Elmshorn: Innenstadtmanagement

"Wir sind das Herz der Innenstadt"

Im Nordwesten von Hamburg liegt die 52.000-Einwohner-Stadt Elmshorn. Vor allem der vielfältige Einzelhandel belebt die Innenstadt und ihre Ausläufer. Unternehmer Rainer Wilke berichtet, wie er sein Geschäft führt und wie er die aktuelle Phase der Stadtentwicklung wahrnimmt.
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© IHK/Alexandra Thom
Reges Treiben herrscht an diesem Mittwochmorgen im Geschäft Lederwaren Liedtke in Elmshorn: Inhaber Rainer Wilke berät, welcher Schulranzen aus der bunten Auswahl am besten passt, seine Mitarbeiterin bietet einer Kundin währenddessen eine neue Kollektion Portemonnaies an und weiter hinten im Laden hat eine Gruppe Teenager die luxuriösen Designertaschen entdeckt und filmt sich für ein TikTok-Video. Der Unternehmer schließt seinen Verkauf ab und verabschiedet die Familie samt glücklichem Schulkind. „Unsere Kundschaft war immer schon vielseitig“, sagt er und lächelt über die Teenager, die ihr Video posten.
Seit mehr als 40 Jahren leitet Rainer Wilke das 1893 gegründete Familienunternehmen in unmittelbarer Nähe zum Bahnhof in Elmshorn. Spezialisiert auf Taschen, Koffer, Rucksäcke und Accessoires, bietet er mit persönlicher Beratung für jeden Kunden und jeden Geldbeutel etwas Passendes. Strategisch günstig hat das Geschäft zwei Eingänge, am Bahnhof und an der Königstraße. „Wir sitzen in einer 1B-Lage“, sagt Rainer Wilke schmunzelnd. „In der Fußgängerzone waren die Mieten immer zu hoch, daher sind wir in den Neunzigern nicht umgezogen. Unser Einzugsgebiet ist groß, viele Kunden kommen von außerhalb oder mit der Bahn, und am Bahnhof findet man unser Geschäft leicht.“
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© IHK/Alexandra Thom

Fix noch zwei, drei Koffer für die Reise auswählen und direkt testen, dann in den Zug oder ins Auto einsteigen – ein Vorteil, den Kunden nur hier bekommen. Trotz der guten ÖPNV-Anbindung kommen die meisten Kunden aber mit dem Auto in die Stadt, so der Unternehmer weiter. „Ich schätze, rund 80 Prozent kommen mit dem Auto und suchen natürlich preiswerten Parkraum. Meiner Meinung nach sollte das Parken am Bahnhof nicht kostenfrei sein, aber digital geregelt und in einem angemessenen Rahmen.“ Mit dieser Forderung spricht Wilke direkt den geplanten Umbau des Bahnhofsgebiets an – ein Umbauprojekt von vielen, die in Elmshorn Fahrt aufnehmen sollen. Als Tor zur Stadt soll der Bahnhof dienen, um zu einem Ort zu werden, an dem Besucher und Einheimische gerne ankommen und verweilen. Die Realität sieht aktuell anders aus. „Die meisten Menschen meiden unseren Bahnhof, weil die Kriminalitätsrate sehr hoch ist und es kaum schöne Plätze gibt“, sagt Rainer Wilke. „Einige Kunden berichten mir, dass sie Sorge haben, sich am Bahnhof aufzuhalten, auch tagsüber. Daher begrüße ich es sehr, dass der Bahnhof hell und freundlich werden soll, mit viel Gastronomie im Umfeld, einem Fahrradladen, einem Parkhaus, einem Schallschutz für Anwohner.“
Der jetzige Bahnhofsstandort gilt seit zehn Jahren als Sanierungsgebiet, vor allem verkehrliche Missstände bringen die Station und angrenzende Infrastruktur an ihre Leistungsgrenze. Umbauplanungen für den Bahnhofsstandort, Straßenübergänge, Radwege oder Tunnel kommen jetzt ins Rollen, erst 2023 erhielt die Stadt grünes Licht für die Finanzierung der Planungskosten, und im Juli 2024 beschloss man, den Geschwister-Scholl-Tunnel mit Beschluss der Politik mindestens für den Pkw-Verkehr im Rahmen der baulichen Umsetzungen der Bahn in 2034 zu schließen. Das seien die ersten Auswirkungen auf das Umfeld, erläutert Jule Gehring. Die Sachgebietsleiterin und Projektleiterin Bahnhof im Amt Projektentwicklung der Stadt Elmshorn startete mit einem sechsköpfige Team mit dem Auftrag, die südliche Verschiebung des Bahnhofsgebäudes zu begleiten. Jetzt steht das Team vor der Aufgabe, alle Akteure während der kommenden Umbauphase des Stadtgebiets einzubinden. „Seit Jahren verschwindet Gewerbe am Bahnhof, die Anwohner sind unzufrieden, die hier lebenden Menschen haben unterschiedliche Ansprüche an das Quartier “, so Jule Gehring. „In dieser Gemengelage wollen wir dafür sorgen, Flächen sinnvoll umzuplanen, damit zum Beispiel der Geschwister-Scholl-Tunnel zur Freifläche angrenzend an den Holstenplatz werden kann oder sich durch architektonische Baumaßnahmen mehr Gastronomie am Bahnhof ansiedelt.“
