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Nr. 5924054
3 minLesezeit
Titel - Ausgabe September 2023
Weniger ist mehr
„Bürokratieabbau ist das beste Konjunkturprogramm, das es gibt“, macht IHK-Hauptgeschäftsführer Wolfram Brehm deutlich. Die zuletzt exponentiell wachsende Bürokratie ist Auslöser für die Kammer, eine Anti-Bürokratie-Initiative zu starten.
Ohne Regeln geht nichts, das sieht auch die Wirtschaft so. Aber aus gut gemeinten Regeln darf kein lähmender Bürokratismus werden,
macht Brehm deutlich.
Mehr und mehr Unternehmerinnen und Unternehmer stehen der Politik mit ihren immer neuen bürokratischen Vorgaben zunehmend verständnislos gegenüber. Brehm: „Die Politik kann wenig für die schwierige geopolitische Lage und die Corona-Nachwirkungen. Sie kann aber sehr wohl etwas für die bürokratischen Hemmnisse, die immer mehr zu einer Bremse für die wirtschaftliche Entwicklung werden.“ Umso wichtiger sei es, das Ruder herumzureißen und Bürokratie zu reduzieren.
Droht der Bürokratie-Tsunami?
Jedoch vermisst die IHK schnelle, durchgreifende Entlastungen für die Unternehmen, zeigt sich IHK-Präsident Dr. Michael Waasner enttäuscht über die Eckpunkte des „Vierten Bürokratieentlastungsgesetzes“, das die Ampel- Koalition Ende August bei ihrer Kabinettsklausur in Meseberg vorgestellt hatte. „Die Bürokratie in Deutschland hat sich schon jetzt zu einem regelrechten Dickicht entwickelt, das für unseren Wirtschaftsstandort zum Wachstumshemmnis zu werden droht. Dabei stehen die großen Belastungen noch bevor.“ Mit Sorge blickt der IHK-Präsident auf neue Regelungen, etwa zur Nachhaltigkeitsberichterstattung, zum Lieferkettengesetz oder die Meldepflichten beim EU-CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM, die bereits angekündigt sind.
Es rollt ein Bürokratie-Tsunami auf die Unternehmen zu. Wir brauchen einen Befreiungsschlag und mehr Freiraum für unternehmerisches Handeln, sonst überrollt uns die Regulierungswelle,
mahnt Dr. Waasner.
Doch schon die bestehenden Überregulierungen „binden Kapazitäten, kosten Geld und verhindern oft wichtige Investitionen für Innovationen, Energietransformationen oder Produktneuheiten. Die Bürokratie in Deutschland wird zunehmend zum Standortnachteil“. Dabei sei es für die Wirtschaft gerade in schwierigen Zeiten von Bedeutung, die Rahmenbedingungen wettbewerbsfähig zu gestalten.
Hinter uns liegen zwei Jahre im Zeichen von Corona. Eine Zeit, in der der Staat mein Unternehmen wie eine öffentliche Grundschule behandelt hat. Stieg die Inzidenz über 100 mussten wir schließen – unter 50 durften wir wieder öffnen! Um so mehr haben wir den 1.7.2022 mit dem Wegfall der meisten Corona-Einschränkungen herbeigesehnt! Endlich wieder richtig arbeiten, endlich wieder um Kunden kümmern – endlich wieder verlorenes Geschäft aufholen – das war die Devise!
Leider haben wir die Rechnung ohne unseren Staat gemacht – die Idee hatte auch die öffentliche Verwaltung. Als erstes kam die Überprüfung des Kurzarbeitergeldes – das Graben nach hunderten von Arbeitszeitnachweisen, Stundenzetteln, Urlaubsscheinen – weil ein einfacher IT-Ausdruck nicht reicht. Als nächstes die Prüfung der Rentenversicherung, gerade läuft eine Lohnsteuer-Außenprüfung, die Berufsgenossenschaft hat sich als nächstes angekündigt. Was noch fehlt ist eine turnusmäßige Betriebsprüfung und die finale Prüfung zum Rettungspaket IV – der einzige Topf, aus dem wir ein wenig Hilfe für mehrere Millionen Euro ausgefallenen Umsatz bekommen haben.
