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Automotive im Wandel
In der Automobilindustrie und bei deren Zulieferern sind in der Oberpfalz und im Landkreis Kelheim mehr als 28.000 Menschen beschäftigt. Durch das Zusammenspiel der Trends Alternative Antriebe, Autonomes Fahren, Künstliche Intelligenz und neue Mobilitätsangebote hat in der Branche bereits vor Beginn der Corona-Pandemie ein Strukturwandel eingesetzt. Wie schlagen sich die heimischen Autohersteller und -zulieferer dabei?
Krise, welche Krise? Bei BMW ist – zumindest in Regensburg – keine Krise zu spüren: Klar, die wirtschaftliche Situation an den Weltmärkten sei derzeit angespannt, sagt Saskia Graser, Leiterin der Kommunikationsabteilung im Werk Regensburg und Wackersdorf. „Die Volumensituation im BMW Group Werk Regensburg ist derzeit stabil und wir werden dieses Jahr voraussichtlich über 300.000 Fahrzeuge produzieren“, sagt sie. Im Werk Regensburg wurde das ganze Jahr über im Dreischichtbetrieb durchproduziert. BMW plant eine Erweiterung des Karosseriebaus in Neutraubling. „Damit können wir unsere Fertigungskapazität am Standort Regensburg schnell weiter erhöhen“, betont Graser. Bis Ende des Jahres wird BMW rund 200 Millionen Euro in die Standorte Regensburg und Wackersdorf investieren.
Flexibilität entscheidend
Wie kann es sein, dass es BMW in Regensburg so gut geht, während andere Autobauer in Deutschland im Moment massive Probleme haben? „Wir haben uns nie auf eine Antriebsart festgelegt, sondern produzieren hier im Werk Regensburg die vollelektrische und die Benziner-Variante des X1 und den X2 auf einer Produktionslinie. So sind wir flexibel und können auf Veränderungen in der Kundennachfrage schnell reagieren“, so Graser. Zudem seien die Modelle X1 und X2, die in Regensburg produziert werden, derzeit weltweit als Einsteigermodelle sehr gefragt, auch weil sie erst vor kurzem neu auf den Markt kamen. „Für 2024 rechnen wir damit, dass bereits jedes dritte Auto aus unseren bayerischen BMW Group Werken ein Elektroauto sein wird – das gilt auch für Regensburg“, sagt sie.
„Schon heute ist bei uns virtuell erlebbar, wie die Fabrik in einigen Jahren aussehen wird.“Saskia Graser, BMW Group Werk Regensburg
Dass es BMW in Regensburg gerade sehr gut geht, zeigt sich nicht nur am Ausbau der Produktionskapazitäten und am Investitionsvolumen. Auch im Personalbereich wächst BMW in der Oberpfalz massiv. Graser berichtet, dass BMW im vergangenen Jahr 500 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingestellt hat und dieses Jahr 600 neue Mitarbeiter dazukommen. Bei den rund 9.250 Beschäftigten insgesamt in Regensburg und Wackersdorf ist das ein Zuwachs von mehr als zehn Prozent in zwei Jahren. Die neuen Mitarbeiter arbeiten hauptsächlich in der Montage der Fahrzeuge. Aber auch Elektriker und Elektroniker sowie Fachleute für Instandhaltung werden eingestellt. Findet BMW noch die Leute, die es braucht – Stichwort Fachkräftemangel? „Ja, wir haben genug Bewerbungen für unsere offenen Stellen“, sagt Glaser. „Da spielt sicherlich auch unser guter Ruf als Arbeitgeber, bei dem die Arbeitskonditionen stimmen, eine Rolle.“ Nur bei Mangelqualifikationen könne es auch einmal etwas länger dauern, bis die passende Bewerberin oder der passende Bewerber gefunden sei, so Graser. BMW bildet natürlich auch selbst aus. Im Sommer haben 120 Auszubildende im Werk angefangen, berichtet Graser.
