Systeme fällt in diese Kategorie.
Das Gesetz ist zum 1. August 2024 in Kraft getreten und ist nach 24 Monaten in vollem Umfang anwendbar. Einige Teile gelten jedoch schon früher. So ist das Verbot von Systemen mit unannehmbaren Risiken bereits nach sechs Monaten anwendbar.
https://digital-strategy.ec.europa.eu/de/policies/ regulatory-framework-ai
Nutzung von KI
In jedem dritten Unternehmen in Deutschland nutzen Beschäftigte generative Künstliche Intelligenz wie ChatGPT mit ihrem privaten Account.
68 Prozent jener Unternehmen, die KI bereits im Praxiseinsatz haben, sehen den Einsatz aufgrund rechtlicher Unsicherheiten behindert.
Die größte Nutzergruppe von ChatGPT liegt im Alter von 25 bis 34 Jahren.
Quellen: bitcom, Doit Software
In jedem dritten Unternehmen in Deutschland nutzen Beschäftigte generative Künstliche Intelligenz wie ChatGPT mit ihrem privaten Account.
68 Prozent jener Unternehmen, die KI bereits im Praxiseinsatz haben, sehen den Einsatz aufgrund rechtlicher Unsicherheiten behindert.
Die größte Nutzergruppe von ChatGPT liegt im Alter von 25 bis 34 Jahren.
Quellen: bitcom, Doit Software
Bilder und Stimmen aus der KI
In der Öffentlichkeit wird KI in der Anwendung besonders wahrgenommen, wenn es um die Produktion von Bildern und Stimmen geht. Das ist ein Kernbereich von Tag & Nacht Media in Darmstadt. Das Medienproduktionsunternehmen wurde 2013 gegründet. Christian Stadach ist als einer der beiden Geschäftsführer für Regie und Video-Postproduktion zuständig. Sein Mitstreiter Stephan Böhl vor allem für Produktion und Audio-Postproduktion.
Heute versteht sich Tag & Nacht Media mit seinen acht Mitarbeiter*innen und Kooperationen mit mehreren Freiberuflern als Full-Service-Agentur, hat auch Design und Animation im Portfolio. Das Hauptgeschäft liegt jedoch in der Produktion von Corporate Videos, Imagefilmen, Werbe- und Produktfilmen sowie in der Musikproduktion. Aber auch eine Filmserie haben Stadach und Böhl selbst produziert, die mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde: „Anomalie“ spielt dabei an zahlreichen Schauplätzen in Darmstadt.
Ein großer Einflussfaktor für die Arbeit von Stadach und Böhl ist der Einsatz von KI vornehmlich in Bereichen wie Bildgenerierung und Videoproduktion. Zu den ersten KI-Projekten gehörte die Generierung von Intro-Animationen und ein experimentelles Musikvideo, das mit einer Text-zu-Bild-Technologie erstellt wurde.
Auch in der Nachbearbeitung setzt Tag & Nacht Media KI-gestützte Tools ein, etwa zum Freistellen von Personen und Objekten. Traditionell ist das in der Filmproduktion eine sehr aufwendige Aufgabe, die nun durch KI erleichtert wird, da sie eine bessere automatische Erkennung von Kanten und Objekten ermöglicht. Hier werden nach Einschätzung von Stadach Arbeitsplätze wegfallen. „Doch dafür werden an anderer Stelle neue Arbeitsplätze und Aufgaben entstehen, vornehmlich in Bereichen, die ein Verständnis für den kreativen Einsatz von KI erfordern“, sagt er.
Seine Firma nutzt KI jedoch nicht nur für technische Aufgaben, sondern auch in kreativen Prozessen – beispielsweise, um erste Konzeptskizzen zu erstellen und visuelle Prototypen zu entwickeln. Ein Beispiel ist die Generierung von Logo-Iterationen in verschiedenen Stilen, was den kreativen Prozess deutlich beschleunigt. „Allerdings müssen wir hier oft noch manuell nacharbeiten, weil diese KI-generierten Bilder in der Regel nicht die nötige Präzision bieten“, räumt Stadach ein.
Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von KI ist die Nutzung von Sprachmodellen, um große Textmengen zu verarbeiten und zu strukturieren. Das Team setzt Sprachmodelle zur Analyse umfangreicher Unterlagen und unterstützend zur Erstellung von Konzepten und Präsentationen ein. Allerdings bleibt der Einsatz von KI bei der Ausformulierung von Drehbüchern und Skripten noch begrenzt, da auch hier die Ergebnisse oft zu überarbeiten sind.
Was schon bald vollständig mit KI generiert werden könne, seien Schulungsvideos oder personalisierte Marketingbotschaften. Hier sieht Stadach einen großen Nutzen auf Kundenseite: So müssten bei einer technischen Änderung in einem Unternehmen die Schulungsvideos nicht mehr mit einem Team vor Ort neu gedreht, sondern könnten bei Tag & Nacht Media am Rechner generiert werden.
Deepfakes als Herausforderung
Zwei besonders große Herausforderungen hat Stadach für den Kreativbereich im Zusammenhang mit KI ausgemacht. Zum einen könnte der Wert von echtem, also manuell erstelltem Content verfallen. „Weil KI-gestützter Content zunehmend günstiger und vor allem zugänglicher wird, könnte es für Unternehmen schwieriger werden, wettbewerbsfähig zu bleiben, wenn der Marktpreis für ihre aufwendiger produzierten Inhalte sinkt“, sagt er.