Was das mit Überbürokratisierung zu tun hat? Für jede dieser Prüfungen kopieren wir unter aberwitzigem Personaleinsatz analog nahezu identische Dokumente, die wir seit Jahren Monat für Monat an staatliche Verwaltungen digital übermitteln. Dokumente, auf die staatliche Stellen wechselseitig nicht zugreifen können, weil die selbstgemachten Molochs (DSGVO) es verhindern, weil es der öffentlichen Verwaltung an Digitalisierung mangelt und am Willen, durch eine Entkriminalisierung des Unternehmers das Ergebnis einer Prüfung auch für die eigene Verwaltung zu akzeptieren.
Ein hochbrisantes Thema für uns als rohstoffgewinnender Betrieb sind Zielkonflikte in der Flächennutzung. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte die Gewinnung von Sand und Kies möglichst am Ort des späteren Gebrauchs stattfinden. Insofern liegt es nahe, das Potenzial unserer heimischen Bodenschätze im oberen Maintal bestmöglich zu nutzen. Obwohl es sich bei der Rohstoffgewinnung stets um einen temporären Eingriff mit umfassender Renaturierung im Nachgang handelt, werden aufgrund von konkurrierenden Nutzungsansprüchen kaum noch Genehmigungen für neue Lagerstätten erteilt. Daher haben auch wir die bewusste Entscheidung getroffen, unsere Produktion vorerst zu drosseln. Infolgedessen können wir und unsere Marktbegleiter den Bedarf mineralischen Rohstoffen zum Beispiel für Wohnhäuser, den Bahnbau, Brückensanierungen oder Windenergieanlagen in der Region nicht mehr vollständig decken. Um langfristig die Kapazitäten wieder zu erhöhen, bedarf es dringend der Ausweisung neuer Flächen für die Rohstoffgewinnung im Regionalplan.
In Folge mangelnder Verfügbarkeit und damit verbundener Preissteigerungen, sind große regionale Betriebe der Baustoff- und Bauindustrie – auch in der deutschlandweiten Wettbewerbssituation – negativ betroffen. Naturschutz- und wasserrechtliche Belange sind wichtig und unbedingt zu beachten. Neben energie- und umweltpolitischen Belangen sollten aber auch die wirtschaftlichen Belange als Lebensgrundlage der Menschen in der Region eine entsprechende Beachtung finden und zudem eine ganzheitliche Betrachtung bei der Gewinnung von heimischen Rohstoffen erfolgen.
Deutliches Beschäftigtenplus bei der öffentlichen Verwaltung
Zwischen 2019 und 2022, also in den Corona-Jahren, stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Oberfranken in der Summe um 5.665 auf knapp 444.000. Im Wesentlichen war dieser Beschäftigtenzuwachs auf die Öffentliche Verwaltung zurückzuführen mit einem Plus von 4.964 oder knapp einem Viertel auf rund 26.200. Das ist zweifellos auf das notwendige Krisenmanagement der vergangenen Jahre zurückzuführen sowie auf eine fehlende Digitalisierung. Brehm: „Ich fürchte aber, auch die Umsetzung einer Vielzahl von Gesetzesinitiativen und Verwaltungsvorschriften ist eine weitere Ursache für diesen Beschäftigtenaufbau. Offenbar haben nicht nur die Unternehmen mit der wachsenden Bürokratie zu kämpfen.“
„Zeitenwende in der Bürokratie“ gefordert
Die IHK legt deswegen bei Gesprächen mit Vertreterinnen und Vertretern der Politik regelmäßig den Finger in die Wunde.
Dazu Thomas Zapf, Bereichsleiter Standortpolitik:
Wir setzen uns vehement für weniger Bürokratie im Unternehmensalltag ein.
In ihrer jüngsten Sitzung hat die IHK-Vollversammlung eine Resolution verabschiedet, in der eine „Zeitenwende in der Bürokratie“ gefordert wird.
In einer Resolution fordert die Vollversammlung der IHK für Oberfranken Bayreuth die politischen Entscheidungsträger auf, bürokratische Aufwände für die Wirtschaft massiv zu reduzieren und Verwaltungsprozesse schlank und digital zu gestalten. Gleichzeitig geht der Appell an die lokalen Verwaltungen, Ermessensspielräume maximal auszunutzen.