Vernetzte Fabrik
Auch im Bereich der Digitalisierung tut sich einiges bei BMW: Als Beispiel nennt Graser die sogenannte iFACTORY. In dieser digitalen und voll vernetzten Fabrik soll am Ende des Jahrzehnts die neue Modellgeneration von BMW vom Band rollen. „Schon heute ist bei uns virtuell erlebbar, wie die Fabrik in einigen Jahren aussehen wird – dann nämlich, wenn in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts bei uns in Regensburg die Produktion von Modellen der ‚Neuen Klasse‘ starten wird, der nächsten Modellgeneration von BMW“, sagt Graser. Beim Pilotprojekt „3D Mensch-Simulation“ kann BMW mithilfe eines digitalen Zwillings die Fertigungsprozesse der Zukunft bereits jetzt virtuell simulieren. Alle Arbeitsabläufe und Arbeitsschritte am Montageband können abgebildet und dabei schon im Vorhinein unangenehme Arbeitsschritte für die Mitarbeiter – wie etwa tiefes Bücken oder schweres Heben – erkannt und Verbesserungen an der Modellierung vorgenommen werden.
Ein weiterer Trend der Zeit, der auch vor der Automobilindustrie nicht Halt macht, ist Künstliche Intelligenz (KI). BMW nutze KI schon auf vielfältige Weise, sagt Graser und nennt als ein Beispiel den Einsatz von KI in der Lackiererei. KI-gesteuerte Roboter sorgen dafür, dass auch kleinste, für das menschliche Auge nicht sichtbare Unebenheiten im Lack der Autos erkannt und beseitigt werden.
Schnelle Prototyp-Entwicklung
Ein weiterer Trend in der Automobilindustrie heute ist die Schnelligkeit, mit der Entwicklungen vorwärtsgehen, etwa bei der Entwicklung von Software oder KI. Da heißt es mithalten zu können, um nicht von Konkurrenten aus China oder den USA überholt zu werden. „Es kommt in der heutigen Automobilindustrie noch mehr als früher darauf an, schnell einen funktionsfähigen Prototyp zu entwickeln“, so Günther Riedl, Geschäftsführer bei der Roding Mobility GmbH. Riedl und sein Team von 80 Mitarbeitern entwickeln und produzieren für Auftraggeber aus der Automobilindustrie Batterien und Leichtbauteile aus Carbon. Gegründet haben Riedl, Stefan Kulzer und Ferdinand Heindlmeier das Unternehmen im Jahr 2008, „um den exklusiven Carbon-Leichtbau-Sportwagen Roding Roadster zu entwickeln und in Kleinserie zu bauen“. Mittlerweile ist der Roding Roadster Geschichte – und Riedl und sein Team arbeiten als Engineering- Dienstleister für verschiedene Auftraggeber. Darunter sind beispielsweise Postdienstleister, die ein leichtes E-Fahrzeug brauchen, um in engen Altstadtgassen Pakete auszuliefern.
Das Chassis eines Elektro-Sportwagens, den die Roding Mobility GmbH entwickelt und produziert hat.
© Firmenfoto
Die Roding Mobility GmbH hat aber auch Kunden im Bereich Schiffbau. Teile für Drohnen hat Riedl und sein Team auch schon entwickelt und produziert. Breit aufgestellt zu sein und damit nicht zu abhängig von den Auftraggebern aus der Automobilindustrie, das ist ihm wichtig. Aber klar, das Gros der Auftraggeber kommt aus der Automotive-Branche: Deshalb spüren es Riedl und seine Mitarbeiter schon, wenn sich die Autohersteller und -zulieferer mit Aufträgen zurückhalten.
Schlanke Prozesse
Wie merkt er den Wandel in der Automobilindustrie sonst noch? „Kunden wollen früh einen Prototyp sehen und damit testen können, ob die gewünschten Funktionen, zum Beispiel der entwickelte Antrieb, tatsächlich wie gewünscht funktionieren“, sagt Riedl. Langwierige Prozesse würden aufgebrochen und durch schlankere ersetzt. Mit der Agilität eines kleineren Unternehmens sei das oftmals leichter umzusetzen als für die „Großen“ der Branche. Von der Idee auf dem Papier bis zum zulassungsfähigen Prototyp dauere es in seiner Firma nur etwa ein Jahr – ein in der Branche sehr kurzer Zeitraum.
