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Klein und fein: Tradition trifft Leidenschaft
Eigentlich hatte Sabine Hennecke heute geschlossen. Trotzdem hat sie das Rolltor vor ihrem Schaufenster der „Füllhalter Ecke“ halb hochgefahren. Davor steht ein Postkasten. Zwei Kunden klopfen zaghaft an die Scheibe, als sie die Unternehmerin im Laden sehen. „Dürfen wir trotzdem reinkommen?“ Sie dürfen. Extra aus Berlin sind sie gekommen, ein Zwischenstopp auf ihrer Städtereise, um das Geschäft zu besuchen.

Sabine Hennecke plaudert freundlich und zeigt ihnen Füllhalter. Die beiden Berliner sind begeistert und verlassen den Laden eine ganze Weile später mit einer gut gefüllten Einkaufstüte. Sabine Hennecke schließt wieder ab, zufrieden, dass sie die Kunden trotz ihres freien Tages bedienen konnte – auch wenn sie den eigentlich für Büroarbeiten reserviert hatte. Solche persönlichen Begegnungen sind ihr besonders wichtig. „Wenn man einen Laden führt, muss man Freude am Kontakt mit Menschen haben. Bei mir wird viel geplaudert, und ich bin oft Zuhörerin und Beraterin.“
Füllhalter, feines Papier, Ledermappen, Notizbücher: Inhabergeführte Fachgeschäfte mit einem kuratierten, hochwertigen Sortiment sind in Schleswig-Holstein rar geworden. „Früher gab es allein in Kiel diverse feine Geschäfte – die Stadt war eine Hochburg für Papeterie und Schreibgeräte. Heute sind diese Fachgeschäfte deutschlandweit nicht mehr oft zu finden“, erzählt Hennecke. Beratung stehe für sie an erster Stelle, gerade in ihrem Bereich. „Schreibgeräte brauchen intensive Beratung. Sie sind nicht immer teuer – schon für 15 Euro kann ich einen guten Füllhalter anbieten, inklusive Gravur und Geschenkverpackung. Dieser Service gehört für mich einfach dazu.“
Übernahme der Füllhalter Ecke
Seit 27 Jahren führt Sabine Hennecke die "Füllhalter Ecke", die auf eine 1859 gegründete Buchbinderei zurückgeht und seit 1952 unter ihrem heutigen Namen bekannt ist. Peter Schumann, Schriftdruckmeister in vierter Generation, führte das Geschäft, bis Sabine Hennecke die Gelegenheit bekam, es zu übernehmen. „Ich komme aus der Branche, habe früher den Bürofachmarkt Hennecke Büro + Organisation mit meinem damaligen Ehemann geführt. Als die Füllhalter Ecke zum Verkauf stand, arbeitete ich gerade beim Bürohandel Voss in Westerland auf Sylt“, erzählt sie. „Herr Schumann und ich wurden uns schnell einig. Ich habe das Geschäft dann zu einer kompetenten Papeterie ausgebaut.“

Ein Jahr lang arbeiteten Schumann und Hennecke noch zusammen, vor allem, um die Druckerei weiterzuführen. „Vom Drucken hatte ich wenig Ahnung. Als der Digitaldruck populärer wurde, sind wir umgestiegen, aber nach etwa fünf Jahren habe ich die Druckabteilung aufgegeben“, erklärt sie. Stattdessen entschied sie sich 2009, das Geschäft um etwas Besonderes zu erweitern: die „Schokoladenseite“. Seitdem gibt es in der "Füllhalter Ecke" neben hochwertigen Schreibgeräten auch edle Schokoladen. „Ein Feinkostladen in der Nähe schloss, und ich fand, dass es zu wenig gute Schokolade in Kiel gab. Da dachte ich, Pralinen passen gut zu unserem Sortiment“, sagt sie. „Lustigerweise kaufen Schokoladenkäufer selten Füllhalter – und umgekehrt. Aber für beide Bereiche habe ich eine treue Stammkundschaft.“

Vielseitige Kundschaft