Ein Großteil der Fläche, die dem Umbau gewidmet sein wird, gehört der Bahn. Für das Team der Stadt heißt das, dass nur gemeinsam mit der Bahn an der Entwicklung der Flächen gearbeitet werden kann. „Uns kommt zugute, dass auch die DB daran interessiert ist, die Bahnhofsfläche zu entwickeln. Wir sind allerdings zeitlich komplett abhängig“, sagt Jule Gehring. Die bauliche Umsetzung könnte demnach realistisch betrachtet 2028 vollumfänglich beginnen, sich aber auch bis 2034 hinauszögern. „Die Bahn muss sich bereiterklären, die jetzige Station zurückzubauen, bevor ein neuer Bahnhof kommt, damit wir wiederum vorher mit dem Umbau am Holstenplatz starten können.“ Was ein Mehraufwand für die Bahn wäre, wäre allerdings ein Vorteil für die Stadtmaßnahmen. Das bekräftigt Dr. Paul Raab, Geschäftsstellenleiter in Elmshorn für die IHK zu Kiel. Die Stadt Elmshorn sende das richtige Signal, nur gebremst durch langwierige Prozesse. „Vor dem Hintergrund der Ansiedlungen an der Westküste, die auch für Elmshorn den Zuzug neuer Einwohnerinnen und Einwohner bedeuten, ist jetzt mehr Machen statt Schnacken wichtig. Das gilt auf allen Ebenen, in Elmshorn und anderswo.” Planungsprozesse und Rücksprachen über mehrere Ebenen dauerten zu lange, so Raab weiter. „Den Menschen und den Unternehmen hier ist viel versprochen worden – es wird Zeit, diese Versprechen einzulösen. Dafür müssen alle ihre Beiträge leisten, wir selbst und externe Partner wie die Bahn. Schnellere Entscheidungsprozesse sind nötig, wenn Unterelbe und Westküste für den Strukturwandel fit werden wollen.”
Multifunktional und aufgewertet: Mit dem neuen Konzept haben Stadt und Stadtmarketing viel vor. Rainer Wilke begrüßt das, auch wenn ihm nicht alle Aspekte des Konzepts klar sind: „Sicher, im Händlertreffen sprechen wir mal darüber, auch über die Stadt direkt wurden wir eingebunden, bei Veranstaltungen konnte ich auch mit dem Bürgermeister dazu sprechen, aber ich könnte nicht alles erklären.“ Trotzdem habe er das Gefühl, man wolle etwas bewegen. Nur zu langsam und zu begrenzt gehe es voran, so der Unternehmer weiter. „Ich habe den Eindruck, dass viele Auflagen das Vorhaben bremsen. Sicher, ein Bahnhof und dessen Umgestaltung ist komplex, aber es muss klare Entscheidungen in einer absehbaren Zeit geben, um nicht wieder Jahrzehnte auf die Veränderung zu warten“, sagt Wilke. Ein Beispiel sei der Neubau des Rathauses mit der Umgestaltung des Buttermarktes, der seit Jahren für Verkehrsbehinderungen sorge. „Ich kann verstehen, dass da Kunden aus der Region Uetersen, Moorege, Holm,Wedel lieber nach Schenefeld ins Einkaufszentrum fahren, aber keine Stadt kann einen Umbau ohne Baustellen machen. Deswegen brauchen wir ein besseres Baustellenmanagement, damit der Umbau vom Bahnhof nicht für noch mehr Frust sorgt.“
Tunnel, Bahnhof, Buttermarkt: Mach neu scheint der Ansatz der Stadt zu sein, um das Herz von Elmshorn zur Wohlfühl- und Einkaufsdestination zu machen. Einen tollen Anfang hat laut Rainer Wilke sein Kollege Marc Ramelow gemacht. „Auf dem Modehaus soll eine große Dachterrasse mit Gastronomie entstehen, dann schaut man von dort direkt auf den Marktplatz und die Krückau. Das kann für die Innenstadt sehr gemütlich werden“, sagt Wilke. Er sehe solche Vorhaben von Kollegen nicht als Konkurrenz, eher als gemeinsame Bereicherung. Genauso lobt er die Kulturangebote des Stadtmarketings. „Das Lichtermeer oder die Eisbahn im Winter, das OpenAir-Kino und das Picknick im Sommer sind gute Sachen mit Sogwirkung für die Menschen, das muss man hoch anerkennen. Ich bin froh, ein funktionierendes Stadtmarketing zu haben.“ Seinem positiven Urteil stehen auch kritische Stimmen gegenüber, die Veränderung skeptisch sehen. „Es gibt immer die, die schimpfen werden, aber die Visionen der Stadt sind wichtig für unsere Zukunftsfähigkeit“, entgegnet Wilke.