Eines der aktuellen Projekte ist der Bau einer fahrbaren Plattform für Elektro-Sportwagen, die zum Beispiel bei der Firma Elegend aus Beilngries zum Einsatz kommt. Das Unternehmen produziert einen gleichnamigen Elektro-Sportwagen in Retro- Optik. „Wir haben eine modulare Plattform entwickelt, die wir in viele verschiedene Elektrofahrzeuge einarbeiten können. Deshalb sind wir in der Lage, schnell und passgenau auf Kundenwünsche zu reagieren“, sagt Riedl. Für den Elegend haben Riedl und sein Team zudem eine eigene Batterie entwickelt und produziert. In wenigen Sekunden beschleunigt diese auf 100 km/h. Auch die Software der Batterie hat Roding Mobility programmiert und die Fahrgastzelle aus Carbon erstellt.
„Es kommt in der heutigen Automobilindustrie darauf an, schnell einen funktionsfähigen Prototyp zu entwickeln.“Günther Riedl, Roding Mobility GmbH
Verbrennungsmotor weiter gefragt
Der Wandel in der Automobilbranche zeigt sich auch in den Autohäusern. Dort gibt es immer mehr verschiedene Angebote und Möglichkeiten, etwa bei den Antrieben. „Wir setzen bei unserer Produktpalette auf verschiedene Antriebsarten, weil das die Kunden auch so nachfragen“, sagt Kristin Baumer, Leiterin des Autohauses Baumer in Kelheim, das neben dem Verkauf von Fahrzeugen der Marken Cupra, Seat, Skoda und VW auch Serviceund Reparaturmöglichkeiten anbietet. Autos mit Verbrennungsmotoren, Hybrid-Autos, vollelektrische Autos – die Palette an Möglichkeiten sei heute größer als früher, so Baumer. Und doch: Die meisten Kunden wollen noch immer ein Auto mit Verbrennungsmotor kaufen – zumindest als „Hauptwagen“ für alle täglichen Alltagsfahrten. Als Zweitwagen können sich viele schon ein vollelektrisches oder Hybridfahrzeug vorstellen. Allzulange binden wollen sich die meisten E-Auto-Interessierten dabei aber nicht: Diese Kunden kaufen meist keine neuen E-Autos, sondern leasen ein Fahrzeug oder kaufen einen Jahreswagen. „Generell ist die Nachfrage nach Elektroautos nach dem Auslaufen der staatlichen Förderung vor zwei Jahren massiv zurückgegangen“, weiß Kristin Baumer. Ein Grund für die stagnierende Nachfrage nach vollelektrischen Autos: Ein erschwingliches Elektroauto für circa 20.000 Euro fehlt noch in der Produktpalette der Autohersteller, die sie in Abensberg anbietet. „Der E-Up von VW lag in dieser Preisklasse und lief bei uns sehr gut“, erzählt Baumer. Doch VW habe die Produktion des E-Ups eingestellt. Ein neues Modell in dieser Preisklasse sei zwar in Planung, werde vermutlich aber erst in ein paar Jahren auf den Markt kommen.
Bedarf an guter Beratung
Doch die stagnierende Nachfrage nach E-Modellen oder Hybridautos heiße nicht, dass sich die Kunden nicht für die Umwelt oder das Klima interessieren würden. Viele fragten sehr genau nach, wieviel Sprit die angebotenen Autos verbrauchen. Auch für die Kosten für Steuer und Versicherung interessierten sich die Kunden – der Bedarf an guter Beratung sei hoch, betont Baumer. Sich beim großen Angebot und den verschiedenen Möglichkeiten zurecht zu finden, ist nicht einfach. Auch bei der Ausstattung der Autos ist heute viel mehr möglich als früher: Einparkhilfe oder automatischer Fernlichtassistent sind heute schon fast selbstverständlich. Manche Kunden wollen aber auch Systeme im Auto, die Verkehrsschilder automatisch erkennen und selbst darauf reagieren können. Oder spezielle Connect- Verträge, mit denen man per Handy immer mit dem Auto verbunden ist. So sagt einem die App zum Beispiel, wann die nächste Inspektion fällig ist oder wo es in der Nähe einen Stau gibt. Diese Handy-App meldet sich auch selbstständig bei Baumer im Autohaus, wenn eine Warnleuchte im Auto aufleuchtet oder ein Service fällig ist.
