Interview

„Die Anforderungen sind erfüllbar, es wird nichts Unmögliches verlangt.“

Das BAFA hat durch das Inkrafttreten des Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes 2023 eine zusätzliche Aufgabe erhalten. Wie sieht die konkrete Umsetzung aus?

Seit dem 1. Januar 2023 erfüllt das BAFA seine Aufgaben als Kontroll- und Durchsetzungsbehörde des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes, kurz LkSG, mit rund 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern an seiner neuen Außenstelle in Borna. Dabei setzen wir auf ein interdisziplinäres Team mit Erfahrungen aus Wirtschaft und Verwaltung. Das Team überprüft die von Unternehmen eingereichten Berichte, kontrolliert die Einhaltung von Sorgfaltspflichten und stellt Informationen und Empfehlungen für Unternehmen bereit. Darüber hinaus nehmen wir an zahlreichen Veranstaltungen teil, um im Dialog mit Unternehmen und Verbänden zu sein und über das Gesetz zu informieren. Persönlich bin ich davon überzeugt, dass die Einhaltung grundlegender Menschenrechte und Umweltstandards in den globalen Lieferketten und transparente, widerstandsfähige Lieferketten kein Gegensatz sind. Im Gegenteil: Das Lieferkettengesetz hält Unternehmen an, sich risikobasiert und ressourceneffizient mit ihren Lieferketten zu beschäftigen. Hierdurch werden mögliche Gefahren transparent, und es gibt Spielraum für Effizienzgewinne. Die durch das Gesetz entstehenden wirtschaftlichen Chancen kommen in der derzeitigen Debatte aber leider noch etwas zu kurz.

Wie funktioniert die Kommunikation mit den Unternehmen?

Das LkSG ist kein Berichtsgesetz. Es geht um das Bemühen der Unternehmen, menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken in ihren Lieferketten angemessen zu adressieren. Das ist neu und in gewisser Weise transformativ. Daher gibt es zwangsläufig Fragen. Der Kontakt zwischen den Unternehmen und dem BAFA ist uns sehr wichtig, und er ist entsprechend vielschichtig. Einerseits überprüfen wir die berichtspflichtigen Unternehmen. Aber wir lassen sie bei der Umsetzung der Vorgaben nicht allein, sondern unterstützen sie. Jedem Unternehmen, das die Vorgaben des Gesetzes erfüllen will, soll dies auch gelingen können. Dazu tragen wir bei, indem wir für ein umfangreiches und rechtssicheres Informationsangebot sorgen und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Häufig gestellte Fragen werden auf unserer Website im FAQ-Bereich beantwortet, der fortlaufend aktualisiert wird. Zusätzlich bieten wir Handreichungen an, die spezifische Themen wie Risikoanalyse, Beschwerdeverfahren und Zusammenarbeit in der Lieferkette detailliert erklären. Diese Materialien sind darauf ausgelegt, die Unternehmen bei der Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zu unterstützen. Darüber hinaus nehmen wir an zahlreichen Veranstaltungen teil und befürworten die Entwicklung von Brancheninitiativen, mit denen wir auch zu konkreten Hilfsmitteln für ihre Mitgliedsunternehmen im Austausch sind.

Was waren für das BAFA die wichtigsten Erkenntnisse in den ersten anderthalb Jahren seit Inkrafttreten des LkSGs?