Mit dem Klischee, nur an Ärzte oder Rechtsanwältinnen zu verkaufen, räumt Sabine Hennecke schnell auf. „Es kommen erstaunlich viele Schüler mit ihren Eltern, Studierende, viele Touristen, überregionale Kunden, manchmal Personen von Unternehmen, die Geschenke benötigen und etwas graviert haben wollen.“ Gravuren übernimmt die Unternehmerin noch selbst in ihrem Geschäft. Ein Service, der so kaum zu finden ist. „Bei mir dauert eine Gravur an der Maschine vielleicht eine Stunde, bei anderen Anbietern müssen Sie bis zu einer Woche warten“, weiß sie. „Für die Maschine habe ich mir damals von meiner Mutter Geld geliehen.“
Mit Liebe zum Detail
Sabine Hennecke, mittlerweile 76 Jahre alt, führt ihren Laden allein. Sie kümmert sich um den Verkauf, die Sortimentsauswahl, Administration, Beratung, Verpackung und Prägung. „Natürlich ist das viel, aber ich liebe mein Geschäft. Dieses Natürliche, Individuelle – und vor allem meine lieben Kunden. Einige begleiten mich seit 27 Jahren. Früher habe ich deren Hochzeitskarten gemacht, jetzt suchen sie Füllhalter für ihre Kinder“, erzählt sie. Der Verkauf von Briefpapier und Notizbüchern sei zwar deutlich zurückgegangen, aber eine gewisse Auswahl halte sie immer bereit. „Kunden kommen heute oft sehr informiert ins Geschäft. Sie suchen manchmal ein ganz bestimmtes Produkt, das sie ausprobieren wollen. Darauf möchte ich vorbereitet sein.“
Qualität steht für Sabine Hennecke an erster Stelle. Sie verkauft nur Produkte, von denen sie selbst überzeugt ist. „Otto Hutt, Pilot und Caran d’Ache gehören zu meinen Favoriten, in der unteren Preisklasse empfehle ich Kaweco.“ Mit diesen Marken überzeugt die Unternehmerin auch Kunden von weit her – in der morgigen Post findet sie einen handgeschriebenen Brief aus Saline, Michigan: Eine Kundin bedankt sich für die Beratung für sie und ihre Schwester im Geschäft, als sie auf Deutschlandbesuch war, und freut sich über ihren Otto-Hutt-Füllhalter aus der Füllhalter Ecke. „So ein Kompliment aus der Ferne macht mich stolz. Diese Kundenbeziehung ist etwas Besonderes.“
© Adina Merkel
Wandel im Einzelhandel
Doch der Einzelhandel habe sich verändert, berichtet Hennecke. „Überall wird es ruhiger, nicht nur in Kiel. Hier kommt aber noch das Problem der schlechten Parkplatzsituation dazu. Die Holstenstraße bietet nicht mehr das, was man von einer Flaniermeile erwartet.“ Einkaufen sei heute oft gezielt und nicht mehr zum Bummeln gedacht. „Wenn Leute mit dem Taxi in die Innenstadt kommen müssen, läuft etwas falsch. Wir müssen bei der Erreichbarkeit an alle Generationen bedenken. Für viele ist das Auto die erste Wahl.“
© Adina Merkel
In ein paar Jahren möchte Sabine Hennecke den Laden übergeben. Ihr Wunsch für die Zukunft: Der Nachfolger soll das Konzept übernehmen und es individuell und gepflegt weiterführen. „Erfahrungswerte kenne ich nicht nur selbst, sondern habe sie auch bei meiner Tochter Maja beobachtet: Sie hat zunächst alles beibehalten und dann behutsam modernisiert. Das hat sich ausgezahlt.“
Breites Sortiment, viele Bedürfnisse
Maja Hennecke führt die Familientradition in Itzehoe weiter – allerdings in einer anderen Dimension. Seit 2009 leitet sie den Büromarkt Hennecke Büro + Organisation, der mittlerweile auf eine 90-jährige Geschichte zurückblickt. Ursprünglich von ihren Eltern geführt, war für Maja Hennecke schon als Kind klar, dass sie das Familiengeschäft übernehmen wollte. Nach ihrer Ausbildung im elterlichen Betrieb und einem Studium an der Wirtschaftsakademie am Standort Neumünster, sammelte sie Erfahrung im Import-Export bei einem Litauischen Unternehmen, bevor sie nach Itzehoe zurückkehrte.