Softwaredefiniertes Fahrzeug
Selbstständiges Einparken, erkennen von Straßenschildern, autonomes Fahren des Autos – damit all diese neuen Funktionen rundlaufen, braucht es verschiedene Sensoren wie Kameras, die die Umgebung scannen. Und viel Software, die diese Funktionen steuert. Beides stellt Continental her. Doch dies ist nur ein kleiner Ausschnitt der großen Produktpalette des Continental-Unternehmensbereichs Automotive. Am Standort Regensburg arbeiten rund 4.200 Mitarbeitende, weltweit sind es rund 200.000. Die meisten Continental-Beschäftigten in Regensburg entwickeln und produzieren Elektronik für viele verschiedenen Funktionen im Auto. „Wir sind auf dem Weg zum softwaredefinierten Fahrzeug“, sagt Michael Staab, Personalleiter und Mitglied der Betriebsleitung bei Continental am Standort Regensburg.
Bei Continental in Regensburg werden u.a. Software und Elektronik für Funktionen im Auto entwickelt und produziert.
© Hans & Jung GbR
Das softwaredefinierte Fahrzeug hat mehrere Vorteile: Wenn Software die Hauptrolle im Auto spielt, brauchen oft keine Bauteile ausgetauscht werden, wenn etwas veraltet ist. Es wird lediglich neue Software ins Auto gespielt, die neue Funktionen und Verbesserungen enthält. Damit die vielen Funktionen und die dazugehörige Software reibungslos funktionieren, sind Hochleistungsrechner nötig, die in die Autos verbaut werden. Staab nennt die High Performance Computer auch die „Superhirne“ der heutigen Autos. Diese entwickelt und produziert Continental, aber auch elektrische Lenkhilfen, Bordnetzsteuergeräte, Beschleunigungs- und Drucksensoren. Und das sogenannte Smart Device Based Access System CoSmA, ein schlüsselloser Zugang zum Fahrzeug per Smartphone über Ultra-Breitband-Funktechnologie.
Autonom fahrende Lkws
Ein wichtiges Projekt, bei dem Continental viele seiner Entwicklungen und Produkte zusammenführt, ist das mit der US-Firma Aurora Innovation in Entwicklung befindliche, weltweit erste skalierbare autonome Lkw-System, der sogenannte „Aurora Driver“. Damit können erstmals große Lastwagen autonom im Fernverkehr auf US-amerikanischen Highways fahren – ganz ohne Fahrerin oder Fahrer. Im Jahr 2027 ist der Start der Produktion geplant. „Continental stellt nicht nur das gesamte Hardwaresystem, sondern auch ein neues Rückfallsystem zur Verfügung. Zudem wird Continental den gesamten Lebenszyklus der zugelieferten autonomen Hardwarelösungen für den Aurora Driver betreuen, angefangen von der Produktionslinie bis hin zur Außerbetriebnahme“, sagt Staab.
Das Thema Künstliche Intelligenz spielt bei Continental ebenfalls eine große Rolle – sowohl bei den Produkten selbst als auch bei deren Produktion und Entwicklung. Etwa 1.200 KI-Expertinnen und Experten arbeiten bei Continental. So nutzt das Unternehmen beispielsweise die KI-Sprachverarbeitungsmethode „Natural Language Programming“ (NLP) für die Spracherkennung im Auto. Aber auch zum Testen von Fahrassistenzsystemen oder um ihr Lieferkettenmanagement zu optimieren, verwendet Continental künstliche Intelligenz. Nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind schon KI- oder Softwareexpertinnen und -experten. In der Continental-Software-Akademie, die das Unternehmen 2018 weltweit ausgerollt hat, bilden sich aktuell mehr als 35.000 Beschäftigte weiter – davon rund 4.500 in knapp 100 Kursen im Bereich KI.
