Kommentar

„Finanzielle Kanäle für alle Unternehmen offen halten“

Ein Kommentar von Matthias Martiné, Präsident der IHK Darmstadt, zum Interview mit dem hessischen Finanzminister Michael Boddenberg.
Entsprechend den politischen Zielen und Vorgaben wird Sustainable Finance absehbar zum bestimmenden Faktor in der Unternehmensfinanzierung. Dabei darf die hierfür notwendige Datenerhebung und Transparenz nicht das Geld verschlingen, das dann für Investitionen fehlt. Und die sind zwingend notwendig, um die Ziele der EU-Kommission im Rahmen des Green Deals zu erreichen. Deshalb darf die Regulierung insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht zu unverhältnismäßigen Belastungen führen und muss die finanziellen Kanäle für alle offenhalten. Nach IHK-Schätzungen werden 50 Prozent aller Unternehmen in Deutschland mindestens mittelbar von Sustainable Finance betroffen sein. Das Erfassen, die Dokumentationen, die Bewertung und die Kontrolle von Nachhaltigkeitskriterien in der bisher diskutierten Kleinteiligkeit überfordern insbesondere KMUs. Für sie sollten die bürokratischen Pflichten und Dokumentation auf ein Minimum reduziert werden. Wir begrüßen den Ansatz eines europäischen Single Access Point, den der hessische Finanzminister Michael Boddenberg im Interview anspricht. Denn darüber könnten die beispielsweise im Rahmen der CSRD und des Lieferkettengesetzes geforderten Informationen zentral an einer Stelle hinterlegt und abgerufen werden, statt dass Unternehmen an verschiedene Stellen nahezu deckungsgleiche Informationen liefern zu müssen. Ohne technische Basis geht es jedoch nicht: Hier muss die Politik in Vorleistung gehen und die digitale Infrastruktur schaffen, bevor Unternehmen in die Berichtspflicht genommen werden.
Kritisiert haben wir, dass Industrie und Mittelstand bisher nicht systematisch in die Ausgestaltung der Regularien zu Sustainable Finance und der Taxonomie eingebunden waren. Wir begrüßen daher ausdrücklich, dass sich die Realwirtschaft nun auch dank der Unterstützung des hessischen Finanzministeriums in den Sustainable-Finance-Rat der Bundesregierung einbringen kann. Die Gelassenheit des Ministers bezüglich des Zugangs von Unternehmen zu Finanzierungen teilen wir jedoch nicht. Transformation braucht Zeit. Die Realwirtschaft läuft einen ambitionierten Marathon, um die Ziele des Green Deals umzusetzen. Dieser muss durch die Finanzwirtschaft begleitet und darf nicht durch die zeitlichen Vorgaben der Bundesanstalt für Finanzmarktaufsicht konterkariert werden. Im Widerspruch zu den zeitlichen Vorgaben an die Realwirtschaft zwingt sie die Banken mit ihren Vorgaben zur „Green Asset Ratio“, die schon Ende 2022 eingeführt werden sollen, einen 100-Meter-Sprint hinzulegen – ein Tempo, mit dem KMU nicht Schritt halten können. Der Green Deal der EU-Kommission zeichnet den Weg zur Klimaneutralität vor. Dazu braucht es einen abgestimmten rechtlichen und zeitlichen Rahmen, Digitalisierung und Kapital. Es gilt jetzt, die Maßnahmen zu synchronisieren, um den ökologischen Wandel der Wirtschaft effizient zu ermöglichen.
Martin Proba
Geschäftsbereichsleiter
Bereich: Unternehmen und Standort
Bereich: Unternehmen und Standort
Themen: Umwelt- und Energieberatung, Umwelt- und Energiepolitik