Dr. Paul Raab betont, dass Unternehmerinnen und Unternehmer am besten wüssten, was für sie gut ist, insbesondere im stationären Einzelhandel. „Ein attraktives Umfeld ist wichtig, darauf aber haben die einzelnen Unternehmen wenig Einfluss. An dieser Stelle kommen Wirtschafts- und Gewerbevereine, Stadtmarketingvereine oder auch IHKs ins Spiel. Sie alle bündeln die Interessen ihrer Mitglieder und tragen sie mit breiten Schultern weiter an die Politik und Verwaltung.” Wichtig sei, dass sich die Unternehmen engagieren und an der Meinungsbildung mitwirken, denn gerade in Elmshorn seien es gerade diese Institutionen, die Veränderung anstoßen und erreichen können. „Eine Kommune, die offen ist für einen solchen Dialog, schafft Identität mit dem Standort und erreicht aus meiner Sicht die zukunftsfähigsten Lösungen.”
„Die Interessengemeinschaft der Gewerbetreibenden vor Ort ist in engem Austausch mit uns und hat ein klares Verständnis dafür, wo die Probleme liegen und welche Herausforderungen es gibt“, freut sich Jule Gehring. „Ich sehe es sehr positiv, dass wir durch diesen Austausch ein viel besseres Gespür dafür bekommen, was für die Örtlichkeiten in der Praxis funktioniert. Mein Team und ich, wir sind zwar Elmshornerinnen mit Herzblut und haben eine persönliche Meinung, aber es geht darum, den Blick der Menschen einzufangen, die jeden Tag vor Ort sind.“ Rainer Wilke schätzt genau das an seiner Tätigkeit: mit der gesamten Bevölkerung in Kontakt stehen, vom Kindergartenkind mit den Eltern über die Taschenliebhaber oder Reisegepäcksuchenden. „Du kriegst viel mit von den Menschen und bist in keiner Blase unterwegs“, resümiert er. „Wir Einzelhändler können dadurch unseren Horizont permanent erweitern.“
Auch kritische Stimmen der Interessengemeinschaft konnten verdeutlichen, welche Missstände am Bahnhofsgebiet dringlich auszubessern sind, so Jule Gehring weiter. Konkret soll deswegen mehr Außengastronomie, Bars, eine Bühne für Konzerte, kleine Einzelhandelsflächen und mehr begrünte Fläche entstehen. Auch die Bahnhofsarchitektur spiele eine entscheidende Rolle, da beleuchtete, gut einsehbare Bereiche mehr Sicherheit ausstrahlen. „So bilden wir eine eigene Identität für das Bahnhofsquartier“, sagt Jule Gehring. Für eine lebenswerte Innenstadt brauche es auch den Einzelhandel, ist sich Rainer Wilke sicher. „Wir dürfen nicht verschwinden, weil sonst auch die Gastronomie stirbt. Der Mix macht die Innenstadt zur Destination“, sagt er. Auch das Spiel mit den Öffnungszeiten sei ein guter Ansatz, sagt Rainer Wilke. „Wir machen samstags um 9 Uhr auf, weil der Wochenmarkt früh beginnt und wir Kunden anlocken können. Unter der Woche öffnen wir länger, um die Pendler nach dem Feierabend noch bedienen zu können.“
Pendler werden in Zukunft wohl einen weiteren Weg zu Rainer Wilke aufnehmen müssen, wenn sie mit dem Auto kommen, denn der motorisierte Individualverkehr werde nicht mehr priorisiert, so Jule Gehring. Wege zu neuen Plätzen müssten dem Fuß- und Radverkehr und attraktivem ÖPNV gewidmet werden. „Es wird Widerstand geben, aber wir sind fest überzeugt, dass wir nur so die Innenstädte beleben können. Zentren haben neue Funktionen und müssen sich fokussieren auf Aufenthalts- und Verweilqualität.“ Wer trotzdem mit dem Auto nach Elmshorn kommt, soll zukünftig über einen Ring um die Stadt gezielt zu Parkplätzen geleitet werden. Ein Faktor, der für Unmut sorgen kann. Doch Jule Gehring bleibt positiv gestimmt, als Beispiel nennt sie die Umlegung des Buttermarkts. „Es gab einen riesigen Aufschrei, als der Buttermarkt aufgrund von Baumaßnahmen ans Südufer verlegt wurde. Ich bin selbst Marktgängerin mit meiner Familie und habe in den ersten Wochen am Südufer überall gehört, wie schön es dann doch hier ist – die neue Lage, wenn auch nur temporär, wirkte sich positiv aus. Das wünsche ich mir auch für alles, was wir jetzt vorhaben.“
Rainer Wilke wird weiter in Elmshorn aktiv bleiben, so viel steht fest. Sein Lieblingsort in der Stadt? „Der Fußweg Krückau abwärts beginnend auf der Hafennordseite – Elmshorn bietet aber so viel mehr. Und wenn bald das neue Rathaus steht, freue ich mich darauf, in der Innenstadt zu sitzen und zu schauen und zu genießen, wie schön wir es hier haben.“ Jule Gehring stimmt ohne zu zögern zu: „Ob Deich, Krückau oder Liether Moor, ich bin gerne Elmshornerin.“
Autorin: Julia Romanowski