Mitarbeiter qualifizieren
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz bilden ebenso am Schaeffler Standort Regensburg – ehemals ein Standort der Vitesco Technologies AG – einen entscheidenden Eckpfeiler in der Unternehmensstrategie. Seit 2019 wurden in Regensburg bereits mehrere hundert Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus klassischen Antriebsbereichen für den EMobilitäts- Bereich weiter qualifiziert. „Vorhandene Kompetenzen werden abgeglichen mit den erforderlichen einer anderen Disziplin. Wenn diese zu rund 80 Prozent übereinstimmen, können die Kolleginnen und Kollegen in der Regel direkt an E-Mobilitäts- Projekten mitarbeiten. Zusätzliches Wissen wird im Arbeitsalltag erworben“, betont Standortleiter André Kühnle. Zum ersten Oktober 2024 ging die Vitesco Technologies AG auf die Schaeffler AG über und agiert seitdem unter deren Marke. Im globalen Schaeffler-Netzwerk bleibt Regensburg ein wichtiger Standort, der als weltweites Kompetenzzentrum für die Forschung und Entwicklung vor allem in den Bereichen E-Mobilität und CO²-effiziente Antriebe fungiert. Das Produktportfolio umfasst Antriebe für Elektro- und Hybridfahrzeuge, elektronische Steuerungen, Sensoren und Aktuatoren sowie Lösungen zur Abgasnachbehandlung. Darüber hinaus werden bei Schaeffler innovative Technologien, Produkte und Services in den Bereichen Fahrwerkslösungen, Industrie 4.0 oder Erneuerbare Energien entwickelt.
„Wir sind überzeugt, dass sich die E-Mobilität mittel- bis langfristig als dominante Antriebsstrangtechnologie durchsetzen wird.“André Kühnle, Schaeffler | Standort Regensburg
Digitalisierung und KI sind dabei entscheidende Stellschrauben, um die Herausforderungen der Elektromobilität zu meistern. Im Produktentwicklungsprozess bietet der Einsatz von KI zahlreiche Vorteile, beispielsweise um Lade- und Entladezyklen bei Batteriemanagementsystemen zu optimieren. „Wir sind überzeugt, dass sich die E-Mobilität mittel- bis langfristig als dominante Antriebsstrangtechnologie durchsetzen wird. Nur so lassen sich die CO²-Reduktionsziele erreichen“, sagt Kühnle mit Blick auf das hohe Wachstumspotenzial der Sparte. Für die Transformation hin zur Elektromobilität sei man sehr gut aufgestellt.
Innovationstreiber Automobilbranche
Die Automobilindustrie ist ein gewichtiges Standbein für die Wirtschaft in Ostbayern. „Im Fahrzeugbau und bei den Herstellern von Kfz- Teilen sind in der Oberpfalz und im Landkreis Kelheim in 33 Betrieben mehr als 28.000 Personen beschäftigt. Im letzten Jahr wurden von der Branche mehr als elf Milliarden Euro Umsatz in unserer Region erwirtschaftet, davon über sieben Milliarden Euro im Auslandsgeschäft“, sagt Thomas Genosko, Abteilungsleiter Standortpolitik, Innovation und Umwelt bei der IHK in Regensburg. Dabei bildeten die Daten aus der amtlichen Statistik noch gar nicht die ganze Bedeutung dieses Wirtschaftszweigs ab, gibt Genosko zu bedenken. Denn auch viele Unternehmen außerhalb des klassischen Automotive- Bereichs profitierten von Aufträgen aus der Branche. Zudem sei die Automobilbranche ein starker Innovationstreiber und stelle viele Ausbildungsplätze, so Genosko.
Der durch Trends wie Autonomes Fahren, Digitalisierung und das Ziel der Dekarbonisierung ausgelöste Strukturwandel sei auch in unserer Region zu spüren. „Im Wirtschaftsraum Oberpfalz-Kelheim haben wir viele Unternehmen – auch außerhalb des klassischen Automotive- Bereichs – die dabei sind, Chancen zu nutzen, die sich daraus ergeben“, sagt er. Und das, obwohl die weltwirtschaftliche Situation derzeit schwierig sei und sich der Wettbewerb verschärfe. Genosko fordert bessere wirtschaftliche Rahmenbedingungen, damit sich die Betriebe auch in Zukunft entfalten können. „Die Politik muss den Fokus klar auf mehr Wettbewerbsfähigkeit, Innovationskraft und die Verbesserung der Standortfaktoren hierzulande setzen – zum Beispiel bei Bürokratieabbau, Energiekosten, Steuern, Technologieoffenheit, Bildung und Infrastruktur. Dann wird auch wieder mehr investiert und konsumiert werden und die Wirtschaft kommt wieder auf Wachstumskurs“, ist sich Genosko sicher.
