Schwerbehinderte
Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen
Schwerbehinderte Menschen und sogenannte Gleichgestellte genießen im Arbeitsrecht einen besonderen Schutz, welcher im SGB IX geregelt ist.
1. Geschützter Personenkreis
Schwerbehinderte Menschen sind Personen, die wenigstens einen Grad der Behinderung von 50 haben. Die Feststellung der Schwerbehinderung erfolgt durch die Integrationsämter; diese sind auch für die Ausstellung des Schwerbehindertenausweises zuständig. Die Feststellung der Behinderung durch die Integrationsämter ist wichtig, weil Menschen mit Behinderung ihre Behinderteneigenschaft nachweisen müssen. Diesen Nachweis können sie in der Regel nur durch den Feststellungsbescheid oder den Schwerbehindertenausweis führen. Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 30 und weniger als 50 können auf ihren Antrag hin von der Agentur für Arbeit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden. Voraussetzung für eine solche Gleichstellung ist, dass die Betreffenen infolge der Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können. Die Entscheidung liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Agentur für Arbeit. Gleichgestellte werden, abgesehen vom Zusatzurlaub, arbeitsrechtlich wie schwerbehinderte Menschen behandelt.
2. Beschäftigungspflicht
Jeder Arbeitgeber mit mindestens 20 Arbeitsplätzen ist verpflichtet, in Abhängigkeit von der exakten Betriebsgröße, eine bestimmte Anzahl von Menschen mit Schwerbehinderung zu beschäftigen, § 154 SGB IX. So muss jeder Arbeitgeber mit mindestens 20 regelmäßigen Arbeitsplätzen, mindestens fünf Prozent der Arbeitsplätze mit Menschen mit Schwerbehinderung besetzen. Zur Ermittlung der jahresdurchschnittlichen Zahl der Arbeitsplätze wird die Zahl der monatlichen Arbeitsplätze zu einer Jahressumme addiert und anschließend diese Summe durch die Monate der Betriebstätigkeit geteilt. Dabei sind schwerbehinderte Frauen besonders zu berücksichtigen. Abweichend davon ist jeder Arbeitgeber mit weniger als 40 Arbeitsplätzen verpflichtet einen schwerbehinderten Menschen, Arbeitgeber mit weniger als 60 Arbeitsplätzen zwei schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Mehrere Betriebe desselben Arbeitgebers gelten hierbei als Einheit. Ausbildungsplätze zählen nicht als Arbeitsplätze mit. Ergeben sich bei der Berechnung der Pflichtplätze Bruchteile, so ist ab 0,5 aufzurunden, bei Unternehmen mit jahresdurchschnittlich weniger als 60 Beschäftigten abzurunden. Die Pflichtquote gilt auch, wenn aufgrund der betrieblichen Struktur schwerbehinderte Menschen gar nicht beschäftigt werden können. Für schwerbehinderte Menschen, die in der Ausbildung sind, werden zwei, nach Entscheidung der Agentur für Arbeit bis zu drei Pflichtplätze angerechnet. Die Pflicht zur Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen kann auch durch eine Teilzeitbeschäftigung erfüllt werden. Für die Anrechnung auf die Pflichtquote beträgt die Mindestbeschäftigungsdauer 18 Stunden wöchentlich.
Die Nichtbeschäftigung schwerbehinderter Menschen – trotz Verpflichtung – ist eine Ordnungswidrigkeit.
3. Ausgleichsabgabe
Erfüllt der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht, ist er verpflichtet monatlich eine Ausgleichsabgabe zu zahlen, deren jeweilige Höhe anhand der jahresdurchschnittlichen Beschäftigungsquote schwerbehinderter Menschen berechnet wird. Die Ausgleichsabgabe beträgt bei Betrieben mit mehr als 59 Beschäftigten je unbesetztem Pflichtplatz:
- monatlich 140 Euro bei einer Beschäftigungsquote von drei Prozent bis unter dem Pflichtsatz von fünf Prozent
- monatlich 245 Euro bei einer Beschäftigungsquote von zwei Prozent bis unter drei Prozent
- monatlich 360 Euro bei einer Beschäftigungsquote von mehr als null bis weniger als zwei Prozent
- monatlich 720 Euro bei einer Beschäftigungsquote von null Prozent
Für Kleinbetriebe sind Erleichterungen vorgesehen. Danach beträgt die Ausgleichsabgabe bei Arbeitgebern mit bis zu 39 Arbeitsplätzen monatlich 140 Euro, wenn weniger als ein schwerbehinderter Menschbeschäftigt wird und bei Arbeitgebern mit weniger als 60 Arbeitsplätzen monatlich 410 Euro je unbesetzten Pflichtplatz, wenn sie überhaupt keinen schwerbehinderten Menschen beschäftigen.
