Begrüßungsrede von IHK-Präsident Dr. Marcus Walden

– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Vizekanzler und Bundesminister Dr. Habeck,
sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer,
sehr geehrte Damen und Herren,
Demokratie braucht Dialog – dafür sind wir heute hier. Im Namen der 15 gastgebenden Kammern heiße ich Sie herzlich willkommen zum 23. „Jahresempfang der Wirtschaft“ in der Mainzer Rheingoldhalle. Es ist bundesweit eine Besonderheit, dass es so vielen Organisationen der Wirtschaft, des Handwerks, der Freien Berufe und der Landwirtschaft gelingt, gemeinsam eine solche Großveranstaltung auf die Beine zu stellen. Das verlangt jedes Jahr sehr viel Einsatz von allen Beteiligten – und ebenso die Fähigkeit, im Gespräch zu bleiben, zuzuhören und Kompromisse zu schließen.
Es lohnt sich aber definitiv: Wir haben damit eine Plattform für den Dialog untereinander und mit der Politik geschaffen. Deshalb ist es mir eine große Freude, auch heute wieder so viele Ehrengäste aus der Bundes- und Landespolitik zu begrüßen. Damit angesichts der Gästeliste noch Zeit für den Dialog bleibt, haben wir die namentliche Begrüßung wieder via Media-Wand mitgestaltet. Seien Sie uns alle hier in der Rheingoldhalle herzlich willkommen.
Mainz, ganz Rheinhessen und Rheinland-Pfalz stehen für Gastfreundschaft und Weltoffenheit – das zeichnet unsere Region, unser Bundesland und unsere Wirtschaft aus. Gastfreundschaft und Weltoffenheit – das liegt vielleicht auch daran, dass wir uns hier im größten deutschen Weinanbaugebiet befinden, was die Lebensart dieser Region prägt. Und ich hoffe, auch ein studierter Philosoph wie unser Bundeswirtschaftsminister fühlt sich hier wohl und herzlich willkommen.
Die Hoffnung stützt sich auch auf die Erkenntnis eines berühmten Wissenschaftlers, Louis Pasteur – der einmal gesagt hat: „Es steckt mehr Philosophie in einer Flasche Wein als in allen Büchern dieser Welt.“ Dies auszuprobieren, dafür gibt es nachher noch Gelegenheit bei einem guten Glas Wein. Herr Vizekanzler und Bundesminister Dr. Habeck, herzlich willkommen hier in der schönen Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
unser gesellschaftliches Miteinander ist gerade nicht auf Dialog ausgelegt. Dabei brauchen wir den Dialog dringender denn je. Viele unserer Betriebe wissen nicht, wie es weitergehen soll. Inflation, Energie- und Rohstoffkosten belasten die Bilanzen. Dazu kommen Lieferschwierigkeiten, lähmende Bürokratie und der Arbeitskräftemangel. Vor allem: Es fehlt das Vertrauen, dass Entscheidungen Bestand haben. Weshalb Unternehmen weniger investieren. Darüber müssen wir beim „Jahresempfang der Wirtschaft“ sprechen.
Ich mache den Anfang mit zwei Schlaglichtern auf Themen, die mich als Präsident einer Industrie- und Handelskammer bewegen: 1. die zunehmende Bürokratisierung und 2. das schwindende Vertrauen in unseren Industrie- und Innovationsstandort.
Thema 1: Zunehmende Bürokratisierung
Denn wir können die großen Herausforderungen unserer Zeit nicht lösen, wenn Berichtspflichten das Tagesgeschäft lähmen – oder Unternehmen sich damit beschäftigen müssen, ob ihre Toiletten die vorgeschriebene Mindesttemperatur erreicht haben. Service-Dienstleistung für alle, die jetzt hektisch für ihren Betrieb nachdenken, wieviel Grad das denn sein müssen: mindestens 21 Grad, sagt die Technische Regelung für Arbeitsstätten, die sogenannte ASR 3.5. Und selbst an das Lüften von Toilettenräumen und die Wechselwirkung des Lüftungsvorgangs mit der Raumtemperatur wurde gedacht. Ich zitiere aus der technischen Regelung: „In Toilettenräumen darf die Lufttemperatur durch Lüftungsvorgänge, die durch Benutzer ausgelöst werden, kurzzeitig unterschritten werden“. Ende des Zitats – mehr muss man, glaube ich, nicht dazu sagen.