Das BAFA hat in dieser Zeit wertvolle Einblicke in die Umsetzung der Sorgfaltspflichten in den Unternehmen gewonnen. Ein zentraler Aspekt war die Erkenntnis, dass in vielen Unternehmen die vormals getrennten Bereiche Einkauf, Recht und Compliance sowie ESG, also Umwelt, soziale Verantwortung und gute Unternehmensführung, nun häufig stärker zusammenarbeiten. Das ist ein großer Fortschritt. Außerdem setzt sich zusehends die Erkenntnis durch, dass die Anforderungen des Gesetzes erfüllbar sind und nichts Unmögliches verlangt wird. Zwar kann es insbesondere anfangs für Unternehmen herausfordernd sein, die menschenrechtlichen und umweltbezogenen Risiken innerhalb ihrer Lieferketten zu ermitteln. Ich möchte jedoch betonen, dass das Gesetz hier einen großen Spielraum bietet. So gilt auch bei der Risikoanalyse das Prinzip der Angemessenheit, sodass Unternehmen ihre Prioritäten im Rahmen des risikobasierten Vorgehens selbst setzen können, wenn es erforderlich ist. Wir stellen auch fest, dass unabhängig von der Unternehmensgröße die Umsetzungsqualität hoch ist, wenn sich die Unternehmensleitung ihrer Verantwortung in der Wertschöpfungskette bewusst ist und entsprechend handelt. Erste Verbesserungen, etwa durch adäquate Arbeitsschutzkleidung oder die Erfassung der Arbeitszeiten, sind dabei vergleichsweise leicht umzusetzen. Ein Zusammenschluss vieler Akteure einer Branche kann daneben auch systemische Herausforderungen anpacken, wie etwa die Bekämpfung von Kinderarbeit oder die Einführung existenzsichernder Löhne. Deshalb appellieren wir weiterhin an die Unternehmen, identifizierte systemische Risiken nicht isoliert, sondern umfassend zu betrachten und gemeinsam mit staatlichen Institutionen und Unterstützungsnetzwerken an deren Reduzierung zu arbeiten.

Der Termin für die Abgabe der ersten Berichte ist verschoben worden. Was ist der Grund dafür?

Die Bundesregierung hat entschieden, den Stichtag für die Berichtspflicht nach dem deutschen Lieferkettengesetz zu verschieben, um etwaigen Doppelbelastungen durch europäische Regelungen für verpflichtete Unternehmen entgegenzuwirken. Für alle Berichte, deren Fälligkeit nach aktueller Gesetzeslage vor dem 31. Dezember 2024 liegt, gilt: Das BAFA wird erstmalig zum Stichtag 1. Januar 2025 das Vorliegen der Berichte sowie deren Veröffentlichung nachprüfen. Ausdrücklich betonen möchte ich, dass die Erfüllung der übrigen Sorgfaltspflichten nach dem Lieferkettengesetz sowie deren Kontrolle und Sanktionierung durch das BAFA von dieser Stichtagsregelung nicht berührt sind.

Es wurde angekündigt, dass das BAFA vorerst keine Sanktionen verhängen wird. Aber wann wird es ernst?

Eine solche Ankündigung hat es nicht gegeben. Wenn Sie mit „ernst“ aber meinen, dass wir die Unternehmen kontrollieren, dann ist es schon seit dem 1. Januar 2023 ernst, denn seit diesem Zeitpunkt gilt das LkSG. Aber Ernsthaftigkeit spiegelt sich nicht in der Anzahl der verhängten Sanktionen wider. Vielmehr geht es darum, dass die Unternehmen sich auf den Weg machen, die Vorgaben des Gesetzes zu erfüllen. Die allermeisten Unternehmen kommen ihren Pflichten nach, auch wenn stellenweise nachgebessert werden musste. Richtig ist indes: Bislang, und das ist eine gute Nachricht, haben wir noch keine Sanktionen hinsichtlich des Lieferkettengesetzes verhängen müssen. Allerdings haben wir bereits erste Bußgeldverfahren eingeleitet, die Situationen betreffen, in denen gesetzliche Verpflichtungen ignoriert oder ihnen diametral zuwidergehandelt wurde.

Die neue EU-Richtlinie CSDDD soll eine Harmonisierung in diesem Bereich für die gesamte EU sicherstellen. Steht das BAFA im Dialog mit anderen EU-Ländern und zuständigen Behörden?