Der Arbeitgeber hat die zu entrichtende Ausgleichsabgabe selbst zu errechnen und einmal jährlich, spätestens bis zum 31. März des Folgejahres, an das für seinen Sitz zuständige Integrationsamt abzuführen. Das Integrationsamt Schleswig-Holstein ist dem Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit des Landes Schleswig-Holstein, Adolf-Westphal-Straße 4, 24143 Kiel, Telefon 0431 988-0, zugeordnet. Ebenfalls bis zum 31. März des Folgejahres hat der Arbeitgeber der für seinen Sitz zuständigen Agentur für Arbeit die Zahl der im Vorjahr vorhandenen Arbeitsplätze sowie die Zahl der Beschäftigten mit schwerbehinderten anzuzeigen.
4. Fürsorgepflicht
Im Rahmen der betrieblichen und wirtschaftlichen Zumutbarkeit ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Betrieb so einzurichten, dass eine möglichst große Zahl schwerbehinderter Menschen beschäftigt werden kann. Daraus können auch Ansprüche der Arbeitnehmer erwachsen. So ist der Arbeitgeber verpflichtet, einen Arbeitsplatz mit den erforderlichen technischen Hilfsmitteln auszustatten; das Integrationsamt kann hierzu Geldleistungen gewähren. Die Agentur für Arbeit berät über Fördermöglichkeiten. Ferner hat der Arbeitgeber in Zusammenarbeit mit der Schwerbehindertenvertretung die schwerbehinderten Menschen in den Betrieb zu integrieren.
5. Zusatzurlaub, § 208 SGB IX
Schwerbehinderte Menschen haben Anspruch auf bezahlten Zusatzurlaub von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr. Der Anspruch auf Zusatzurlaub besteht nur anteilig, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft im laufenden Kalenderjahr festgestellt wird oder wegfällt. Für jeden vollen Kalendermonat, in dem die Schwerbehinderteneigenschaft im Arbeitsverhältnis besteht, hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer einen Anspruch auf 1/12 des Zusatzurlaubs. Bei der Berechnung werden Bruchteile von Urlaubstagen, die mindestens einen halben Urlaubstag ergeben, aufgerundet. Abrundungen finden nicht statt. Der Zusatzurlaub muss nach der gesetzlichen Neuerung im Kalenderjahr genommen werden. Wird die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch rückwirkend festgestellt, finden auch für die Übertragbarkeit des Zusatzurlaubs in das nächste Kalenderjahr die dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegenden urlaubsrechtlichen Regelungen Anwendung.
Dazu ein kurzes Beispiel:
Herr Müller hat einen Grad der Behinderung von 50. Diese wurde am 14. Juni 2022 festgestellt. Damit stehen ihm für 2022 6/12 von fünf Zusatztagen zur Verfügung (entspricht 2,5 Tagen, für den Zeitraum von Juli bis Dezember). Dieser Wert ist auf drei Tage aufzurunden.
Wenn einem teilzeitbeschäftigten Schwerbehinderten im Urlaubsjahr der Grundurlaub nur zu einem Anteil zusteht, ist auch der Zusatzurlaub nur anteilig zu gewähren.
Soweit tarifliche, betriebliche oder sonstige Urlaubsregelungen für schwerbehinderte Menschen einen längeren Zusatzurlaub vorsehen, bleiben sie unberührt. Gleichgestellten Menschen mit Behinderung steht kein gesetzlicher Zusatzurlaub zu.
6. Kündigungsschutz, §§ 168 ff. SGB IX
Das Schwerbehindertengesetz gewährt einen besonderen Kündigungsschutz, der neben die allgemeinen Kündigungsschutzregeln tritt. Voraussetzung ist, dass spätestens zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung die Schwerbehinderteneigenschaft oder die Gleichstellung vorliegt. Eine Kündigung bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamts. Wird die Kündigung ausgesprochen, ohne dass vorher die Zustimmung des Integrationsamts eingeholt wurde, ist die Kündigung nichtig.
Der Arbeitgeber muss die Zustimmung bei dem für den Sitz des Betriebes zuständigen Integrationsamt schriftlich oder elektronisch (in doppelter Ausführung) beantragen. Der Antrag ist ausführlich und unter Darlegung der Kündigungsgründe und Beweismittel zu begründen. Das Integrationsamt holt vor seiner Entscheidung eine Stellungnahme des Betriebs- oder Personalrates und der Schwerbehindertenvertretung ein und hört den schwerbehinderten Menschen an (§ 170 SGB IX). Das Integrationsamt muss innerhalb eines Monats nach Eingang des Antrags auf Zustimmung zu einer ordentlichen Kündigung eine Entscheidung treffen. Lässt das Integrationsamt diese Monatsfrist ergebnislos verstreichen, gilt die Zustimmung als erteilt und eine ordentliche Kündigung des schwerbehinderten Mitarbeiters ist mit Ablauf dieses Monats zulässig.
Erteilt das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung, so kann der Arbeitgeber nur binnen eines Monats nach Zustellung der Zustimmung die Kündigung erklären (§ 171 SGB IX).