Obwohl die Bundesregierung bereits vier Bürokratieentlastungsgesetze auf den Weg gebracht hat, kommen immer noch mehr neue Vorschriften hinzu als alte wegfallen. Deshalb brauchen wir dringend einen verbindlichen Praxis-Check für neue Gesetze. Da helfen die Kammern auch gerne mit. Neben Messwerten hilft manchmal aber vielleicht auch einfach gesunder Menschenverstand. Und das Vertrauen, dass verantwortungsbewusste Unternehmerinnen und Unternehmer vieles auch ohne seitenlange Regelungen richtig machen.
Thema 2: Schwindendes Vertrauen in unseren Industrie- und Innovationsstandort
Wir machen mal weiter: Nachdem Sie als Unternehmerin und Unternehmer alle Verordnungen gelesen, verstanden und erfüllt haben, folgen endlose Planungs- und Genehmigungsverfahren. Innovationsgeschwindigkeit sieht anders aus. Dabei brauchen wir ein klares Bekenntnis zu unserem Industrie- und Innovationsstandort – und zu allem, was Innovation schafft. Dazu gehören Investitionen in die Infrastruktur, in Forschung und Entwicklung. Und vor allem auch: eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen.
Stattdessen verdoppeln die Betreiber der Stromübertragungsnetze in Deutschland zum Jahreswechsel die Entgelte. Das schlägt sich bei jedem Einzelnen von uns und für alle Branchen in der Stromrechnung nieder. Für einen industriellen Mittelständler bedeutet das leicht mehrere Hunderttausend Euro. In Rheinland-Pfalz betrifft das allein gut 13.200 Industriebetriebe, die knapp ein Viertel des Bruttosozialproduktes erwirtschaften. Vertrauensbildende Maßnahmen, die wichtig für alle sind, die investieren wollen und sollen, sehen anders aus.
Sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Habeck, die Erwartungen an Sie für das Jahr 2024 sind hoch. Sie haben es mit in der Hand, das Vertrauen der Unternehmen in den Standort Deutschland wieder zu stärken.
Das ist auch für unsere exportstarke Region mit ihren vielen internationalen Unternehmen essenziell – vor allem, wenn wir als forschender Pharmastandort mit unseren beiden weltweit sichtbaren Bs – Biontec und Boehringer – eine Schlüsselrolle spielen wollen. Das Potenzial ist da – das zeigt auch die angekündigte Milliardeninvestition des Pharmakonzerns Eli Lilly in Alzey. Wenn wir es schaffen, weiter mit schnell und flexibel verfügbaren Flächen zu punkten, haben wir ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der Metropolregion.
Das und vieles mehr wollen wir heute Abend hier in Mainz diskutieren. Und deshalb freuen wir uns auf das Gespräch mit Ihnen, liebe Gäste – und ganz besonders mit Ihnen, sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Habeck und sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer.
Das war meine Sichtweise im Ehrenamt als IHK-Präsident und in verantwortlicher Position in der Wirtschaft. Natürlich gibt es dazu andere Perspektiven. Lösungen finden wir nur, wenn wir sie kennen. Gerade jetzt ist es entscheidend, den kritischen Dialog zu suchen – und auch einfach mal zuzuhören. So wie es sich für eines unserer wichtigsten Güter, unsere freiheitliche Demokratie, auch gehört.
Auch das kann man in den heutigen bewegten Zeiten nicht oft genug sagen: Unsere bewährte demokratische Grundordnung ist nicht nur Grundlage für unsere Freiheit und den Frieden, sondern auch für unseren wirtschaftlichen Erfolg. Wir haben die Wahl – auch die, unsere Demokratie zu stärken, indem wir Haltung zeigen und von unserem Wahlrecht Gebrauch machen. Allein in diesem Jahr haben wir dazu zweimal in Rheinland-Pfalz die Gelegenheit.
Ich wünsche uns, dass uns das alles in einem friedlicheren Jahr 2024 auch gelingt. Schön, dass Sie alle da sind und nochmals herzlich willkommen.