Technik für die E-Mobilität
Vom Trend Elektromobilität, der in anderen Weltteilen noch stärker wächst als in Deutschland, profitiert auch die Zollner Elektronik AG in Zandt. Der Automobil-Zweig von Zollner fertigt und entwickelt elektronische Komponenten im Auftrag von Kunden im Automotive-Bereich – etwa Technik zum Laden von Elektrofahrzeugen, Leistungselektronik für E-Autos oder Batteriemanagementsysteme. Doch E-Mobilität beinhaltet heute nicht nur Autos. „Wir unterstützen bei der Entwicklung und produzieren mittlerweile auch Technik für E-Motorräder, E-Pistenbullys oder elektrisch betriebene Lastkraftwagen“, sagt Roland Heigl, Senior Vice President Business Division Automotive. Und für die E-Mobilität werden Ladesysteme benötigt, die immer schneller laden können. Ob manuell, induktiv oder per Roboterarm: „Auch hier hat Zollner in den zurückliegenden Jahren sehr viel Erfahrung und Know-how in Forschungsprojekten gesammelt und aufgebaut, die wir in Kundenprojekten einbringen können und dürfen.“
„Ein weiteres zukunftsfähiges Betätigungsfeld wird das Autonome Fahren sein, um den Fahrzeuglenker zukünftig noch besser unterstützen zu können“, meint Heigl. Hier werden Module von Zollner industrialisiert, die nicht nur Hindernisse, sondern auch deren Bewegungsrichtung erkennen können. Heigl blickt optimistisch in die Zukunft: Die motivierten Mitarbeitenden, das duale Ausbildungssystem, das langjährige Know-how im Bereich Elektronik und die globale Präsenz von Zollner – er sieht das Unternehmen gut für die Zukunft aufgestellt. Auch weil die Elektromobilität weltweit gesehen weiterwachsen werde, hier ist sich Roland Heigl sicher.
Investitionszurückhaltung spürbar
Können die Firmen in Ostbayern mit denjenigen in den USA oder China mithalten? Karl Ebnet, Geschäftsführer der Baumann GmbH in Amberg, sagt mit Blick auf seine Firma: „Ja! Wir haben motivierte Mitarbeiter, die flexibel immer wieder Neues lernen wollen. Wir arbeiten ganz nah am Kunden und kennen so deren Bedürfnisse – und wir haben viel Know-how im Bereich Maschinenbau.“ Sein Unternehmen produziert Automationssysteme unter anderem für die Automobilindustrie. Das sind Maschinen, die verschiedene Komponenten im Auto herstellen und testen können. 70 bis 80 Prozent der Aufträge kommen aus dem Automobilbereich. Die Kunden bestellen zum Beispiel Maschinen bei der Baumann GmbH, die Batterien herstellen können, oder Maschinen, die Batterien testen können. Das Unternehmen beschäftigt am Hauptsitz in Amberg 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, weltweit sind es 1.000 Beschäftigte.
Die Baumann GmbH produziert Automationssysteme unter anderem für die Automobilindustrie.
© Marcus Rebmann
In den letzten Jahren ging es wegen der verstärkten Nachfrage nach Elektromobilität auch bei der Baumann GmbH immer bergauf, doch jetzt kommt die Unsicherheit in der Branche auch beim Unternehmen an: „Wir merken die Investitionszurückhaltung vieler Autohersteller und -zulieferer. Da herrscht eine Unsicherheit, in welche Richtung sich die Branche wandeln wird“, sagt Ebnet. Deshalb stellt sich sein Unternehmen auch breiter auf. Batterien für Flugtaxis oder Energiespeichersysteme für Kommunen – das sind zwei der neuen Felder, auf denen die Baumann GmbH aktiv wird. Doch Ebnet ist sich sicher, dass sich die Elektromobilität langfristig durchsetzen oder zumindest eine große Rolle in der weltweiten Mobilität spielen wird – selbst wenn Autos mit Verbrennungsmotoren auch in Zukunft auf den Straßen fahren werden, neben E-Fuel-Fahrzeugen und Hybridmodellen. „Autos mit Elektroantrieb werden immer wettbewerbsfähig sein. Sie sind günstiger in der Produktion und im Betrieb als Verbrenner und werden sich auch deshalb in Zukunft immer weiter durchsetzen“, sagt er.
