Titel - Ausgabe Juli 2024

Ausländische Fachkräfte gewinnen

Der Fachkräftemangel zählt für die Unternehmen weiterhin zu den größten Geschäftsrisiken. Mit der Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung soll die Gewinnung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Nicht-EU-Staaten erleichtert werden. Experten und Betriebe aus der Region zeigen Perspektiven und Hürden des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes (FEG), das seit November 2023 schrittweise in Kraft getreten ist.
Jedes Jahr bietet die Sparkasse Cham zehn Ausbildungsstellen an. Früher seien diese Stellen leicht zu besetzen gewesen. Das habe sich in den vergangenen Jahren geändert, sagt Franz Wittmann, Vorstandsvorsitzender der Sparkasse Cham. Mit dieser Herausforderung ist Wittmann nicht allein. Jedes zweite Unternehmen in Deutschland hat laut des aktuellen Fachkräftereports der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden. Allein im IHK-Bezirk Oberpfalz-Kelheim können derzeit 58 Prozent der Unternehmen offene Stellen längerfristig nicht besetzen. Für Wittmann war daher klar, dass er neue Wege bei der Azubi- und Fachkräftegewinnung beschreiten muss. Inzwischen beschäftigt die Sparkasse Cham auch Auszubildende und Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern, zum Beispiel aus Syrien oder Indien. „Die Anregung dazu kam aus der Belegschaft“, erzählt Wittmann. „Wir sehen uns als innovativen Arbeitgeber und wollten es daher ausprobieren und auch Menschen aus dem Ausland eine Chance geben.“
Norbert Wittmann, Metzgerei Hotel Gasthof Wittmann GmbH
Ähnlich erging es Norbert Wittmann, Geschäftsführer der Metzgerei Hotel Gasthof Wittmann GmbH in Neumarkt in der Oberpfalz. In den vergangenen Jahren setzte die Familie Wittmann ein Großprojekt um. Das alte Gebäude wich einem modernen Neubau. 2023 feierte das „Wittmann’s“ seine Eröffnung – als Lifestyle-Hotel, Restaurant und Erlebnis-Metzgerei. Dafür benötigte Wittmann rund 25 neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. „Damals wusste ich bereits, dass es ein Abkommen mit Vietnam gibt“, erzählt Wittmann. „Wir haben generell ein sehr buntes Team. Viele Menschen mit Migrationshintergrund arbeiten bei uns. Das wollten wir auch Interessierten aus Drittstaaten ermöglichen.“ Eine Vermittlungsagentur sei genau zum richtigen Zeitpunkt auf ihn zugekommen. Sie kümmerte sich um das komplette Anerkennungsverfahren, unterstützte bei der Dokumenteneinreichung bis hin zur Wohnungssuche. Nach wenigen Wochen konnten im September 2023 acht Vietnamesinnen und Vietnamesen ihre Ausbildung im „Wittmann’s“ starten. Auch im Herbst 2024 möchte Wittmann fünf Bewerberinnen und Bewerbern aus Vietnam eine Ausbildung ermöglichen. Er ist überzeugt: „Ohne Fachkräfte aus dem Ausland wäre es uns gar nicht möglich, unseren Betrieb aufrechtzuerhalten.“

