Interview

„Zu oft wird auf die Defizite statt auf die Chancen geschaut.“

In vielen Unternehmen ist die Beschäftigung von Mitarbeitenden mit (Schwer-)Behinderung längst gelebte Praxis, aber es gibt auch Betriebe, die damit noch wenig Erfahrung haben.
Damit auch sie Inklusion für die Gewinnung von Arbeitskräften nutzen können, bekommen sie Unterstützung von den Einheitlichen Ansprechstellen für Arbeitgeber (EAA). Wir sprachen mit Patrick Schroeder vom Inklusions- und Integrationsfachdienst Bodensee-Oberschwaben in Ravensburg darüber, wie Arbeitgeber vom EAA-Angebot profitieren können.
Als Einheitliche Ansprechstelle für Arbeitgeber, kurz EAA, beraten Sie Betriebe zum Thema Beschäftigung von Menschen mit Behinderung zu welchen konkreten Fragen?
Die Anliegen der Betriebe sind sehr vielseitig. Da spielen auch die Größe und Vorerfahrung mit der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung eine Rolle. Kleinere Betriebe, die sich erstmals mit dem Thema Inklusion auseinandersetzen oder in denen sich die Beschäftigung einer schwerbehinderten Person anbahnt, interessieren sich häufig für die rechtlichen und organisatorischen Rahmenbedingungen. Gängige Fragen betreffen das Thema Kündigungsschutz, Arbeitsplatzausstattung und ob es Möglichkeiten zur Förderung der Beschäftigung gibt. Häufig wissen Betriebe schlicht nicht, auf was sie sich einlassen und was es zu beachten gibt. Für größere Unternehmen ist die Ausgleichsabgabe häufig ein dominantes Thema. Je nachdem, wie niedrig der Anteil schwerbehinderter Beschäftigter ist, kann diese recht üppig ausfallen: Bis zu 720 Euro im Monat pro nicht besetztem Arbeitsplatz. Dort wünscht man sich, gemeinsam mit der EAA Strategien zu entwickeln, um die Beschäftigungsquote zu verbessern. Ein weiteres Thema ist die Sicherung von bereits bestehenden Arbeitsverhältnissen. Ein Großteil der Schwerbehinderungen wird im Lauf des Erwerbslebens erworben, am häufigsten als Folge einer Erkrankung. Arbeitgeber stehen dann oft vor vielen Fragen, die den Arbeitsplatz, das personelle Umfeld oder die Leistungsfähigkeit der Mitarbeitenden mit einer Schwerbehinderung betreffen.
Was wünschen Sie sich von den Arbeitgebern in der Region, und was bieten Sie als Motivation zur Kontaktaufnahme?
Rufen Sie uns an! Wir sind eine kostenlose und neutrale Ansprechstelle. Bei uns arbeiten erfahrene Fachleute zu allen Themen rund um die Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen und Gleichgestellten. Wir können uns gut auf den jeweiligen Bedarf und die spezielle Fragestellung unterschiedlicher Betriebe einstellen. Wir verfügen über ein breites Netzwerk und kennen uns gut mit den formalistischen Abläufen und Antragsstellungen im Rahmen der Sozialgesetze aus. Als Lotse durch das Unterstützungssystem reduzieren wir den bürokratischen Aufwand für die Betriebe erheblich. Wir wünschen uns, dass noch mehr Betriebe die Chancen ergreifen, die in der Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung liegen. Die Erfahrung zeigt, dass sie oft besonders motiviert sind und auch das kollegiale Miteinander im Betrieb davon profitiert.
Gibt es beim Thema Inklusion heute mehr oder weniger Unsicherheit auf betrieblicher Seite?
Der Arbeitskräfte- oder Fachkräftemangel bewegt die Arbeitswelt und lässt Betriebe aktiv und kreativ nach neuen Lösungen suchen. Und einer der Lösungswege kann die verstärkte Beschäftigung von Mitarbeitenden mit Behinderung sein. Die technischen Unterstützungsmöglichkeiten sind besser, digitaler und individuell anpassbar geworden, das reduziert oft das Handicap und gestaltet Zusammenarbeit unkomplizierter. Wir stellen auch fest, dass Betriebe, die bereits mit der EAA in Kontakt standen, wiederkommen und die EAA als echten Mehrwert und Kooperationspartner verstehen. Aber klar ist auch, dass dort, wo das Thema Inklusion noch keine Aufmerksamkeit gefunden hat, sich Unsicherheiten und Vorbehalte gegenüber der Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen hartnäckig halten. Darum braucht es Aufklärung. Wir als EAA bieten einen schnellen und unkomplizierten Zugang für alle Unternehmen und können Unsicherheiten mit unseren Angeboten begegnen.
Weshalb gehen die Arbeitgeber bisher noch nicht in größerer Zahl auf Sie zu und nutzen Ihr Beratungsangebot?
