5 min
Lesezeit
Eine Königin feiert Geburtstag
Sie ist 875 Jahre jung und steht zwischen Tradition und Aufbruch: Die Hansestadt Lübeck feiert mit vielen Veranstaltungen das ganze Jahr über Geburtstag. Auch Lübecker Unternehmen bringen sich ins Jubiläum ein. Und die Hanse ist weiterhin lebendig - etwa in Lübecker Traditionsunternehmen oder in der Hanse-Schule, wo Berufsschüler vom alten Kaufmannsbündnis noch etwas lernen können.
Niederegger-Konditoreifachverkäuferin Nadine Schmode präsentiert die Jubel-Taler vor dem Lübecker Rathaus
© IHK/Tietjen
Ein kleiner Hügel zwischen Trave und Wakenitz - rund um die Wallburg Bucu herrscht bereits reger Betrieb, als Graf Adolf II. von Schauenburg der kleinen Kaufmannsiedlung im Jahr 1143 das Stadtrecht verleiht - die erste deutsche Hafenstadt an der Ostsee war geboren, anfangs bekannt unter ihrem slawischen Namen "Liubice". Die kleine Siedlung auf der Halbinsel wächst bald zur wichtigsten Handelsmetropole der europäischen Hanse. Unter den zeitweise fast 300 Mitgliedern des Städtebundes trug sie den Beinamen "Königin der Hanse". Mit einer ganzen Reihe von Feierlichkeiten, Ausstellungen und Veranstaltungen feiern die Lübecker das Stadtjubiläum. Ein Highlight steht gleich vom 8. bis 10. Juni vor der Tür: das HanseKulturFestival verwandelt die Altstadtinsel für zwei Tage in eine große Geburtstagsbühne. Und auch die IHK zu Lübeck feiert an diesem Wochenende mit einem Tag der offenen Tür den Geburtstag mit - denn es waren ja gerade die Lübecker Kaufleute, die über Generationen hinweg mit großem Fleiß, Innovationen und Geschick die Bedeutung und das Erscheinungsbild der Hansestadt geprägt haben.
Und auch heute bringt sich die lokale Wirtschaft aktiv ins Stadtjubiläum mit ein. Neben Förderern und Sponsoren bieten Unternehmen exklusive Produkte an - von besonderen Tortenkreationen der Stadtbäckerei Junge und des Cafés Fräulein Brömse über Münzprägungen bis zum Jubiläumsbier. Mit einem offiziellen Marzipantaler fördert die J. G. Niederegger GmbH & Co. KG das Jubiläum auf besondere Weise: der Erlös der 4.000 limitierten Taler fließt ins Jubiläumsbudget der Stadt ein. Mit dem Produkt greift das Traditionsunternehmen einen Teil der Stadtgeschichte auf, erklärt Geschäftsführerin Theresa Mehrens-Strait: "Die Idee des Jubel-Talers entspringt der Geschichte der Jubelkugel, mit deren Hilfe die 700-Jahr-Feier der Reichsfreiheit Lübecks 1926 finanziert wurde. Schon damals engagierte sich Niederegger für die Stadt und stellte eine Marzipankugel her, die zugunsten des Jubiläums verkauft wurde."
Damals wie heute
Von den Lübecker Unternehmen, die sich für das Jubiläum engagieren, sehen sich noch viele in der Hansetradition oder handeln sogar noch mit traditionellen Hansegütern wie Holz, Wein, Getreide oder Fisch. So zum Beispiel auch der Weinhändler H. F. von Melle GmbH: "Vertrauen, Verlässlichkeit und ein festes Ehrenwort unter Kunden und Zuliefern sind etwas Ur-Hanseatisches, das auch heute noch bei uns Bestand hat", sagt Geschäftsführer Manuel Mack. So reiche in der Hansestadt bei vielen Geschäftsabschlüssen noch immer ein kurzes Nicken. Wein sei seit jeher Vertrauenssache, erklärt Mack, und zitiert mit einem Schmunzeln aus den "Buddenbrooks", dem großen Lübecker Kaufmannsroman Thomas Manns.
Manuel Mack mit Lübecker Rotspon
© IHK/Tietjen
Und auch bei seinen Produkten hält der Weinhändler an dem genuinen lübschen Erfolgsrezept des Lübecker Rotspons fest. So komme der französische Rotwein wie zur Hansezeit auch heute noch lose nach Lübeck und wird erst hier durch die Auswahl der Fässer, Verschnitt und Abfüllung veredelt. "Wir geben dem Wein also unseren hanseatischen Footprint", sagt Mack. Und auch die Handelswege des Lübschen Produkts seien unverändert: "Die alte hanseatische Route von Südfrankreich nach Lübeck zur Veredelung und dann nach Skandinavien gehört auch heute zu unserem täglichen Geschäft", so Mack.
Von der Hanse lernen
Was kann man vom Kaufmannsbündnis der Hanse heute noch lernen? Dieser Frage gehen die Berufsschüler der Hanse-Schule für Wirtschaft und Verwaltung in Lübeck gleich mit mehreren Projekten nach. So hat eine Klasse von angehenden Industriekaufleuten in Kooperation mit dem Europäischen Hansemuseum die Europäische Union (EU) mit der Hanse verglichen und Parallelen herausgearbeitet - mit den Ergebnissen haben die Schüler eine Lern-App entwickelt. Bei dem Projekt haben sie die beiden Institutionen mit selbst festgelegten Kriterien untersucht - wie sind Mitglieder- und Wirtschaftsstrukturen aufgebaut, wie gestalten sich Wettbewerbsregulierung und Zahlungsverkehre und wie funktioniert der Wissenstransfer in den europäischen Ländern? "Für die Schüler ist es wertvoll zu sehen, dass internationale Zusammenarbeit und Güteraustausch nichts Neues sind und dass es für Unternehmen wichtig ist, Einfluss auf die Politik auszuüben. Gerade bei der Handelspolitik gibt es viele thematische Parallelen zwischen dem historischen Kaufmannsbund und heute", sagt Jens Oberbeck, Leiter der Abteilung Industrie, IT-Berufe und Veranstaltungen an der Hanse-Schule.
Historische Urkunde, die die Schüler der Hanse-Schule untersuchen
© Klaus Senkbeil
Anlässlich des Stadtjubiläums haben Schüler der Fachoberschule zudem verschiedene Hanse- Urkunden untersucht, Quellenarbeit im Archiv betrieben und das Hansemuseum für Recherchearbeiten besucht. "Wir beschäftigen uns auch deshalb mit den Urkunden, weil sie 2019 für das Weltdokumentenerbe der UNESCO nominiert sind", sagt Politiklehrer Klaus Senkbeil. "Zudem wollen wir mit dem Projekt die Identität unserer Schule erklären - wir verstehen uns als direkte Verlängerung des Lübecker Kaufmanns und der Kontore", so Senkbeil. Auch die nächste Projektkooperation mit dem Museum steht bereits vor der Tür. In einem Verhandlungsplanspiel vor dem Hintergrund eines historischen Hansetages sollen die Schüler lernen, wie sich Probleme im Konsens lösen lassen. "Das lässt sich sehr gut auf die EU mit ihren 28 Mitgliedsstaaten übertragen, die ja auch immer wieder neue Einigungen finden müssen", so Oberbeck.
Benjamin Tietjen
Kontakt
Benjamin Tietjen