Das Thema der Sorgfaltspflichten in Lieferketten ist auch auf europäischer Ebene von wachsender Bedeutung, und wir stehen in regelmäßigem Austausch mit anderen EU-Ländern und zuständigen Behörden. Ziel ist es dabei, die ersten Erfahrungen aus der Umsetzung des LkSGs zu teilen und positive Aspekte auch europäisch unmittelbar zur Geltung zu bringen und umgekehrt ebenso Herausforderungen direkt in den Blick zu nehmen. Eine EU-weite Regelung, wie sie durch die Corporate Sustainability Due Diligence Directive, kurz CSDDD, angestrebt wird, könnte die Wirksamkeit des Schutzes von Menschenrechten und Umwelt erhöhen und gleichzeitig einheitliche Wettbewerbsbedingungen im Binnenmarkt schaffen. Sobald die CSDDD in nationales Recht umgesetzt wird, werden wir unsere Kontroll- und Unterstützungsmaßnahmen anpassen.

Im Zusammenhang mit der CSDDD befürchten gerade kleine und mittlere Unternehmen, kurz KMUs, dass die Zahl der Anfragen von Großkunden, die sie beantworten müssen, stark steigen wird. Was empfehlen Sie diesen KMUs?

KMUs unterliegen nicht den gesetzlichen Sorgfaltspflichten. Das LkSG und die CSDDD haben aber auch Auswirkungen auf Unternehmen, die in direkter oder indirekter Zulieferbeziehung zu einem verpflichteten Unternehmen stehen. Verpflichtete Unternehmen sind in vielen Fällen auf die Zusammenarbeit mit ihren Zulieferern angewiesen, um ihre eigenen gesetzlichen Sorgfaltspflichten zu erfüllen, etwa bei der Einrichtung eines Risikomanagementsystems, der Risikoanalyse und der Entwicklung und Umsetzung von Präventions- und Abhilfemaßnahmen sowie des Beschwerdeverfahrens. Zulieferer sind zwar nicht zu einer sorgfaltsbezogenen Zusammenarbeit verpflichtet, in der Praxis wird diese aber in den meisten Fällen erforderlich und für beide Seiten sinnvoll sein. Das BAFA legt in seiner Kommunikation und Prüfpraxis aber Wert darauf, dass diese Zusammenarbeit angemessen erfolgen muss. Das heißt, dass KMUs von verpflichteten Unternehmen nur mit solchen Risiken konfrontiert werden sollen, die auch tatsächlich in einer Risikoanalyse identifiziert und entsprechend gewichtet und priorisiert wurden. Empfehlenswert ist es darüber hinaus, gemeinsame Lösungswege für diese Risiken zu entwickeln. Die europäische Regelung wird diese gemeinsame Vorgehensweise unter gerechter Lastenverteilung nach unserer Erwartung noch mehr in den Blick nehmen. Unser Rat an KMUs ist, sich frühzeitig mit dem Thema Sorgfaltspflichten in ihren Geschäftsprozessen zu beschäftigen. Die Etablierung klarer interner Strukturen und Prozesse zur Erfüllung der Anforderungen verpflichteter Unternehmer kann dazu beitragen, die Anfragen dieser Geschäftspartner effizient zu beantworten und Überforderungen zu vermeiden. So könnte es sinnvoll sein, einen speziellen Ansprechpartner für Sorgfaltspflichten zu benennen, der den Überblick über alle Geschäftspartner und deren Anfragen hat – und diese dadurch effizient und schnell beantworten oder auch wegen fehlender Risikolage abweisen kann. Gleichzeitig sollten sich die verpflichteten Unternehmen bewusst sein, dass eine bloße Weitergabe der Sorgfaltspflichten des LkSGs an Geschäftspartner unzulässig ist. Zudem sollten KMUs die Unterstützung von Branchenverbänden und Netzwerken nutzen – dazu gehört auch das BAFA-Angebot. Insbesondere auf die Handreichung zur Zusammenarbeit in der Lieferkette möchte ich an dieser Stelle hinweisen. Lohnenswert ist darüber hinaus die Nutzung des KMU-Kompasses des Helpdesk Wirtschaft & Menschenrechte. Er bietet KMUs konkrete Anleitungen und Tipps, wie sie ihr Lieferkettenmanagement mithilfe eines robusten Managementsystems umwelt- und sozialverträglich gestalten können (siehe Kasten Seite 29).
Interview: Elena Skiteva, Gudrun Hölz