Pressemeldung
Wachstum vor der Haustür
Nearshoring gilt angesichts der gegenwärtig unsicheren Weltwirtschaft als sichere Bank. Immer mehr deutsche Unternehmen entscheiden sich aufgrund der Stabilität und positiven wirtschaftlichen Entwicklung für Produktion und Handel mit den Ländern Ost- und Südosteuropas. Was in Polen, Ungarn und auf dem westlichen Balkan derzeit alles möglich ist, darüber diskutierten rund 120 Unternehmerinnen und Unternehmer mit Expertinnen und Experten auf dem Ost-West-Forum BAYERN in der IHK Regensburg für Oberpfalz / Kelheim diesen Dienstag.
„Wir brauchen verlässliche, aber auch neue wirtschaftliche Perspektiven“, sagte IHK-Vizepräsident Christian Volkmer bei seiner Begrüßung. „Die Länder Ost- und Südosteuropas sind vor allem auch mit Blick auf die gelungene EU-Osterweiterung wichtige Partner.“ Es böten sich für ostbayerische Betriebe enorme Chancen für Geschäftsaufbau und Investitionen. Bereits heute entfiele fast ein Fünftel des deutschen Außenhandels auf diese Region. Aus Sicht Volkmers kann da noch mehr gehen. Der Freistaat sieht das genauso und führt etwa mehrere Ausbildungsprojekte, Delegationsreisen und Informationsveranstaltungen in die Region durch, wie Gudrun Weidmann vom Bayerischen Wirtschaftsministerium erläuterte.
IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Helmes betonte mit Blick auf die letzten beiden Jahrzehnte, wie positiv sich die Wirtschaftsbeziehungen ostbayerischer Unternehmen in die Region entwickelt hätten. Eszter Gárgyán, Volkswirtin der UniCredit Bank GmbH legte die ökonomischen Fakten auf den Tisch. Sie rechnet für Polen, Ungarn und den Westbalkan 2025 mit steigender Binnennachfrage, dank privaten Konsums und öffentlicher Investitionen. Die Chancen für die bayerische Wirtschaft stünden folglich weiterhin gut.
Es herrscht „Druck auf dem Kessel“
Ein wirtschaftliches Schlaglicht auf die Region warf aus der Sicht eines in seiner Branche global führenden ostbayerischen Mittelständlers Dr. Nicolas Maier-Scheubeck, Sprecher der Geschäftsführung der Maschinenfabrik Reinhausen GmbH (MR). Das in der Energietechnik tätige Unternehmen wächst mit der weltweiten Energiewende. Bis 2050 steige im Vergleich zu 2010 der globale Strombedarf um 80 Prozent, besagt eine Prognose der Internationalen Energieagentur. Die Welt stelle sich um von fossilen Energieträgern auf zumeist grüne elektrische Energie. „Bei den Energienetzen herrscht folglich Druck auf dem Kessel“, so Maier-Scheubeck, dessen Unternehmen essenzielle Komponenten für die Regelungstechnik herstellt.
Ost- und Südosteuropa bietet für die MR vor allem Absatzmärkte, in die sie aus Deutschland exportiert. „Unsere Kunden dort sind zumeist Hersteller von Transformatoren. Sie wachsen durch die Energiewende, und wir mit ihnen.“ Maier-Scheubeck schätzt an der Region eine „Ur-Kompetenz“ in der Energietechnik. Er meint damit das historisch gewachsene Know-how, das auch heute noch viele kompetente Ingenieure etwa in Slowenien hervorbringt. Die Transformatorenhersteller in diesen Ländern seien Innovationstreiber und deshalb für MR besonders interessante Partner. Als Vorteil bezeichnet er, dass die Länder dank der EU-Osterweiterung Teil der europäischen Verteiltechnik sind, MR-Produkte dort also dieselbe Konfiguration aufweisen können, wie hierzulande.
Region mit Planungssicherheit
In einer Diskussionsrunde betonte IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Helmes mit Experten und Unternehmern die Frage nach der langfristigen Zuverlässigkeit der Fokusländer für Ostbayerns Wirtschaft. Länderpanels und weitere Vorträge beleuchteten die Zielmärkte. Bei einem Netzwerkabend mit Bayerns Wirtschaftsstaatssekretär Tobias Gotthard wurden grenzüberschreitende Kontakte geknüpft.