Die Forderungen im Einzelnen:
Zeitenwende in der Bürokratie durch ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz Im Jahr 2020 verzeichnet die deutsche Wirtschaft Bürokratiekosten in Höhe von 51 Milliarden Euro. Ein viertes Bürokratieentlastungsgesetz muss schnellstmöglich in Angriff genommen werden.
Onlinezugangsgesetz mit klaren Fristen umsetzen, Verwaltung digitalisieren Das im Verfahren befindliche OZG-Änderungsgesetz schreibt zwar das Ziel „digital only“ bei staatlichen Leistungen für Unternehmen vor, ist jedoch nicht vollständig mit klaren Fristen versehen.
Einheitliche volldigitale Verwaltungsprozesse bundesweit einführen Der föderale Flickenteppich bei digitalen Lösungen ist inneffizient und erschwert den Unternehmen die digitale Kommunikation mit der Verwaltung.
Effizienten Behördenkontakt ermöglichen Unternehmen brauchen eine eindeutige, verwaltungsübergreifende ID, die für alle E-Government-Prozesse genutzt werden kann.
Statistik und Aufzeichnungspflichten abbauen Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten müssen generell vereinfacht werden, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) stellen diese eine erhebliche Belastung dar.
Aufbewahrungsfristen verkürzen und Gesetze harmonisieren Die handels- und steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen müssen von zehn auf fünf Jahre verkürzt werden und eine Betriebsprüfung zeitnah erfolgen.
„Once Only“-Prinzip für die Wirtschaft einführen Im Zuge der Registermodernisierung ist die Umsetzung des Once-Only-Prinzips für unternehmerische Verwaltungsleistungen einzuführen.
Genehmigungsverfahren straffen, Fristen einführen Für alle unternehmensrelevanten Verwaltungsverfahren müssen verbindliche, planungssichere Fristen eingeführt werden. Verstreicht die Frist, gilt der Antrag als genehmigt.
Leistungskriterien für Verwaltungsprozesse definieren Die Staatsregierung muss die Bewertung aller Verwaltungsleistungen vorantreiben. Ein mögliches Messinstrument stellt das RAL-Gütezeichen „Wirtschaftsfreundliche Kommune“ dar.
Praxis-Check für wirtschaftsrelevante Gesetze auf Landes- und Bundesebene Ziel muss sein, übermäßige Kosten und bürokratische Hürden bereits vor der Schaffung neuer Regelungen zu erkennen und Vorschläge für bürokratieärmere Lösungen zu erarbeiten.
Fachgesetze aufeinander abstimmen und Schwellenwerte harmonisieren Konkurrierende Vorschriften müssen aufeinander abstimmt werden.
IHK startet Anti-Bürokratie-Initiative
„Immer mehr Unternehmen wenden sich an uns, weil die Bürokratie, mit der sie tagtäglich konfrontiert werden, schlicht und ergreifend ihre Möglichkeiten übersteigt“, macht Zapf deutlich. „Als IHK starten wir deswegen eine breit angelegte Anti-Bürokratie-Initiative. Dazu haben wir eine Bürokratie-Taskforce eingerichtet.“
Sein Name ist inzwischen in der Wirtschaft ein Begriff: Peter Adrian, Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK). Adrian wird regelmäßig in den Medien zitiert, er ist dabei, wenn sich in Berlin die Spitzen von Politik und Wirtschaft treffen, und er ist Stammgast der Wirtschaftsdelegationen, die Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei Auslandsbesuchen begleiten. Als Unternehmer ist Adrian auch in Oberbayern aktiv. Er war Gastgeber der BIHK-Vollversammlung im EDMO-Conference Center des Sonderflughafens Oberpfaffenhofen. Nach seinem einführenden Vortrag und einer anschließenden Diskussion mit den Präsidentinnen und Präsidenten sowie Hauptgeschäftsführern der bayerischen IHKs stellte sich Adrian den Fragen von IHK-Redakteur Martin Armbruster.
