Region - Ausgabe März 2024

Mit Sachverstand in die Zukunft

Für ausgewiesene Expertinnen und Experten bietet sich jetzt die Chance, öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige zu werden. Aufgrund des demografischen Wandels ist die Nachfrage am Markt so groß wie nie. Die neue fachliche Herausforderung eröffnet spannende Perspektiven und garantiert Flexibilität und Abwechslung im Berufsalltag.
Das Sachverständigenwesen in Deutschland hat eine lange Tradition. Schon im 19. Jahrhundert sorgten private Dampfkesselüberwachungsvereine für die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Anlagen. Die Gründung des Deutschen Reichs 1871 war dann die Geburtsstunde für die öffentliche Bestellung von Sachverständigen durch unabhängige Experten. „Seit den 1960er Jahren hat die Anzahl an Prozessen zugenommen und Sachverständige vor Gericht wurden verstärkt gebraucht“, sagt Bernhard Floter, geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Instituts für Sachverständigenwesen (IfS). Ein Schwerpunkt des Vereins, der vor 50 Jahren gegründet wurde, ist, Sachverständige auf den Gerichtsalltag vorzubereiten. Etwa 180 Institutionen aus allen Bereichen des Sachverständigenwesens sind Mitglied im Verein, darunter auch alle Industrie- und Handelskammern.

Bestellung und Vereidigung

Die IHKs führen die öffentliche Bestellung und Vereidigung der Sachverständigen nach einheitlichen Standards durch. „Bestimmte gesetzliche Voraussetzungen müssen vorliegen, starre Regeln gibt es bei der Begutachtung der besonderen Sachkunde als einer wichtigen Voraussetzung allerdings nicht“, betont Axel Rickert, Referatsleiter Sachverständigenwesen bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) in Berlin. Besondere Sachkunde könne auf unterschiedlichen Wegen belegt werden, so der Jurist. Auch bei der Dauer der praktischen Erfahrung gäbe es einen gewissen Spielraum. „Der Titel ist ein Qualitätssiegel, um hochqualifizierte Experten zu erkennen“, fasst Bernhard Floter vom IfS zusammen.
Wer als Sachverständiger öffentlich bestellt und vereidigt ist, kann in diesem Sachgebiet umfassend – bei Gericht und außergerichtlich – tätig werden. In einzelnen Bereichen sind öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gefragte Experten für Prüfaufgaben. „Wenn es etwa um die Einhaltung des Bundesemissionsschutzgesetzes geht oder darum, ob Betriebe Altfahrzeuge umweltgerecht entsorgen, prüfen nicht staatliche Behörden, sondern private Sachverständige“, erläutert Floter. Eine öffentliche Bestellung und Vereidigung ist vielfach Voraussetzung für diese Tätigkeit.

Neutrale Mediatoren

Ein weiteres Einsatzgebiet, das immer stärker an Be-deutung gewinnt, ist die außergerichtliche Streitbeilegung. Hier kommen Sachverständige, die öffentlich bestellt und vereidigt sind, als neutrale Experten, Mediatoren oder Schiedsgutachter zum Einsatz. „Im gerichtlichen Bereich ist es wichtig, dass öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in Prozessen bestimmt werden, damit die Gerichte effizient arbeiten können“, betont Diplom-Betriebswirt Bernhard Floter. Dann muss das Gericht die Qualifikation nicht selbst prüfen und spart Zeit. „Auch nachvollziehbare und neutrale Gutachten sichern eine gewisse Geschwindigkeit der Prozesse.“
Laut Recherchen des IfS werden in Deutschland pro Jahr 800.000 bis 900.000 Sachverständigenleistungen für Gerichte erstellt, darunter Gutachten und Stellungnahmen. „Die Hälfte davon sind Gutachten von Ärzten und Psychiatern; die andere Hälfte Gutachten von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen der IHKs, Handwerkskammern und anderer Berufskammern“, so Bernhard Floter. Im Verzeichnis der IHKs sind aktuell etwa 7.800 (rund 140 davon im Bezirk der IHK Regensburg), bei den Handwerkskammern 6.000 öffentlich be stellte und vereidigte Sachverständige gelistet. „Das sind zehn bis zwölf Prozent weniger als vor fünf Jahren“, so der IfS-Ex-perte. „Bis Baugutachten und Gutachten zu Unfallrekon- struktionen vorliegen, dauert es aktuell schon einmal bis zu einem Jahr. Das ist unbefriedigend! Überlange Prozesse sind eine Gefahr für die Justiz und auch für den Wirt-schaftsstandort Deutschland.“

Junge Experten gefragt

Der demografische Wandel und der Fachkräftemangel treffen auch das Sachverständigenwesen. Aktuell liegt das Durchschnittsalter der Sachverständigen bei 60 Jahren. In den nächsten Jahren gehen viele Baby-Boomer in Rente. Junge Experten aus allen Fachbereichen sollten also jetzt die Chance nutzen und eine Karriere oder ein zweites Standbein als öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in Erwägung ziehen. Ob Autodidakt oder promovierter Ingenieur – jeder Experte, der die Zugangsvoraussetzungen erfüllt, kann öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger werden. Dafür muss die besondere Sachkunde in Theorie und Praxis sowie die persönliche Eignung nachgewiesen werden.
Bei ihrer IHK erfahren Interessierte, welche Unterlagen sie mit ihrem Antrag vorlegen müssen und wie das Be-stellungsverfahren in den mehr als 250 Gebieten – von A wie „Abdichtung und Wärme- und Feuchtigkeitsschutz“ über L wie „Lüftungs- und Klimatechnik“ bis V wie „Vorbeugender Brandschutz“ – konkret abläuft. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige werden im bundesweiten IHK-Sachverständigenverzeichnis unter svv.ihk.de gelistet und können dort von Auftraggebern wie Gerichten, Behörden, Versicherungen und anderen Unternehmen sowie Pri-vatpersonen gefunden werden.
Autorin: Anne Besser