Nach wie vor arbeitet Maja Hennecke heute eng mit ihrem Vater zusammen. „Er ist noch jeden Tag im Markt. Aber er lässt mich machen und kann sich zurücknehmen, weil für ihn klar ist, dass es mein Unternehmen ist, das ich in seinem Sinne weiterführe“, erklärt die Unternehmerin.
Im Gegensatz zur Füllhalter Ecke, die für ihre feine Auswahl bekannt ist, setzt Hennecke Büro + Organisation in Itzehoe auf ein größeres Sortiment und mehr Frequenz. Mit 900 Quadratmeter Verkaufsfläche bietet das Unternehmen von Büromaterialien, Multifunktionsgeräten, Medientechnik und Schulartikeln bis hin zu Büromöbeln und Wohnaccessoires diverse Produkte. Neben Papier und Stiften verkauft Maja Hennecke auch Gewürze von „mykraut“, „Lakrids von Bülow“ und sogar Granola und Ingwershots. Denn: Durch Mitgliedschaften wie bei der Einkaufsgenossenschaft Soennecken kann das Unternehmen auf eine breite Palette an Markenartikeln zugreifen und regelmäßig neue Trends ins Sortiment aufnehmen.
Die Herausforderungen in Itzehoe sind dabei anders als in Kiel. Der Markt sei kleiner als in größeren Städten, und oft überschneiden sich die Sortimente mit anderen lokalen Anbietern, was den Wettbewerb erschwert. Trotzdem setzt Maja Hennecke auf Kundennähe und Service: „Es macht uns Freude, wenn Kunden mit unserem Service zufrieden sind und uns weiterempfehlen. Oft kommen sie auch von weiter weg, um Produkte wie Bürostühle auszuprobieren – die kann man dann auch gleich mitnehmen.“
Gemeinsam Zukunft gestalten
Auch wenn Mutter und Tochter unterschiedliche Geschäftsmodelle verfolgen, tauschen sie sich über Produkte und Strategien aus. „Manchmal verkaufe ich meiner Mutter eine Ledertasche, die in Itzehoe nicht so gut läuft, aber in Kiel bei den Kunden sehr gefragt ist,“ erzählt Maja Hennecke. Ebenso kauft Sabine Hennecke kleine Mengen an Waren bei ihrer Tochter, wenn sie in ihrem Fachhandel nur begrenzten Bedarf hat.
Maja Hennecke und ihr Partner Christian Stieper
© Michael Ruff
„Handel ist Wandel“, pflegt Maja Henneckes Vater zu sagen. Kein Tag gleicht dem anderen, und so gestaltet die Unternehmerin das Geschäft flexibel und gemeinsam mit ihrem 25-köpfigen Team. „Wir überlegen viel zusammen, von Produktideen bis hin zu neuen Bereichen wie Berufsbekleidung. Nicht alles funktioniert auf Anhieb, aber wir lernen aus unseren Fehlern.“ Gemeinsam mit ihrem Team freut sich Maja Hennecke auf die nächsten Jubiläen des Unternehmens und ist stolz darauf, die Familientradition weiterzuführen – mit einer modernen Ausrichtung, die auf die sich wandelnden Bedürfnisse der Kunden reagiert.
Autorin: Julia Romanowski
Veröffentlicht: Dezember 2024
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Dr. Liane Faltermeier