Handelsstandort Schleswig-Holstein

Im Wettbewerb um Kaufkraft

Dem starken Verkaufsflächenwachstum in Schleswig-Holstein steht seit Jahren ein sinkender Anteil an Konsumausgaben im Handel gegenüber. Sinkende Flächenproduktivität, geringere Umsätze, ein Verlust an Sortimentsbreite und die Angebotsausdünnung beeinträchtigen auch die Versorgungsfunktion vieler Zentren.
Für die Zukunft geht Professor Dr. Werner Reinartz, Direktor der IFH-Fördergesellschaft, davon aus, dass sich die Handelsbranche in den nächsten fünf Jahren stärker verändert als in den letzten 30 Jahren. Online-Handel und demografische Entwicklung sind die dominierenden Megatrends. Mit einem durchschnittlichen Umsatzwachstum seit 2008 von jährlich 20,6 Prozent überstieg das Online-Marktvolumen laut IFH-Branchenreport im Jahr 2014 die 40-Milliarden- Euro-Grenze. Während viele Großstädte in Deutschland trotz der zunehmenden Online-Käufe eine gute Entwicklung verzeichnen, besteht - verstärkt durch Bevölkerungsrückgang und -alterung - gerade für kleinere und mittlere Städte ein erheblicher Handlungsdruck.
Die unterschiedliche Entwicklung spiegelt sich auch in den Einzelhandelszentralitäten als Indikatoren für die Funktion als überörtliches Versorgungszentrum, wie eine Studie der MB Research GmbH von 2015 zeigt. Neben dem weit überdurchschnittlichen Kaufkraftzufluss in Bad Segeberg mit einer Zentralitätskennziffer von 484,3 und Schwentinental (432,4) gelingt es den Oberzentren Flensburg, Kiel, Lübeck und Neumünster, mit einer Einzelhandelszentralität von durchschnittlich 145,3 überörtlich Kaufkraft zu binden. Dies gilt auch für die Mittelzentren mit einer durchschnittlichen EH-Zentralität von 196 sowie für die Unterzentren mit Teilfunktionen eines Mittelzentrums (195,3). Dagegen weisen die Unterzentren im Schnitt einen nur geringen Kaufkraftzufluss auf (EH-Zentralität 106,6). Den stärksten Herausforderungen sehen sich die Mittelzentren im Verdichtungsraum gegenüber, die im Schnitt mit einer Kennziffer von 92,3 sogar einen Kaufkraftabfluss hinnehmen müssen. Die Bedeutung des Tourismus zeigen die überdurchschnittlichen Einzelhandelszentralitäten etwa von Eckernförde (158,1) oder Heide mit 219,6.
Über seine gesamtstädtische Versorgungsfunktion hinaus spielt der Handel als Frequenzbringer für Gastronomie und weiteres Dienstleistungsangebot eine zentrale Rolle für die Funktion und Attraktivität der Innenstädte oder Ortszentren, die als Aushängeschild von Städten und Gemeinden fungieren. Ihre Lebens- und Aufenthaltsqualität ist im Wettbewerb um Fachkräfte, Unternehmensansiedlung und Touristen entscheidend.
Transparente Spielregeln
So unterschiedlich die Städte auch sind - für alle gilt: Nur mit einem ansprechenden Branchenmix, einem vielfältigen Dienstleistungsangebot und einem attraktiven städtebaulichen Umfeld können Innenstädte ihre Magnetfunktion für Bevölkerung, Wirtschaft und Touristen entfalten. Alleinstellungsmerkmale und Individualität der innerstädtischen Zentren werden deshalb immer wichtiger. Diese sind auch in Abstimmung mit Gastronomie, Handel, Tourismus und anderen Dienstleistungsbranchen herauszuarbeiten.
Um Ortskerne und andere Einkaufslagen strategisch zu entwickeln und Fehlentwicklungen zu vermeiden, braucht es allerdings transparente Spielregeln und Planungsgrundlagen. Zu den Leitlinien zählt zunächst die stringente Einhaltung des Zentrale-Orte-Systems zur Steuerung großflächiger Einzelhandelsvorhaben. Zentrenrelevante Sortimente gehören in Innenstädte und Ortskerne, großflächige Einzelhandelsvorhaben im Bereich der Nahversorgung in die gewachsenen Orts- und Stadtteilzentren. Auch bei den zunehmend integrierten Lagen sind Großvorhaben wegen der potenziell negativen räumlichen Auswirkungen auf die Handelslagen hinsichtlich Größe, Anbindung und Branchenangebot so einzubinden, dass die gewachsenen Lagen von den neuen Projekten profitieren. Um zentrale Versorgungsbereiche zu sichern, sollten diese - wie auch Nahversorgungsbereiche - in kommunalen Einzelhandels- und Zentrenkonzepten definiert und über die Bauleitplanung gesichert werden. Auf einer solchen strategischen Grundlage eröffnen sich weitere Ansatzpunkte, etwa für kooperative Stadtentwicklungsinitiativen wie PACT, Quartiersmanagement oder Stadtmarketing. Mit einem vorausschauenden Flächenmanagement können Flächen auch in verdichteten Bereichen gesichert und mit einem intelligenten Immobilienmanagement attraktive Magnetbetriebe in zentralen Lagen angesiedelt werden. Erforderlich ist dabei auch eine gute Erreichbarkeit der Innenstadt für ÖPNV und Individualverkehr sowie ein ausreichendes und kostengünstiges Parkangebot.
Zudem ist auch der Einzelhandel selbst gefordert, sein Angebot sich wandelnden Kundenwünschen anzupassen, Service und Werbung kundenorientiert zu optimieren und die Möglichkeiten der Digitalisierung zu prüfen und das für den jeweiligen Betrieb Sinnvolle zu nutzen.
Björn Ipsen
Veröffentlicht am 2. Dezember 2015