Wunder an der Weichsel
Als fünftgrößter Handelspartner Deutschlands weist Polen ein enormes Potenzial auf. Der östliche Nachbar hat massiv aufgeholt und zählt nun zu den sechs wichtigsten Volkswirtschaften Europas. Im Länderpanel mit mehreren vor Ort tätigen Unternehmen beleuchtete Dr. Lars Gutheil, geschäftsführender Vorstand der Auslandshandelskammer (AHK) Polen in Warschau, die Marktchancen.
„Die Dynamik ist spürbar“, so Gutheil angesichts des massiven Infrastrukturausbaus in Verkehr und Energieversorgung, im öffentlichen Sektor und insbesondere in der Verteidigung. Deutsche Industrieunternehmen kommen heute nicht mehr aufgrund von Kostenvorteilen in das Land, sondern etwa wegen staatlichen Anreizen in strukturschwächeren Regionen oder des wachsenden Konsumhungers im Land. Beeindruckt zeigten sich die dort tätigen deutschen Investoren von den qualifizierten Fachkräften und der Vielzahl an Akademikern, etwa bei IT-Spezialisten. Nur seien die immer mehr umkämpft.
Chancen nicht nur an der Donau
Mit einem guten Investitionsklima vor allem für den produzierenden Sektor setzt Ungarn Anreize sowohl für einheimische als auch für ausländische Unternehmen, wie Barbara Zollmann, geschäftsführender Vorstand der AHK Ungarn in Budapest, beim Landerpanel zu berichten wusste.
Ungarn legt Wert auf ein balanciertes Wachstum im Land und stärkt die Regionen im Westen und Süden, indem es dort künftig ausländische Investitionen präferiert fördert. Blaupause hierfür liefert der Osten des Landes um die Stadt Debrecen, der sich in wenigen Jahren mit deutschen und asiatischen Großinvestitionen zu einem herausragenden E-Mobilitätsstandort in Europa entwickelt hat. Ungarn punktet mit sehr gut ausgebildeten Menschen, aber es wird auch hier der Fachkräftemangel zunehmend spürbar. Dennoch – die Chancen seien noch immer mannigfaltig, die Digitalisierung des Landes beeindruckend und, so Zollmann: „Ungarn kann mehr als Automobilindustrie.“ Hervorzuheben sei die Offenheit der Hochschulen zur Zusammenarbeit mit Unternehmen bei Forschung und Entwicklung und die zunehmende Wertschöpfungstiefe im Land.
Westbalkan zwischen Warten und Durchstarten
Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien sind die Länder des Westbalkans, eine Wirtschaftsregion die sich seit der Corona-Krise als Beschaffungsmarkt und Investitionsstandort profiliert. Dr. Jürgen Helmes diskutierte mit dem Westbalkan-Experten Martin Gaber sowie dem Generalkonsul der Republik Kosovo in München Afrim Nura zum Abschluss des Ost-West-Forums die Perspektive für Unternehmen dort, sowie die der EU-Integration. „Allein angesichts der Angleichung von Zertifizierungen und Standards begrüßt Bayerns Wirtschaft die EU-Erweiterung in diese Länder“, so Helmes.
Generalkonsul Nura warb für die Möglichkeiten, welches Kosovo für unternehmerische Investitionen bietet. 60 Prozent der Bevölkerung seien unter 30 Jahren, die jungen Menschen gut ausgebildet und sein Land Richtung Europa gewandt. Kulturelle Brücke bildeten die vielen Kosovaren, welche in Deutschland unternehmerische Existenzen aufgebaut hätten und dieses Know-how nun in das Land zurückbringen.
Experte Gaber sieht auf dem Westbalkan den hohen Bildungsstandard und für deutsche Investoren die weit verbreitete Sprachkompetenz für Deutsch als Vorteile. Die Länder des ehemaligen Jugoslawiens weisen dabei eine industrielle Tradition auf, an die nahtlos angeknüpft werden könne. Noch seien auch die geringeren Lohn- und Energiekosten ein Faktor. Nicht zuletzt betont er die geografische Nähe und die gute logistische Anbindung. „Der Westbalkan bietet Märkte vor der Haustüre“, so Gaber.
Teilnehmer und Referenten des Ost-West-Forums (v. r.): IHK-Vizepräsident Christian Volkmer, Generalkonsul der Republik Kosovo Afrim Nura, von der AHK Polen Dr. Lars Gutheil, von der AHK Ungarn Barbara Zollmann, IHK-Hauptgeschäftsführer Dr. Jürgen Helmes, IHK-Leiterin International Dominique Mommers sowie die Attachés für Außenwirtschaft des Ungarischen Generalkonsulats in München Dr. Gergely Janzsó und Gergely Juhász.
© Isabell Gartig
(25.09.2024)