Kiel: Regionalerfolg

Craftbeer-Meister

Was passiert, wenn zwei Kieler Design-Studenten im 50-Liter-Eimer ein Bierbrau-Experiment starten? Im Fall von Max Kühl und Florian Scheske eine außergewöhnliche Erfolgsstory. Obwohl die Deutschen immer weniger Bier trinken, entwickelte sich ihr Lillebräu zum Kieler Kult-Bier. Inzwischen brauen die Startup-Unternehmer Craftbeer in der eigenen Brauerei im ehemaligen Coca-Cola-Werk im Herzen Kiels.
Natürlich geht es den beiden zuallererst um den Genuss eines wirklich guten Bieres. Aber gleich danach kommt Kiel, ihre Heimatstadt, mit der sie sich voll und ganz identifizieren. „Wir haben uns dem Ziel verschrieben, unsere Stadt wieder ins kollektive Bier-Bewusstsein zurück zu bringen – und ganz nebenbei das Bier zu retten“, erzählt Florian Scheske mit einem Augenzwinkern. Doch die beiden erfolgreichen Selfmade-Macher haben bewiesen: Sie haben ein Händchen für neue, überraschende Genusserlebnisse, die viele dem Hopfenkaltgetränk nicht zugetraut hätten. Und sie wissen, wovon sie reden und warum die Deutschen immer mehr die Lust am Feierabend-Bierchen verlieren. „Wir wollen das Bier vor Einheitsgeschmack und Langeweile retten“, sagt Max Kühl. Und es ganz nebenbei auf ein anderes Niveau heben – als Alternative zu Wein und Champagner bei einem guten Essen.
Immer mehr Leute aus Kiel und der Region entdecken, wie ein richtig fruchtiges, vor Aromen „explodierendes“ Bier dem Gaumen schmeicheln kann. Gerade mal zehn Jahre ist es her, dass die beiden Studenten der Muthesius Kunsthochschule zuhause das erste Craftbeer angesetzt haben. So nennen die alternativen Brauer ihre handgemachten Kreationen, die sich in den vergangenen Jahren zu einem weltweiten Kult entwickelt haben. Aber 2014 wussten die beiden angehenden Designer noch nicht, wie diese Initialzündung ihr Leben verändern sollte. 2015 verließen bereits 500 Liter die Braukessel bei einer „Kuckucksbrauerei“ in Rickling. Im Dezember 2018 war es dann so weit: Max Kühl und Florian Scheske eröffneten ausgerechnet im früheren Coca-Cola-Werk im Kieler Eichkamp ihre eigene Brauerei mit Schankraum.
Inzwischen arbeiten zwölf festangestellte Mitarbeitende und in der Saison 60 Aushilfen und Werkstudierende für Lillebräu. 2023 verließen 360.000 Liter handgemachtes Qualitätsbier die haushohen Gärtanks, bei über 50 Restaurants und Kneipen fließt Lillebräu aus dem Zapfhahn. Der gesamte Lebensmittel-Einzelhandel in der Kiel-Region führt Lille mit Stolz im Sortiment – vom Bio-Pils über das „Helle“ und das fruchtige Lager bis zum urbritischen Pale Ale. Das Bio-Radler löscht besonders im Sommer Kundendurst. Und weil die Kieler Craftbeer-Pioniere immer noch gerne experimentieren, entwickeln sie mit Braumeister Lars Kranz saisonale Kreationen wie das Frühlingsbock oder das bei Insidern hochgeschätzte Indian Pale Ale. Es ist mit acht Prozent Alkoholgehalt viel stärker als gewöhnliches Bier und begeistert Kenner mit ungewöhnlich fruchtigen Aromen, die sich beim Gärprozess aus den Ölen besonderer Hopfensorten bilden.
„Mit dem Bau der eigenen Brauerei ging für uns ein großer Traum in Erfüllung. Endlich können wir dort brauen, wo wir leben und Kiel seine Braukultur zurückgeben“, erzählt Max Kühl. Jedes Bier brauche seine Heimat. Dafür haben sie zunächst 1,5 Millionen Euro investiert. Doch das Unternehmen wächst stetig und brauchte zuletzt für sechs weitere 6000-Liter-Gärtanks frisches Geld. So kamen die Gründer auf die uralte Idee der Genuss-Scheine und brachten dafür die rasant wachsende Fangemeinde ins Spiel: „Über diesen Weg des Crowdfundings können wir die Menschen in der Region für unser Projekt begeistern und ein Stück weit an Lillebräu beteiligen“, erklärt Florian Scheske.
Um unabhängig zu bleiben und Lille nachhaltig zu entwickeln, geben sie das „Kieler Bier Papier“ an die Schwarm-Investoren heraus. Für 175 Euro bekommt jeder Unterstützer neben einem limitierten Kunstdruck ein Stückchen Unsterblichkeit: Jeder Name wird auf den neuen Kesseln in der Brauerei eingraviert. So wurden bereits 3300 Mini-Investoren auf Chrom verewigt, für alle Besucher im Schankraum sichtbar. „Das Beste aber ist, dass jeder Unterstützer zwölf Bier pro Jahr von uns bekommt, entweder frisch gezapft oder aus der Buddel – und das für die nächsten 25 Jahre“, erklärt Max Kühl.
Um das Unternehmen weiter zu konsolidieren, gehören zwei weitere Standbeine neben der Brauerei zum Konzept: „Wir wollen in diesem Jahr neben den bestehenden Biergärten bei uns im Eichkamp und am Seegarten direkt an der Kieler Promenade weitere Biergärten an der Küste eröffnen.“ Dafür wirbt Lille erneut um den „Support“ durch das Kieler Bier Papier. „Mit diesem Geld können wir die Brauerei auf Dauer unabhängig aufstellen, indem wir den Erlös aus den Genuss-Scheinen in den Bau neuer Biergärten an der Küste investieren.“ Kühl und Scheske planen konkret drei neue Biergärten in Zusammenarbeit mit regionalen Streetfood-Anbietern wie etwa John’s Burger und Loppo Kaffee in Kiel.
Das andere inzwischen erstarkte Standbein bilden die Events rund um die Brauerei: „Viele Hochzeitspaare buchen am Wochenende unsere Räume, wir haben Firmenfeiern, und sogar das Philharmonische Orchester spielt in unserer Brauerei auf“, erzählt Florian Scheske. Außerdem öffnet der Schankraum mit 125 Plätzen donnerstags bis sonnabends, in der warmen Jahreszeit lädt der Biergarten im Innenhof zum Verweilen ein – oder zum auch zum Genuss von Live-Musik, wie bei den „Kiel ohne Grenzen“-Konzerten, die nach der Corona-Pause erfolgreich starteten. Natürlich direkt vor dem gläsernen Tor zur Brauerei, dem Identitätsort für eine neue Kieler Braukultur.

Autor: Joachim Welding
Veröffentlicht: März 2024