Herr Adrian, Sie haben vorhin auf der Sitzung gesagt: Wenn ein Preuße gutes Geschäft machen wolle, müsse er nach Bayern kommen. Was läuft in Bayern besser als im Rest? Wenn ich hier in Oberpfaffenhofen oder in Starnberg zum Landrat gehe und sage, wir planen ein Bauvorhaben für die Uni München, wir brauchen dafür eine Genehmigung, dann sagt mir der Landrat: Ich kümmere mich darum. Das funktioniert dann auch. Was man hier in Bayern spürt: Die Behörden arbeiten lösungsorientiert. Wir reden viel über Bürokratieabbau. Ein großer Schritt dafür ist schon, wenn sie in den Behörden einen festen und lösungsorientierten Ansprechpartner haben. Das ist schon die halbe Miete.
Könnte doch sein, dass Sie einfach Glück hatten mit Ihren Landräten. Vielleicht - aber nach meiner persönlichen unternehmerischen Erfahrung ist Bayern in diesem Punkt im Schnitt besser. Anderes Beispiel: Ich habe hier ständigen Kontakt zur Luftfahrtbehörde, das ist die Regierung von Oberbayern in München. Wenn wir da einen Antrag stellen, sind die in der Regel in der Lage, binnen 24 Stunden eine schriftliche Genehmigung per E-Mail zuzuschicken. Die Verwaltung arbeitet in Bayern tatsächlich häufig so, wie man sich das als Unternehmer wünscht: pragmatisch, schnell und lösungsorientiert.
Ich fand erstaunlich, wie scharf die Präsidenten der IHKs die Bundesregierung kritisiert haben. Was läuft denn da schief in Berlin? Ich würde jetzt nicht sagen, dass da alles schiefläuft. Was wir aber aktuell häufig vermissen ist eine pragmatische Grundhaltung, mit der sich Ziele oft besser erreichen lassen als mit einem scheinbar perfekten Regelungsplan.
Was verstehen Sie unter Pragmatismus? Dieser Begriff steht für das Prinzip trial and error. Ich halte ihn deshalb für so wichtig, weil er auch unser Leben ausmacht. Wir haben ein Problem. Dann suchen wir eine Lösung dafür. Wenn die nicht passt, korrigieren wir unseren Ansatz. Wir probieren etwas Neues aus. Das ist das Gegenteil zu einer starren ideologischen Vorgehensweise, die sich den Weg nach einer vielleicht besseren Alternative oft selbst verbaut.
Pragmatisch oder ideologisch - ist es letztlich nicht egal, wie man ein Problem in den Griff bekommt? Wer ideologisch denkt und argumentiert, für den gibt es meist nur eine richtige Lösung. Eine ideologische Vorgehensweise erlaubt kaum Korrekturmöglichkeiten, sie kann sich nur schwer anpassen an veränderte Realitäten und andere Sichtweisen. Ideologie ist aus meiner Sicht daher wenig geeignet, unsere Probleme zu lösen.
Hört man Ihnen in Berlin zu? Sucht die Bundesregierung den Kontakt zur Wirtschaft? Ja, das kann man schon sagen. Auch bei Gesprächen mit Bundeswirtschaftsminister Habeck habe ich das Gefühl, dass er wirklich zuhört. Und er ist auch ein guter Gesprächspartner.
Dazu gehört sicher auch die Einschätzung der konjunkturellen Lage. Noch geht man davon aus, die Wirtschaft läuft ganz gut. Die deutsche Wirtschaft ist zu Jahresbeginn in eine Rezession geschlittert. Anzeichen für einen breiten Aufschwung gibt es leider keine. Immerhin war der Einbruch weit weniger dramatisch als noch im letzten Jahr befürchtet. Im Herbst hatten wir die Angst, dass es zu Engpässen in der Energieversorgung, vor allem zu einer Gasmangellage kommen kann. Das konnten wir zum Glück vermeiden.
Weil das Berliner Krisenmanagement doch geholfen hat. Dazu hat die Bundesregierung ihren Beitrag geleistet. Aber auch die Unternehmen haben ihren Job gemacht. Wenn Sie beispielsweise auf diesen Standort hier schauen: Wir haben hier 2022 eine Million Euro investiert, um den Fuel-Switch zu vollziehen. Wir haben die Anlage so umgebaut, dass wir sie wieder mit Mineralöl betreiben können. Das haben viele Unternehmen so gemacht. Teile der Industrie haben aus Kostengründen auch die Produktion drosseln müssen. So konnten wir die Gasmangellage vermeiden.