Erleichterungen in drei Stufen

Damit es zukünftig noch leichter wird, Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten, sogenannten Drittstaaten, zu beschäftigen, hat die Bundesregierung das Fachkräfteeinwanderungsgesetz (FEG) überarbeitet und weiterentwickelt. Die drei Säulen der Gesetzesnovelle lauten Qualifikation, Erfahrung und Potenzial. Von November 2023 bis Juni 2024 sind sie schrittweise in Kraft getreten. „Die Neuerungen des FEG bieten den Unternehmen in der Region neue Zugangswege – zum Beispiel durch die Erfahrungssäule“, bestätigt Karen Fisher, Referentin Fachkräftesicherung bei der IHK. Während bisher eine Anerkennung des Berufsabschlusses für die Einreise zwingend erforderlich war, können Fachkräfte seit dem 1. März 2024 auch ohne Anerkennungsverfahren nach Deutschland kommen. Die Voraussetzung: ein mindestens zweijähriger, im Heimatland staatlich anerkannter Berufsabschluss sowie mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in dem Bereich, in dem in Deutschland gearbeitet werden soll. „Eine weitere Erleichterung ist sicherlich, dass die Fachkräfte nun unabhängig von ihrer Qualifikation jede qualifizierte Tätigkeit ausüben dürfen, solange es sich nicht um einen reglementierten Beruf handelt. Sie können somit leichter die Branche wechseln,“ ergänzt Fisher. Zuvor sei dies nicht möglich gewesen.

Blockaden im Kopf lösen

Trotz der Erleichterungen haben noch nicht alle Betriebe in der Region Erfahrungen mit ausländischen Beschäftigten gesammelt. Häufig gäbe es noch Blockaden im Kopf. Dabei sind es oft Kleinigkeiten, die helfen können, Unsicherheiten aus dem Weg zu räumen: „Per Video-Call können sich die Unternehmen zum Beispiel einen ersten Eindruck von Bewerberinnen und Bewerbern im Ausland verschaffen“, empfiehlt Fisher. „In den Gesprächen bekommen die Unternehmen auch ein Gespür für die Sprachkenntnisse.“
Thomas Würdinger, Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Weiden wünscht sich, dass das Bewusstsein der Unternehmen für die Dringlichkeit ausländischer Arbeitskräfte weiter steigt: „Wenn es uns nicht gelingt, den Zuzug mehr als zu verdoppeln, werden wir aufgrund unserer demografischen Entwicklung in den nächsten zehn Jahren ein Problem haben. Daran müssen wir alle aktiv arbeiten.“ Auch in der Oberpfalz sei die Zahl der Beschäftigungen im Jahr 2023 nur durch ausländische Mitarbeiter gewachsen. Würdinger ist überzeugt, dass sich durch die Anpassungen am Fachkräfteeinwanderungsgesetz nun vielfältigere Möglichkeiten bieten. Doch der Weg dahin verlaufe sehr individuell. „Wir begleiten sowohl die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus dem Ausland als auch die Arbeitgeber in Deutschland durch diesen Prozess“, erklärt Würdinger. Alle Qualifikationen und Merkmale der Fachkräfte aus dem Ausland müssten sorgfältig geprüft werden, um anschließend den richtigen Pfad wählen zu können. Abhängig davon, welche Säule zutrifft, fällt der Anerkennungsprozess sehr unterschiedlich aus. Für die Unternehmen stelle das oft eine Herausforderung dar. „Wir kennen die nötigen Schnittstellen und können professionell unterstützen“, ergänzt Würdinger.

Aus Südafrika in die Oberpfalz

Auch Anja Huber, Mitarbeiterin Personal bei der Decker Verfahrenstechnik GmbH, suchte Rat bei einer Beratungsstelle. Das Unternehmen produziert in Neumarkt in der Oberpfalz unter anderem Ionenaustauscher und Ionenaustauscheranlagen für den industriellen Wasser- und Abwasserbedarf. Vor einiger Zeit erhielt Huber die Bewerbung einer südafrikanischen Studierenden. Sie absolvierte ihren Masterabschluss in Deutschland und wollte parallel dazu arbeiten. Die Qualifikationenpassten und Huber wollte die ausgeschriebene Stelle schnell besetzen. Doch das war mit Herausforderungen verbunden: „Für uns als kleines Unternehmen war diese Situation neu. Es war schwer, an Informationen zu kommen. Die Behörden schienen komplett überlastet und ich hing andauernd in der Warteschleife.“ Die Bewerberin lebte zu diesem Zeitpunkt bereits in Deutschland. „Das stellte wiederum einen Sonderfall dar. Ich wendete mich daher an das Welcome Center Hamburg, wo die Bewerberin lebte und studierte“, erzählt Huber. „Mit den richtigen Infos ging das Anerkennungsverfahren dann zügig über die Bühne. Um die Anträge musste sich die Bewerberin natürlich selbst kümmern, aber wir unterstützten sie, wo es möglich war.“ Nach etwa zwei Wochen erhielt die Bewerberin aus Südafrika eine Blaue Karte und konnte ihren Job bei der Decker Verfahrenstechnik GmbH beginnen.