Ein weiteres Risiko besteht in der wachsenden Schwierigkeit, zwischen echten und KI-generierten Inhalten zu unterscheiden. Die Fähigkeit, sogenannte Deepfakes – also täuschend echte Bilder oder Videos – zu generieren, könnte in Zukunft zu einem Problem für die Verlässlichkeit von Informationen und zur Zunahme von Betrugsfällen führen. „Ich glaube aber, dass das ein Problem ist, das schon viel länger existiert“, sagt Stadach. „Es ist jetzt mehr ins Bewusstsein gerückt, weil es immer einfacher wird, solche Fälschungen zu machen.“
Im Hinblick auf die Kreativität glaubt Stadach, dass Künstliche Intelligenz in erster Linie als Werkzeug zur Replikation und Kombination existierender Informationen dient. „Während die KI interessante Kombinationen hervorbringen kann, bleibt der kreative Prozess und die originelle Idee nach wie vor eine menschliche Aufgabe“, zeigt er sich überzeugt. Die Entwicklung von KI sei eine unausweichliche Transformation in der Medienproduktion. „Menschen und Maschinen erschließen dabei gemeinsam neue kreative und technische Möglichkeiten“, sagt Stadach.
Was Bubble Tea und KI gemeinsam haben
Geschäftsführerin und Inhaberin Nguyen Bich Ngoc setzt bei ihrem Bubble Tea auf hochwertige Zutaten.
© TEA99
Auf der Anwenderseite ist der Einstieg in die KI mittlerweile sehr niedrigschwellig, wie das Unternehmen TEA99 zeigt. Mit einer sogenannten White-Label-KI-Lösung erstellt die Bubble Tea Manufaktur Einsatzpläne für ihre Mitarbeiter und generiert Idee und Motive für ihre Marketingkampagnen. Unter White Label versteht man Produkte und Dienstleistungen, die ein Hersteller an seine Kunden weitergibt, die diese dann als eigene Marke vertreiben.
Bubble Tea ist ein Getränk, das aus der taiwanischen Küche stammt und auf Basis grünen oder schwarzen Tees produziert wird. Seine Besonderheit sind die zugesetzten Kügelchen aus Tapioka oder einer anderen Speisestärke, die beim Zerbeißen platzen. In Asien sei Bubble Tea heute als Getränk so verbreitet wie in Deutschland der Kaffee, sagt Geschäftsführerin Nguyen Bich Ngoc. Doch als sie 2014 aus Vietnam zum Studium nach Deutschland kam, wunderte sie sich, dass es dieses Getränk kaum gab – und wenn, dann nur in einer Qualität, die nicht ihren Ansprüchen entsprach. Die Sehnsucht nach gutem Bubble Tea war dann Motor dafür, das Getränk selbst herzustellen und zu verkaufen.
Gegründet wurde TEA99 im Dezember 2020. Zusammen mit ihrem Mann To Tuan eröffnete sie im März 2021 den ersten Bubble-Tea-Laden in Hanau. Es folgten weitere Filialen in Darmstadt und zuletzt in Frankfurt. To und Nguyen setzen bewusst auf hochwertige Zutaten. So wird beispielsweise nur Tee aus selbst aufgekochten Blättern verwendet. Konzentrat ist für die Jungunternehmerin tabu. Dieser Qualitätsanspruch spiegelt sich auch im Namen wider. „Wir streben nach Perfektion, nach 100 Prozent. Aber es gibt immer etwas, was man noch besser machen kann. Deswegen haben wir uns TEA99 genannt“, erklärt To.
Die Marke hat sich schnell etabliert, beliefert auch Supermärkte wie Rewe und Tegut. Bei der Expansion setzt das Unternehmen auch auf innovative Technologien. Bereits früh wurde eine digitale Kundenkarte eingeführt, um die Kundenbindung zu stärken und wertvolle Daten zu sammeln. Durch diese Informationen kann TEA99 die Vorlieben seiner Kunden besser verstehen, was sich positiv auf das Marketing und die Produktentwicklung auswirkt.
Einfach ausprobieren, was funktioniert
Ein zentraler Bestandteil der Geschäftsstrategie ist die Implementierung einer KI-gestützten Software. Sie hilft bei der effizienten Planung des Personaleinsatzes. Im Schnitt arbeiten etwa 20 Menschen für die verschiedenen Filialen, Studenten, Minijobber, aber auch Festangestellte. Um die KI effektiv zu nutzen, mussten zunächst die vorliegenden Daten eingepflegt werden. Das waren neben dem Personal auch lokale Veranstaltungen oder historische Verkaufszahlen. Außerdem verknüpfte man die KI mit dem Kassensystem. Und auch aktuelle und prognostizierte Wetterdaten werden berücksichtigt. All diese Informationen ermöglichen es der KI, präzise Vorhersagen darüber zu treffen, wie viel Personal an verschiedenen Tagen benötigt wird. Nach der anfänglichen Datenpflege lernt die Künstliche Intelligenz nun kontinuierlich dazu und optimiert den Personaleinsatz.
Zusätzlich zur Personaloptimierung nutzt Nguyen andere KI-Anwendungen wie ChatGPT auch für das Marketing. Mithilfe einer App erstellt sie beispielsweise Bilder für Social Media, was Zeit und Kosten spart. „Wir haben keine Berührungsängste mit neuen Technologien“, sagt To. Unternehmer sollten bereit sein, sich mit KI-Tools auseinanderzusetzen, um ihre Geschäftsprozesse zu verbessern. Sein Rat: „Einfach ausprobieren, was für das eigene Unternehmen funktioniert. Viele KI-Lösungen können nämlich auch kostengünstig getestet werden.“
Dieser Artikel ist erstmals erschienen im IHK-Magazin “Wirtschaftsdialoge”, Ausgabe 6/2024. Sie möchten das gesamte Heft lesen? Die “Wirtschaftsdialoge” können Sie auch online als PDF-Datei herunterladen.
Kontakt
Patrick Körber
Geschäftsbereichsleiter, Pressesprecher
Bereich: Kommunikation und Marketing