Bei einer ordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber eine Kündigungsfrist von mindestens vier Wochen einhalten. Längere gesetzliche, tarifliche oder einzelvertragliche Kündigungsfristen bleiben unberührt.
Die Zustimmung muss im Falle der außerordentlichen Kündigung innerhalb von zwei Wochen seit Kenntnis des Kündigungsgrundes beantragt werden. Dabei ist die Versendung des Antrags als Einschreiben mit Rückschein in jedem Fall aus Beweiszwecken empfehlenswert. Die Entscheidungsfrist des Integrationsamts verkürzt sich dann auf lediglich zwei Wochen.
Soll der Betrieb stillgelegt oder aufgelöst werden oder ist über das Vermögen des Betriebes die Insolvenz eröffnet worden, wird das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn zwischen dem Tag der Kündigung und dem Tag, bis zu dem Gehalt bzw. Lohn gezahlt wird, mindestens drei Monate liegen sowie eine Weiterbeschäftigung im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb desselben Arbeitgebers nicht möglich und zumutbar ist.
Der Sonderkündigungsschutz bzw. das Zustimmungserfordernis gilt in folgenden Fällen nicht:
- das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung ohne Unterbrechung noch nicht länger als sechs Monate bestanden hat oder
- das Versorgungsamt mangels der erforderlichen Mitwirkung des behinderten Mitarbeiters keine Feststellung treffen konnte oder
- die Schwerbehinderteneigenschaft zum Zeitpunkt der Kündigung nicht nachgewiesen wurde. (Der Nachweis ist indes immer erbracht, wenn die Schwerbehinderung offensichtlich ist oder ein Feststellungsbescheid nach § 152 Abs. 5 SGB IX vorliegt.)
7. Arbeitszeit
Schwerbehinderte Menschen können es außerdem ablehnen, mehr als acht Stunden täglich zu arbeiten. Wird ein Arbeitnehmer nach der Einstellung schwerbehindert, muss er dies dem Arbeitgeber von sich aus mitteilen. Außerdem kann der Schwerbehinderte je nach Schwere seiner Behinderung einen Anspruch auf Teilzeitarbeit haben.
8. Neubesetzung freier Arbeitsplätze
Bei der Besetzung freier Arbeitsplätze muss der Arbeitgeber prüfen, ob schwerbehinderte Menschen beschäftigt werden können. Bewirbt sich ein schwerbehinderter Mensch um eine Stelle im Betrieb, so ist der Arbeitgeber verpflichtet, diese Bewerbung mit der Schwerbehindertenvertretung zu besprechen und sie mit der Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung an den Betriebsrat weiterzuleiten.
9. Schwerbehindertenvertretung und Integrationsvereinbarung
In Betrieben, in denen nicht nur vorübergehend fünf oder mehr Menschen mit Schwerbehinderung beschäftigt sind, werden von schwerbehinderten Menschen alle vier Jahre eine Vertrauensperson und ein Stellvertreter/Stellvertreterin gewählt. Der Arbeitgeber hat die Vertrauensperson in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe betreffen, rechtzeitig und umfassend zu informieren und vor einer Entscheidung zu hören. Anhörungspflichtig sind also insbesondere Einstellung, Versetzung, Umgruppierung und Kündigung von Schwerbehinderten. Die getroffene Entscheidung ist der Vertrauensperson unverzüglich mitzuteilen. Unterbleibt die Anhörung, so ist die Durchführung oder Vollziehung der getroffenen Entscheidung auszusetzen; die Anhörung ist innerhalb von sieben Tagen nachzuholen, alsdann ist endgültig zu entscheiden. Bereits durchgeführte oder vollzogene Entscheidungen sind jedoch auch ohne Anhörung wirksam. Die Vertrauensperson darf an allen Sitzungen des Betriebsrats beratend teilnehmen. Die persönliche Rechtsstellung der Vertrauensperson entspricht der eines Betriebsratsmitgliedes; so ist er etwa zur Wahrnehmung der ihm obliegenden Aufgaben freizustellen und hat absoluten Schutz gegen ordentliche Kündigungen. Schwerbehindertenvertretungen haben auch das Recht auf Einsicht in die Bewerbungsunterlagen und auf Teilnahme am Vorstellungsgespräch.
Der Arbeitgeber trifft mit der Schwerbehindertenvertretung eine Integrationsvereinbarung über die Eingliederung schwerbehinderter Menschen, insbesondere zur Personalplanung, Arbeitsplatzgestaltung, Gestaltung des Arbeitsumfelds, Arbeitszeit und Arbeitsorganisation. In Betrieben, in denen keine Schwerbehindertenvertretung vorhanden ist, wird eine Integrationsvereinbarung auf Antrag des Betriebsrates getroffen.
Für weitere Informationen wenden Sie sich gerne an das zuständige Integrationsamt Schleswig-Holstein
Stand: Juli 2024