Strukturen und Beratung helfen

Lange Wartezeiten, fehlende Digitalisierung und verschiedene Zuständigkeitsbereiche – Karen Fisher von der IHK kennt die Herausforderungen, die trotz der Weiterentwicklung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes bleiben: „Gerade kleinere Unternehmen haben häufig keine Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter, die sich explizit um Einreiseprozesse und Anerkennungsverfahren kümmern.“ Sie rät Unternehmen daher, Strukturen zu schaffen und professionelle Beratung einzuholen – zum Beispiel bei den Ausländerbehörden, beim Arbeitgeber-Service der Agentur für Arbeit oder bei der IHK. Auch bei der Personalsuche im Ausland lohne es sich, Rat einzuholen und ein Netzwerk aufzubauen. Fisher empfiehlt den Firmen außerdem, an Projekten und offiziellen Programmen teilzunehmen, die Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern vermitteln.

Zuwanderungswege erproben

Die Bundesagentur für Arbeit beispielsweise betreibt Länderprogramme, etwa mit Brasilien, Ägypten, Jordanien, Indien oder Ghana. Dort ist der Bildungsgrad hoch, die Menschen verfügen jedoch über wenig Perspektiven auf dem heimischen Arbeitsmarkt. Andere Projekte fokussieren sich auf bestimmte Branchen – beispielsweise die Alten- und Pflegebranche. „Mit solchen Projekten will die Agentur für Arbeit neue Zuwanderungswege erproben und Arbeitspotenziale für Deutschland erschließen“, erläutert Würdinger. Ein Jahr lang werden die Fachkräfte auf die Einwanderung in Deutschland vorbereitet. Sie absolvieren unter anderem Sprachkurse, bevor sie an interessierte Unternehmen in Deutschland vermittelt werden. „Für die teilnehmenden Betriebe ist die Betreuung ausländischer Arbeitskräfte oder Auszubildender immer aufwendig, doch es lohnt sich“, ist sich Würdinger sicher.
Stefan Segerer, Segerer Logistik GmbH
Von einem solchen Programm konnte auch die Segerer Logistik GmbH aus Wernberg-Köblitz profitieren. Die Agentur für Arbeit in Weiden vernetzte das Logistikunternehmen sowie weitere Firmen aus der Region mit potenziellen Auszubildenden aus El Salvador. „Das Programm ist schon mit Aufwand und Kosten verbunden“, sagt Geschäftsführer Stefan Segerer. Zum Beispiel hat das Unternehmen die Kosten für einen neunmonatigen Deutschkurs im Heimatland übernommen sowie eine Wohnung gesucht und eingerichtet, bevor die Auszubildende aus El Salvador nach Deutschland einreisen konnte. Doch es zahle sich aus. „Vielfalt und Offenheit für unterschiedliche Nationalitäten gehören in unserem Unternehmen einfach dazu“, betont Segerer. Im nächsten Jahr will er erneut am Azubi-Programm mit El Salvador teilnehmen. Bis dahin kümmert er sich erst einmal um die jetzige Auszubildende, damit diese sich gut am neuen Ausbildungsplatz zurechtfindet: „Wir vernetzen uns mit anderen Firmen in der Region und organisieren einen Azubi-Austausch. So kann unsere Auszubildende aus El Salvador auch andere, größere Firmen in der Region kennenlernen.“