Die EAA zeigt bereits Wirkung, es kommen zunehmend mehr Anfragen von Arbeitgebern. Die EAAs sind erst im Jahr 2022 entstanden und somit noch nicht bei allen Betrieben bekannt. Deshalb bewerben wir unser Angebot aktiv und erweitern unsere Netzwerke. Gerade Arbeitgebervertretungen wie Kammern, Verbände und Innungen sind für uns wichtige Partner im Interesse ihrer Mitglieder. Wir möchten gerade bei kleinen und mittelgroßen Betrieben sichtbarer werden mit unserem Leistungsangebot. Wenn mehr Unternehmen unsere Dienste in Anspruch nehmen und uns mit guten Erfahrungen weiterempfehlen, kann das eine positive Dynamik auslösen. Für große Unternehmen ist die Ausgangssituation eine etwas andere. In Unternehmen mit mehreren hundert Mitarbeitenden finden sich häufig gute interne Strukturen, welche sich der Gruppe schwerbehinderter Mitarbeitenden widmen. Dazu zählen Sozialdienste, Schwerbehindertenvertretungen und Inklusionsbeauftragte, mit denen wir in der Regel gut vernetzt sind. In nahezu jedem großen Unternehmen gibt es schwerbehinderte Mitarbeitende, die wir beraten oder unterstützen. Der Bedarf nach niedrigschwelliger Beratung kann dort entsprechend geringer ausfallen. Für manche großen Unternehmen ist das Thema Inklusion aber auch ein Nischenthema, dem schlichtweg eine geringe Aufmerksamkeit geschenkt wird.
Was hindert Betriebe daran, betriebliche Inklusion noch aktiver anzugehen?
Letztlich sind es die bereits angesprochenen Vorbehalte und Unsicherheiten, die einem inklusiveren Arbeitsmarkt immer wieder im Wege stehen. Das sind Erwartungen der Betriebe von bürokratischem Aufwand oder die Sorge, schwerbehinderte Menschen seien unkündbar. Andere glauben, dass es den betroffenen Personen an Qualifikation fehle oder kollegiale Konflikte vorprogrammiert sind. Hier ist permanente Aufklärung notwendig, um einen Wandel in der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu befördern. Noch immer wird zu oft auf die Defizite statt auf die Chancen geschaut. Unser Auftrag besteht darin, diese Vorbehalte zu entkräften und die Potenziale eines inklusiven Arbeitsmarkts aufzuzeigen. Dabei können sich die Betriebe auf unsere Unterstützung verlassen.
Was ist Ihre Haupttätigkeit in der Zusammenarbeit mit Betrieben und mit welchem Erfolg?
Wenn Betriebe auf uns zugehen, besteht nicht notwendigerweise bereits Kontakt zu einer Person mit Handicap. Uns erreichen auch ganz grundsätzliche Fragen zum Thema Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen. Häufiger betreffen die Anfragen aber konkret betroffene Personen, zum Beispiel im Zusammenhang mit Bewerbungen oder einer bereits bestehenden Beschäftigung. Die Sicherung von solchen Beschäftigungsverhältnissen macht einen Großteil unserer Arbeit aus. Schwerbehinderungen entstehen häufig erst im Laufe des Erwerbslebens oder bahnen sich an. Denken wir an Rehabilitanden, die nach langer Krankheit an den Arbeitsplatz zurückkehren. Qualifizierte, erfahrene Mitarbeiter zu halten, ist im Interesse des Unternehmens. Die Frage, die sich dann stellt, ist, ob die Anforderungen an den Arbeitsplatz noch bedarfsgerecht sind oder ob Anpassungen nötig sind. Seh- oder Hörbehinderte können auf besondere Ausstattungen am Arbeitsplatz, etwa in Form von Sehhilfen oder zur Sicherung der Kommunikation auf den Einsatz von Dolmetschern, angewiesen sein. Solche Anpassungen leiten wir in die Wege, klären die Finanzierung und unterstützen bei der Antragstellung. Teil unseres Angebots ist auch die psychosoziale Betreuung. Es kann behinderungsbedingt zu persönlichen Krisen kommen, oder es entstehen Konfliktsituationen. Zum Arbeitsplatz gehören nicht nur der Schreibtisch oder die Werkbank, sondern das gesamte soziale Umfeld, bestehend aus Vorgesetzten und Kollegen. Auf Wunsch begleiten wir das betriebliche Eingliederungsmanagement oder bieten Schulungen und Workshops in den Unternehmen an. So können wir für potenzielle Herausforderungen, die manchmal mit einer Schwerbehinderung einhergehen, sensibilisieren. Erfolge erleben wir tagtäglich. In manchen Konstellationen werden Lösungen gefunden, die kaum jemand für möglich gehalten hätte, etwa bei erfolgreichen Übergängen aus Werkstätten für Menschen mit Behinderung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Erfolg bedeutet für uns, wenn unsere Arbeit eine Win-win-Situation für schwerbehinderte Menschen und Betriebe schafft.
Interview: Markus Brunnbauer, Gudrun Hölz