Sind wir jetzt beim Gas aus dem Gröbsten raus? Zur Wahrheit gehört: Wir hatten einfach auch Glück mit dem milden Winter. Die Mehrheit der europäischen Netz- und Speicherbetreiber warnt: Es kann in Europa noch zu einer Mangellage kommen, wenn wir Ende des Jahres einen strengen Winter bekommen - und wenn auch Österreich und Ungarn kein russisches Gas mehr bekommen.
Wie beurteilen Sie die Lage unserer Energiewende? Jeder, der sich unseren Mix bei der Stromerzeugung anschaut, erkennt sofort: Wir haben unsere Probleme noch nicht gelöst. Etwa ein Drittel des Stroms kommt aus Kohlekraftwerken, knapp 15 Prozent stammen aus Gaskraftwerken. Wir haben die Kernkraftwerke abgeschaltet, mit denen hätten wir die Gaskraftwerke für eine Übergangszeit zumindest teilweise ersetzen können. Wir haben in Zukunft einen enormen Bedarf an weiteren Gaskraftwerken, weil wir weg von der Kohle wollen und zugleich die Grundlast absichern müssen. Woher soll das Gas kommen? Und wer investiert überhaupt in Gaskraftwerke, wenn sie doch nur die Lücken der Erneuerbaren schließen sollen? Wir haben noch keine verlässliche Lösung für die nächsten Jahre.
Was ist dran an der Warnung, die Industrie verlagere Produktion ins Ausland? Ich habe das vorhin auf der Sitzung ja schon gesagt: Die Ausrüstungsinvestitionen unserer Unternehmen im Inland liegen deutlich unter dem Stand der Vor-Corona-Zeit. Die Unternehmen schauen sich sehr genau an, wo sie in Zukunft investieren wollen. Wo sind die wichtigen Märkte, wo sind die besten Standortbedingungen - da spielen auch Kosten wieder verstärkt eine Rolle. Beispielsweise fahren die Kollegen unserer Auslandshandelskammern in Nordamerika von einer Grundsteinlegung zur nächsten, weil viele deutsche Unternehmen erkannt haben, wie attraktiv die USA als Investitionsstandort sind. Diese Dynamik fehlt mir in Deutschland.
Was könnte man tun, um diese im Land zu halten? In den USA gilt für energieintensive Nutzungen teilweise ein Strompreis noch unter dem französischen Industrietarif von 4 Cent. Unternehmen bekommen dazu einen langfristigen Zehn-Jahres-Vertrag. Das ist unvergleichlich attraktiver als alles, was wir hier insbesondere in Deutschland haben.
Was halten Sie von dem Plan der Bundesregierung, einen Industriestrompreis einzuführen? Herr Habeck diskutiert über einen Energietarif von 6 Cent. Aber damit liegen wir immer noch über dem Preisniveau, das wir vorher hatten. Der Industriestrompreis wäre dann ein gutes Instrument, wenn es diesen Tarif für alle Unternehmen gäbe. Die Bundesregierung will das aber nur für wenige Unternehmen mit einem komplizierten System der Zuteilung und Konditionierung einführen. Da bleiben wieder viele Unternehmen auf der Strecke. Als IHK-Organisation müssen wir uns für eine bessere Alternative einsetzen, weil wir die Unternehmen in der Breite vertreten - kleine, mittlere und große mit unterschiedlich hohem, aber alle eben mit Bedarf an stabilem und bezahlbarem Strom.
Wie hoch schätzen Sie die Chancen, bei dem Thema noch zu Verbesserungen zu kommen? Das ist jedenfalls nicht zu Ende diskutiert und wir führen hier weiter intensive Gespräche. Ein guter Ansatzpunkt ist die inzwischen in der Bundesregierung gereifte Erkenntnis, dass beim Strompreis etwas getan werden muss. Wir versuchen alles, um eine gute Lösung zu erzielen.
Auch auf das Problem Fachkräftemangel hat die Bundesregierung reagiert. Was bringt uns die erleichterte Zuwanderung? Die geplanten Erleichterungen im Fachkräfteeinwanderungsgesetz sind sinnvoll. Wir haben dadurch bessere Möglichkeiten, an Fachkräfte aus anderen Ländern zu kommen. Unser Problem ist aber: Es hapert in der praktischen Umsetzung und wir haben nach wie vor keine Willkommenskultur.