Onboarding ist entscheidend

IHK-Expertin Fisher bestätigt: Seien die Auszubildenden und Fachkräfte erst einmal in Deutschland angekommen, ende der Prozess längst noch nicht. „Das Onboarding ist sehr wichtig. Im besten Fall bekommen die neuen Fachkräfte im Betrieb eine Mentorin oder einen Mentor, die oder der ihnen Hilfestellung gibt.“ Auch Unterstützung bei der Wohnungssuche und bei der Kinderbetreuung seien entscheidend, denn oftmals möchten die Fachkräfte aus dem Ausland auch ihre Ehepartner und ihre Familie mitbringen. Ein wichtiger Punkt sei außerdem, die bestehende Belegschaft auf neue Kolleginnen und Kollegen vorzubereiten und das Bewusstsein für andere Kulturen zu schärfen: „Interkulturelle Trainings sind dafür eine gute Möglichkeit“, empfiehlt Fisher.
Thomas Würdinger von der Agentur für Arbeit Weiden
Unterstützung und Beratung bietet auch das Welcome Center in Weiden, eine interne Einrichtung der dortigen Agentur für Arbeit. „Wir wollen den Menschen aus dem Ausland das Ankommen und Bleiben in der Oberpfalz erleichtern“, schildert Würdinger. „Hier erhalten sie zum Beispiel Infos zur Wohnungssuche, zu den Sozialversicherungssystemen in Deutschland oder auch zu möglichen Freizeitbeschäftigungen.“ Die Fachkräfte aus dem Ausland haben hier eine persönliche Ansprechperson, die sie telefonisch erreichen können. Auch Arbeitgeber können sich bei Fragen jederzeit an das Welcome Center wenden.

Austausch unter Kollegen

Meist bewirke jedoch der informelle Austausch und der Kontakt mit anderen Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen am meisten, ist sich Wittmann von der Sparkasse Cham sicher. „Natürlich haben wir auch bei der Wohnungssuche unterstützt, aber meist kommt die Hilfe nicht aus der Personalabteilung, sondern aus dem Kollegenkreis.“ Jede neue Mitarbeiterin oder jeder neue Mitarbeiter werde sofort integriert. Gemeinsame Geburtstagsfeiern, Betriebsausflüge oder gemeinsame Sportgruppen gehören zum Arbeitsalltag dazu und erleichtern das Ankommen in der neuen Heimat.
Eine familiäre Atmosphäre – darauf setzt auch der Hotel- und Gastronomiebetrieb „Wittmann’s“ in Neumarkt. „Wir versuchen, uns in die Menschen hineinzuversetzen, die in einem fremden Land komplett neu anfangen“, betont Norbert Wittmann. „Sie müssen wissen, dass sie zu unserem Familienunternehmen dazugehören und wir sie miteinbeziehen.“
Franz Wittmann von der Sparkasse Cham
Ähnlich sieht es Segerer von der Segerer Logistik GmbH: Bei uns tauschen sich die Mitarbeitenden gegenseitig aus“. Darüber hinaus sei es hilfreich, einen „Kümmerer“ im Unternehmen zu benennen, an den sich die ausländischen Fachkräfte bei Fragen wenden können. „Natürlich gibt es Hürden. Manchmal ist auch der Oberpfälzer Dialekt für die Fachkräfte aus dem Ausland unmöglich zu verstehen“, ergänzt Franz Wittmann von der Sparkasse Cham. „Dann kann ich ihnen nur Mut machen, regelmäßig nachzufragen.“ Mut machen will Wittmann auch den Unternehmen, die noch mit dem Gedanken spielen, Fachkräfte aus dem Ausland einzustellen: „Einfach mal ausprobieren, neue Erfahrungen sammeln und ausländischen Bewerberinnen und Bewerbern eine Chance geben – das zahlt sich definitiv aus.“

Autorin: Iris Jilke