Auch bei der Baumann GmbH hat die Digitalisierung vieles verändert: Virtuelle Inbetriebnahmen oder Wartung der Maschinen aus der Ferne – heutzutage ist das gang und gäbe bei der Baumann GmbH. Auch Künstliche Intelligenz nutzen sie in Amberg, etwa zur vorbeugenden Wartung. Schon bevor eine Maschine wegen Problemen stillsteht, warnt die KI vor Komplikationen. Auch praktisch: Mitarbeiter können bei der Baumann GmbH mithilfe des firmeneigenen KI-Chatbots „Brainbox“ herausfinden, wie man einen Urlaubsantrag stellt oder wie ein Fehler an einer Maschine zu beheben ist. Das Wissen von „Brainbox“ speist sich aus tausenden Dokumenten und Daten des Unternehmens.
„Wir müssen aufpassen, dass wir bei wichtigen Entwicklungen wie dem Autonomen Fahren nicht von anderen abgehängt werden.“Dr. Georg Schwab, AVL Software and Functions GmbH
Zukunft Autonomes Fahren
Wie weit ist die heimische Automobilindustrie bereits im Bereich des autonomen Fahrens? Ziemlich weit. Das zeigt der „AutBus“, ein selbstfahrender Bus, den die AVL Software and Functions GmbH entwickelt hat. Im Sommer fuhr der „AutBus“ jeden Tag neunmal die eineinhalb Kilometer lange Strecke zwischen der Seepromenade in Neubäu am See im Landkreis Cham bis zum Bahnhof in Neubäu. Der Bus war mit 60 km/h unterwegs und Gäste konnten kostenlos mitfahren. Der „AutBus“ fuhr dabei autonom – ohne Fahrer. Zur Sicherheit war aber ein Operator an Bord, der im Notfall in das Fahrgeschehen eingreifen konnte. „Das Pilotprojekt hat sehr gut funktioniert“, sagt Dr. Georg Schwab, Managing Director bei AVL. Seit 2022 betreibt AVL auch eine 1.600 Quadratmeter große Testhalle in Roding, in der das Unternehmen das Verhalten von autonomen Fahrzeugen bei verschiedenen Wetterlagen testet.
AVL hat weltweit 90 Standorte, dort arbeiten 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Hauptsitz des Engineering-Dienstleisters befindet sich im österreichischen Graz. Die Regensburger Tochtergesellschaft entwickelt und produziert im Auftrag von Kunden aus der Automobilbranche Software und Elektronik. Viele innovative Themen werden aus eigenen Mitteln finanziert, etwa Batterien mit speziellen Leistungsanforderungen. Oder das E-Fahrzeug „Coup-e 800“, das mit einer Hochvoltbatterie mit 800 Volt vor einigen Jahren ein Vorreiter war. Damals statteten die meisten Hersteller ihre Fahrzeuge noch mit 400-Volt-Batterien aus. Heute werden immer mehr 800-Volt-Batterien eingebaut. Auch eine neue Technik, die AVL gemeinsam mit MAN Truck & Bus entwickelt hat: ein Megawatt-Ladesystem für Lastwagen. Ein solches wurde im August erstmals am Technologie Campus in Plattling vorgestellt. Mit dem Ladesystem kann ein E-Lastwagen in 45 Minuten Strom für 400 Kilometer laden – und ist so in kurzer Zeit vollgeladen für die Fernstrecke.
Mehr Pilotprojekte
Die USA seien beim Testen und beim Betrieb von autonomen Taxis und Bussen schon viel weiter, sagt Schwab. In San Francisco zum Beispiel dürfen autonome Taxis bereits ohne Fahrer und Operateur im normalen Straßenverkehr fahren. So weit ist man in Deutschland noch nicht – auch aus rechtlichen Gründen. Dass in den USA in Sachen autonomes Fahren viel mehr möglich ist als in Deutschland, kritisiert Schwab. „Wir müssen aufpassen, dass wir bei wichtigen Entwicklungen wie dem Autonomen Fahren nicht von anderen abgehängt werden“, sagt er. Auch würde er sich mehr finanzielle Unterstützung der Bundesregierung für Schlüsselindustrien und innovative Unternehmen wünschen. „Die US-Amerikaner unterstützen ihre Wirtschaft zum Beispiel mit dem IRA-Act. Man sollte gezielt Innovationsprojekte und mehr Pilotprojekte mit autonomen Fahrzeugen fördern“, sagt Schwab.
Autorinnen: Dr. Julia Egleder und Ramona Bayreuther