Was verstehen Sie darunter? Es wird Fachkräften häufig schwer gemacht, nach Deutschland zu kommen. Wenn sie nach Deutschland kommen wollen, haben sie oft Verfahren von vielen Monaten vor sich, um ein Visum zu bekommen. Für diese Prozesse fehlen digitale Strukturen, um sie zu erleichtern und zu beschleunigen.
Wo klemmt es denn da? Fehlen die nötigen PCs? Ich habe mit Botschaftern in afrikanischen Ländern gesprochen. Die sagen mir, ihre Mitarbeiter bearbeiten die Einreise-Anträge waschkörbeweise, die müssen Formulare handschriftlich ausfüllen. Weil die Botschaften zu wenig Personal haben, setzen sich mancherorts die Botschafter am Wochenende selbst hin, um Anträge zu bearbeiten.
Hat die Bundesregierung die schnellere Visa-Vergabe nicht längst zugesagt? Das Online-Zugangsgesetz sollte bis Ende 2022 umgesetzt sein und unter anderem auch die Beantragung von Aufenthaltstiteln beinhalten. Leider sind wir aber von einer Flächendeckung weit entfernt. Die seit Jahren zu langsame Geschwindigkeit bei der Verwaltungsdigitalisierung ist ein schwieriges Thema. Auch bei der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf haben wir Nachholbedarf. Der gesetzliche Anspruch auf Kinderbetreuung kann nicht erfüllt werden, solange das Angebot viel niedriger ist als die Nachfrage. Und die Angebote unserer Kitas müssen gerade in den Randzeiten flexibler sein.
Klagen über Fachkräftemangel und trotzdem eine hohe Zahl Arbeitsloser. Wie passt das zusammen? Aus meiner Sicht eine besondere Herausforderung ist, dass 2,5 Millionen junge Deutsche zwischen 20 und 35 keinen Berufsabschluss haben. Jedes Jahr verlassen nahezu 50.000 junge Menschen die Schule ohne Abschluss. Diese Zahl ist einfach zu hoch.
Was schlagen Sie vor? Die Schulbildung muss für eine bessere Grundqualifizierung sorgen. Alle Schulabgänger müssen fit für eine Ausbildung sein. Und ja, Sie haben recht, wir haben 2,5 Millionen Arbeitslose und gleichzeitig fast zwei Millionen offene Stellen. Aber häufig passen die Anforderungen der Betriebe nicht zu den Qualifikationen der Arbeitslosen oder die Arbeitslosen suchen nach anderen Tätigkeiten. Damit Arbeitslose besser in Beschäftigung kommen, sind zum Beispiel Teilqualifizierungen oder das Nachholen von Berufsabschlüssen wichtig. Auch die Bereitschaft zu höherer Mobilität kann ihre Jobchancen erhöhen.
Sie sprechen ja auch persönlich mit dem Bundeskanzler. Was wäre ihr wichtigster Tipp für ihn, wenn er danach fragen würde? Ein ganz wichtiger Punkt ist die Bürokratie. Wir haben dem Bundeskanzler auch schon ein ganzes Paket von Vorschlägen vorgelegt. Da geht es um Bürokratieabbau, Digitalisierung und so weiter. Für entscheidend halten wir bei der DIHK die Idee, an manchen Stellen auf Bürokratie ganz zu verzichten. Müssen wir die Unternehmen wirklich bei jedem Schritt kontrollieren und überwachen? Ich meine, vieles geht auch ohne staatliche Genehmigungsstempel, weil die Betriebe von sich aus häufig das Richtige machen.
Martin Armbruster
IHK-Bürokratiemelder angelaufen
Im Mittelpunkt steht eine Bürokratie-Meldeplattform auf der IHK-Website, die erfolgreich angelaufen ist. Zapf: „Hier können uns Unternehmen konkrete bürokratische Hürden melden.“ Dies könne anonymisiert erfolgen oder auch mit Namensnennung. Wenn gewünscht, erfolgt die Rückmeldung durch die IHK. Aber: „Auch Positivbeispiele aus einer Kommune oder einer Behörde vor Ort können einen wichtigen Beitrag zur Entbürokratisierung in anderen Teilregionen Oberfrankens leisten. Wir freuen uns deswegen über jeden Hinweis“, so Zapf.