15.08.2024

Geänderte Gesprächsdynamik: Frust statt Fachaustausch

Belastung für Unternehmen überschreitet kritische Schwelle

Die Mitglieder des IHK-Gremiums Lichtenfels waren eingeladen, um mit der Bundestagsabgeordneten Emmi Zeulner und Stefan Trebes, dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bamberg – Coburg über aktuelle Wirtschaftsthemen zu diskutieren. Letztendlich kam alles ganz anders als geplant.

Anstatt über Sachthemen zu diskutieren, entlud sich der Unmut der Unternehmerinnen und Unternehmer über den wachsenden Druck, der auf ihnen lastet. Was war geschehen? Obwohl im Vorfeld Gremiumsvorsitzender Wilhelm Wasikowski und Gremiums-Geschäftsführer Peter Belina Fragen an Emmi Zeulner gesammelt hatten, um den Gedankenaustausch im Vorfeld zu strukturieren, traf die Abgeordnete auf etliche frustrierte und desillusionierte Gesprächspartner.

Politischer Austausch: Bürokratie und Fachkräftemangel im Mittelpunkt

"Es gibt wirklich Wichtigeres als das Gendern", stellt Emmi Zeulner klar. Ganz oben auf der Agenda stehe die Fachkräftesicherung, etwa über Arbeitskräfte aus der Ukraine. "Wir müssen Ältere motivieren, im Rahmen ihrer Möglichkeiten zu arbeiten, etwa über Steuerbegünstigungen", so Zeulner. "Wer länger arbeitet, muss belohnt werden. Wenn sich jeder mit 63 oder 65 in den Ruhestand verabschiedet, bekommen wir ein Problem. Ich fordere außerdem, dass junge Menschen unter 27 Jahren keinen automatischen Bürgergeldanspruch bekommen." In diesem Zusammenhang spricht sie sich auch für einen neuen Generationenvertrag und klar gegen eine 30 Stunden-Woche aus.

Frust sitzt tief

Wie tief der Frust bei vielen Unternehmern sitzt, zeigt sich im weiteren Verlauf des Abends. Eine Vielzahl an Kritikpunkten wurde laut – von wachsender Bürokratie bis hin zu einem Übermaß an staatlichen Vorgaben. "Ich bin Unternehmer geworden, weil ich etwas schaffen wollte, und nicht, um Formulare auszufüllen", fasst ein Teilnehmer den Unmut zusammen. Immer mehr Bürokratie bedeute auch immer mehr Beamte. Zeulner macht deutlich, dass sie sich klar für eine Staatsreform ausspricht: "Wir müssen Institutionen und Ministerien definieren, die nicht zwingend benötigt werden, und wir müssen sicherstellen, dass für jedes neue Gesetz mindestens ein anderes wegfällt.

"Ich bin seit über 30 Jahren gerne Unternehmer, die Tätigkeit hat mir immer viel Spaß gemacht. Seit ein paar Jahren habe ich aber die Schnauze voll." Diese Aussage macht deutlich, wie tief der Frust bei vielen Unternehmern sitzt.

Emmi Zeulner bat abschließend die anwesenden Unternehmerinnen und Unternehmer: "So frustriert dürfen wir nicht auseinandergehen. Ihr versprecht mir durchzuhalten und ich verspreche, mich weiter intensiv für Euch einzusetzen, idealerweise mit einer neuen Regierung im Rücken nach der kommenden Wahl." Wasikowski bedankt sich bei Zeulner für die klaren Worte.

Ukrainische Flüchtlinge: Ausbildung zu Industrie-Kaufleuten

Vor der eigentlichen Diskussion geht Stefan Trebes auf ein Projekt der Agentur für Arbeit Bamberg – Coburg ein, bei der die Qualifizierung ukrainischer Fachkräfte im Mittelpunkt stehe. Trebes betont, dass Integration in den Arbeitsmarkt nicht allein über theoretische Ansätze gelinge. Die Region Westoberfranken verzeichnet zwar eine doppelt so hohe Integrationsquote wie der Bundesdurchschnitt, jedoch gebe es weiterhin Optimierungspotenzial.

So gebe es etwa laut Trebes eine größere Zahl ukrainischer Vertriebsingenieure, die durch Sprachbarrieren und mangelnde Marktkenntnisse in ihrem Fachbereich nur schwer Fuß fassen können. Die Agentur bietet für diese Zielgruppe und alle interessierten Unternehmen neuerdings eine Ausbildung zu Industrie-Kaufleuten an, vor allem für die Altersklasse 30 bis 50. Mit einer solchen Ausbildung, entsprechenden Sprachkenntnissen und ihrer Kenntnis des ukrainischen Marktes können diese Unternehmen dabei unterstützen, die sich mittel- bis langfristig auf dem ukrainischen Markt etablieren wollen. Über das Qualifizierungschancengesetz übernimmt die Agentur 90 Prozent der Gehaltskosten.

West-Oberfranken: Rund 60.000 der 255.000 Beschäftigten sind 50 Jahre oder älter

Aus Sicht von Trebes sind Fach- und Arbeitskräfte aus der Ukraine ein möglicher Mosaikstein zur Fachkräftesicherung. Auf Nachfrage verweist er darauf, dass das Gesetz auf alle Ausbildungsberufe anwendbar ist und auch von deutschen Staatsbürgern in Anspruch genommen werden kann. Er macht deutlich, dass die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten immer älter werden und man sich deshalb alle Wege offen halten müsse zur Gewinnung von Fachkräften. Lag die Zahl der Beschäftigten im Westen Oberfrankens, die 50 Jahre oder älter sind, 2001 bei etwa 15.000, stieg sie bis 2011 auf rund 30.000 und bis 2021 schließlich auf rund 60.000 – und das bei insgesamt rund 255.000 Beschäftigten. Wasikowski bedankt sich bei Trebes herzlich für die Informationen.