Titel - Ausgabe Juli 2024

„Die Verfahren werden noch komplexer.“

Michael Schiller blickt zwiegespalten auf das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG). Die neuen Regelungen halten einige Vorteile für die Unternehmen bereit. Doch die Vielfalt der Vorschriften stellt Arbeitgeber, ausländische Fachkräfte und Behörden vor neue Herausforderungen.
Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz 2.0 bringt einige Veränderungen für Fachkräfte aus dem Ausland und Unternehmen. Ist das ein Grund zum Aufatmen?
Michael Schiller: Für manche Branchen bieten die Anpassungen neue Chancen – zum Beispiel für die Alten- und Pflegebranche. Arbeitgeber konnten oftmals nur auf die Westbalkanregelung setzen, um Pflegehilfskräfte nach Deutschland zu holen. Hier wurde das jährliche Kontingent von 25.000 auf 50.000 erhöht. Damit steigen die Chancen schon einmal. Zusätzlich können Pflegehilfskräfte seit März 2023 auch unabhängig von der Staatsangehörigkeit in Deutschland arbeiten. Damit können Arbeitgeber ihre Personalsuche nun auch auf Regionen wie Südamerika ausdehnen.

Weitere Vorteile bietet die Regelung der kurzzeitig kontingentierten Beschäftigung: Unternehmen können für wenige Monate Personen in Deutschland beschäftigen, ganz gleich, welche Tätigkeiten diese ausüben. Eine Ausnahme sind die Saisonarbeitskräfte in der Landwirtschaft. Die Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist. Die Bundesagentur für Arbeit setzt dafür ein Kontingent fest. Dieses liegt für 2024 bei 25.000 Zustimmungen beziehungsweise Arbeitserlaubnisse. Das könnte zum Beispiel auf dem Bau, für Zustelldienste oder Flughafenbetreiber interessant sein, die schnell für eine bestimmte Zeit Arbeitskräfte beschäftigen möchten. Denn nicht für alle Aufgaben werden tatsächlich Fachkräfte mit einer Qualifikation benötigt.
Welche weiteren Chancen bieten die Neuerungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes noch?
Im Zuge der Blauen Karte gelten nun auch Mobilitätsregelungen. Seit Mitte November 2023 gibt es sogenannte kurzfristige und längerfristige Mobilität. Sie berechtigt nicht nur zur Einreise in andere EU-Staaten, sondern auch zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit in den EU-Ländern. Gerade internationale Unternehmen können ihre Mitarbeitenden nun leichter entsenden. Das ist zum Beispiel für Fach- und Führungskräfte im Bereich der Projektarbeit interessant.

Auch wichtig: Fachkräfte mit einem akademischen Abschluss oder einer abgeschlossenen Berufsausbildung können nun auch die Branche wechseln – solange sie einer qualifizierten Beschäftigung nachgehen. Dennoch bleiben für die Unternehmen einige Herausforderungen.
Welche sind das?
Das Visum-Verfahren bleibt natürlich weiterhin bestehen. Dieses dauert je nach Herkunftsland und Aufenthaltszweck zwischen ein paar Wochen und bis zu einem Jahr oder länger. Die Botschaften, die diese Visa erteilen, agieren wie ein Flaschenhals. Sind diese nicht mit genügend Personal ausgestattet und werden die Vorschriften zunehmend komplexer, lässt sich dieses Visumverfahren auch nicht effektiv gestalten. Zudem müssen die Arbeitgeber weiterhin den Prüfungspflichten nachkommen, was einen großen bürokratischen Aufwand bedeutet.
Haben Sie Tipps für Betriebe, um diese Hürden zu meistern?
Die Unternehmen müssen immer auf dem Laufenden bleiben, was die neuen Regelungen betrifft. Sie sollten sich daher ausführlich mit den neuen Regelungen beschäftigen. Das fällt gerade kleineren Unternehmen häufig schwer, da sie kein Personal dafür bereitstellen können. Daher empfehle ich Arbeitgebern, professionelle Anlaufstellen zurate zu ziehen. Sie können zum Beispiel mit der Agentur für Arbeit oder der örtlichen Ausländerbehörde kooperieren oder sich beraten lassen. In Bayern gibt es außerdem die Zentrale Stelle für die Einwanderung von Fachkräften, an die sich Unternehmen bei Fragen wenden können. Zur Temposteigerung des Visumverfahrens sollten Firmen in das beschleunigte Fachkräfteverfahren investieren.
Was bedeuten die Neuerungen des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes für die Ausländerbehörden?
Die Vielfalt der neuen Vorschriften führt dazu, dass Anerkennungsverfahren noch komplexer werden. Wir merken jetzt schon, dass die Anzahl der Anfragen steigt. Auch der Beratungsaufwand nimmt zu, da wir alle Rechtsgrundlagen prüfen müssen, um die passende Regelung für den Arbeitgeber und die Fachkraft aus dem Ausland zu finden.
Wie fangen Sie diese Mehrbelastung in der Ausländerbehörde auf?
Wir haben Schulungen besucht, schon bevor die Änderungen überhaupt in Kraft getreten sind. Außerdem versuchen wir, zusätzliches Personal zu bekommen und zunehmend digitale Tools zu nutzen. Die Einrichtung von Online-Antragsstrecken, zum Beispiel für das beschleunigte Fachkräfteverfahren, könnte helfen, die Ausländerbehörden zu entlasten und die Fachkräfteverfahren zu beschleunigen.


Über die Person:
Michael Schiller Michael Schiller ist Leiter der Ausländerbehörde in der Kreisstadt Neustadt an der Waldnaab.
Michael Schiller, Leiter der Ausländerbehörde in der Kreisstadt Neustadt an der Waldnaab
© Marcel Weidner

Das Gespräch führte Iris Jilke.